Prävention in Vorarlberg

Imago Hominis (2004); 11(2): 117-124
Günter Diem

Zusammenfassung

Der Arbeitskreis für Vorsorge und Sozialmedizin (aks) organisiert seit 40 Jahren präventivmedizinische Programme in Vorarlberg. Mutter-Kind-Pass und Gesundenuntersuchung wurden aus aks-Initiativen abgeleitet. Im Vordergrund steht der niedergelassene Arzt als Distributor dieser Programme. Ziel der Arbeit des aks ist die Erhöhung der Lebensqualität im Sinne einer Rektangulierung der Gesundheitskurve. Mangelnde Ressourcen und vermehrte Forderung nach Wissenschaftlichkeit (Evidence Based Public Health) werden in Zukunft auch Veränderungen im Gesundheitswesen allgemein und der Präventivmedizin im Speziellen mit sich bringen.

Schlüsselwörter: Arbeitskreis für Vorsorge und Sozialmedizin, Gesundheitsförderung, Prävention, Lebensqualität, Rektangulierung, Gesundenuntersuchung, Evidence Based Public Health

Abstract

The Working Group for Preventive and Social Medicine (aks) in the Federal Province of Vorarlberg has been recognizing programs for Preventive Medicine for the past forty years. The Mother and Child Health Certificate and the Preventive Medicine Examination Program were initiated by the Working Group. The general practitioners work on the front line in distributing these programs. The goal of the Working Group is in increasing the Quality of Life in the sense of getting the health curve to be more rectangular. Less funds and the increasing demands of Evidence Based Public Health will bring great changes in Health Policy, in general, and in Preventive Medicine in particular in the near future.

Keywords: Working Group for Preventive and Social Medicine, Health Demands, Prevention, Quality of Life, Rectangular Method, Preventive Medical Examinations, Evidence Based Public Health


 

Am Anfang des Arbeitskreises für Vorsorge und Sozialmedizin (aks) standen zwei öffentliche Gesundheitsprobleme: Polio und Tuberkulose. Nicht die gegenwärtig im Vordergrund stehenden nicht übertragbaren Erkrankungen waren Anlass für eine Initiative der frei praktizierenden Ärzte, sondern Infektionskrankheiten. Mitten in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts war das Land Vorarlberg durch die vergangenen 20 Jahre Vor-, Kriegs- und Nachkriegszeit gegenüber dem reichen Nachbarland Schweiz arg im Rückstand. In dieser Phase des wirtschaftlichen Tiefs wurden alle Ressourcen auf den Wiederaufbau der Wirtschaft und die Behebung der Kriegsschäden fokussiert. Für gesundheitspolitische Fragen hatte niemand Ohren, der Personal- und Ressourcenmangel in der kurativen Medizin machte sich durch überforderte Mediziner und überfordertes Pflegepersonal, durch Mangel an Spitalsbetten, überlastete Hausärzte und Fehlen von diagnostischen Einrichtungen bemerkbar.

Die Inaktivität der öffentlichen Hand beim bedrohlichen Näherkommen der Polioepidemie von 1958 führte zur ersten gemeinsamen Initiative der niedergelassenen Ärzte. Eine breite Durchimpfung der Kinder und Jugendlichen mit SALK-Impfstoff verminderte das Ausmaß der Folgen der Epidemie, die prompt eintraf. Der Impfstoff wurde mangels sonstiger Verfügbarkeit im Ausland besorgt und ohne viel Aufhebens über die Grenze ins Land gebracht (das Wort schmuggeln wird in diesem Zusammenhang nicht gerne gehört). Im folgenden Jahr 1959 wurde eine bis in die Betriebe reichende BCG-Impfaktion durchgeführt, die in der Folge zu einer drastischen Verminderung der Aufnahmezahlen in den TBC-Heilstätten führte.

