Editorial

Imago Hominis (2003); 10(1): 5-8

Wir haben das vorliegende und auch das folgende Heft dem Thema der Palliativmedizin gewidmet. Palliativstationen und Hospize gewinnen im Gegensatz zu früher bei der Krankenhausplanung zunehmend an Gewicht. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Aufgaben der Palliativmedizin hat erst begonnen. In Wirklichkeit war es schon immer Aufgabe der Medizin, nicht nur zu heilen, sondern auch Leiden zu lindern und zu trösten angesichts einer nicht heilbaren Erkrankung. Allerdings hat die Medizin in den letzten Jahrzehnten ungeheure Fortschritte gemacht und hat angesichts dieser Fortschritte in den Menschen utopische Hoffnungen erweckt. So hat z. B. die WHO die Ausrottung aller Krankheiten, ja selbst des Todes als ihr erklärtes Ziel proklamiert. Es verwundert also nicht, dass auf dem Hintergrund solcher Vorstellungen die beiden anderen Ziele ärztlichen Handelns, Tröstung und Leidenslinderung bei unheilbaren Erkrankungen, aus den Augen verloren gegangen sind. Allerdings hat sich in letzter Zeit angesichts der ernüchternden Erkenntnis, dass die Versprechungen der modernen Medizin, wonach praktisch alles machbar und jede Krankheit in den Griff zu bekommen ist, nicht der Wirklichkeit entsprechen, ein gewisses Umdenken eingestellt und man beginnt sich wieder auf die traditionellen Aufgaben der Medizin zurückzubesinnen und der Palliativmedizin zuzuwenden.

Die Wurzeln der Problematik reichen aber noch viel tiefer. Sie liegen auch in der verständlichen Scheu vor einer konkreten persönlichen Stellungnahme des Einzelnen angesichts unheilbarer Erkrankung und des sich abzeichnenden Herannahens des Todes. Noch immer empfinden es viele Ärzte als Misserfolg, wenn ihr Patient in ein Stadium der Krankheit eintritt, in dem keine Heilung mehr erwartet werden darf. Gelegentlich signalisieren dann die Behandler den Rückzug, so als ob ihre Mission beendet wäre. Es kann nicht verwundern, wenn Patienten in dieser Situation die vermeintlich logische Konsequenz ziehen und gleich das endgültige „Aus“ für ihr Leben wünschen. Vor einigen Monaten meinte ein deutscher Kollege beim Petersberger Gesundheitssymposium: „Wenn es die Palliativmedizin nicht schafft, sich als beste Versorgungsform für schwerstkranke und sterbende Menschen zu präsentieren, wird die aktive Sterbehilfe populärer werden“.

Auf jeden Fall kann sich der Arzt nicht von seiner schweren Pflicht entbinden, in allen Therapieentscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen seine Kunst einzusetzen, auch dann, wenn der betreffende Patient unheilbar schwerkrank ist und das Ende absehbar bevorsteht. Die Problematik der Entscheidungen in diesen Grenzsituationen ist auch für die Ärzteschaft belastend. Man muss viel Kraft aufwenden, um der Konfrontation nicht aus dem Wege zu gehen. Dabei wird immer öfter die Frage nach jenen Kriterien gestellt, die in den extremen, durch die High-tech-Medizin provozierten Situationen zur sicheren Entscheidungsfindung beitragen können. Vielen ist schon klar geworden, dass die Machbarkeit allein nicht das einzige Kriterium sein kann. Wonach aber kann man sich dann richten? Die Frage nach Sinnhaftigkeit und Verhältnismäßigkeit wird jedenfalls immer dringender.

In dieser Nummer werden zunächst mehr grundlegende Fragen, die gleichsam als Basis oder Voraussetzung einer qualifizierten Palliativmedizin angesehen werden können, angesprochen. Diese sind der Begriff der Lebensqualität allgemein (Meran) und die Frage nach den Kriterien des richtigen Zeitpunktes der Umstellung von der kurativen zur palliativen Medizin (Schenk), aber auch im weiteren Sinn das Problem der Suizidalität (Klesse) und ein Beitrag über die Grenze zwischen Spiritualität und Psychopathologie (Weismayer). Das nächste Heft wird sich mehr den praktischen Fragen der Palliativmedizin zuwenden.

Mit Freude haben wir diese Ausgabe als Festschrift für Prof.Dr. Gottfried Roth konzipiert. Am 8. Jänner 2003 wurde als Anlass zu seinem 80. Geburtstag im Otto-Mauer Zentrum des Katholischen Akademikerverbandes eine Festveranstaltung als Anerkennung für sein Lebenswerk begangen. Dies soll auch in Imago Hominis seinen Niederschlag finden. Wir haben daher die Laudatio bei der Festveranstaltung abgedruckt, der Beitrag von Johannes G. Meran in diesem Heft wurde ebenfalls als Vortrag im Rahmen der Festveranstaltung gehalten. Wir danken Prof.Dr. Roth im Namen unserer Leserschaft für sein Engagement und wünschen ihm noch viele weitere Jahre des fruchtbaren Schaffens!

Die Herausgeber

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: