Bioethik aktuell

Österreich: OECD-Bericht fordert mehr Einsatz für Menschen mit psychischen Erkrankungen

Kaum Fortschritte in der Integration von Mental Health-Patienten in den Arbeitsmarkt

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© OECD_Mental_Health_and_Work

Österreich muss mehr tun, um Menschen mit psychischen Problemen zu helfen, Arbeit zu finden, im Job zu bleiben oder in den Beruf zurückzukehren. Das empfiehlt der aktuelle OECD-Bericht Mental Health and Work: Austria (OECD-Pressemitteilung, online, 2.10.2015). Die Zahl der Krankenstandstage und Frühpensionierung aufgrund psychischer Störungen nehmen in Österreich zu, die gesamtwirtschaftlichen Kosten liegen in der Höhe von 3,3 Milliarden Euro. Im Jahr 2013 wurden rund 35 Prozent aller Invaliditätspensionen aufgrund einer psychischen Diagnose gewährt, 1995 lag der Anteil erst bei 10 Prozent. Insgesamt hat sich in den vergangenen 20 Jahren die Zahl der Krankenstandstage wegen psychischer Erkrankungen beinahe verdreifacht. Mit durchschnittlich 33 Fehltagen führen sie mit Abstand zu den längsten, krankheitsbedingten Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Eine Trendumkehr ist in Österreich bislang nicht gelungen.

Dafür bräuchte es einen umfassenderer Ansatz. Österreich hätte im Vergleich von neun OECD-Ländern ganz gute strukturelle Voraussetzungen, konstatierte der Schweizer Psychologe Niklas Baer, Co-Autor des Berichts. Dazu gehören ein robuster Arbeitsmarkt, das Sozialversicherungs- und Gesundheitssystem sowie Unterstützungsangebote. Allerdings ist es bisher kaum gelungen, betroffene Personen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. In Österreich würden „psychische Erkrankungen im Land als probates Mittel gesehen werden, vorzeitig aus dem Arbeitsleben auszuscheiden“, kritisiert der OECD-Report.

Zugleich werde der mentalen Gesundheit zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt: Nur wenige Menschen würden mit dem Ziel behandelt, sie wieder in den Beruf einzugliedern, dementsprechend gibt es auch keine Verbindung zwischen medizinischen Institutionen und Arbeitsämtern. Andere Länder experimentieren bereits erfolgreich mit einer solchen Kooperation.

Die OECD empfiehlt eine rigorose Umsetzung der Reform der Invaliditätspension 2013 und eine genaue Prüfung der Wirkung von Rehabilitationsmaßnahmen. Weiters legt die OECD Österreich nahe, Frühpensionen aus psychischen Gründen zu verhindern, ein Modell für Teilarbeitsfähigkeit und Wiedereingliederung zu entwickeln und für eine verbesserte und frühzeitige Kooperation zwischen Behörden zu sorgen. Ein verstärkter Fokus sollte auch auf junge Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten oder psychischen Problemen gelegt werden. Wer aufgrund einer psychischen Erkrankung keine Ausbildung abschließen kann, hat ein größeres Risiko, keinen Arbeitsplatz zu finden.

Interessantes Detail: Der OECD-Bericht hält fest, dass der Anstieg der Anträge auf Invaliditätspension aufgrund psychischer Erkrankungen nicht auf einen tatsächlichen Anstieg der Fälle zurückzuführen ist, sondern auf die verstärkte Diagnose dieser Krankheitsbilder. „Es gibt kein Indiz, dass sich an der Prävalenz in den vergangenen 50 Jahren etwas geändert hat“, sagt Christopher Prinz, österreichischer Ökonom bei der OECD in Paris, ebenfalls Co-Autor des Reports.

IMABE hat im Rahmen des Symposiums Mental Health und Arbeitswelt: Arbeit zwischen Stress und Lebenssinn diese Fragen interdisziplinär beleuchtet. Die Vorträge können hier nachgehört werden, der Tagungsband ist als Imago-Hominis-Ausgabe Juni 2014 erhältlich.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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