Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen: Argumente Für und Wider

Imago Hominis (2008); 15(1): 6-8
Enrique H. Prat, Jan Stejskal

Die Frage nach der ethischen Zulässigkeit der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen (hESZ) wird in Deutschland und in der letzten Zeit auch in Österreich heftig debattiert. In Deutschland wurde neulich diese Debatte vom früheren Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst Ludwig Winnacker, als „Kulturkampf“ bezeichnet. Obwohl diese Kontroverse schon lange andauert, sind die Argumente immer die gleichen geblieben. Was sich geändert hat, sind die Forschungsfakten. Zehn Jahre, nachdem es James Thomson gelang, hESZ aus IVF-Embryonen zu isolieren, hat diese Forschung kaum nennenswerte Fortschritte erzielt. Ganz anders die Forschung mit adulten Stammzellen (hASZ). Zum Teil wird sie bereits seit Jahrzehnten, wie es bei der Leukämie der Fall ist, angewendet, hat bereits über 150 klinische Anwendungen zustande gebracht und weltweit Tausende von Menschen geheilt. Außerdem ist es im Jahre 2007 zwei Teams unabhängig voneinander gelungen, adulte Zellen so zu reprogrammieren, dass sie die gleichen Eigenschaften wie hESZ aufweisen. Diese werden induzierte pluripotente Stammzellen (iPSZ) genannt. Wäre es nun nicht vernünftig, die Forschung mit hESZ endgültig zu beenden? Einige haben den Rückzug aus dieser Forschung bereits angekündigt. Andere aber halten mit folgenden Argumenten daran fest:

1. Argument: Die hESZ haben große Vorteile gegenüber der hASZ: Sie haben eine viel größere Plastizität, d. h. sie können sich zu jeder Art von Zelle entwickeln, und sie sind unendlich teilbar. Die Forschung mit hESZ ist deshalb viel wichtiger und soll den Vorrang bekommen.

Das stimmt, aber nur zur Hälfte. Was hat man davon, dass die hESZ so plastisch sind und sich unendlich teilen können, wenn sie außerhalb ihres ursprünglichen Umfeldes leicht zu Krebszellen entarten und Tumoren verursachen? Damit ist jeder Vorteil der hESZ zunichte gemacht. Alle Bemühungen, das kanzerogene Potential dieser Zellen zu überwinden, sind fehlgeschlagen. Laut Aussagen von Experten ist auch keine Lösung dieses Problems in Sicht.

2. Argument: Die Forschung mit hESZ ist Grundlagenforschung. Sie ist auch dann sehr wichtig, wenn sie nicht direkt zu Anwendungsmöglichkeiten führt, weil sie unverzichtbare Erkenntnisse über die Entwicklungs- und Funktionsweisen dieser Zellen bringt.

Tatsächlich ist die Forschung mit hESZ reine Grundlagenforschung und wird es wohl auch bleiben – was immer mehr Forscher auch zugeben. Das war noch vor wenigen Jahren nicht so. Man hatte auf eine direkte Anwendung bei medizinischen Therapien gehofft. Wie wichtig und wie unverzichtbar die Erkenntnisse dieser Forschung sein werden, ist nicht vorauszusehen. Vorerst ist es so, dass die Forschung mit tierischen ESZ den Bedarf an Wissen ziemlich gut deckt und dass die adulte Stammzellentherapie bis jetzt auf kein Ergebnis der Forschung mit hESZ zurückgreifen musste. Colin McGuckin, prominenter Forscher mit hASZ (Nabelschnurblutzellen) an der Universität Newcastle erklärte, dass sein Labor zwar Wand an Wand mit einem Labor liegt, in dem mit hESZ experimentiert wird, er jedoch niemals irgendwelche Erfahrungen oder Erkenntnisse des Nachbarlabors benötigt habe.

Aus der Forschung mit tierischen ESZ stammen sicherlich bis jetzt die wichtigsten Erkenntnisse, über die wir bei den Stammzellen verfügen. Ein Beweis, dass unbedingt an den hESZ geforscht werden muss, wurde bis jetzt nicht erbracht und ist nun mit iPSZ (induzierte pluripotente Stammzellen), welche dieselben Eigenschaften wie hESZ haben, überflüssiger denn je geworden.

Als einzige realistische praktische Anwendung der Forschung mit hESZ wird heute noch die Toxizitätsprüfung von Arzneimitteln angeführt. Diese Prüfungen können aber ohne weiteres auch mit hASZ oder mit iPSZ durchgeführt werden.