Diese Erfolge gaben Mut. Aufgaben, die in anderen Ländern von Behörden und Gebietskörperschaften wahrgenommen wurden, konnten durchaus – nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf erfolgreicher wirtschaftlicher Basis – von den Trägern der medizinischen Grundversorgung, der frei praktizierenden Ärzteschaft, durchgeführt werden. Da die Willensbildung offensichtlich vorhanden war, eine Fokussierung der Kompetenzen als wesentlich erkannt wurde und eine subsidiäre, dezentrale Durchführung gewünscht war, folgte nach umfangreicher Vorarbeit die Gründung einer entsprechenden Struktur. 1964 war damit die Geburtsstunde des Arbeitskreises für Vorsorge und Sozialmedizin, eines gemeinnützigen Vereins, gegründet von dem Arzt Dr. Leopold Bischof und dem Landesbeamten Dr. Hermann Girardi.

Im Laufe der folgenden Jahre nahmen die Ärzte in Vorarlberg zunehmend Aufgaben der Präventiv- und Sozialmedizin wahr. Das bedeutete nicht zuletzt auch eine Aufwertung der ärztlichen Tätigkeit durch qualitative und quantitative Erweiterung des Aufgabenfeldes. Die sukzessive Einführung neuer Programme, die größtenteils in den als Fachausschüssen organisierten Gruppen engagierter Mediziner entwickelt worden waren, wurde von einem Betriebsbüro in Administration, Organisation und vor allem Dokumentation begleitet. Sehr früh – und mit heutzutage geradezu primitiv anmutender technischer Infrastruktur – fand die Anfang der 60er-Jahre in starkem Aufwind befindliche elektronische Datenverarbeitung Eingang in den aks. Das Prinzip der Dokumentierbarkeit der Programme und der dadurch möglichen Evaluierbarkeit wurde damit zu einer Grundregel des aks.

Das erste nach Gründung des Vereins eingeführte Programm war 1964 die einheitliche landesweite Schuluntersuchung; einmalig für Österreich war vor allem die EDV-mäßige Erfassung der Befunde. Damit stand erstmals eine epidemiologische Datensammlung als Basis für gesundheitspolitische Maßnahmen zu Verfügung. Es folgte im Jahr darauf bereits die Etablierung eines Programms zur Einladung der Kinder zu den Schutzimpfungen, auch dieses war computerunterstützt. Eine permanente Steigerung der Beteiligungs- und Durchimpfungsraten war die Folge.

In diese Zeit fällt auch die Etablierung der ersten sozialmedizinischen Angebote, eingeleitet von einem Physiotherapieprogramm für Kinder mit cerebralen Bewegungsstörungen. Bis zur heutigen Zeit haben sich daraus die Kinderdienste des aks entwickelt, die einen einzigartigen integrierten, multidisziplinären Zugang zur Behandlung behinderter Kinder darstellen. Flächendeckend und dezentral – entsprechend dem Credo des aks – werden Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Musiktherapie, Früherziehung, heilpädagogische Sprechtage und weiteres angeboten.

Eine weitere Erfolgsgeschichte ist die an der Schwelle der 70er-Jahre eingeführte Schwangerenbetreuung und die kurz darauf ergänzend gestarteten Säuglingsuntersuchungen, die sich bald durch hohe Beteiligungen auszeichneten und zu der Überlegung führten, die beiden Programme zusammenzuführen und in Form eines Passes eine durchgängige Betreuungs- und Befunddokumentation zu etablieren. Dieses Konzept wurde der damaligen Frau Minister für Gesundheit, Prim. Leodolter vorgestellt und schließlich bundesweit 1974 als „Mutter-Kind-Pass“ umgesetzt.

Der Beginn der Entwicklung der Krebsvorsorge in Vorarlberg fällt ins Jahr 1970, als die landesweite Frauenvorsorge zur Verhinderung bzw. Früherkennung von Cervix- und Mammakarzinom eingeführt wurde. Hier spielte vor allem die Überlegung, das entsprechende Gesundheitsbewusstsein aus einer kleinen Gruppe Informierter in die breite Bevölkerung zu tragen, eine wesentliche Rolle. Die Verfügbarkeit dieser Maßnahme sollte nicht in zentralen Ambulatorien oder Ambulanzen, sondern in den Strukturen der medizinischen Primärversorgung, also den Hausarztpraxen, gegeben sein. Damit waren und sind sowohl Fachärzte als auch Hausärzte in der Krebsprophylaxe tätig. Als logische Fortsetzung dieser Bemühungen wurde 1972 ein zunächst als KSK – Krebs-Stoffwechsel-Kreislauf – bezeichnetes Vorsorgeprogramm für Erwachsene eingeführt, das heute als Gesundenuntersuchung eine unschlagbare Plattform für Screeningmaßnahmen einerseits und Gesundheitsförderung andererseits darstellt. In weiterer Folge wird auf das neue Konzept für die Gesundenuntersuchung eingegangen.

