Bioethik aktuell

Studie: Die Entstehung von Krebs hat auch etwas mit „Zufall“ zu tun

Nicht alle Krebsarten sind präventiv beeinflussbar oder genetisch bedingt

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Zwei Drittel bestimmter Krebserkrankungen entstehen nicht durch Lebensstil oder Gene, sondern durch Zufallsmutationen. Das ist das Ergebnis einer US-amerikanischen Studie, die Anfang Jänner 2015 in Science (2015; 347, 6217: 78-81) erschienen ist. Es werde selbst bei Ausschluss aller Risikofaktoren immer Krebserkrankungen geben, die, wie die Forscher schreiben, dann einfach „Pech“ sind. Der Einfluss, den der Lebenswandel hat, variiert je nach Krebsart aber stark, so die beiden Autoren der Johns Hopkins University, Bert Vogelstein, Onkologe, und Cristian Tomasetti, Mathematiker. Eine familiäre Vorbelastung spiele überhaupt nur in fünf bis zehn Prozent aller Krebsfälle eine Rolle. (vgl. Die Zeit, online, 2. 1. 2015). Das Krebsrisiko lasse sich durch eine gesunde Lebensweise zwar generell senken - etwa ohne Rauchen -, dies gelte aber bei Weitem nicht für alle Formen von Krebs.

Die Studienautoren waren der Frage nachgegangen, warum manche Krebsarten häufiger sind als andere. Dickdarmkrebs ist etwa 24 Mal so häufig wie Dünndarmkrebs, beide sind aber ganz ähnlichen Substanzen ausgesetzt. In 31 bestimmten Geweben verglichen die Forscher die Häufigkeit der Tumore mit der Häufigkeit der Stammzellteilungen. Das Ergebnis: In Geweben, in denen sich Stammzellen besonders oft teilen (etwa im Dickdarm), ist das Tumorrisiko höher als dort, wo kaum Zellteilungen stattfinden (zum Beispiel im Dünndarm).

Die Pressemitteilung der Johns Hopkins-Universität mit dem Titel Pech gehabt: Zufallsmutationen spielen Hauptrolle bei Krebs, zeigt Studie wurde medial weltweit aufgegriffen - und sorgte für so heftige Debatten wie selten, die weiterhin auf Science verfolgt werden können. Sogar die WHO widersprach in einer ungewöhnlichen Pressemitteilung der Studie (online, 13. 1. 2015) und hielt fest, dass „die meisten Krebsarten nicht das Ergebnis von 'Pech' seien“.

Dass die Ergebnisse der Studie medial teils ungenau wiedergegeben wurden, gibt auch Jennifer Couzin-Frankel vom Science-Wissenschaftsblog zu (online, 13. 1. 2015). Ein Beispiel: Viele Medien sprachen von Pech bei „zwei Drittel aller Krebsarten“ statt korrekterweise: „Zwei Drittel von bestimmten Krebsarten“, einige stellten dies, wie ORF-Science, später richtig (online 6. 2. 2015). Erst kürzlich hat eine Studie im British Medical Journal (2014; 349: g7015) gezeigt, dass Journalisten und Pressestellen im Wissenschaftsbereich immer wieder zu verzerrenden Übertreibungen neigen - auf Kosten der Fakten.

Die Studie untergräbt offenkundig das Paradigma „Kampf gegen Krebs - Prävention kann so gut wie alles verhindern“. Erstmals taucht wieder so etwas wie Zufall/Schicksal („Pech“) in einer naturwissenschaftlichen Studie auf. Kritiker halten dem entgegen, dass Zufall bloß Chiffre für ein Noch-Nicht-Wissen biologischer Zusammenhänge sei. Für viele ist das Prinzip Zufall/Schicksal dagegen eine große Erleichterung, etwa Eltern von krebskranken Kindern, die häufig von Schuldfragen geplagt sind (vgl. Reinhard J. Topf, Krebs: Überschätzung psychologischer Faktoren als Krankheitsursache, Imago Hominis, 2014; 21(3): 169-182).

Laut des Health at a Glance Report 2014 gab es EU-weit im Jahr 2012 rund 2,7 Millionen Neuerkrankungen an Krebs. Der Faktor Alter spielt ebenfalls eine erhebliche Rolle: Je älter ein Mensch wird, desto höher ist sein Risiko, im Laufe des Lebens Krebs zu bekommen. Die Zahl der Krebstoten ist in den 40 Jahren in Österreich annähernd gleich geblieben, was auch mit der alternden Gesellschaft in Zusammenhang stehen kann. 2013 starben 20.094 Menschen in Österreich an Krebs.

Institut für Medizinische
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