„Dr. Tod“ – Jack Kevorkian

Imago Hominis (1999); 6(2): 91-93
Peter Hartig

ls Kevorkian, Einwohner von Royal Oak im State Michigan, auch hier in Europa wie ein Licht aus der Hölle die Medien füllte, hinterließ er ein gruseliges Gefühl des Schreckens, wie es jedem Massenmörder gelingt, wenn das Ungeheure seiner Verbrechen erst bekannt ist. Und dennoch, man wird nachdenklich, wenn die Worte der Witwe nach dem Tod ihres Mannes, des 110. Opfers Kevorkians, wie folgt, zu lesen sind: „Mein Mann war kein Opfer, er hat sehr gelitten und war dankbar für Dr. Kevorkians Hilfe.“

Für nicht wenige war dieser hilfreiche Förderer einer Art von „Würde des Sterbens“ kein irrer Schlächter. Er hat Patienten von unerträglichem Leid „geheilt“ – freilich durch ihren Tod. Eine Alternative hatte er nicht. Dennoch, Patienten und deren Angehörige schienen an ihn zu glauben, an seine noblen Absichten und professionellen Methoden. Er wurde wegen Mordes verurteilt; aber war er nicht ein heroischer Anwalt für die Freigabe des selbstbestimmten Sterbens so vieler Geplagter? Oder hat er sie, kalt wie der Tod, nur betrogen?

Wer war Dr. Kevorkian wirklich?

Dr. Jack Kevorkian, Absolvent der Medizin auf der Universität von Michigan, antwortete auf Fragen zu seiner Karriere als Mediziner: „Es ist nie gut gegangen..., hatte so viele kontroversielle Gegenstände auf meiner Agenda; die Leute waren einfach zu Tode erschrocken. Es war hoffnungslos, eine Anstellung zu bekommen.“ Seine Spezialität war die Pathologie, er nannte sich selbst einen „pensionierten Pathologen“ nach Jahren der Arbeitslosigkeit. Für seine Faszination vom Tod erntete er schon1956 jenen Namen, unter dem er bekannt geworden ist: „Mr. Tod“. Sein gesteigertes Interesse lag im Fotografieren der Blutgefäße in der Retina von Patienten im Augenblick ihres Todes. Schließlich wurde ihm die Erlaubnis, Medizin zu praktizieren, entzogen. „Die Ärzteschaft hat einen Fehler gemacht, mich auszustoßen. Die Alternative zu einer Karriere ist jetzt die Euthanasie“, erklärte er 1990 dem US News and World Report.

Die Todesmaschine läuft

Im März 1990 erschien folgendes Inserat im Detroit Press Magazine:

„Fühlen Sie sich seelisch bedrückt aufgrund einer tödlichen Krankheit, einer ernsthaften Behinderung, einer lähmenden Mißbildung? Schreiben Sie an Box 261, Royal Oak, Mich. 480680261. Legen Sie Dr. Jack Kevorkian einwandfrei zwingende Nachweise vor, daß Sie sterben sollten. Er wird Ihnen helfen, sich selbst zu töten – kostenlos. Anmeldungen werden entgegengenommen.“

Nur Tage nach Erscheinen des Inserates testete Dr. Kevorkian erstmals den Prototyp seiner „Todesmaschine“ auf einem Ferienlagerplatz in der Nähe von Detroit. Resultat: eine 54Jährige (aus Portland, Oregon), tot, in ihrem alten, verrosteten VW-Lieferwagen. Sie hatte sich mittels Knopfdruck eine tödliche Injektion verabreicht.

Damit war es Kevorkian gelungen, eine längst zielstrebig gesuchte notorische Berühmtheit zu werden, die ihn rund um die Welt als „Mr. Tod“ bekannt machte. Er trieb seine Selbstverwirklichung als Euthanasie-Spezialist zu ungeahnten Ausmaßen: In der folgenden Zeitspanne von neun Jahren verhalf er 110 „Patienten“ zum Selbstmord mit tödlichen Injektionen oder durch Einatmen von Kohlenmonoxyd. Falls erforderlich, tötete er sie selbst, auf deren Verlangen oder auf das ihrer Angehörigen.

Vor der Öffentlichkeit hielt Jack Kevorkian nie mit seinem Sendungsbewußtsein zurück, im Gegenteil: Er provozierte die öffentliche Reaktion über Presseinterviews, schrieb ein Buch und mehrere Artikel in Fachzeitschriften und forderte die Gerichte heraus, durch Ankündigungen jedes Gesetz gegen Beihilfe zum Selbstmord oder Euthanasie anzufechten oder zu ignorieren, sich jeder Anklage vor Gericht mit Gegenklage auf Verleumdung zu widersetzen und eine etwaige Verurteilung durch Hungerstreik bis zum Tod zu beantworten.

Tatsächlich taten sich die Gerichte außerordentlich schwer, seinen konsequenten, geradezu messianisch-besessenen Einsatz für das Recht auf Tötung letal Kranker – nach seiner Definition ist jede Krankheit letztlich letal – durch ein vollstreckbares Urteil zu beenden. Sie bekämpften nicht nur eine instinktiv erkannte, mörderische Gefahr für die ganze Gesellschaft, sondern auch mit der eigenen legistischen Unsicherheit bezüglich „Töten auf Verlangen“ oder „Euthanasie“. Diese beispiellose Auseinandersetzung dauerte neun Jahre!

Beihilfe zum Selbstmord war in Michigan noch nicht strafbar. Erst Ende 1992 unterzeichnete der Gouverneur von Michigan eine einstweilige Verfügung zur Unterlassung von Beihilfe zum Selbstmord. In drei Prozessen wegen Mordes freigesprochen, wurde er vom Gericht gegen die Auflage, niemandem mehr zum Tod zu verhelfen, auf freien Fuß gesetzt. Später wurde er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die er mit Hungerstreik beantwortete. Man entließ ihn gegen Kaution. Erst Ende 1993 wurde in Michigan das Gesetz gegen Beihilfe zum Selbstmord verabschiedet. Nach Gefängnis und wieder Hungerstreik wurde seine Verurteilung wegen aktiver Sterbehilfe aus Verfassungsgründen aufgehoben. Weitere „Sterbefälle in seinem Beisein“ mußte er zwar vor Gericht verantworten, aber während er gegen Kaution in Freiheit war, verübte er mehrere weitere Tötungen in Form von „assistierten Selbstmorden“. Gegen Ende 1994 bzw. 1995 wird das „Beihilfe zum Selbstmord – Gesetz“ von einem Gericht für ungültig, vom Obersten Gerichtshof von Michgan zwar für verfassungskonform erklärt, die Berufung jedoch vom US Höchstgericht abgelehnt. Daraufhin verklagte Kevorkian 1996 die American Medical Association und die Michigan State Medical Society publikumswirksam auf $10 Mio. wegen Verleumdung.

Kevorkian fordert die Gerichte heraus

1998 allerdings gibt sich „Dr. Tod“ durch maßlose Selbstüberschätzung zu erkennen. Er provoziert das öffentliche Bekenntnis der Gesellschaft zur Freigabe des Tötens nach seinen Wertbegriffen. Kevorkian filmt sich selbst während seiner „Tötung auf Verlangen“ des 110. Todeskandidaten und übergibt das Video der Fernsehanstalt CBS. In der Sendung „60 Minuten“ wird es in der Hauptempfangszeit ausgestrahlt. Darin fordert Kevorkian den Staatsanwalt ultimativ heraus, gegen ihn Anklage zu erheben. „Sie müssen mich anklagen“, sagt er in die Kamera, „wenn nicht, ist bewiesen, daß kein ordentliches Gerichtsverfahren mich verurteilen kann.“

In der Videoaufnahme wird Kevorkian bei der Verabreichung der Todesspritze gezeigt. Nicht zu hören ist der Wunsch des Getöteten, sterben zu wollen. Dagegen wird dessen offensichtlicher Versuch, im letzten Moment noch ein Wort herauszubringen – er war praktisch sprechunfähig – von Kevorkian ignoriert. Das genügte.

Dr. Tod verurteilt

Im November 1998 wird er wegen Mordes und Beihilfe zum Selbstmord vor Gericht gebracht. Er plädiert auf „Nicht schuldig" und droht – im Falle einer Verurteilung – mit Hungerstreik bis zum Tod. Daraufhin wird er gegen Kaution von einer ¾ Mio. $ auf freiem Fuß angeklagt. Im März 1999 läßt der Staatsanwalt aus „taktischen Gründen“ die Anklage auf Beihilfe zum Selbstmord fallen. Er müßte sonst – so seine Begründung – die Geschworenen den Schilderungen der Qualen des Opfers aussetzen. Damit hatte er erstmals Erfolg: Jack Kevorkian wird wegen Mordes und Verabreichung einer kontrollpflichtigen Substanz von den Geschworenen verurteilt. Am 13. April 1999 wird das Strafausmaß verkündet: 10 bis 25 Jahre Gefängnishaft.