In den folgenden Jahren wurden die Angebote des aks laufend erweitert und etablierten ihn als eine unverzichtbare Einrichtung im Vorarlberger Gesundheitssystem.

Betrachtungen über Prävention

Gesundheitsförderung und Prävention sind ein undankbares Geschäft. Sie haben eine kaum berechenbare Vorlaufzeit und bringen im Erfolgsfall neue Probleme mit sich. „Wer erfolgreiche Prävention macht, schießt sich damit selbst ins Bein“ sagte der Schweizer Epidemiologe und Public Health Experte Prof. Rudolf Bruppacher1 auf einer aks-Veranstaltung. Gesundheitsrelevantes Verhalten ist von einer Unzahl an Faktoren bestimmt, deren Beeinflussbarkeit weit jenseits von simpler Aufklärung und Auflistung liegt. Wissen über gesundes Verhalte allein genügt nicht, rationale Mechanismen greifen nur in Ausnahmefällen. Attribute wie „Lebensqualität“ sind wichtig geworden, und werden auch prompt von der Industrie benutzt um Produkte zu vermarkten, die mit Sicherheit krank machen: allen voran Zigaretten und alkoholische Getränke. Rum trinkende Raucher am Palmenstrand mit karibischer Musik gaukeln dem Fernsehzuschauer vor, dass Lebensqualität mit der konsumierten Getränkemarke zusammenhängt.2 Die Beschreibung des Gesundheitszustands hat sich in den letzten Jahrzehnten vor der reinen Beschreibung des Gebrauchswerts („gesund ist, wer arbeiten kann“) zu einer umfassenden Beurteilung individueller Befindlichkeit (sozial, geistig und körperlich) gewandelt. In der kurativen Individualmedizin ist dies auch deutlich wahrnehmbar und man hat nicht zuletzt deshalb auch einen Paradigmenwechsel, aber auch einen Trend zur Mystifizierung mancher Bereiche der Heilkunde akzeptieren müssen. Gleichzeitig reklamieren auch andere, nicht den klassischen medizinischen Professionen zurechenbare Gruppen bisher sicher geglaubte Bereiche der Gesundheit für sich. Kommerzielle Interessen in diesem Zusammenhang sind jedenfalls kein Garant für korrekten und wissenschaftlichen Zugang zu diesen Themen. Allerdings hat gerade der Versuch, vor allem im kurativen, aber auch im präventiven Bereich mehr methodische Sicherheit zu erzeugen – Stichwort EBM oder EB Public Health – zutage gebracht, dass ein großer Teil der medizinischen Rituale nicht auf ihre Wirksamkeit überprüft wurden.3 Zudem sind Bereiche des Gesundheitssystems, die eine klare kommerzielle Zielformulierung ermöglichen oder einen definierten Kundenbegriff haben, von marktwirtschaftlichen Einrichtungen nach deren Gesichtspunkten hervorragend bearbeitet worden. Denken Sie dabei beispielsweise an die Pharmaindustrie und die Vorwürfe von Pseudofolgepräparaten oder die Lebensmittelindustrie und den Trend zum Functional Food oder auch an die Zielgruppenpolitik der Privatversicherer.

Was wollen und können also Vorsorgeprogramme erreichen?

