Adulte Stammzellen: Eine berechtigte Hoffnung?

Imago Hominis (2005); 12(2): 95-98
Hannes Strasser

Zusammenfassung

In tierexperimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass mit Hilfe der ultraschallgezielten Injektion von autologen Myoblasten und Fibroblasten die Funktion des Verschlußapparates der Harnröhre verbessert werden kann. Die injizierten Zellen überleben und integrieren sich in das umgebende Gewebe. Die vorliegenden experimentellen Daten und klinischen Behandlungsergebnisse bestätigen, dass diese neue Therapie ein minimal invasives und sehr schonendes Verfahren darstellt. Darüber hinaus konnte auch erstmals der Nachweis erbracht werden, dass mit diesem Therapiekonzept die Harninkontinenz tatsächlich erfolgreich therapiert und geheilt werden kann. 95 von 112 Patientinnen und Patienten waren nach der Therapie kontinent. In den nächsten Jahren wird diese Therapie bei einer größeren Anzahl von Patienten durchgeführt werden. Darüber hinaus werden auch die Langzeitergebnisse laufend kontrolliert und evaluiert werden.

Schlüsselwörter: Myoblasten, adulte Stammzellen, Inkontinenz, Urethra, Rhabdosphinkter

Abstract

Experiments on animals have shown that with the aid of ultrasonography controlled injections of autologous myoblasts and fibroblasts improves the function of the urethral sphincter. The injected cells survived and integrated themselves into the surrounding tissue. The presented experimental and clinical treatment data prove this new therapy to be a minimal invasive and non aggressive procedure. Moreover for the first time ever it could be proven that with this conceptual therapy urine incontinence can be successfully treated and healed. 95 of the 112 patients treated were continent after the therapy. During the next few years an ever greater number of patients will receive this treatment. Moreover the long term results will be controlled and evaluated.

Keywords: myoblasts, adult stem cells, incontinence, urethra, rhabdosphincter


Einleitung

Untersuchungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass Stress-Inkontinenz hauptsächlich auf eine Dysfunktion des Rhabdosphinkters, des quergestreiften Schließmuskels der Harnröhre, zurückzuführen ist. Die Funktionsbeeinträchtigung des Muskels kann dabei einerseits durch die Abnahme der Muskelzellen des Rhabdosphinkters, andererseits aber auch durch Atrophien oder Narben nach Operationen im kleinen Becken oder nach Geburten bedingt sein.

In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass adulte Stammzellen in vielen verschiedenen Geweben des Menschen zu finden sind. Adulte autologe Myoblasten aus Skelettmuskulatur sind in der Lage, wiederum Muskelgewebe zu bilden. Darüber hinaus zeigte sich zuletzt auch, dass autologe Myoblasten, die aus dem Rhabdosphinkter sowie aus der Skelettmuskulatur gewonnen wurden, keine Unterschiede aufweisen.

Präklinische und klinische Studien

Bei 8 weiblichen Schweinen wurde eine Skelettmuskel-Biopsie entnommen. Es wurden dann autologe Myoblasten und Fibroblasten gezüchtet. Diese wurden zunächst mittels Fluoreszenzfarbstoff markiert und in weiterer Folge ultraschallgezielt in die Harnröhre bzw. den Rhabdosphinkter injiziert. Prae- und postoperativ wurden die Harnröhrenverschlussdrücke bis zu 10 Wochen nach der Injektion der Zellen gemessen. Außerdem wurde bei allen Schweinen die Harnröhre und der Rhabdosphinkter entnommen und histologisch untersucht.

Nach der Zustimmung durch den Arzneimittelbeirat des Bundesministeriums für Gesundheit und die Ethikkommission der Universität Innsbruck wurden im September 2002 die klinischen Studien begonnen. Bislang wurden 112 Patientinnen und Patienten (77 Frauen, 35 Männer) behandelt (Alter: 36 – 85 Jahre) und postoperativ untersucht. Bei allen Patientinnen und Patienten bestand eine Stress-Inkontinenz oder gemischte Harninkontinenz, wobei die Stress-Komponente überwog.