In der lokalen Presse wurde das Ereignis wie folgt berichtet: „Dr. Jack Kevorkian, der Vorkämpfer für das Recht Sterbenskranker auf Hilfe zur Beendigung ihres Lebens, verlor am Dienstag seine Freiheit, als ihn ein Richter zu 10 bis 25 Jahren Gefängnis wegen des video-gefilmten Sterbens eines an der Lou Gehrig-Krankheit laborierenden Patienten verurteilte.“

Die Richterin begründete ihr Urteil wie folgt: „Bei diesem Prozeß ist es nicht darum gegangen, ob Euthanasie politisch oder moralisch korrekt ist oder nicht, hier ging es um Sie! Um Gesetzlosigkeit! Um Mißachtung einer Gesellschaft, die lebt und gedeiht aufgrund der Stärke ihres Rechtssystems.“

Die gefilmte Euthanasie war diesem Gericht Beweis genug für die schuldhafte Tat, eine Entscheidung über Schuld oder Unschuld einer „Beihilfe zum Selbstmord" bzw. des „Tötens auf Verlangen" wurde den Laienrichtern erst gar nicht zugemutet. Der Staat Michigan hatte gewonnen – beispielhaft für andere?

„Wird Beihilfe zur Selbsttötung legalisiert, wird es dann überhaupt möglich sein, die Grenze zur Euthanasie zu ziehen?“ fragt sich nicht nur Dr. Herbert Hendin, Direktor der „American Foundation for Suicide Prevention". „Hat sich nicht schon längst aus der Erfahrung der letzten zehn Jahre gezeigt, daß aktive Sterbehilfe keinen Schutz gegen den gefürchteten Zwang zur Euthanasie bringt?“

Die Gedankenwelt Kevorkians

Dr. Kevorkian war es selbst, der auf beeindruckende Weise klar machte, daß es ihm eben nicht um die Erlösung Sterbender von unerträglichen Qualen ging, sondern daß das Töten seine Spezialität war, seine irre Faszination, der Wahn eines selbsternannten Exekutors. Im Interview mit Free Inquiry wird er unter dem Titel „Die Tugend des geplanten Todes“ wie folgt zitiert:

„Schmerzerleichterungen sind nur ein geringfügiger Nutzen im Gesamtkonzept meiner Ziele, lediglich der erste Schritt, eine erste unappetitliche Verpflichtung. Was mich höchst befriedigt, ist die Aussicht, unschätzbar wertvolle Experimente und andere medizinische Leistungen zu vollbringen.“

Diese „visionären Leistungen“ publizierte Dr. Kevorkian in medizinischen Fachzeitschriften: Medicine and Law, 1986, American Journal of Forensic Psychiatry, 1992, u.a. sowie in seinem Buch Prescription: Medicide, wie folgt: „Subjekte“ (Ungeborene, Kinder, geistig Behinderte) sollten für Experimente jeder Art und Komplexität benutzt werden. Falls das Subjekt nach dem Experiment noch am Leben ist, könnte der Tod durch Entnahme von Organen zwecks Transplantation herbeigeführt oder eine tödliche Dosis eines bislang noch ungetesteten Medikaments durch einen offiziellen Exekutor verabreicht werden. Säuglinge, Kinder und andere, die nicht fähig sind, eine qualifizierte Zustimmung zu geben, gehören zu den potentiellen Kandidaten für Selbstmord „by proxy“ (durch einen Bevollmächtigten). Kevorkian plädierte auch für „Todeshäuser“, wo der Tötungsakt als medizinische Spezialität von sogenannten Todesärzten angeboten wird. Er schlug Auktionshäuser für Organe hoffnungslos durch Arthritis Verkrüppelter vor, deren Erlös auch den Angehörigen dieser „Spender“ zugute kommen sollte. Insassen von Todeszellen sollten langfristig vor der Exekution als Versuchspersonen – nach Anästhesie – herangezogen werden – zur Vermeidung von Tieropfern.“

Das war das wahre Gesicht des „heroischen Vorkämpfers“ für das Recht Sterbenskranker auf Hilfe, ihr Leben zu beenden.

Dr. Jack Kevorkians derzeitige Adresse (15. April 1999): Strafgefangener Nr. 284797, Oaks Correction Facility, Eastlake, MI 49626, USA

Anschrift des Autors:

Dkfm. Peter Hartig
Hietzinger Hauptstraße 71
A-1130 Wien

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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