Im Juni 1998 erschien im New England Journal of Medicine (NEJM) eine Arbeit von Vita et. al. über Altern, Gesundheitsrisiken und kumulative Invalidität.4 Vita zeigt auf, dass es drei prädiktive Faktoren für vorzeitige funktionelle Behinderung (premature functional disability) gibt: Rauchen, Body Mass Index und Ausmaß der körperlichen Betätigung, und zwar vor allem zum Zeitpunkt der Adoleszenz und der Lebensmitte. In den Risikogruppen stellt sich der Zeitpunkt des Gesundheitsverlusts mehr als fünf Jahre früher ein. In einem Kommentar des Herausgebers in derselben Ausgabe des NEJM erinnert Campion an einen Artikel von Fries, der bereits 1980 – ebenfalls im NEJM – die These vertreten hatte, dass eine Verschiebung des Zeitpunktes, an dem sich chronische Erkrankungen und Beeinträchtigungen der Gesundheit einstellen, zu einer Verminderung der Gesamtzahl der chronisch und invalidisierend Erkrankten führt.5 Dies schließt ein, dass es eine natürliche, fixierte Lebenserwartung gibt, innerhalb derer eine Rektangulierung der Gesundheitskurve möglich ist, indem die Phase der Morbidität ans Lebensende verschoben und komprimiert wird.

In Abbildung I wurde versucht, dieser Intention grafisch Ausdruck zu verleihen, indem eine hypothetische Kurve mit langsamem Gesundheitsverlust bei zunehmendem Lebensalter einer durch erfolgreiche Maßnahmen der Prävention rektangulierten Kurve gegenübergestellt wurde. Der verführerische Aspekt, durch eine Verkleinerung der Fläche A zu A’ eine drastische Einsparung von Kosten für Behandlung und Rehabilitation zu erzielen, lässt regelmäßig Gesundheitspolitiker und Gesundheitsökonomen hoffen, dies würde zu einer spürbaren Kostensenkung im Gesundheitswesen führen. Leider muss man dagegen halten, dass diese Kompression der Morbidität nicht umsonst zu bekommen ist, dass die vermehrte Zahl der gesunden Alten mit Sicherheit anderen, bis dato nicht relevanten Gesundheitsrisiken unterliegt und dass eben damit eine größere Population an Gesunden entsteht, die dadurch noch mehr Mittel zur Prävention und Gesundheitsförderung benötigt. Hier lassen sich auch schon die Grenzen erahnen, an denen die Schwelle überschritten wird, wo ökonomische Grundsätze durch ethische Fragen aufgeweicht werden. Dass in der kurativen Medizin Interventionen auf bestimmte Altersgruppen beschränkt werden müssen, ist in vielen Ländern akzeptierte Tatsache, dass auch Gesundheitsförderung und präventive Maßnahmen nicht uneingeschränkt allen zugänglich sein werden, müssen wir ebenso realisieren – und damit die beschriebene Vision von einer Gesellschaft mit vorrangig gesunden Alten auch als solche akzeptieren.

Überlegungen zur Gesundenuntersuchung

Immer wieder wird und wurde in letzter Zeit Sinn und Nutzen der Gesundenuntersuchung in Frage gestellt. Der Ruf nach Evaluierung wurde laut, die Sinnhaftigkeit einzelner darin enthaltener Untersuchungen in Frage gestellt. Bei der Forderung nach Evidenz und Evaluierbarkeit wurde jedoch auf eines vergessen: Die Gesundenuntersuchung ist keine einzelne Maßnahme, auf welche solche Kriterien anwendbar wären, sondern ein ganzes Paket an Maßnahmen. Individuelle Untersuchung und Erhebung von Gesundheitsverhalten und damit Vertiefung des Arzt-Patienten-Verhältnisses ist ebenso Bestandteil dieses Pakets wie Screening, Registrierung von Risikoprofilen und die Schaffung eines Settings, das für effiziente Beratung äußerst effektiv ist.

Seit 30 Jahren werden die Gesundenuntersuchungen in Vorarlberg dokumentiert. Die so zustande gekommene – für epidemiologische Begriffe geradezu gigantische – Zahl an Untersuchungen lässt die Ableitung signifikanter Aussagen zu.6,7,8,9

Abbildung II zeigt u. a. auf, dass hohe Gesamtcholesterinspiegel bei postmenopausalen Frauen keine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos bedeutet, anders als bei Männern derselben Altersgruppe (Ergebnisse aus den Gesundenuntersuchungen in Vorarlberg).

