„Wir werden nach neuen Wegen suchen“. Wortlaut der Erklärung der deutschen Bischöfe zum Papst-Brief

Imago Hominis (1998); 5(1): 57-58

Das Schreiben des Papstes an die deutschen Bischöfe nimmt Bezug auf eine mehrjährige Diskussion über das Verhältnis der kirchlichen Beratungsstellen zum staatlich anerkannten System der Schwangerenkonfliktberatung. Der Hl. Vater hat uns Bischöfen einen verstehenden und brüderlichen Brief geschrieben, der um die nicht leichte Problematik und die verschiedenen Positionen in unserer Kirche weiß.

Das Schreiben des Papstes und der offizielle Kommentar, veröffentlicht im „Osservatore Romano“ vom 27. Jänner 1998, sind in einer Sprache geschrieben, die weitgehend auf theologische Fachterminologie verzichtet. Gerade darum bedarf das Schreiben einer sorgfältigen und differenzierten Analyse, ohne daß von außen herangetragene Vor-Urteile maßgebend werden dürfen.

Wir danken dem Hl. Vater, daß er die Bemühungen der Kirche in unserem Land für die Rettung des Lebens ungeborener Kinder auf allen Ebenen ausdrücklich anerkennt, ganz besonders auch im Blick auf die Beraterinnen. Wir danken ihm, daß er die Bischöfe ermutigt, nach Kräften und wirksam die Beratungstätigkeit fortzusetzen. Gerade in den letzten Tagen ist in der öffentlichen Meinung offenbar geworden, welche hohe Anerkennung die kirchlichen Beratungsstellen auch außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft gefunden haben. Wir haben Grund, für die Tätigkeit dieser Beratungsstellen mit dem Hl. Vater dankbar zu sein.

In dem Schreiben unterstreicht der Papst mehrmals und deutlich die grundlegende Einmütigkeit zwischen dem Hl.Stuhl und den deutschen Bischöfen in der Lehre der Kirche zum Schutz des ungeborenen Kindes und in der Verurteilung der Abtreibung wie auch in der Notwendigkeit einer umfassenden Beratung schwangerer Frauen in Not.

Wie in der bisherigen Diskussion spitzt sich das Problem auf die Interpretation und Bewertung des Beratungsscheins zu. Der Nachweis einer Beratung, die ausschließlich dem Schutz des ungeborenen Kindes dienen soll, kann unter bestimmten Voraussetzungen leider auch dazu gebraucht werden, eine straffrei bleibende Abtreibung vorzunehmen, auch wenn diese rechtswidrig bleibt. Dieses Bewußtsein der Unrechtmäßigkeit hat sich in unserer Gesellschaft allerdings zu wenig durchsetzen können, so daß nicht zuletzt dadurch der „Schein“ in ein gewisses Zwielicht gekommen ist. Daran hat auch eine manchmal undifferenzierte Bewertung des Scheins einen gewissen Anteil. Zugleich hat sich die gesellschaftliche Bewußtseinslage für die Rettung des bedrohten ungeborenen Kindes in letzter Zeit durch verschiedene Vorgänge verschlechtert. Wir müssen mit Enttäuschung zur Kenntnis nehmen, daß der Beratungsschein in einem solchen „Klima“ seine vom Gesetz intendierte Wirkung nur bedingt bzw. kaum entfalten kann und vor der zweideutigen Annahme, es könnte ein „Recht auf Abtreibung“ geben, nicht genügend geschützt werden kann.

Vor diesem Hintergrund schreibt der Hl.Vater: „Deshalb möchte ich Euch, liebe Brüder, eindringlich bitten, Wege zu finden, daß ein Schein solcher Art in den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungsstellen nicht mehr ausgestellt wird. Ich ersuche Euch aber, dies auf jeden Fall so zu tun, daß die Kirche auf wirksame Weise in der Beratung der hilfesuchenden Frauen präsent bleibt“.

Wir werden dieser Bitte Folge leisten. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die kirchliche Beratung vermindert wird. Im Gegenteil: Wir werden sie noch verstärken. Der Papst selbst wünscht ausdrücklich, daß wir die im staatlichen Beratungssystem gegebenen Spielräume zur Rettung des ungeborenen Kindes „soweit wie möglich“ nützen. Von einer Aufforderung, aus der gesetzlichen Beratung auszusteigen, kann also keine Rede sein.

Es geht nicht darum, daß die Kirche ihre Anstrengungen vermindert, schwangere Frauen in Not zu beraten und ihnen Hilfen anzubieten. Diese Konfliktberatung, wo es um Leben und Tod des ungeborenen Kindes geht, soll nur ferngehalten werden vom Anschein der Zweideutigkeit und einer Verdunkelung des lebendigen Zeugnisses für das Lebensrecht des ungeborenen Kindes.

Wir machen keine Abstriche im Angebot und in der Qualität der Beratung für schwangere Mütter in Not. Wir werden, wie vom Papst vorgeschlagen, nach Wegen suchen, wie wir ohne einen solchen Schein auch in Konfliktsituationen eine wirksame Beratung durchführen können. Wir werden uns um eine Fassung der Beratungstätigkeit bemühen, die ohne einen Schein der bisherigen Art erfolgt. Dabei sind wir uns bewußt, daß es wohl keinen Lösungsweg geben kann, der nicht auch Nachteile in sich birgt und Bedenken auslösen kann.

Wir haben beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Ihr wird der Auftrag erteilt, genauer nach möglichen neuen Wegen zu suchen, die dem Anliegen des Papstes und unserem Anliegen entsprechen, daß die Kirche auf wirksame Weise in der Beratung hilfesuchender Frauen präsent bleibt. Wir werden zu gegebener Zeit eine entsprechende Neufassung der Ordnung unserer Beratungsstellen in Kraft setzen.

Da wir bereit sind, unsere intensive und weithin anerkannte Beratung fortzusetzen, bitten wir auch die Politikerinnen und Politiker, nach Wegen zu suchen, wie dies ohne die Zweideutigkeit des „Scheins“ im bisherigen Sinne möglich ist. In diesem Zusammenhang erinnern wir auch an den Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28. Mai 1993 an den Gesetzgeber gerichtet hat: „Er bleibt vielmehr aufgrund seiner Schutzpflicht weiterhin dafür verantwortlich, daß das Gesetz tatsächlich einen – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessenen und als solchen wirksamen Schutz vor Schwangerschaftsabbrüchen bewirkt. Stellt sich nach hinreichender Beobachtungszeit heraus, daß das Gesetz das von der Verfassung geforderte Maß an Schutz nicht zu gewährleisten vermag, so ist der Gesetzgeber verpflichtet, durch Änderung oder Ergänzung der betreffenden Vorschriften auf die Beseitigung der Mängel und die Sicherstellung eines dem Untermaßverbot genügenden Schutzes hinzuwirken (Korrektur- oder Nachbesserungspflicht)“.

Auch wenn der Hl. Vater uns durch seinen Brief vom 11. Jänner 1998 eine schwierige Aufgabe übertragen hat, so sind wir doch der Überzeugung, daß eine an diesem einen Punkt erneuerte Fassung der Beratungstätigkeit zum Wohl unserer Gesellschaft sein wird und den schwangeren Frauen in Not besser dienen kann. Die Regelung der Einzelheiten hat er den Bischöfen und ihren Mitabteiterinnen und Mitarbeitern überlassen.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: