Bioethik aktuell

IMABE-Symposium: „Ohne Vertrauensbildung schwebt die Fehlerkultur im luftleeren Raum“

Experten fordern einen grundsätzlichen Wandel im Umgang mit Fehlern – 160 Teilnehmer beim Symposium „Fehlerkultur in der Medizin“ am 19./20.11.2010 in Wien

Lesezeit: 02:31 Minuten

„Wer glaubt, eine Fehlerkultur bauen zu können, ohne die Voraussetzung einer Vertrauenskultur, der baut im luftleeren Raum.“ Der deutsche Medizinsoziologe Holger Pfaff untermauerte seine Thesen mit Studien, die zeigen, dass weder die Größe des Krankenhauses noch die Anzahl der Betten, noch private oder öffentliche Trägerschaft einen signifikanten Einfluss auf die Qualität der Patientenversorgung haben. Was zählt, ist in erster Linie das Sozialkapital, d. h. das Vertrauen in einer Abteilung zwischen Ärzten und Pflegepersonal sowie zwischen Arzt und Patient, so der Experte. Ein Krankenhaus dürfe deshalb keine „abstrafende“ oder „Misstrauenskultur“ zulassen, sondern: „Wir müssen zu einem lernenden Versorgungssystem werden“, betonte Pfaff beim interdisziplinären Symposium „Fehlerkultur in der Medizin“, das am 19./20.11.2010 in Wien in der AUVA stattfand.

Die rege Diskussion der 160 Teilnehmer bei der von IMABE veranstalteten Tagung zeigte, dass das Thema Kommunikation, Vertrauen, Verantwortung und Lernen aus Fehlern im medizinischen Alltag eine große Herausforderung darstellt.

Wissenschaftliche Studien belegen, dass es durchschnittlich bei ein bis vier Prozent aller Krankenhausbehandlungen zu unerwünschten Ereignissen kommt. Einer weiteren Untersuchung zufolge könnten annähernd 50 Prozent dieser Zwischenfälle durch funktionierende Fehlermelde- und Präventionssysteme vermieden werden.

Im Vergleich zu anderen Hochrisikoberufen wie etwa Piloten würde bei Ärzten aber kaum auf die Selektion, ständige Weiterbildung und Teamtraining geachtet, kritisierte Norbert Pateisky, Leiter der Abteilung Risikomanagement und Patientensicherheit des AKH Wien. Plakativ nannte Pateisky als Hemmnisse für die effiziente Vermeidung von Fehlern „Egomanie“, eine „Sündenbockkultur“ und „mangelnde Änderungsbereitschaft“ unter den Führungskräften.

Der Unfallchirurg und jahrelange Ärztliche Leiter der Unfallabteilung des LKH Mödling, Titus Gaudernak, zeigte, dass der Grat zwischen aufrichtig mitfühlender Kommunikation und haftungsrechtlich problematischem Fehlereingeständnis schmal sein kann. „Der Verpflichtung zur Ehrlichkeit gegenüber unseren Patienten und zur Schadenswiedergutmachung sind wir Ärzte deshalb aber nicht enthoben“, betonte Gaudernak, der rasches Handeln, die Wiederherstellung des Vertrauens, die Minimierung des objektiven Schadens, Mut zur Wahrheit und Bereitschaft zur Fehlerwiedergutmachung hervorstrich.

Markus Schwarz, Unternehmensberater und vormals Wirtschaftsdirektor der Christian-Doppler-Klinik Salzburg, zeigte Strategien zum Aufbau einer echten Teamkultur auf, die unbedingt von der Führungsetage getragen sein müsse. „Der Leiter des Teams muss Vorbild sein und klare Zielsetzungen vermitteln“, sagte Schwarz. Er will das Thema Fehlerkultur bereits im Medizinstudium verankert wissen.

Der Philosoph Clemens Sedmak von der Universität Salzburg definierte das Gefühl der Scham als Reaktion auf Fehler als der erlebten „Kluft zwischen Sein und Sollen, dem Wie-ich-bin und Wie-ich-sein-sollte“. Da der Mensch ein begrenztes Wesen mit begrenztem Wissen sei, würde „eine Nullfehler-Kultur Perfektionsbürden aufladen, die wir selbst nicht stemmen können“. Wer mit eigenen und fremden Fehlern umgehen will, brauche 1. eine Ethik der Kommunikation (Aufrichtigkeit und Offenheit), 2. eine Ethik des Lernens (Klugheit und Belehrbarkeit), 3. eine Ethik der Verantwortung und des Vertrauens und 4. eine Kultur der Vergebung (Reue und Wiedergutmachung).

Diese und weitere Vorträge des Symposiums „Fehlerkultur in der Medizin“ werden 2011 im Fachjournal Imago Hominis publiziert. Eine Foto-Nachlese, Abstracts der Referenten sowie Pressespiegel finden Sie hier: http://www.imabe.org/index.php?id=1485

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