Bioethik aktuell

Was tun gegen Einsamkeit? Wissenschaftler fordern mehr Forschung

Einsamkeit hat viele Gesichter - und wenig valide Studien darüber, was wirkt

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Worin liegen die Ursachen von Einsamkeit, wie lässt soziales Eingebundensein erreichen und kann man Einsamkeit überhaupt präventiv vorbeugen? Eine Arbeitsgruppe unter der Federführung des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf (UKE) hat dazu im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht, wo der Haken liegt, um Einsamkeit und soziale Isolation speziell bei älteren Menschen adäquat zu erfassen und wirksame Maßnahmen zu setzen.

Einerseits gibt es zahlreiche epidemiologische Studien, die zeigen, dass Einsamkeit und soziale Isolation insbesondere bei älteren Menschen assoziiert sind mit einem erhöhten Risiko für Bluthochdruck, Schlaganfall, Depression und Angststörungen, Schlafstörungen, Immunstressreaktionen, kognitiven Beeinträchtigungen und dem Missbrauch von Psychopharmaka. Außerdem erhöhen sie das generelle Mortalitätsrisiko in ähnlicher Größenordnung wie Rauchen, Bewegungsmangel, Fettleibigkeit und Bluthochdruck, berichten die Autoren in ihrem 390-seitigen Report Themencheck Medizin zu sozialer Isolation und Einsamkeit im Alter (2.6.2022)

Was mögliche hilfreiche (bezahlte) Interventionen angeht, sind die Wissenschaftler jedoch zurückhalten: Derzeit gäbe es keine eindeutigen Aussagen zu der Frage, welche Maßnahmen nachweislich wirksam sind, so das vorläufige Ergebnis ihrer Untersuchung. Das liege vor allem an der großen Heterogenität und den methodischen Einschränkungen der vorliegenden Studien, so die Autoren in ihrem Resümee. 

Erschwerend kommt hinzu, dass das Phänomen sozialer Isolation und Einsamkeit nicht automatisch Bestandteil von Routineuntersuchungen ist, weshalb das dadurch empfundene Leid unerkannt bleiben kann. Betroffene trauen sich auch teilweise nicht ehrlich auf entsprechende Fragen (z.B. beim Hausarzt) zu antworten. Auch gibt es keine validierten Erhebungsinstrumente, welche die Folgen von sozialer Isolation und Einsamkeit messen.

Schließlich hat Einsamkeit viele Gesichter. Es gibt nicht „den alten Menschen“, womit auch die Bedürfnisse ältere Menschen je nach Biografie, Gesundheitszustand und soziokulturellen Hintergrund unterschiedlich sind und mit diversifizierten Angeboten beantwortet werden müssen.

Die Wissenschaftler bezogen 14 randomisierte kontrollierte Studien zu Maßnahmen zur Prävention und Behandlung von sozialer Isolation und Einsamkeit in ihre Nutzenbewertung ein. Sie sehen in drei Ansätzen zumindest Anhaltspunkte für einen positiven Effekt. So können erstens Besuchsprogramme durch Ehrenamtliche bei sozial isolierten und einsamen Personen zumindest die Lebenszufriedenheit steigern beziehungsweise die Angst reduzieren. Für jene älteren Menschen, die von Isolation und Einsamkeit bedroht sind, kann zweitens eine professionell geleitete soziale Gruppenarbeit die soziale Unterstützung erhöhen und präventiv gegen Vereinsamung wirken. Bei jenen, die bereits sozial isoliert und von Einsamkeit betroffen sind, zeigten drittens die Studien, dass ein professionell geleitetes Gruppenangebot die Mortalität senken und den selbstberichteten Gesundheitszustand verbessern kann.

Bereits 2019 hatten Untersuchungen gezeigt, dass ein unterstützendes Umfeld die Wahrscheinlichkeit verringert, einsam zu sein, etwa durch Beziehung zu Menschen, die mit Rat unterstützen können oder der Umgang mit Personen, die Trost spenden können (vgl. Dokumentation des Fachkongresses Einsamkeit im Alter – aktive Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen, 2019). Laut dem IQWIQ-Bericht ist die Studienlage derzeit insgesamt aber unbefriedigend. Sie empfehlen daher, valide und bedarfsadaptierte Konzepte zur Vorbeugung und Reduktion sozialer Isolation und Einsamkeit bei älteren Menschen zu entwickeln und zu überprüfen.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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