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Xenotransplantation

Mag. Claudia Lapka
Stand: Dezember 2001 (aktualisiert: März 2019)

Was ist Xenotransplantation?

Unter Xenotransplantation wird die Übertragung von funktionsfähigen Zellen, Geweben oder Organen zwischen verschiedenen Spezies, im besonderen von Tieren auf den Menschen verstanden. Die Transplantation menschlicher Organe auf den Menschen wird im Fachausdruck Allotransplantation genannt.

Der relative und absolute Mangel an geeigneten Organen ist das alles entscheidende Problem bei Organtransplantationen. Selbst bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Organentnahme von hirntoten menschlichen Spendern, reichen die dadurch gewonnenen Organe nicht. Patienten, die wegen Organmangels keine lebensrettende Operation erhalten, werden gezwungenermaßen aufgegeben und entweder einem lebenslangen Siechtum oder baldigem Tod ausgesetzt.

Tierorgane wären ein idealer Ersatz, weil

  • sie im Rahmen einer Entnahme-Operation von lebenden gesunden Tieren exakt zum Zeitpunkt der Transplantation gewonnen werden könnten,
  • sie jederzeit in ausreichender Anzahl, voll funktionsfähig, in jedem Transplantationszentrum und zu festen Kostensätzen zur Verfügung stehen könnten,
  • sie keine Vorschädigung auf Grund von Transport, Zwischenlagerung, Unterbrechung der Blutversorgung, oder Unfalleinflüssen wie Trauma und Schock aufweisen würden, und
  • die Patienten, also die Organempfänger, optimal auf die Transplantation vorbereitet werden könnten und keine organbedingten Not- und Nachtoperationen mehr notwendig sein würden.

Hauptprobleme der Xenotransplantation

Bis zur klinischen Anwendung der Xenotransplantation sind drei Haupthindernissen zu überwinden:

  1. Im momentanen Zeitpunkt der Forschung ist mit einem hohen Risiko von Abstoßungsreaktion zu rechnen. Der Körper erkennt das transplantierte Organ als „fremd“ und greift es an. Auch bei den herkömmlichen Organverpflanzungen von einem Menschen auf einen anderen gibt es diese Reaktion des Organismus, die aber mit Hilfe von Immunsuppressiva unterdrückt wird. Bei der Xenotransplantation aber ist die Abwehr auf Grund der immunologischen Barrieren stärker. Dadurch ist bisher nur ein kurzfristiges Transplantatüberleben erreichbar.
  2. Die physiologisch funktionalen Inkompatibilitäten der Organe verschiedener Spezies stellen derzeit ein Hindernis für die Durchführung der Xenotransplantation in der klinischen Praxis dar. Für eine erfolgreiche Transplantation ist es notwendig, dass die Organe der Tiere sowohl in ihrem Aufbau als auch in ihrer Funktionsweise jenen der Menschen gleichen. Wegen der weitreichenden Ähnlichkeiten bei anatomischen, morphologischen und physiologischen Kriterien scheinen Schweine eine gute Organquelle zu sein. Deshalb wurden die meisten Untersuchungen bisher zur Xenotransplantation beim Schwein durchgeführt.
  3. Die Xenotransplantation wirft noch virologische Probleme auf: Es besteht die Gefahr, dass mit den Organen der Schweine möglicherweise auch Mikroorganismen übertragen werden, die beim Menschen Infektionen hervorrufen (Retroviren). Zusätzlich kommt hinzu, dass Patienten, die ein Xenotransplantat erhalten, mit hohen Dosen von Immunsuppressiva behandelt werden müssen, die ihr körpereigenes Abwehrsystem schwächen und sie für Infektionskrankheiten anfälliger machen.

