Erklärung zur medizinischen Nutzung von menschlichen Embryonen

Imago Hominis (2001); 8(3): 234-237
George W. Bush

Die Frage der Forschung an Stammzellen, die aus menschlichen Embryonen gewonnen sind, wird zunehmend zum Gegenstand einer landesweiten Debatte und zahlreicher Gespräche im häuslichen Kreis. In den Forschungslabors sind Wissenschaftler täglich mit dieser Frage und ihren vielfältigen ethischen Konsequenzen konfrontiert. Viele Eltern und kinderlose Paare ringen mit ihr, wenn sie versuchen, Kinder zu bekommen oder das Leben bereits geborener Kinder zu retten.

Auch in den Kirchen wird das Problem diskutiert, wobei Menschen unterschiedlichen Glaubens und vielfach auch Menschen desselben Glaubens zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Viele haben das Gefühl, je mehr sie über die Stammzellenforschung wissen, desto unklarer wird ihnen, welche ethischen und moralischen Schlussfolgerungen die richtigen sind.

Meine Administration muss entscheiden, ob sie es zulassen soll, dass die wissenschaftliche Forschung an Stammzellen aus menschlichen Embryonen mit Bundesmitteln, also Ihren Steuergeldern, gefördert wird. Viele Embryonen dieser Art existieren bereits. Sie sind das Ergebnis der sogenannten In-vitro-Fertilisation, die so vielen Ehepaaren zu einem Kind verhilft. Wenn Ärzte eine Samenzelle außerhalb des Mutterleibs mit einer Eizelle verschmelzen, erzeugen sie meist mehr Embryonen, als in den Mutterleib verpflanzt werden. Die überzähligen Embryonen werden eingefroren, bis klar ist, ob die Schwangerschaft erfolgreich zum Abschluß gebracht wird.

Einige dieser Embryonen überleben die lange Lagerung nicht, andere werden vernichtet. Eine Reihe von ihnen wird der Wissenschaft zur Verfügung gestellt, die daraus mit Hilfe privater Fördergelder neue Stammzellenlinien züchtet. Und einige wenige werden von Leihmüttern ausgetragen und wachsen zu gesunden Kindern heran.

Auf Grund von Vorarbeiten, die mit privaten Mitteln gefördert wurden, glauben Wissenschaftler, die Stammzellenforschung eröffne aussichtsreiche Möglichkeiten, das Leben zahlreicher Menschen zu verbessern, die unter schrecklichen Krankheiten leiden, von juveniler Diabetes bis hin zu Alzheimer, von Parkinson bis hin zu Rückenmarksverletzungen. Die Wissenschaftler räumen zwar ein, dass sie keine Gewissheit besitzen, aber sie glauben, die Forschung an embryonalen Strammzellen biete einzigartige Möglichkeiten.

Sie sollten auch wissen, dass man Stammzellen nicht nur aus Embryonen gewinnen kann, sondern auch aus erwachsenen Zellen, aus der Nabelschnur Neugeborener und aus der Plazenta, die nach der Geburt weggeworfen werden. Und viele Wissenschaftler halten die Forschung an diesen Zellen gleichfalls für aussichtsreich. Schon heute behandelt man eine Reihe von Krankheiten mit Methoden, die mit Hilfe erwachsener Stammzellen entwickelt worden sind.

Dennoch glauben zumindest gegenwärtig die meisten Wissenschaftler, dass die embryonalen Stammzellen die größten Aussichten bieten, weil diese Zellen das Potential besitzen, sich zu allen Gewebearten des Körpers zu entwickeln.

Die Wissenschaftler sind außerdem der Ansicht, dass sich rasche Fortschritte auf diesem Gebiet nur durch staatliche Förderung erzielen lassen, weil dadurch die besten und klügsten Köpfe angezogen werden. Die staatliche Forschungsförderung stellt sicher, dass die Ergebnisse weite Verbreitung finden und die Forschung selbst dem Gemeinwohl dient.

Die Vereinigten Staaten können auf eine lange, stolze Tradition in der Forschungsförderung zurückblicken, die der Welt Fortschritte in Wissenschaft und Medizin gebracht hat zur Verbesserung des menschlichen Lebens. Zugleich haben die Vereinigten Staaten sich bei der Erweiterung des Wissens und der Wissenschaft stets an die strengsten ethischen Maßstäbe gehalten. Die Forschung an embryonalen Stammzellen wirft schwierige ethische Fragen auf, weil bei der Gewinnung der Stammzellen der Embryo zerstört und damit potentielles Leben vernichtet wird. Jeder dieser Embryonen ist einzigartig wie eine Schneeflocke und besitzt das einzigartige genetische Potential zu einem individuellen menschlichen Wesen.

