Bioethik aktuell

Transgender: Britische Psychologin warnt vor Druck auf Kinder, ihr Geschlecht zu ändern

Unsicherheit im eigenen Geschlecht im Kindesalter ist meist vorübergehend

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In Großbritannien meldete das Gender Identity Development Service (GIDS) einen rasanten Anstieg der Zahl von Kindern und Jugendlichen, die Probleme mit ihrer Geschlechtsidentität haben. Während im Jahr 2009 nur 97 Kinder an die Institution überwiesen wurden, waren es im Jahr 2017 2.600 Kinder, die die Klinik aufsuchten. Bernadette Wren, die seit 25 Jahren an dieser auf Transgender-Kinder spezialisierten Klinik arbeitet und die Abteilung der Klinischen Psychologie leitet, sieht diesen enormen Zuwachs zwiespältig. Früher waren Unsicherheit oder Zweifel an der eigenen Geschlechtsidentität tabuisiert. Aufgrund undifferenzierter medialer Informationskanäle, aber auch der überhasteten Akzeptanz an Schulen, wenn Kinder auf eigenen Wunsch dem jeweils anderen Geschlecht zugeordnet werden wollen - etwa auf Toiletten oder bei Schuluniformen -, würde nun vorschnell Druck auf Kinder, die ihr Geschlecht in Frage stellen, ausgeübt, auf das andere Geschlecht „umzuschalten“, sagt Wren (vgl. The Sunday Times, online, 21.8.2018).

Die Kinder würden dann Entscheidungen treffen, die sie später bereuen, so die Psychologin. Wenn ein 11-jähriges Mädchen Hormonbehandlungen bekommt, die die Pubertät unterdrücken, kann dies irreversible Schäden anrichten, wie etwa lebenslange Unfruchtbarkeit. Für besorgniserregend hält die Britin, dass mehr als die Hälfte der Kinder, die vergangenes Jahr an das GIDS überwiesen wurden, erst zwischen 3 und 6 Jahre alt war. In vielen Fällen handle es sich bei der Unsicherheit um die eigene Geschlechtsidentität um eine vorübergehende Phase, betont die Psychologin. Oft würde eine Gesprächstherapie helfen, zur Geschlechtsidentität zu finden. Erst kürzlich hatte ein US-amerikanisches Autorenteam vor unwissenschaftlichen Hormonexperimenten an Kindern mit geschlechtsspezifischer Dysphorie gewarnt (vgl. Bioethik aktuell, 19.7.2017).

Den Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden, habe weder organische oder hormonelle Ursachen, noch handle es sich dabei um ein Problem der sexuellen Orientierung, erläutert die deutsche Internistin und Endokrinologin Bettina Stamm, ärztliche Leiterin des Medicover Saarbrücken (MVZ). Das Problem liege auf der psychischen Ebene. Deshalb hält Stamm den Begriff „Transidentität“ angemessener als „Transsexualität“. Auch sie plädierte kürzlich in einem Interview für eine differenzierte Debatte (vgl. Saarbrücker Zeitung, online, 21.1.2018), die letztlich jenen, die aufgrund ihrer Situation viel Leid erfahren würden, helfe.

Von der Transidentität, die keine organischen Auswirkungen hat, muss laut Stamm die Intersexualität klar unterschieden werden. Hier entwickeln sich die Geschlechtsorgane aufgrund hormoneller oder enzymatischer Probleme im Widerspruch zum eigentlichen genetischen Geschlecht. In diesen Fällen kann es bei Babys zu Fehlzuschreibungen des Geschlechts kommen.

In Deutschland muss der Gesetzgeber bis Ende 2018 die Möglichkeit eines dritten Eintrags des Geschlechts ins Behördenregister schaffen, wenn das Geschlecht eines Babys nach der Geburt nicht eindeutig feststellbar ist. Betroffen sind davon schätzungsweise je eine von 2.000 Geburten.

Vom medizinischen Standpunkt aus gibt es kein drittes Geschlecht, betont Stamm, denn „Intersexualität“ bedeute eben die Nicht-Eindeutigkeit des Geschlechts. Dennoch hält sie es für positiv, dass man unmittelbar nach der Geburt „das Geschlecht in solchen Fällen vorübergehend oder ganz offen lassen kann“ und nicht sofort eine Entscheidung gefällt werden muss. Es sei gut, abwarten zu können, in welche Richtung sich das Kind entwickelt, bevor operativ und hormonell Tatsachen geschaffen werden, sagt Stamm.

Institut für Medizinische
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