Kommentar II

Imago Hominis (2009); 16(2): 160-162
Peter Kühn

Bei den Kommentaren zu den drei vorgelegten Fällen werde ich aus der Sicht meiner bisherigen Tätigkeit in der Patientenanwaltschaft zunächst herauszuarbeiten versuchen, ob tatsächlich Unzukömmlichkeiten vorliegen, die Grund für eine Beschwerde sein könnten.

Fall 1:

Wenn jemand relativ kurz nach einer Nierentransplantation plötzlich mit hohem Fieber erkrankt ist, ist meiner Meinung nach selbst nach „weitgehendem“ Ausschluss einer Abstoßungsreaktion der Zustand weiterhin unklar und besorgniserregend. Hier eine ambulante Versorgung zu empfehlen scheint mir daher äußerst bedenklich – und war ja auch nicht erfolgreich. Mit einigem guten Willen und persönlichem Einsatz wäre es sicher möglich gewesen, die Patientin zumindest vorübergehend in einem anderen Bereich des AKH unterzubringen.

Dass Patientin (und Angehöriger) bei hochfieberhaftem Infekt (unter Einnahme von Immunsuppressiva!) Angst vor einer Superinfektion haben, ist verständlich und spricht nur dafür, dass es sich hier um gut informierte Patienten handelt. Wenn man tatsächlich sicher gewesen ist, dass keine Ansteckungsgefahr droht, hätte man das dem Gatten bei seinem „ständigen Kontakt mit allen involvierten Ärzten“ ja auch mehrfach vermitteln können und nicht erst in der Erwiderung an den Patientenanwalt zur Sprache bringen müssen.

Wenn der Gatte außerdem wirklich laufend Kontakt mit allen Ärzten hielt, ist es ja durchaus möglich, dass er parallel zum Peripheriespital auch von sich aus die Univ.-Klinik zu einer Übernahme der Patientin drängte, sodass er letztlich den Eindruck haben konnte, die Transferierung sei nur auf seine Initiative zustande gekommen.

Der Hauptfehler liegt meiner Meinung nach in der primären (Nicht-)Versorgung der Patientin durch die Univ.-Klinik, alles andere sind Kommunikationsprobleme, wie sie leider nur allzu oft vorkommen.

Fall 2:

Dass geriatrische Patienten nach den verschiedensten Krankheiten länger für die Genesung brauchen, wissen alle leidgeprüften Spitalsärzte. Für derartige Fälle sind die Abteilungen für Akutgeriatrie bzw. Remo-Stationen, die man in vielen Krankenhäusern von OÖ zur Verfügung hat, ein wahrer Segen. Schon lange vor der Verlegung aus der Akutstation sollte man aber mit der Familie in ein Gespräch über die Weiterversorgung eintreten. Im Rahmen dieser wiederholten Kontakte kann dann leicht auch angesprochen werden, dass es diese vermeintliche „Aufgabe des Spitals zur unbegrenzten Weiterbehandlung“ in Wirklichkeit nicht gibt. Ich gebe aber zu, dass die Uneinsichtigkeit von Angehörigen einen oft zur Verzweiflung bringen kann.

Hier könnte man tatsächlich überlegen, den Angehörigen von alten, multimorbiden Patienten (bei denen mit langer Rekonvaleszenz zu rechnen ist) bei den ersten Besuchskontakten ein Formblatt vorzulegen, in welchem auf die zu erwartende Notwendigkeit einer Weiterversorgung nach Spitalsentlassung hingewiesen wird. Für diesen Fall sollten dort verschiedene Varianten zur Auswahl stehen (Versorgung durch die Familie/Organisation von Heimhilfen/Pflegeheim etc.). Durch ihre Unterschrift müssten die Angehörigen dann einer dieser Optionen ihre Zustimmung geben.

Fall 3:

Es war sicher eine Nachlässigkeit, dass man den Patienten (63 Jahre alt und frisch vermählt!) nicht über diesen grenzwertigen TPHA-Test informierte. Wenn man aber hier argumentiert, dass dieser Test für eine Orthopädische Abteilung ziemlich irrelevant ist, dann muss man dem entgegenhalten, dass die dortigen Ärzte ja wohl einen Grund gehabt haben müssen, diesen Wert überhaupt zu bestimmen. Wenn dann das Ergebnis – wie eben hier – nicht eindeutig ist, dann sollte man sich doch die Zeit nehmen, die klärenden Tests durchzuführen oder den Patienten darüber zu informieren, dass weitere Tests erforderlich sind, und nicht nur die Wiederholung der Untersuchung im Arztbrief zu empfehlen, wohl wissend, wie genau diese Berichte oft von den Hausärzten gelesen werden. Als dann der unvorbereitete Patient durch Zufall mit diesem Wert konfrontiert wurde, war das für ihn und seine eben angetraute (kürzlich nierentransplantierte!) Gattin zunächst ein Schock und eine Zeit voll verständlicher Ungewissheit und Angst, bis – eigentlich durch Eigeninitiative der Gattin – der Verdacht letztlich ausgeräumt werden konnte.

