Bewertung der Multicenterstudie: „Amiodaron to prevent recurrence of atrial fibrillation“

Imago Hominis (2000); 7(2): 152-154
(New England Journal of Medicine 2000; 342: 913-920)

Fragestellung:

Die Wiederherstellung von Sinusrhythmus ist ein erwünschtes Ziel bei Patienten mit Vorhofflimmern (VhFl), weil unter VhFl die Schlaganfallrate um das 5-fache erhöht und die Mortalität doppelt so hoch ist. Außerdem kann Vorhofflimmern zu Symptomen wie unangenehmen Palpitationen, Belastungsintoleranz bis zum Herzversagen führen.

Untersucht wurde die Frage, ob Amiodaron in einer relativ niedrigen Dosierung von 200mg pro die das Wiederauftreten von Vorhofflimmern effektiver verhindern kann als Sotalol oder Propafenon. Bisher wurde Amiodaron wegen seiner hohen insbesonders nicht kardialen Nebenwirkungsrate als primäres Antiarhythmikum bei VhFl nicht empfohlen.

Methodik:

Es wurde eine randomisierte offene (nicht verblindete!) Studie an 403 Patienten über 16 Monate durchgeführt, die mindestens eine Episode von VhFl innerhalb der letzten 6 Monate hatten. Untersucht wurden 201 Patienten in der Amiodaron-Gruppe und 202 entweder in der Sotalol - (101 Patienten) oder Propafenon-Gruppe (101 Patienten).

Ergebnisse:

Nach einer im Durchschnitt 16 Monate langen Beobachtungszeit hatten 35% der Patienten in der Amiodaron - Gruppe und 63% in der Sotalol - oder Propafenon - Gruppe einen ersten Rückfall mit VhFl (p < als 0,001).

Nebenwirkungen, die zu einem Abbruch der Behandlung führten, traten in der Amiodaron-Gruppe in 18% der Fälle auf, in der Kontrollgruppe nur in 11% der Fälle (p = 0,06). Über das Auftreten von Nebenwirkungen, die nicht zum Abbruch der Behandlung führten, wird keine Auskunft in der Studie gegeben.

Die Mortalität war mit 4% in beiden Gruppen gleich.

Konklusion:

Als Konklusion wird von den Autoren Amiodaron entgegen der bisherigen Empfehlung als Mittel der ersten Wahl bei Patienten mit recidivierendem VhFl empfohlen.

S.O.M.-Analyse

Stufe I: Wirkung und Wirksamkeit (qualitativer Nutzen)

Wirkung (Effektivität)

Auf Grund der Ergebnisse der Studie kann es als relativ sicher gelten, dass Amiodaron bei recidivierendem VhFl effektiver ist als Sotalol oder Propafenon. Diese Effektivität bezieht sich allerdings nur auf den Surrogatparameter VhFl. Weiters muss einschränkend bemerkt werden, dass es sich bei der Studie um eine offene, also nicht verblindete und auch nicht um eine Placebo kontrollierte Studie handelt.

Wirksamkeit (Zielgerichtetheit)

Im Bezug auf die Zielparameter Lebensverlängerung (LV) können aus den vorgelegten Ergebnissen keine Rückschlüsse gezogen werden, da diesbezüglich keine ausreichenden Daten vorliegen. Die Langzeitbehandlung von VhFL mit Antiarhythmika (insbesonders der Klasse I) wurde in letzter Zeit überhaupt in Frage gestellt, weil retrospektive Analysen ergeben haben, dass diese Substanzen die Mortalität sogar erhöhen können. Da in der vorliegenden Studie keine Placebo - Gruppe mitgeführt wurde und die Mortalität für Amiodaron gleich hoch war wie für Propafenon (Klasse 1c), können diese Bedenken für die untersuchten Präparate (inkl. Amiodaron) nicht ausgeräumt werden.

Im Bezug auf den Zielparameter Lebensqualität (LQ) wurden in der Studie keine Angaben gemacht.

Stufe II: Quantitativer Nutzen (Relevanz)

Unter Amiodaron kommt es nicht zu einer vollständigen Unterdrückung (= Heilung) des Surrogatparameters VhFl sondern nur zu einer kontinuierlichen wenn auch erheblichen Verschiebung des Zeitpunktes, bis neuerlich VhFl auftritt. Mit Hilfe der S.O.M.- Analyse kann errechnet werden, dass ein Wiederauftreten von VhFl unter Amiodaron rechnerisch um 559 Tage bzw. 1,8 Jahre länger hinausgeschoben werden kann als mit Sotalol oder Propafenon (Wiederauftreten von VhFl im Mittel nach 98 Tagen). Dies kann als effektiver Vorteil bezeichnet werden. Da jedoch durch diesen Effekt keine Lebensverlängerung und keine Verbesserung der Lebensqualität erreicht wurde, ja dass sogar theoretisch eine Verschlechterung möglich ist, kann über die Relevanz dieser Befunde nichts Endgültiges ausgesagt werden. Die Autoren räumen selbst ein, dass zur Frage der Mortalität weitere Studien notwendig sind.

