Bioethik aktuell

Studie: Höhere Fehlbildungsrate bei IVF-Kindern belegt

Überdenken der IVF-Praxis in Fachkreisen gefordert

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Auch wenn der Vorgang der künstlichen Befruchtung an sich problemlos verlaufen ist, ist dies noch keine Garantie für eine komplikationslose weitere Entwicklung von Kindern, die auf künstlichem Wege im Reagenzglas erzeugt wurden. IVF-Kliniken und neonatologische Stationen sind sich der größeren Häufigkeit von Frühgeburten und Fehlbildungen bei IVF-Kindern bewusst. In der Öffentlichkeit werden diese Faktoren aber noch kaum diskutiert. Jüngste Fachpublikationen könnte dazu jedoch genügend Anlass bieten: So haben zwei aktuelle Studien gezeigt, dass die Häufigkeit von Fehlbildungen und langfristigen Kreislaufproblemen bei IVF-Kindern signifikant höher ist als bei natürlich gezeugten.

In einer in Fertility and Sterility publizierten Studie (Volume 97, Issue 6, June 2012, Pages 1331-1337.e4) führte eine Gruppe von Wissenschaftlern an der Nanjing Medical University in China eine Meta-Analyse durch von Studien kindlicher Missbildungen seit September 2011 durch und verglich dabei die Zahl der Geburtsfehler von spontan empfangenen Kindern mit jenen der durch IVF und ICSI erzeugten. Das Ergebnis: Das Risiko für Fehlbildungen (dazu zählten sowohl körperliche, als auch systemische Fehlbildungen wie z. B. angeborene Stoffwechselerkrankungen) lag bei jenen durch reproduktive Technologien entstandene Kindern um 37 Prozent höher als bei natürlich gezeugten.

Offenbar gibt es auch einen Zusammenhang zwischen der Hormonbehandlung der Frauen im Zuge der IVF und einem höheren Risiko für Leukämieerkrankungen bei IVF-Kindern. Dies legt eine französische Studie nahe (publiziert im American Journal of Epidemiology, 2010 172 (9): 1015-1027. doi: 10.1093/aje/kwq233), die vom Studienleiter Jérémie Rudant, Epidemiologe am französischen Forschungsinstitut INSERM, kürzlich auf dem Kongress Childhood Cancer 2012 (Video) in London vorgestellt wurde (vgl. Daily Telegraph, online 24. 04. 2012). Die Studie zeigt, dass die Einnahme von Eierstock stimulierenden Medikamenten im Zuge des IVF-Verfahrens mit einem 2,6-mal höheren Risiko für das Kind korreliert, an akuter lymphatischer Leukämie (ALL), der häufigsten Form der Leukämie bei Kindern, zu erkranken bzw. auch einem 2,3-fach erhöhten Risiko für die seltenere akute myeloische Leukämie (AML).

Unter den verschiedenen Formen der künstlichen Befruchtung scheint die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), bei der ein Sperma direkt in die Eizelle injiziert wird, mit einer höheren Rate von Fehlbildungen einher zu gehen, berichtet das Deutsche Ärzteblatt (online 07. 05. 2012) unter Berufung auf eine jüngst von einem australischen Team um Michael Davis von der Universität Adelaide publizierte Studie im New England Journal of Medicine (2012; doi: 10.1056/NEJMoa1008095). Weltweit werden jährlich mehr als 3,7 Millionen Kinder nach IVF-Verfahren geboren. In Fachkreisen werden Stimmen laut, die fordern, dass die Schattenseiten der IVF deutlicher als Public-Health-Problem wahrgenommen werden. So fordert der australische Studienautor Davis (Pressemitteilung online, 05. 05. 2012), dass die Risiken in Zusammenhang mit dem Transfer von mehreren Embryonen (Mehrlingsschwangerschaften, Fetozid, Frühgeburten), Gesundheitsrisiken bei Kindern nach artifizieller Befruchtung und psychische Belastungen als Folge der assistierten Reproduktion kritisch begleitet werden.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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