Als ich über dieses Problem nachdachte, kam ich immer wieder auf zwei Grundfragen zurück: Erstens, sind diese eingefrorenen Embryonen menschliches Leben, also etwas Kostbares, das geschützt werden muss? Und zweitens, wenn sie in jedem Falle zerstört werden, sollte man sie dann nicht besser für ein höheres Ziel nutzen, für eine Forschung, die Möglichkeiten bietet, anderes Leben zu retten und zu verbessern?

Ich habe diese und andere Fragen Natur- und Geisteswissenschaftlern, Bioethikern und religiösen Führern, Ärzten, Forschern, Mitgliedern des Kongresses wie auch meines Kabinetts und meinen Freunden gestellt. Ich habe tiefempfundene Briefe zahlreicher Amerikaner gelesen. Ich habe selbst viele Gedanken und Gebete auf diese Fragen verwandt. Und ich bin auf eine weitreichende Uneinigkeit gestoßen.

Zur ersten Frage, ob diese Embryonen menschliches Leben sind, hat mir ein Forscher erklärt, er glaube, diese fünf Tage alten Zellklumpen seien noch keine Embryonen, keine Individuen, sondern Präembryonen. Sie besäßen zwar das Potential zu leben, seien aber noch kein Leben, weil sie sich nicht selbständig entwickeln könnten.

Ein Moralphilosoph verwarf diese Ansicht als gefühllosen Rationalisierungsversuch. Täuschen Sie sich nicht, sagte er mir, Sie und ich und wir alle haben unser Leben als solch ein Zellklumpen begonnen. Mir kommen größte Bedenken, wenn wir sie benutzen, sagte er, weil wir es hier mit dem Samen der nächsten Generation zu tun haben.

Auch auf die zweite Frage, ob wir sie nicht für höhere Zwecke benutzen sollten, wenn sie doch in jedem Falle zerstört werden, erhielt ich unterschiedliche Antworten. Viele sagen, diese Embryonen seien Nebenprodukte eines Prozesses, aus dem menschliches Leben hervorgeht, und wir sollten es den Eltern erlauben, sie der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen, damit ihr Potential nicht ungenutzt bleibt, sondern einem guten Zweck zugeführt wird. Andere sagen, es gebe kein überschüssiges Leben, und die Tatsache, daß ein Lebewesen sterben wird, rechtfertige keineswegs, damit zu experimentieren oder es als Rohstoffquelle zu nutzen.

Im Kern zwingt uns dieses Problem, uns mit grundlegenden Fragen nach dem Beginn des Lebens und den Zielen der Wissenschaft auseinanderzusetzen. Sie liegen an einem schwierigen moralischen Kreuzungspunkt, an dem die Notwendigkeit, das Leben in all seinen Phasen zu schützen, mit der Aussicht in Konflikt gerät, Leben in all seinen Stadien zu retten und zu verbessern.

Die Entdeckungen der modernen Naturwissenschaften lassen gewaltige Hoffnungen aufkommen, führen uns aber zugleich in ausgedehnte ethische Minenfelder. Die schöpferische Kraft der Wissenschaft erweitert den Horizont dessen, was wir tun können, aber sie zwingt uns auch, die immer schwierigere Frage zu beantworten, was wir tun sollen. Wir leben heute in jener schönen neuen Welt, die noch sehr fern schien, als Aldous Huxley 1932 die Züchtung von Retortenmenschen beschrieb.

Vor einigen Wochen haben wir erfahren, dass Wissenschaftler in der Retorte menschliche Embryonen allein zu experimentellen Zwecken erzeugt haben. Das ist äußerst bedenklich und ein Warnsignal, das uns alle veranlassen sollte, sehr sorgfältig über diese Fragen nachzudenken.

Die Forschung an embryonalen Stammzellen birgt eine Reihe moralischer Gefahren. Der erste Stammzellenforscher begann seine Forschung nur unter großen Bedenken, weil er befürchtete, sie könnte für das Klonen von Menschen eingesetzt werden. Wissenschaftler haben bereits ein Schaf geklont. Forscher sagen uns, als nächstes könne man Menschen klonen, um Stammzellen mit bestimmten Eigenschaften zu erhalten und ein Ersatzlebewesen zu züchten, dessen Herz, Lunge oder Leber im Bedarfsfall zur Verfügung stehe.

Wie die meisten Amerikaner bin ich entschieden gegen das Klonen von Menschen. Wir lehnen es ab, menschliche Wesen als bloße Organbanken zu züchten oder Leben zu schaffen, das allein unseren Annehmlichkeiten dienen soll. Wir müssen zwar mit aller Energie an der Überwindung von Krankheiten arbeiten, aber ebenso wichtig ist es, dabei auf die moralischen Bedenken zu achten, die eine Stammzellenforschung an menschlichen Embryonen auslöst. Selbst der edelste Zweck rechtfertigt nicht jedes Mittel.