So lange die oben genannten Risiken bestanden, war eine Xenotransplantation aufgrund der zu hohen Risiken für den Patienten ethisch abzulehnen.
Im Jahr 2016 gelang es, die endogenen Retroviren mithilfe der Crispr/Cas Methode aus dem Genom von Schweinen zu entfernen. Die genetisch modifizierten Schweine bilden menschliche Proteine, die verhindern, dass das Organ vom Menschen abgestoßen wird. Daher sind wir der Verpflanzung von Schweineherzen in Menschen ein großes Stück nähergekommen. Die Erfahrung zeigt aber, dass noch so vielversprechende Ansätze in der Klinik scheitern können. Die Transplantation eines Schweineherzens in einen Pavian im Dezember 2018, der damit 195 Tage lebte, gilt als entscheidender Schritt in Richtung klinische Prüfung.

Immunologische Barrieren, die zu Abstoßungsreaktionen führen und physiologisch funktionale Inkompatibilitäten der Organe verschiedener Spezies tierischer Organe mit dem menschlichen Organismus verhinderten der Erfolg bisheriger Versuche. Die langfristige Akzeptanz von Xenotransplantaten durch das menschliche Immunsystem muss also sichergestellt werden. Die als Organquelle vorgesehenen Schweine werden gentechnisch so verändert, dass ihre Organe nach der Transplantation nicht mehr abgestoßen werden und im Empfängerorganismus bestimmungsgemäß funktionieren können.

Weiters gilt es, die Spendertiere, die eigens für die Xenotransplantation gezüchtet werden, in sehr hygienischer und keimarmer Umgebung (SPF = spezifiziert pathogenfrei) aufwachsen zu lassen. Die SPF-Haltung von Schweinen für die Xenotransplantation hat neben den schon genannten Vorteilen auch eine Bedeutung bei der Suche und Identifikation von noch unbekannten Erregern. Eine SPF-Einheit für den genannten Zweck sollte als geschlossene Einrichtung betrieben werden, d.h. nach der Etablierung der SPF-Herde erfolgt kein weiteres Einbringen von Tieren in diesen Bestand. Wenn die Quelle für die Xenotransplantations-Versuche immer dieselbe spezifisch keimfreie Herde ist, kann hinsichtlich der biologischen Sicherheit ein immer höher werdender Grad an Zuverlässigkeit der Prognose über fehlende Krankheitsübertragungen vom Schwein auf den Menschen erreicht werden.
Nach wie vor problematisch sind aber sog. Slow-Virus-Infektionen, da hier die Inkubationszeit mehrere Jahre betragen kann. Trotzdem bietet das Konzept der geschlossenen SPF-Einheit auch hier den größtmöglichen Schutz. Man kann hoffen und erwarten, dass durch das schritt- und stufenweise Vorgehen Probleme mit heute noch unbekannten Viren, wenn es sie geben sollte, rechtzeitig erkannt und gelöst werden können.

Eine wichtige Frage ist, ob Patienten überhaupt ein tierisches Organ statt eines menschlichen Transplantates akzeptieren würden. Mit dieser Frage haben sich mehrere Studien befasst: Im Wiener AKH wurde 1999 an der chirurgischen Universitätsklinik eine Umfrage1 durchgeführt, um mehr Informationen über die Einstellung der Patienten zur Xenotransplantation zu erfahren. 110 erwachsene Patienten, die sich in Wien einer Herztransplantation bereits unterzogen hatten, wurden im Rahmen einer Routine-Nachsorgeuntersuchung u.a. die Frage gestellt, ob sie sich vorstellen können, auch ein Tierorgan transplantiert zu bekommen. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Befragten konnten sich dies sehr gut vorstellen und über 80% würden eine Xenotransplantation akzeptieren. Hingegen ergab eine Befragung in der deutschen Bevölkerung, dass die Zustimmung bei der Frage nach der Akzeptanz eines Schweineherzens im Notfall von 20% jugendlicher Befragten zu 50% bei Menschen im mittleren Alter zu 80% bei Patienten auf der Warteliste mit dem Alter wächst.2 Die Allgemeinbevölkerung steht also der Xenotransplantation nicht so positiv gegenüber wie direkt betroffene Patienten. Offensichtlich kann jemand leicht sagen, er lehne ein tierisches Organ ab, so lange er nicht in der Situation ist, als betroffener Patient zwischen Leben und Tod zu stehen. Ist er dann in dieser Extremsituation, werden oft frühere Aussagen revidiert. Dies ist vor allem dadurch zu erklären, dass sich die Transplantationskandidaten mit konkreten Fragen bezüglich Vor- und Nachteilen der Transplantation viel intensiver auseinandergesetzt haben als die Allgemeinheit.