Wenn aber das Eingeständnis des Fehlverhaltens und ein Angebot zur finanziellen Abgeltung des Unbills nicht ausreicht, die manchmal grenzenlose Begehrlichkeit zu befriedigen, dann muss man solchen Personen wohl zugestehen, dass sie ihr (Un-)Glück auf dem Rechtsweg suchen.

Nun zur Beantwortung der 4 vorgelegten Fragen:

Frage 1:

Nein! Nicht noch ein Kodex oder noch eine Sammlung von Guidelines! Noch dazu, wo man sich nicht vorstellen kann, wer sie wann und wo lesen soll.

Kooperation heißt Zusammenarbeit: Wenn ich also einen Patienten zur Betreuung/Behandlung übernehme, muss ich regelmäßig den „Stand der Dinge“ mit ihm besprechen und ihn gegebenenfalls um Mitarbeit ersuchen bzw. ihn um Verständnis bitten, wenn der Verlauf nicht den Erwartungen entspricht. (Wenn eine Kommunikation mit dem Patienten - vorübergehend – nicht möglich ist, sind die nächsten Angehörigen meine Ansprechpartner.) Genau dieser laufende Informationsaustausch unterbleibt leider sehr häufig – welcher bettenführende Arzt steht denn wirklich während der Besuchszeit auf der Station zur Verfügung? Kooperation im Verhältnis Arzt/Patient kann meiner Meinung nach nicht dekretiert werden, sondern muss im Rahmen laufender Kontakte langsam wachsen.

Und auch für das „Abschlussgespräch“ (was war eigentlich die letztliche Diagnose? Wo lagen die Schwierigkeiten? Worauf ist in Zukunft zu achten? etc.) bleibt im modernen hektischen Spitalsbetrieb meist keine Zeit. Dass unsere „Kunden“ sich dann gelegentlich ihre eigenen, laienhaften Gedanken machen und dort und da Fehler vermuten, ist eben leider oft die Folge.

Frage 2:

Wie soll denn das umgesetzt werden? „Nicht abgesprochen“ heißt ja eben, dass die behandelnden Ärzte zunächst nichts davon wissen. Wenn schließlich diese „Eigeninitiative“ zum Tragen kommen soll, dann wird sie ja wohl den Ärzten bekannt gegeben werden müssen – und dann ist es in der Regel wohl weise, dem Wunsch (z. B. nach Verlegung in ein anderes Krankenhaus) Folge zu leisten.

Frage 3:

Nein. Wollte man das nämlich einführen, müssten die Ärzte von sich aus präventiv eine genaue Sachverhaltsdarstellung unter Beischließung aller Unterlagen und Dokumente aus der Krankengeschichte an den Patientenanwalt schicken – eine mühselige Arbeit, die sie sich besser dafür aufsparen sollten, wenn Patient/Angehörige sich tatsächlich mit einer Beschwerde an die Patientenanwaltschaft wenden. Denn ich denke, dass in einem Teil der Fälle, die „Druck machen“, die Verdächtigungen/Anschuldigungen in einem klärenden Gespräch ausgeräumt werden können.

Frage 4:

An sich existiert diese Stelle ja bereits in Form der Schiedsstelle der Ärztekammer, bei der sich Ärzte und Beschwerdeführer unterstützt durch die jeweiligen Rechtsvertreter gegenübersitzen. Allerdings wird sie bisher ausschließlich aufgrund einer Beschwerde von Patientenseite tätig, meist nach Durchlaufen der Patientenanwaltschaft. Auch die Patientenanwaltschaft hat ja zum Teil eine derartige Funktion: Zumindest verbringe ich oft Stunden im Gespräch mit Patienten oder Angehörigen, um ihnen nach dem Studium aller Unterlagen klarzumachen, wie manche Komplikationen zustande kommen und dass ihre Verdächtigungen nicht der Realität entsprechen.

Ich denke nicht, dass bei dem Vorschlag der Frage 4 daran gedacht ist, dass sich Ärzte über einen einzelnen, unangenehmen Patienten irgendwo beschweren können sollen. Nach meinen Erfahrungen an der Patientenvertretung des Landes OÖ, wo wir nur in rund 0,05% aller stationär behandelten Fälle mit Beschwerden konfrontiert sind, muss man wohl die Frage aufwerfen, ob sich eine derartige Beschwerdeführung durch die Ärzte lohnen würde. Haben wir nicht Besseres zu tun?

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Peter Kühn
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Peter.Kuehn(at)aon.at

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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