3. Argument: Stammzellen aus überzähligen Embryonen aus der künstlichen Befruchtung zu gewinnen, scheint auch dann moralisch vertretbar zu sein, wenn man sich zum christlichen Grundsatz des Schutzes des Lebens in allen seinen Phasen bekennt. Überzählige Embryonen haben keine Lebensperspektive, während wir zugleich die ethische Verpflichtung zur Grundlagenforschung haben, ohne die es keinen medizinischen Fortschritt gäbe. Aus christlicher Verantwortung heraus müsste eine Güterabwägung zulässig sein.

Hier wird argumentiert, dass die „überzähligen“ Embryonen keine Lebensperspektive mehr haben, d. h. absterben bzw. getötet werden müssen. Doch es wäre trotzdem legitim zu prüfen, ob mit ihnen eine positive Tat – Forschung zur Heilung von Menschen irgendwann in Zukunft – gesetzt werden kann, die diesen Geschöpfen quasi nachträglich einen „Sinn“ verleiht. Abgesehen von der Diskussion der moralischen Legitimität einer In-Vitro-Fertilisation – die katholische Kirche lehnt sie ab – darf man auch nicht vergessen, dass eigentlich schon das Entstehen überzähliger Embryonen äußerst fragwürdig ist. Die gesetzlichen Regelungen in vielen Ländern verpflichten dazu, nur so viele Embryonen zu erzeugen, wie im selben Zyklus implantiert werden sollen. Die Erzeugung von „überschüssigen“ Embryonen ist somit ein Missbrauch, den es nicht geben darf. Ethisch und rechtlich wäre es ein Widerspruch, wenn man das Experimentieren mit etwas gutheißen würde, was zu erzeugen eigentlich verboten ist. Das ursprüngliche Unrecht kann auf dem Wege der Nutzung für einen „höheren Zweck“ nicht wieder gutgemacht werden. Und ist diese Nutzung wirklich legitim? Der Embryo ist ja ein Mensch und darf daher nicht zum Zweck, d.h. instrumentalisiert werden.

Die Frage ist nicht, was besser ist: Töten mit oder ohne Forschung, sondern, dass jede Tötung vermieden und verhindert werden soll. Eine Abwägung, welcher Tötungsmodus der ethisch „bessere“ wäre, muss als Zynismus abgelehnt werden.

4. Argument: Wer sich jetzt gegen diese Forschung ausspricht, muss auch auf den künftigen Nutzen dieser Forschung, d. h. heilend wirkende Therapien, die entwickelt werden, verzichten. Alles andere wäre „Doppelmoral und Scheinheiligkeit“.

Zunächst werden wir auf den heilenden Nutzen dieser Forschung lange warten müssen, denn sogar die größten Optimisten geben zu, dass diese noch lange nicht in Sicht ist. Dennoch, wie steht es mit der berechtigten Frage: Darf ich davon profitieren, wenn irgendwann doch eine Therapie aus dieser Forschung hervorgeht, die für mich eine konkrete Heilung bringt? Diese Frage kann man sicher nicht mit Ja oder Nein beantworten, weil in der Regel die neuen Entdeckungen Resultate einer Vielzahl von Hypothesen sind, die ganz zufällig aufgestellt werden, die Schritt für Schritt meistens zunächst in der tierischen Forschung geprüft werden und später eventuell, aber auch nicht unbedingt am Menschen umgesetzt werden. Wenn aus einem langen Prozess, in den vielleicht auch embryonale Stammzellen einbezogen werden, eine neue Therapie hervorgeht, wird zu prüfen sein, welche Rolle die Forschung mit hESZ in diesem Prozess hatte: War sie ausschlaggebend für die Entwicklung der Therapie oder wäre sie entbehrlich gewesen? Wenn der unmittelbare Zusammenhang zwischen Therapie und hESZ-Forschung sehr groß wäre, dann dürfte man aus ethischer Sicht nicht ohne weiteres diese Therapie in Anspruch nehmen. Wenn es aber keine Unmittelbarkeit gäbe, oder sogar keine zwingende Beziehung zwischen der Therapie und der Forschung mit hESZ vorliegt, dann wird es keinen Grund geben, diese Therapie zurückzuweisen. Sicher nicht in Ordnung wäre es zu sagen – wie es die Utilitaristen tun –, dass man sich, nur weil viele Menschen vielleicht von einer bestimmten Forschung profitieren werden, für diese Forschung aussprechen muss – unabhängig von ihrer ethischen Qualität.

Anschrift der Autoren:

Prof. Dr. Enrique H. Prat, IMABE
Dr. Jan Stejskal, IMABE
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
ehprat(at)imabe.org, stejskal(at)imabe.org

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