Editorial

Imago Hominis (2015); 22(4): 239-241
Enrique H. Prat

Die gute Nachricht: Die Lebenserwartung von Menschen nimmt in den westlichen Industrienationen laufend zu. Die schlechte Nachricht: Mit der gesteigerten Lebensverlängerung verschlechtert sich statistisch, d. h. im Durchschnitt, die Lebensqualität in den letzten Lebensjahren. Einer der Gründe dafür ist Demenz, die eine natürliche Folge des Alterns sein kann.

Laut WHO zählt Demenz zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Menschen mit Demenz können ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen, wenn ihre Umgebung darauf eingestellt ist. Dennoch ist sie heute häufig mit Ängsten und Tabus besetzt, nicht zuletzt, weil die Forschung bis dato kein Heilmittel gefunden hat.

In Österreich gibt es laut Demenzreport 2014 rund 130.000 demenzkranke Menschen. Im Durchschnitt kommen somit rund 1.500 Menschen mit Demenz auf 100.000 Einwohner. Weil die Bevölkerung generell altert, dürfte sich dieser Anteil auch in Österreich bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Rund 80.000 Menschen leiden an einer mittelschweren oder schweren Demenz, etwa zwei Drittel an Morbus Alzheimer. Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 rund 240.000 Menschen in Österreich an Demenz leiden werden.

Alzheimer ist die häufigste Form von Demenz. Unter den 60-Jährigen leidet ein Prozent an Morbus Alzheimer, alle fünf Jahre verdoppelt sich dieser Anteil – der Anteil der Personen mit Demenz an den über 85-Jährigen beträgt ca. 30 Prozent. Demenz stellt mit Sicherheit in den nächsten Jahrzehnten eine ganz große Herausforderung für unsere Gesellschaft und für unser Pflegewesen dar.

Demenz ist eine unheilbare, chronisch fortschreitende neurodegenerative Erkrankungen des Gehirns unterschiedlicher Genese. Die kognitiven Beeinträchtigungen werden gewöhnlich von Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation begleitet (vgl. Demenz laut ICD-10-Code F00-F03).

Die Krankheitsbilder, die unter den Oberbegriff Demenz subsumiert werden, sind zahlreich. Mit der Zeit nehmen Gedächtnis, Orientierung, Denken und Logik immer stärker ab. Allmählich geht auch die Sprache verloren. Verhaltensstörungen (herausforderndes Verhalten) wie Unruhe, Schreien, Rastlosigkeit, ständiges Rufen oder Abwehrverhalten („Aggressivität“) treten auf. Die Erkrankung durchläuft verschiedene Stadien und führt schließlich neben dem vollständigen Verlust der Hirnleistungsfähigkeit zu Inkontinenz, Verlust der Mobilität, körperlicher Schwäche und zunehmendem Rückzug.

Die Fähigkeit verbal zu kommunizieren, nimmt allmählich ab. Menschen mit fortgeschrittener Demenz sind ausschließlich auf der Gefühlsebene erreichbar. Dies erfordert von den Betreuern besondere empathische Kompetenz und das Beherrschen einer speziellen Kommunikationsmethode. Validation nach Naomi Feil hat sich dafür seit Jahrzehnten besonders bewährt. Mit Hilfe der Validation gelingt es, den Betroffenen Halt, Sicherheit und Geborgenheit zu geben und zu verhindern, dass sie sich schon lange vor ihrem Tod so weit aus dem Leben zurückziehen, dass sie anscheinend nicht mehr kontaktierbar sind.

Die Diagnose einer Demenz ist ein endgültiges, irreversibles Urteil und daher sowohl für Betroffene mit beginnender Erkrankung als auch für ihre Angehörigen ein schwerer Schock. Sowohl der Erkrankte als auch seine nächsten Bezugspersonen brauchen in dieser Phase Menschen, die ihnen helfen, diese schwere Zeit durchzustehen. Im Laufe einer Demenz verändern sich Persönlichkeit und Verhalten des geliebten Menschen. Die Beziehung von An- und Zugehörigen muss – soll sie bestehen bleiben – immer wieder neu gefunden und gestaltet werden. Pflegende und betreuende Angehörige sind körperlich, psychosozial, spirituell und nicht zuletzt auch finanziell schwer belastet. Sie brauchen umfassende Information über die Erkrankung, Verständnis der Umwelt für ihre Situation, Begleitung, vor allem aber Menschen, die bereit sind, sie in der Betreuung zu entlasten. Schulungen in Kommunikation mit den Erkrankten sind hilfreich, doch fehlt überforderten Angehörigen häufig die Zeit solche Schulungen zu besuchen.

Pflegebedürftige, die an Demenz leiden, müssen deutlich länger und intensiver gepflegt werden als jene, die hauptsächlich körperlich eingeschränkt sind. Bei Demenzerkrankten kann sich beispielsweise der Tag-Nacht-Rhythmus verändern, was den Bedarf nach einer 24-Stunden-Betreuung nach sich zieht (vgl. Demenz-Report 2011).

Der Umgang mit an Demenz erkrankten Patienten bedeutet eine hohe menschliche, zumal ethische Herausforderung für alle Menschen im Umfeld der Erkrankten. Mit fortschreitender Demenz reduziert sich das soziale Umfeld meist recht rasch auf die nahen Angehörigen, etwaige Betreuungspersonen und involvierte Ärzte. Früher bestehende soziale Kontakte mit Freunden, Kollegen und Nachbarn nehmen rapid ab. Diese Isolation betrifft nicht nur den Erkrankten, sondern meistens auch die betreuende(n) Bezugsperson(en).

Den zahlreichen ethischen Herausforderungen durch die Demenzerkrankung widmen wir schwerpunktmäßig die vorliegende Ausgabe von Imago Hominis, ein zweite Ausgabe folgt. In dieser Publikation werden grundsätzliche, in der folgenden Fragen aus der Praxis behandelt werden.

Der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio entwickelt in seinem Beitrag basierend auf einer Phänomenologie der Demenz eine Ethik der Zuwendung. Menschen, die an Demenz erkrankt sind, machen auf eine eindrückliche Weise deutlich, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die Sorge um den Anderen wieder neu erlernt werden muss.

Der Heidelberger Gerontologe Andreas Kruse analysiert die erhöhte Verletzlichkeit bei Menschen mit Demenz. Er fragt, inwieweit Gesellschaft und Kultur demenzkranke Menschen unterstützen können, mit der erhöhten (kognitiven, körperlichen und emotionalen) Verletzlichkeit zu leben. Dabei wird betont, dass eine kritische Reflexion unseres Menschenbildes notwendig ist, das kognitive Leistungen betont, hingegen die anderen Qualitäten der Person weitgehend vernachlässigt.

Jene Personen, die sich um Menschen mit Demenz sorgen, brauchen mehr Unterstützung, um mit den ethischen Herausforderungen, die diese Sorge mit sich bringt, umzugehen. Dies ist der zentrale Ansatz der auf Palliative Care spezialisierten Ärztin Katharina Heimerl.

Die Erkenntnis an einer Erkrankung zu leiden, die unter dem kompletten Verlust der körperlichen und geistigen Autonomie zum Tode führt, kann verständlicherweise mit großen psychischen Belastungen verbunden sein. Der Wiener Neurologe Wolfgang Kristoferitsch erläutert in seinem Beitrag die spezifischen kommunikativen Anforderungen, die die Übermittlung der Diagnose Demenz mit sich bringen.

Marina Kojer, Begründerin der Fachrichtung Palliative Geriatrie, zeigt in ihrem Beitrag eindrucksvoll die Wege der Kommunikation mit fortgeschritten Demenzkranken auf.

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