Am Positivsten sind der Xenotransplantation gegenüber jedoch solche Patienten eingestellt, die bereits eine Allotransplantation hinter sich haben. Das haben die Ergebnisse einer Studie gezeigt, in der 722 Patienten nach einer Organtransplantation und 327 Patienten, die auf ein Transplantat warteten, zu diesem Thema befragt wurden.3 Die Untersuchung ergab, dass Patienten auf der Warteliste der Xenotransplantation skeptischer gegenüberstanden als Patienten, die bereits ein Transplantat erhalten hatten. Während nur 17% der Transplantierten eine Xenotransplantation völlig ablehnten, waren es 42% unter den Wartelistenpatienten. Transplantierte Patienten und Wartelistenpatienten waren sich bezüglich der demographischen Faktoren und der Grunderkrankungen sehr ähnlich. Unterschiede betrafen den allgemeinen Gesundheitszustand und den psychischen Zustand der Patienten. Bei fast allen transplantierten Patienten war der Gesundheitszustand gut bis sehr gut, wobei die Wartelistenpatienten in einem klinisch sehr reduzierten Zustand waren. Ebenso waren die transplantierten Patienten größtenteils (60%) seelisch ausgeglichen und glücklich, während sich die wartenden Patienten als nervös, unsicher und ängstlich beschrieben. Die Skepsis gegenüber der Xenotransplantation unter den Wartelistepatienten bezieht sich auf jene, die in einem relativ stabilen Zustand (meist zu Hause) auf eine Transplanatation warten. Diese Studie konnte auch zeigen, dass bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes mehr Patienten ein Xenotransplantat akzeptieren würden als beim aktuellen stabilen Gesundheitszustand. D.h. Patienten, die sich direkt in einem lebensbedrohlichen Zustand befinden, akzeptieren die Xenotransplantation vermutlich wesentlich mehr.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass (1) Personen, die gesund sind, eher eine Xenotransplantation ablehnen, dass (2) die Zustimmung je nach Fortschritt der Krankheit wächst, und dass (3) die Akzeptanz umso größer wird, je lebensbedrohlicher der Zustand ist. Eine große Akzeptanz findet man weiters bei Patienten nach einer Transplantation, da diese bereits eine positive Erfahrung gemacht haben und mit dem neuen Organ ein qualitativ besseres Leben führen. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Studien zeigen aber auch, dass die erhobenen Befunde mit Vorsicht zu betrachten sind und im Rahmen der aktuell gegebenen Situation der Patienten interpretiert werden müssen.

Es herrscht ein weltweiter Konsens darüber, dass gegen Allotransplantationen als medizinische Maßnahme grundsätzlich nichts einzuwenden ist, wenn sowohl seitens des Spenders wie des Empfängers von Organen den moralischen Prinzipien der Autonomie, der Totalität und der Integrität Genüge getan wird.

Kraft des Autonomieprinzips müssen Spender wie Empfänger der Organübertragung in voller Kenntnis aller Umstände und voraussehbaren Konsequenzen zustimmen. Das Integritätsprinzip fordert einerseits die Bewahrung der Integrität des Leibes und verbietet Organe aus dem Organismus, ohne ausreichenden Grund zu entfernen. Anderseits scheint es heute nicht mehr ausgeschlossen zu sein, dass in absehbarer Zukunft durch Gewebeverpflanzungen im Zentralnervensystem des Gehirns oder in den Sexualorganen die Identität des Menschen wesentlich verändert wird. Deshalb wird nun allgemein verlangt, dass durch das Integritätsprinzip auch die psychologische und genetische Identität miterfasst wird. Die Wahrung dieser Identität ist mit dem Respekt vor der menschlichen Würde untrennbar verknüpft. Das Integritätsprinzip fordert allerdings nicht, alle Organe um jeden Preis zu erhalten, sondern lediglich, ein Organ nicht ohne ausreichenden und angemessenen Grund aufzuopfern. Die Legitimität dieses Grundes wird vom Totalitätsprinzip vorgegeben, das den Vorrang des Ganzen vor den Teilen, des Lebens vor dem einzelnen Organ postuliert. Dies bedeutet, dass Schädigungen an Einzelorganen oder sogar die Entfernung bestimmter Organe dann vorgenommen werden dürfen und sogar müssen, wenn dadurch das Leben des Gesamtorganismus erhalten werden kann.

