Fallbericht: Atemnot bei terminaler COPD

Imago Hominis (2004); 11(2): 129-130

Herr P., 72 Jahre, wird am 11. Februar auf der internen Normalstation wegen Atemnot aufgenommen. Es besteht mäßige Atemnot bereits beim Sitzen, doch zieht der Patient das Sitzen dem Liegen vor, dabei stützt er sich vorgeneigt mit beiden Armen an der Bettkante. Sogleich fällt auf, dass die ihn begleitende Tochter sehr besorgt ist, ob er denn diesmal wieder gesund werden würde.

Der Patient erhält als Erstversorgung Infusionen mit Theophyllin und Cortison-Bolus. Von der bei der Anamnese sehr behilflichen Tochter erfährt der Stationsarzt, dass beim Patienten seit Jahren eine COPD besteht und Herr P. schon wiederholt Atemnotanfälle hatte, den stärksten vor etwa einem Jahr, und „er damals dem Tod schon sehr nahe war“. Vor der Aufnahme kam es zu einer stetigen Zunahme der Atemnot, zuletzt bereits nach 3 Schritten. Weiters gibt der Patient Schmerzen im LWS-Bereich und paravertebral seit November des Vorjahres bestehend an. Aus diesem Grund erhielt er am 2. Februar ambulant eine Schmerzmittelinfusion, anschließend 10 Tage Schmerzmittel p.o. Aus der Anamnese ist weiterhin bekannt: Zeitweise hohe RR-Werte, keine Therapie. Lungenkrank schon als Kind, „Herzasthma“. Schlaf: Albträume, keine Schlafmittel. Husten mit gelegentlich weißlichem Auswurf. Herr P. ist Raucher und raucht täglich 20 Zigaretten, und das seit 1955, an Alkohol gibt er täglich die Menge von 5 Viertel Gespritzen an. Gewichtsabnahme minus 7 kg in den letzten 2 Monaten.

Therapie: Combivent DA seit mehreren Monaten bei Bedarf (alle 2 Stunden)

Physik. Krankenuntersuchung: verlängertes Exspirium, Giemen, OF hyposonorer KS, UF hypersonorer KS, basal beidseits Entfaltungsknistern. Linker Vorfuß kälter, dort Arteria tibialis posterior und Arteria dorsalis pedis nicht palpabel. Suspekter Nävus am linken Vorfuß, St. p. Melanom, multiple Hämatome an beider Händen und Unterarmen.

Unter obiger Therapie sowie oraler Antibiose und PPI ist der Zustand leicht gebessert, am 20. Februar kommt es zu einer plötzlichen Verschlechterung der Atemsituation. Herr P. wird unter dem Bild eines akuten Lungenödems auf die ICU transferiert. Im weitern Verlauf respiratorische Globalinsuffizienz, mit Abfall des Sauerstoffpartialdrucks auf 35 mmHg (65% Sättigung); Intubation und maschinelle Beatmung. Ursache für das akute Resp. Versagen dürfte ein pulmonaler Infekt gewesen sein, der mit AB parenteral erfolgreich behandelt werden konnte.

Jedoch gestalteten sich die Versuche, Herrn P. von der Maschine zu entwöhnen, äußerst schwierig. Bereits seit vielen Jahren bestehende Lungenschädigung (COPD, Nikotinabusus, längerfristige Cortisonbehandlung). Der Aufenthalt auf der Intensivstation dauert nun an und wird für die betreuenden Ärzte und Pfleger sehr zermürbend. Herr P. ist wach und wirkt sehr fröhlich, vor allem unter Beatmung. Oft sitzt er am Bettrand; Mimik und Gestik lassen einen glücklich wirkenden, kommunikativen Patienten erkennen, durch den Trachealtubus in der Atmung unterstützt.

In der folgenden Zeit betrug die respiratorfreie Zeit im Durchschnitt 3 – 4 Tage, nach diesem Zeitpunkt erfolge insgesamt fünf Mal eine neuerliche Intubation mit konsekutiver Beatmung. Die Situation unter den betreuenden Ärzten war gekennzeichnet von dem Wissen über die terminale Lungensituation und den Eindrücken der unter Beatmung so lebendigen Art des Patienten. Offensichtlich war der Patient nur auf einer Intensivstation lebensfähig. Es war allen klar, dass der Patient nicht mehr von der Maschine wegzubekommen war. Er wurde jedes Mal wieder intubiert, wenn seine Atemmechanik sich erschöpfte. Auch mehrmalige Versuche, Herrn P. auf CPAP bzw. BIPAP einzustellen, scheiterten immer wieder an der Erschöpfung der Atempumpe bzw. der Intoleranz von Seiten des Patienten. Immer wieder wurde in Anbetracht dieser ausweglosen Situation erwogen, den Patienten nicht mehr an die Maschine zu hängen und sterben zu lassen. Letztlich wurde der Patient aber dann doch immer wieder an die Maschine angeschlossen.

Als ultima ratio wurde schließlich eine Tracheostomie angelegt und ein Heimbeatmungsgerät organisiert, wodurch eine kontrollierte Beatmung über Nacht (Erholung der Lunge) mit Pause untertags erreicht werden sollte. Parallel dazu wurde mehrmals mit der Tochter des Patienten gesprochen, welche sich wiederholt bereit zeigte, Herrn P. bei sich zu Hause zu betreuen. Allen war klar, dass der Patient zuhause mit großer Wahrscheinlichkeit nur wenige Tage überleben wird können, da sein Zustand zu labil war, um eine Heimbeatmung ohne ständige ärztliche Anwesenheit über längere Zeit erfolgreich durchführen zu können.

Am 28. März wurde im Trachealsekret bzw. im Nasenabstrich MRSA gefunden, weshalb nun ein strenges MRSA-Regime sowie eine AB-Therapie begonnen wurde. Am 2. April konnte Herr P. in hämodynamisch stabilem Zustand von der ICU auf die Überwachungsstation transferiert werden. Mit 17. April konnte das MRSA Regime aufgehoben werden (2 Abstrichserien bakt. neg.) In den letzten 4 – 5 Tagen entwickelte sich eine pseudomembranöse Colitis mit Darmpalalyse und Flüssigkeitsentzug in den 3. Raum – es kommt zu einer Einschränkung und terminal auch zum Versagen der renalen Funktion. Im Bild des Multiorganversagens verstirbt Herr P. am 18. April nach insgesamt 57 Tagen auf der ICU.

Glossar der Abkürzungen

BAntibiotika
BIPAP, CPAPspezielle Formen der nicht-invasiven Beatmung
COPDchronische obstruktive Lungenerkrankung
DADosieraerosol
ICUIntensivstation
KSKlopfschall
LWSLendenwirbelsäule
MRSAein gegen zahlreiche Antibiotika resistenter Erreger
OFOberfeld
p. o.oral
PPIMedikament, das die Magensäureproduktion hemmt
St. p.Status post = Zustand nach
UFUnterfeld
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