Meine Haltung in diesen Fragen beruht auf tiefen Überzeugungen. Ich bin ein entschiedener Förderer der Wissenschaft und der Technologie, und ich glaube, sie bergen großartige und segensreiche Möglichkeiten, das Leben zu verbessern, Leben zu retten und Krankheiten zu besiegen. Die Forschung eröffnet Millionen unserer Mitmenschen die Hoffnung, von einer Krankheit geheilt und von ihrem Leiden befreit zu werden. Ich habe Freunde, deren Kinder an juveniler Diabetes leiden. Nancy Reagan hat mir in einem Brief über Präsident Reagans Kampf mit der Alzheimer-Krankheit berichtet. Meine eigene Familie hat schon die Tragödie einer kindlichen Leukämie erleben müssen. Und wie alle Amerikaner setze ich große Hoffnungen auf neue Heilverfahren.

Ich glaube auch, dass das menschliche Leben ein heiliges Geschenk unseres Schöpfers ist. Ich mache mir Sorgen über eine Kultur, in der die Achtung vor dem Leben schwindet, und ich bin der Überzeugung, dass ich als Ihr Präsident die Pflicht habe, die Achtung vor dem Leben in Amerika und in aller Welt zu stärken und zu fördern. Und auch wenn wir große Hoffnungen auf das in dieser Forschung steckende Potential setzen, können wir doch nicht sicher sein, dass die Wissenschaft die Hoffnungen, die sie geweckt hat, auch erfüllen wird.

Vor acht Jahren glaubten Wissenschaftler, die Forschung an fötalem Gewebe böte große Aussichten für neue Behandlungsmöglichkeiten, aber diese Erwartungen haben sich bis heute nicht erfüllt. Die Forschung an embryonalen Stammzellen birgt große Möglichkeiten und große Gefahren. Daher bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass wir große Vorsicht walten lassen müssen.

Auf Grund privater Forschungsbemühungen gibt es heute mehr als 60 verschiedene Stammzelllinien. Sie wurden aus Embryonen gezüchtet, die bereits vernichtet worden sind, und sie besitzen die Fähigkeit, sich unbegrenzt zu regenerieren und weitere Forschungen zu ermöglichen. Ich habe daher beschlossen, dass Fördermittel des Bundes für die Forschung an vorhandenen Stammzelllinien gewährt werden dürfen, da die Entscheidung über Leben und Tod hier bereits vollzogen ist.

Nach Auskunft führender Wissenschaftler bieten diese 60 Linien sehr gute Aussichten auf einen Durchbruch im Bereich der Entwicklung neuer Heilverfahren. Auf diese Weise können wir die Möglichkeiten der Stammzellenforschung erkunden, ohne eine fundamentale moralische Grenze zu überschreiten, wie wir es täten, wenn wir mit dem Geld des Steuerzahlers die Vernichtung menschlicher Embryonen förderten, die zumindest das Potential besitzen, zu menschlichem Leben heranzuwachsen.

Ich glaube auch, wir können große wissenschaftliche Fortschritte machen, wenn wir mit Bundesmitteln die Forschung an Plazentazellen und an erwachsenen menschlichen oder an tierischen Stammzellen fördern, die uns in kein moralisches Dilemma verwickeln. In diesem Jahr wird Ihre Regierung 250 Millionen Dollar für diesen wichtigen Forschungsbereich ausgeben.

Ich werde außerdem eine Kommission einsetzen, die im Auftrag des Präsidenten die Stammzellenforschung beobachten, geeignete Richtlinien und Verhaltensregeln vorschlagen und allen medizinischen und ethischen Fragen im Zusammenhang mit den biomedizinischen Innovationen nachgehen wird. Diese Kommission wird aus führenden Wissenschaftlern, Ärzten, Moralphilosophen, Juristen, Theologen und anderen Experten bestehen; den Vorsitz wird Dr. Leon Kass, ein führender Fachmann für biomedizinische Ethik von der University of Chicago übernehmen.

Die Kommission wird uns über neue Entwicklungen informieren und unserem Land ein Forum bieten, auf dem diese wichtigen Fragen diskutiert und weiterentwickelt werden können. Ich hoffe, wir werden uns bei alledem stets von Verstand und Herz, von unseren Fähigkeiten und unserem Gewissen leiten lassen.

Ich habe diese Entscheidung nach sorgfältiger Abwägung getroffen, und ich bete, dass sie die richtige ist.

Texas, am 9. August 2001

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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