Fallbericht: Pro und Contra der Pränatalen Diagnostik: Diskussion anhand eines Fallbeispiels

Imago Hominis (2001); 8(1): 65

Eine 27-jährige Frau, Mutter eines einjährigen gesunden Sohnes, erwartet ihr zweites Kind. Anläßlich des heute von den meisten Gynäkologen bereits routinemäßig empfohlenen „Missbildungs-Screenings“ – einer eingehenden und besonders gründlichen Ultraschalluntersuchung des Ungeborenen an einer Abteilung für Pränatale Diagnostik und Therapie – wird in der 21. Schwangerschaftswoche bei sonst unauffälligem Befund eine mäßiggradige beidseitige Hydronephrose (Erweiterung der Nierenbecken) des Kindes festgestellt.

In einem kurzen Aufklärungsgespräch wird dem werdenden Elternpaar – der Vater ist bei der Untersuchung ebenfalls anwesend – mitgeteilt, dass bei Vorliegen dieser Befundkonstellation bei dem Kind in etwa 3-4% der Fälle mit dem Auftreten einer Trisomie 21 (Down-Syndrom) zu rechnen sei. Eine genauere Anamnese hinsichtlich familiärer Belastung beziehungsweise sonstiger eventueller Risikofaktoren wurde nicht durchgeführt. Es wird empfohlen, eine Chorionzottenbiopsie (Gewinnung von Gewebe aus dem kindlichen Anteil der Plazenta mittels Punktion durch die Bauchdecke der Mutter) möglichst am nächsten Tag durchführen zu lassen, um bei positivem Befund noch eine Konsequenz (Abbruch der Schwangerschaft) innerhalb der gesetzlichen Frist ziehen zu können. Das statistische Risiko, durch diese Untersuchung einen Abort herbeizuführen, liegt innerhalb einer Bandbreite von 1-4%.

Das Ehepaar entschließt sich aus mehreren Gründen, die vorgeschlagene Untersuchung nicht durchführen zu lassen. Nach vier zum Teil doch sehr belastenden Monaten kommt ein gesundes Mädchen zur Welt. Bezüglich des bereits bekannten Befundes steht das Kind seit der Geburt unter laufender Ultraschall-Kontrolle. Nach heutigem Wissensstand dürfte es sich um ein beidseits bestehendes geringgradiges ampulläres Nierenbecken handeln (links mehr als rechts), welches die Funktion der Niere nicht wesentlich beeinträchtigt und sich in den nächsten Monaten „auswachsen“ sollte.

Problemfelder und Diskussionsansätze

  • Welche Arten der Pränataldiagnostik gibt es? Wann sind sie jeweils indiziert?
  • Wie hoch sind die Risiken der einzelnen Untersuchungsmethoden (auch in Relation zu jenen einer möglichen Erkrankung bzw. Behinderung des Kindes)?
  • Die Zahl der diagnostizierbaren Erkrankungen wächst kontinuierlich, die pränatale Therapie hingegen kann mit dieser dynamischen Entwicklung bei weitem nicht Schritt halten, sodass eine deutliche Divergenz zwischen diagnostizierbaren und therapierbaren Krankheiten zu beobachten ist. Vor dem Hintergrund einer derart skizzierten „therapeutischen Lücke“ wird daher immer öfter auf die Abtreibung als einzige sich anbietende Konsequenz der Pränataldiagnostik zurückgegriffen.
  • Wie gestalten sich die rechtlichen Rahmenbedingungen der Pränataldiagnostik?
  • In welchen Fällen hat die weiterführende vorgeburtliche Diagnostik ihre Berechtigung (z.B. durch Früherkennung behandelbarer Erkrankungen, ausführliche Planung der Geburt bei zu erwartenden Komplikationen)?
  • Wie gehen werdende Eltern respektive deren Umfeld mit einem möglichen auffälligen Befund um? Wird eine ausreichende Aufklärung oder eine eventuell notwendige psychologische Betreuung angeboten?
Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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