Da jede Transplantation, trotz der erreichten Routine, für den lebenden Spender und für den Empfänger mit beträchtlichen Risiken verbunden ist, soll sie immer noch eine Maßnahme der ultima ratio sein, d.h. nur dann zur Anwendung kommen, wenn jede andere konservative Maßnahme weniger Erfolgschancen hat und mit mehr Risiken verbunden ist. Natürlich ist es, wie immer, Aufgabe einer klugen Abwägung, die oben genannten Prinzipien im Einzelfall richtig anzuwenden.

Auf Grund dieser drei erwähnten Prinzipien kann gut begründet werden, dass bei Allotransplantationen nach dem heutigen Stand der Technik die menschliche Würde des Spenders und des Empfängers ausreichend gewahrt bleibt.

Wird die Allotransplantation, d.h. die Verpflanzung von menschlichen Organen unter Wahrung der Würde des Menschen ethisch akzeptiert, und sind die drei erwähnten Probleme der Xenotransplantation gelöst, dann könnte gegen die Xenotransplantation nur eingewandt werden, dass (1) die personale Identität des Empfängers von tierischen Organen verletzt wird und (2) dass sie ein Verstoß gegen den moralischen Status der Tiere darstellt, d.h. gegen die gesollte Achtung und den Schutz des tierischen Lebens. Auf diese zwei Einwände soll in der Folge näher eingegangen werden.

Es wird behauptet, dass durch die Xenotransplantation die psychologische und genetische Identität des Menschen in einem nicht mehr vertretbaren Ausmaß verletzt werden könnte. Dazu fehlen allerdings die empirischen Befunde. Die Befragungen, die derzeit vorliegen, zeigen, dass die Einstellung von Betroffenen gegenüber tierischen Organen durchaus positiv ist. Das könnte ausreichen, um die auftretenden psychologischen Probleme gut zu verkraften. Man kann allerdings nicht ausschließen, dass Eingriffe, die in den Geschlechtsorganen oder im Gehirn Veränderungen verursachen, ethisch bedenklich sein können. Diese Bedenken vermögen aber keinen prinzipiellen Einwand gegen die Xenotransplantation zu begründen. Paslak hat Studien (Befragungen) und Gutachten in Großbritannien, der Schweiz, Holland, den USA, in der OECD, EU und WHO, die sich auch mit dieser Frage befasst haben, untersucht und verglichen und dabei festgestellt, dass nur die Schweizer Studie („Technologiefolgen-Abschätzung – Xenotransplantation“ des Schweizerischen Wissenschaftsrats – 1998) größere Bedenken, vor allem bei Xenotransplantaten im Gehirn, geäußert hat. Auch die anderen Studien fordern in ihren Empfehlungen eine Nachbetreuung von Patienten ebenso wie eine Forschung der psychologischen Folgen. Ein prinzipieller Einwand ist aber in diesen Studien nicht enthalten

Die tierethischen Probleme sind hier gegenüber den klassischen Tierversuchen verstärkt, weil die Tiere von der präklinischen Forschung bis zur eventuellen klinischen Umsetzung durchgehend für menschliche Gesundheitsbedürfnisse genutzt und verbraucht werden. Es geht hier um die Frage des Verhältnisses von
Menschenwohl zu Tierwohl.

Die Einwände gegen die Xenotransplantation, die mit dem moralischen Status der Tiere begründet werden, stützen sich meistens auf die philosophischen Auffassungen von Peter Singer4 oder Tom Regan5. Beide Ethiker lehnen Xenotransplantationen ab, aber sie führen unterschiedliche Begründungen an. Ihre Positionen haben unter den Tierschutzorganisationen großen Anklang gefunden und eine neue Disziplin begründet – die Tierethik.

Für Singer ist das Hauptprinzip der Moralität das Prinzip der Interessensberücksichtigung. Er schreibt auch den Tieren wie den Menschen konkreten Interessen zu. Der moralische Status eines Lebewesens wird nicht von der Zugehörigkeit zu einer Spezies – dies würde nach Singer Speziesismus sein –, sondern allein von der Bedeutung seiner Interessen und seiner Abwägung gegen die Interessen anderer bestimmt. Ob in einer bestimmten Situation ein Mensch oder ein Tierwesen bevorzugt werden soll, hängt also von der Abwägung der konkreten Interessen beider Lebewesen ab. Stellt man, wie dies im Biozentrismus und insbesondere auch gemäß des Tierrechtsphilosophen Tom Regan geschieht, alles Lebendige auf ein und dieselbe Stufe, ist jede Tiernutzung ethisch zu verbieten. Regan weitet das Kantsche Postulat der Würde des Menschen auf die Säugetiere aus.

Regan und Singer kommen in ihrer Argumentation aus einem reinen Biologismus nicht hinaus. Wer nur biologische Eigenschaften in seinem Gedankensystem berücksichtigen will, kann nur graduelle Unterschiede zwischen den Arten und den Spezies ausmachen, ihm werden aber, die wesentlichen Unterschiede fallen einem reduktionistischen Denken zum Opfer und bleiben unbenannt.

Die abendländische Kultur spricht allerdings dem Menschen aufgrund seiner geistigen Anlagen, die sich in seiner Freiheit und Selbstbestimmungsfähigkeit zeigen, eine einzigartige Würde zu. Daher gibt es zwischen Mensch und Tier Unterschiede im moralischen Status.

Menschen aller Zeiten, Gesellschaften und Kulturen, haben zwischen Mensch und Tier moralisch wirksame, ontologische – d.h. seinsmäßige – Unterschiede geortet. Konkludente Begründungen für eine hierarchische Abstufung der Würde im Reiche der Lebenden liefern nicht nur theologische und klassisch philosophische, sondern auch moderne philosophische Argumentationen wie die prägnante Kantische Formulierung: „Der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muss in allen seinen sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.“  Nach Kant existiert nur der Mensch als vernünftiges Wesen als Zweck an sich und nicht bloß als Mittel. Diese Rangordnung darf allerdings nicht beliebig angewandt werden. So betont auch die christliche Ethik neben der unveräußerlichen Würde des Menschen den Eigenwert der Tiere als Mitgeschöpfe des Menschen. Damit verbietet sich der Gedanke, es gäbe einen Freibrief, mit einem Tier beliebig umzugehen. Diese Einstellung wächts erst am Boden Neuzeit und dem Cartesianischen Denken (Tiere als "seelenlose Maschinen").

Die ethische Abwägung zwischen Mensch- und Tierleben darf nicht vorschnell zu Lasten des Tieres erfolgen. Die
Xenotransplantation sollte nur dann durchgeführt werden, wenn das Organversagen lebensbedrohend ist und nicht durch andere Behandlungen behoben werden kann. Dies heißt konkret, dass die Tiere nicht nur unter der Perspektive des Nutzwertes gesehen werden dürfen- eben nur als „Organlager“ für den Menschen. Jedes Lebewesen muss in seinem Eigenwert geachtet werden. Auf die Wahl der Tierart muss geachtet werden. Affen sind dabei nicht vertretbar. Die Tiere müssen artgerecht gehalten werden. Schmerz und Leid der Tiere müssen
möglichst vermieden werden. Je geringer die Erfolgsaussichten der Xenotransplantation aufgrund der Risiken für den Menschen sind, desto schwerer wiegen die tierethischen Aspekte.