Aus Vergleichen mit Bevölkerungsquerschnittsstudien, die in den Jahren 1986, 1991 und 1999 im Rahmen der Beteiligung Vorarlbergs an dem WHO-Programm CINDI (Countrywide Integrated Non Communicable Diseases Intervention) durchgeführt wurden, kann eine Vergleichbarkeit der Gesundenuntersuchungspopulation mit der Gesamtbevölkerung hergestellt werden.10 Ebenso sind Aussagen über das Gesundheits- und Beteiligungsverhalten aus der letzten dieser Surveys möglich: In Vorarlberg gehen in einen Zeitraum von drei Jahren mehr als 50% der Zielgruppe zur Gesundenuntersuchung.

Im Auftrag der Gesundheitsabteilung des Landes Vorarlberg hat der aks 2003 einige grundsätzliche Überlegungen zur Neugestaltung der Gesundenuntersuchung angestellt und ein Konzept „Gesundenuntersuchung neu“ erstellt.11 Hier wurde besonders auf diese spezielle Konzeption des Maßnahmenbündels, als das die Gesundenuntersuchung gesehen wird, eingegangen.

Eine außerordentlich hohe Bedeutung kommt der Anamnese zu. Mit Unterstützung eines – in Vorarlberg bereits länger in Verwendung befindlichen – strukturierten und evaluierbaren Fragebogens gelangt der Arzt zu einer raschen Orientierung und Erkennung spezifischer Problemkonstellationen. Untrennbar mit dieser Befragung des Patienten verbunden ist der direkte Kontakt mit dem Patienten durch eine körperliche Untersuchung – das Prinzip „touch and talk“.

In der weiteren Folge finden nun bereits etablierte Screeningmethoden wie z. B. Blutdruckmessung, Test auf okkultes Blut und Erhebung von biochemischen Parametern Platz. Bei diesem Teil der Gesundenuntersuchung sind Prinzipien der evidence based medicine anzuwenden und alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede zu machen. Entsprechende Vorschläge finden sich im aks-Konzept.

Das Beratungsgespräch am Ende der Untersuchung macht die Gesundenuntersuchung zu einer effizienten Maßnahme der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention mit einem starken edukativen Inhalt und Coaching. Daher wird auch eine alters- und geschlechtsspezifische Dimension eingebracht und die Schwerpunkte in drei altersspezifische Blöcke eingeteilt: Schwerpunkt Motivation bei den 20- bis 40-jährigen, Screening und Coaching bei den 40- bis 65-jährigen und Lebensqualität als zentrales Thema bei den Über-65-jährigen. Angepasst an die individuelle Situation des Probanden kann der Arzt eine entsprechende Lebensplanung erstellen und dabei seine unschlagbar einflussreiche Position in diesem Arzt-Patienten-Verhältnis nutzen.

Visionen

Wie jeder Bereich im Gesundheitswesen unterliegt auch die Prävention und Gesundheitsförderung den Kriterien der Wissenschaftlichkeit. Die Überprüfung etablierter Abläufe unter dem Aspekt der Evaluierbarkeit, die Einführung von Monitoring-Mechanismen und die Schaffung von Evidenzen lassen sich trotz der zu erwartenden Probleme nicht ausklammern.

Und doch: Abseits aller wissenschaftlichen Zugänge beginnen wir zunehmend auch andere Zugänge zu diesen Themen zu akzeptieren.

Die Begriffe Service und Dienstleistung sind mit vielen Bereichen des Gesundheitswesens nicht mehr bloß vereinbar, sondern zum Leitgedanken mutiert. Was die Zukunftsforscher des Konsums wie Mathias Horx12 oder Elliott Ettenberg13 im Verhalten der Menschen voraussehen, lässt sich wenig überraschend auch auf den Konsumenten von Gesundheitsleistungen übertragen:

Sind Ideen wie „Smart Services“ oder „Full-Life-Assistence“ übertragbar? Das Bedürfnis, Portale oder Agenten unseres Vertrauens mit der Lösung alltäglicher Probleme zu betrauen, lässt sich extrapolieren bis zum hochkomplexen Beratungs- und Coachingsystem, wie es Finanzdienstleister in ihrem Bereich bereits anbieten.

