Bioethik aktuell

IMAGO HOMINIS: Autonomie, Körper und Reproduktion - eine kritische Analyse

Warum das Narrativ der Autonomie bei Leihmutterschaft, Sterbehilfe oder Transgender zu kurz greift

Lesezeit: 03:27 Minuten

Die Verheißung einer Autonomie, die an keine Vorgaben und Grenzen der eigenen oder der Leiblichkeit anderer gebunden ist und nach Wunsch und Wille über die Quellen des Lebens verfügen kann, ist ein wirkmächtiges Narrativ. Es findet sich im Kontext menschlicher Existenzwerdung unter dem Schlagwort ‚reproduktive Autonomie‘, am Lebensende als ‚Recht auf einen selbstbestimmten Tod‘ oder auch im Kontext der Transgender-Debatte als Wunsch nach einer ‚autonomen Wahl des eigenen Geschlechts‘.

In Österreich gibt es Vorstöße, das novellierte Fortpflanzungsmedizingesetz von 2019 erneut aufzuschnüren: Soll Social Egg Freezing, also das Lagern von Eizellen auf Vorrat zwecks späterer Kinderwunscherfüllung, erlaubt sein? In Österreich werden zurzeit 50.000 Embryonen tiefgefroren gelagert (Stand 2021). Sollen diese ‚zu viel‘ erzeugten – und damit ‚übrig gebliebenen‘ – menschlichen Embryonen an Dritte weitergegeben werden dürfen? In der Schweiz wurde im Herbst 2022 der Bundesrat beauftragt, die gesetzliche Grundlage und Rahmenbedingungen für eine Legalisierung der Eizellspende zu schaffen. In Deutschland werden die Weichen gestellt, sowohl die Eizellspende als auch Leihmutterschaft zu legalisieren.

Eine kritische Reflexion von Autonomie, Körper und Reproduktion steht im Mittelpunkt der aktuellen Ausgabe von Imago Hominis (3/2023).

Susanne Kummer (Direktorin, Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik, Wien) geht zunächst dem Begriff der ‚reproduktiven Autonomie‘ kritisch nach, der von einer Überhöhung des eigenen Willens zu Ungunsten Dritter lebt. Autonomie ist kein monologisches Prinzip. Sie muss in die relationale Dimension des Menschseins eingebettet werden. Der gesamte Markt der assistierten reproduktiven Techniken (ART) fußt geradezu auf Abhängigkeiten und Zumutungen, Fremdentscheidungen über Dritte, erzwingt die Vernichtung von menschlichen Existenzen und lebt von Marktmechanismen, die die Ausbeutung von Personen in vulnerablen Lebenssituationen begünstigen.

Die Gynäkologin Susanne van den Verde (FertilityCare-Klinik am Katholisches Karl-Leisner-Klinikum, Kleve/D) stellt Therapiemöglichkeiten durch die sogenannte wiederherstellende Reproduktionsmedizin vor. Die Therapie wird individuell angepasst – je nach Ursache der Störung der Fruchtbarkeit des Paares. Erklärtes Ziel dieses Ansatzes ist es, die Fruchtbarkeit des Paares so zu verbessern, dass eine Schwangerschaft auf natürlichem Weg eintreten kann. Die Erfolgsraten zeigen, dass es hier vielversprechende Ansätze gibt.

Die Praxis der Leihmutterschaft spaltet Elternschaft in biologische, rechtliche und soziale Dimensionen auf – zulasten des Kindes, , das nicht mit der Sicherheit rechnen kann, die in einer natürlichen Elternschaft in allen Dimensionen gleichsam selbstverständlich gegeben ist. An einem Leihmutterschaftsarrangement (LMA) sind regelmäßig bis zu sechs Erwachsene beteiligt. Der Jurist Felix Böllmann (Director of European Advocacy, Alliance for Defending Freedom, Wien) legt dar, warum die grenzüberschreitende Praxis der Leihmutterschaft Frauen und Kinder gefährdet und mit dem Konzept allgemeiner und universeller Menschenrechte, namentlich dem Schutz der Menschenwürde und der Familie nicht vereinbar ist.

Unter dem Schlagwort der ‚reproduktiven Autonomie‘ wird aber auch das ‚Recht auf Abtreibung‘ gefordert. Eine Spätabtreibung ist in Österreich und Deutschland legal, wenn durch sie eine ernste Gefahr für die psychische Gesundheit der Frau abgewendet werden kann. Dem Schwangerschaftsabbruch wird damit ein therapeutischer Benefit (Schutz der psychischen Gesundheit) unterstellt. In der Wissenschaft ist allerdings umstritten, ob ein solcher Effekt hypothetisch ist oder tatsächlich existiert und ob er wissenschaftlich nachweisbar ist. Susanne Kummer, Johannes Bonelli und Walter Rella (IMABE, Wien) untersuchen den Stand der Wissenschaft zur Frage ‚Schwangerschaftsabbruch und psychische Folgen‘.

Der Begriff der Würde schließt ein, dass sie dem Menschen intrinsisch ist und ihm nicht durch einen Akt zu- oder abgesprochen werden kann. Im Kontext der modernen Medizin und eines überhöhten Autonomieanspruchs droht hingegen eine Verfügung oder Verobjektivierung des Menschen. Der Moraltheologe Peter Schallenberg (Universität Paderborn) analysiert, warum dem Menschen schon in seiner frühesten embryonalen Lebensphase Menschenwürde zukommt. Eine Aufweichung des Embryonenschutzgesetzes in Deutschland, wie sie derzeit im Raum steht, wäre aus Sicht der Menschenrechte ein Rückschritt.

Die Medizinerin Isolde Edelmann (Wien) legt dar, warum angesichts der steigenden Zahl von Kindern und Jugendlichen, die unter Berufung auf ihre Selbstbestimmung eine Geschlechtsumwandlung einfordern, ein differenzierte Vorgangsweise notwendig ist. Die Gabe von Pubertätsblockern bei Jugendlichen kann schwerwiegende, teils irreversible Schäden mit sich bringen, wobei häufig keine Indikation für diese Behandlung besteht.

Was braucht der Mensch mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid wirklich? Der Psychiater Raimund Klesse (Chur/Schweiz) hinterfragt das Konstrukt eines ‚autonomen Suizids‘. Kennzeichen einer suizidalen Krise ist es, dass der Mensch nicht frei ist. Ziel der Beratung und Hilfe ist daher immer, lebensbejahende Wege aus der Krise zu ermöglichen, anstatt bei der Erfüllung von Suizidwünschen mitzuhelfen. Diese ist weder aus medizinischer Sicht begründbar und noch ethisch haltbar.

Die IMAGO HOMINIS-Ausgabe Autonomie, Körper und Reproduktion (03/2023) kann hier bestellt werden.

 

 

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