Ethisch problematisch ist auch die Logik einer Medizintechnik, die den Mangel an menschlichen Spenderorganen durch unbegrenzt verfügbare tierische Organe beheben will. Dabei wird der Mensch zum Reparaturfall und das Tier zum Ersatzteillager reduziert. Die Gefahr der Verdinglichung des Menschen und die Ablehnung seiner Endlichkeit kommen dabei ins Spiel.

Jedes tierische Opfer ist daher rechtfertigungsbedürftig, d.h. der Zweck muss strikt die erwähnte Zweckhierarchie beachten und ebenso wie bei der Allotransplantation, darf die Xenotransplantation nur dann durchgeführt werden, wenn das Organversagen lebensbedrohend ist und es nicht durch andere, Leben schonende Maßnahmen behoben werden kann. Die Nutzung von Tieren zur Nahrung für den Menschen hat die gleiche Rechtfertigung. Die Einwände, die dagegen vorgebracht werden, laufen auf eine Einebnung der Würde des Lebens bzw. der moralischen Relevanz der anerkannten Unterschiede hinaus und sind nicht nachvollziehbar.

In den letzten Jahrzehnten erleben wir in unserer Gesellschaft das Aufkommen eines starken ökologischen Bewusstseins, das vom Biologismus getragen ist und in den Ökologismus mündet. Der Biologismus stellt – wie bereits erwähnt – alles Lebendige auf ein und dieselbe Stufe. Der Ökologismus sieht in der Natur das Gute und im Menschen nicht die Natur, sondern vor allem das Prinzip des Verderbens. Eine Ethik auf dieser Grundlage versucht selbstverständlich das Gute vor dem bösen Menschen zu schützen. Die Natur wird vor dem Menschen privilegiert. Diese Position geht mit einer Reduktion des Menschenbildes einher und stellt das ethische Argumentieren in Frage. Das Fundament der Sittlichkeit ist nämlich die Freiheit. Gerade diese, die den Unterschied zwischen Mensch und Tier wesentlich ausmacht, wird vom Biologismus und vom Ökologismus ausgeblendet.

Wenn man Tier und Mensch nicht auf eine Stufe stellt und die oben genannten ethischen Aspekte und Risiken beachtet, gibt es allerdings keinen prinzipieller Einwand gegen die Xenotransplantation.

Referenzen

  1. Die Umfrage wurde von Univ.-Prof. Dr. Brigitta Bunzel und Univ.-Prof. Dr. Eva Jäger (AKH, Wien) geleitet, vgl. Bunzel, B. et al: Psychologische Aspekte der Xenotransplantation in: Imago Hominis (2001); 8(3): 215-220
  2. Vgl. Engelhardt D., Transplantationsmedizin heute: Tiere als Organspender? In: Kreß H., Kaatsch H.-J. (Hrsg.), Menschenwürde, Medizin und Bioethik, Lit, Münster (2000), S.144
  3. Vgl. Schlitt H.J., Einstellungen zur Xenotransplantation: Vergleich von Transplantierten und Wartelistenpatienten. In: Künsebeck, H.-W., Muthny F.A. (Hrsg.), Einstellungen zur Organspende und ihre klinische Relevanz, Pabst-Verlag, Lengerich (2000), S.99-119
  4. Singer, P., Praktische Ethik, Reclam, Stuttgart (1984); Befreiung der Tiere, Rohwolt, Rainbeck (1996)
  5. Regan, T., The Case for Animal Rights, Routledge, London (1988)

Quelle

IMAGO HOMINIS 3/2001: Reparaturmedizin II mit folgenden Beiträgen:
Brem G., Zur Bereitstellung von Organen für die Xenotransplantation, IH (2001); 3: 203-213
Lapka C. et al., Psychologische Aspekte der Xenotransplantation, IH (2001); 3: 215-221
Prat, E.H., Xenotransplantation aus ethischer Sicht, IH (2001); 3: 222-226

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