„Ich würde jeder Person, die die Schulprobleme der Kinder lösen hilft, mit meinem Lebenspartner und dem Finanzamt streitet, entscheidet, wo wir hinziehen, entscheidet, in welche Aktien wir investieren, wie unsere nächste Wohnung und unsere wesentlichen Stilprägungen aussehen sollen, die sich darum kümmert, dass wir uns gut ernähren, Sport treiben, Erholungspausen einlegen etc., 25 Prozent meines Einkommens geben.“ Ein denkbares Modell in der Medizin, speziell in der präventiven? Wer könnte diese Rolle übernehmen? Wie könnte man sicherstellen, dass die kommerziellen Interessen, die für das Funktionieren eines solchen Systems unabdingbar sind, nicht die Qualität und Wissenschaftlichkeit gefährden? Zweifellos ist dies ein Thema, das in der künftigen Positionierung des Hausarztes ebenso wie anderer medizinischer Professionen von Bedeutung sein wird. Wir sind gut beraten, uns frühzeitig in diese Prozesse einzubringen.

Referenzen

  1. Prof. Rudolph Bruppacher, Mitglied des Wiss. Beirats das aks, Alleeweg 8, CH-4310 Rheinfelden, Referat anlässlich der aks Vollversammlung, Dezember 2002
  2. Friedmann M., Subliminary messages in tobacco and alcohol advertising, Bruxelles 1996
  3. Evidence based medicine, Publikation des Bundesministeriums für Gesundheit, Wien 1999
  4. Vita A. J., Aging health risks and cumulative disability, N Engl J Med (338); 15: 1035-1041
  5. Fries J. F., Aging, natural death, and the compression of morbidity, N Engl J Med (1980); 303:130-135
  6. Ulmer H., Bischof H. P., Concin H., Bachmann J., Zitt K., Huber K., Diem G., Schmeiser-Rieder A., Screening for Cardiovascular Risk Factors in Vorarlberg/Austria. Analysis of Changes between 1985 and 1996, XXth Congress of Cardiology, Vienna, Sept. 1998
  7. Ulmer H., Bischof H. P., Diem G., Huber K., Mostegl D., Concin H., Gesundheitsberichterstattung in Vorarlberg im Rahmen des CINDI-Programmes der WHO: Die Population Surveys 1986, 1991 und 1999, in: Dür W., Pelikan J. (Hrsg.), Gesundheit beobachten. Dokumentation und Berichterstattung als Aufgabe der Gesundheitsförderung, WUV-Verlag, Wien 2000
  8. Ulmer H., Kelleher C., Diem G., Concin H., Long-term tracking of cardiovaskular risk factors among men and women in a large population based health system: The Vorarlberg Health Monitoring and Prevention Programme, Eur Heart J (2003); 24(11)
  9. Ulmer H., Kelleher C., Diem G., Concin H., Why Eve is not Adam: Prospective follow-up in 149,650 women and men of cholesterol and other risk factors related to cardiovascular and all-cause mortality, J Woman’s Health (2004); 13(1)
  10. Diem G. (Hrsg.), aks Gesundheitsberichte, Vol 1. Die Population Surveys, Bregenz 2000
  11. Concin H., Diem G., Gesundenuntersuchung neu, Publikation des aks im Auftrag der Gesundheitsabteilung des Landes Vorarlberg
  12. Matthias Horx, Accent On The Future. Die Zukunftsstudie von Accenture und Matthias Horx, Wien 2002
  13. Elliott Ettenberg, Next Economy – Will You Know Where Your Customers Are?, McGraw Hill 2002

Anschrift des Autors:

Dr. Günter Diem
Med. Geschäftsführer aks GmbH
Rheinstraße 61, A-6900 Bregenz

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