Auch über die Nebenwirkungen unter Amiodaron gibt es in der vorliegenden Studie keine ausreichenden Daten. Auffällig ist freilich, dass die Abbruchrate mit 18% unter Amiodaron deutlich höher liegt, als unter Sotalol oder Propafenon (11%).

Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass Amiodaron in Bezug auf den Surrogatparameter VhFl im Vergleich mit Sotalol oder Propafenon deutlich effektiver ist, wenngleich das Wiederauftreten von VhFl unter Amiodaron nicht vollständig unterdrückt werden kann. Es gibt aber in der Studie keinen Hinweis dafür, dass mit diesem Effekt auch eine Lebensverlängerung oder eine Verbesserung der Lebensqualität verbunden ist. Hingegen sind die Abbruchraten wegen der Nebenwirkungen unter Amiodaron erheblich. Dies ist umso bemerkenswerter als es sich um eine offene Studie handelt, bei der anzunehmen ist, dass auf Grund des erhofften positiven Effektes gerade die Nebenwirkungen unterbewertet wurden. So ergab z.B. ein systematischer Vergleich von 145 kontrollierten Studien, dass eine signifikante Überlegenheit der Therapie - gegenüber der Kontroll - Gruppe in 8,8% der Studien gefunden wurde, wenn die Randomisation verblindet war. Bei Nichtverblindung waren hingegen in 24% (!) signifikante Unterschiede nachzuweisen!1

Die Ergebnisse der Studie können daher bestenfalls als mäßig relevant bezeichnet werden.

Stufe III: Verhältnismäßigkeit.

Festzuhalten ist nochmals, dass auf Grund der vorgelegten Studie nicht entschieden werden kann, ob ein Patient durch die primäre Gabe von Amiodaron in Bezug auf Lebensverlängerung oder Lebensqualität einen Vorteil hat und zwar weder im Vergleich zu Sotalol oder Propafenon, noch im Hinblick auf einen völligen Behandlungsverzicht. Es kann lediglich ein neuerliches VhFl (im EKG registriert) zeitlich hinausgeschoben werden. Für diesen Vorteil muss der Patient bei der Einnahme von Amiodaron in einem hohen Prozentsatz erhebliche extrakardiale Nebenwirkungen in Kauf nehmen. Amioaron gehört zu denjenigen Medikamenten mit ausgesprochen hoher Nebenwirkungsrate (= dosisabhängig bis zu 75%), deren Abklingen viele Monate in Anspruch nehmen kann.2,3 Es kommt zu Ablagerungen in der Hornhaut, in den Alveolarmakrophagen (Lungenfibrose!) und Nervenzellen (Neuropathien). An der Haut tritt Photosensibilisierung auf. Weiters interferiert Amiodaron mit der Schilddrüsenfunktion, es kann zu Hyper-, aber auch Hypothyreosen kommen. Weiters können Leberschädigungen bis hin zu Hepatitis, Leberzirrhose und Leberversagen auftreten. Auch gastrointestinale Beschwerden treten auf. Wegen dieser unerwünschten Wirkungen sind laufende ophtalmologische Kontrollen mit der Spaltlampe, Kontrollen der Leberfunktion, Schilddrüsenfunktion, Lungenröntgen, usw. unumgänglich, was auf jeden Fall (abgesehen vom ökonomischen Aspekt) zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten beiträgt.

Aus der Perspektive einer Sinnorientierten Medizin (S.O.M.) erscheint es daher nicht gerechtfertigt (unverhältnismäßig) auf Grund der vorgelegten Daten Amiodaron als Mittel der ersten Wahl bei VhFl zu empfehlen. Viel mehr dürfte es nach wie vor kein Fehler sein, symptomatische Patienten, bei denen eine antiarhythmische Therapie indiziert ist, primär mit Sotalol oder Propafenon zu behandeln, da deren extrakardialen Nebenwirkungen mit 15% erheblich geringer sind als mit Amiodaron (75%).4 Erst beim Versagen der anderen Antiarhythmika erscheint es sinnvoll, eine Behandlung mit Amiodaron zu versuchen.

Referenzen

  1. Chalmers T., Celano P., Sacks H. S., Smith H., Bias in treatment assignment in controlled clinical trials, New England Journal of Medicine 1983; 309: 1358-1361
  2. Miles W. M., Klein L. S. et al., Five-year follow-up of 589 patients treated with amiodarone, Am. Heart J. 125: 109, 1993
  3. Amiodarone Trials Meta-analysis Investigators, Effect of prophylactic amiodarone on mortality after acute myocardial infarction and in congestive heart failure: meta-analysis of individual data from 6500 patients in randomised trials, Lancet 1997; 350: 1417-1424
  4. Braunwald (Hrsg.), Heart Disease, A Textbook of Cardiovascular Medicine, W. B. Saunders-Company 610 (1997)
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