Nach entsprechender Abklärung wurde am Oberarm der Patienten in Lokalanästhesie eine kleine Muskelbiopsie entnommen. Diese wurde dann in ein entsprechendes Hochreinraum- (GMP-)Labor gebracht. Dort wurden dann aus dieser Muskelbiopsie autologe Myo-blasten- und Fibroblastenkulturen gezüchtet. Nach Erreichen der entsprechenden Zellzahlen wurden die Zellen in den OP transportiert. Die Fibroblasten wurden zuvor mit 2 bis 2,5 ml Kollagen als Trägermaterial vermischt, um nach der Injektion ein rasches Auswandern der Fibroblasten zu verhindern.

Die Zellen wurden transurethral unter Ultraschallkontrolle, aufgeteilt auf zahlreiche kleine Depots, injiziert. Mit Hilfe eines speziellen, neu entwickelten Injektionsgerätes wurden die Fibroblasten in die Submucosa der Harnröhre injiziert, um Atrophien der Urethral-Schleimhaut zu behandeln. Die Myoblasten wurden in den Rhabdosphinkter appliziert, um Defekte zu therapieren und den Muskel zu rekonstruieren.

Nach der Injektion wurde bei den Patienten über 3 – 4 Wochen ein gezieltes Sphinktertraining sowie eine transrektale bzw. transvaginale Elektrostimulation durchgeführt, um das Anwachsen und die Integration der Zellen entsprechend zu unterstützen.

Experimentelle Resultate

Die gezüchteten Myoblasten wiesen typische Na+- und Ca2+-Kanäle auf, die mittels patch-clamp-Technik bei allen Myoblasten-Kulturen zur Qualitätssicherung bestimmt wurden. Die transurethrale ultraschallgezielte Injektion der Myoblasten in den Rhabdosphinkter und der Fibroblasten in die Urethra konnte bei allen Schweinen problemlos durchgeführt werden. Die histologische Untersuchung der entnommenen Harnröhren ergab, dass die injizierten Zellen überlebt hatten. Es zeigte sich außerdem, dass die Myoblasten neue Muskelfasern gebildet hatten (Abbildung I). Bei der Messung der Urethra-Druck-Profile zeigte sich, dass die Harnröhrenverschlussdrücke postoperativ deutlich angestiegen waren.

Klinische Resultate

Die Muskelbiopsie sowie die Züchtung der Zellen konnten bei allen Patienten ohne Probleme und ohne Komplikationen durchgeführt werden (Abbildung II). Es traten keine Infektionen oder Wundheilungsstörungen auf. Die transurethrale ultraschallgezielte Applikation der Zellen verlief ebenfalls ohne Komplikationen. Sowohl die Harnröhre als auch der Rhabdosphinkter konnten sonographisch in allen Fällen gut dargestellt und die Zellen sehr genau appliziert werden. Intraoperativ traten keine Komplikationen auf. Auch postoperativ kam es zu keinen Blutungen oder Infektionen. Es wurde intraoperativ kein Dauerkatheter gelegt. Postoperativ kam es zu keinen Miktionsstörungen.

Es kam bei allen bisher untersuchten Patienten postoperativ zu einer Verbesserung der Inkontinenz, wobei bei 95 Patienten die Inkontinenz komplett geheilt werden konnte. Diese Patienten benötigen im täglichen Leben keine Einlagen mehr. Die Lebensqualität der Patienten war nach der Therapie deutlich verbessert. In den bisher durchgeführten urodynamischen Untersuchungen nach der Therapie zeigte sich, dass es zu einem Anstieg der maximalen Harnröhrenverschlussdrücke kam. Außerdem konnte in den Druck-Fluss-Kurven gezeigt werden, dass durch die Injektionen keinerlei Obstruktion entstand. Es kam daher auch nicht zu einem Anstieg der Restharnmengen nach Miktion.

In der transurethralen sowie in der transrektalen/transvaginalen 3D-Sonographie zeigte sich, dass durch die injizierten Fibroblasten die Wand-Dicke der Urethra postoperativ angestiegen war. Postoperativ waren keine Vernarbungen, Abszessbildungen oder Entzündungsreaktionen nachweisbar. Nach der Therapie waren sowohl die Dicke des Rhabdosphinkters als auch dessen Kontraktilität deutlich und statistisch signifikant erhöht. Bislang kam es postoperativ zu keinem Auftreten von Komplikationen. Der postoperative Verlauf war bei allen Patienten unauffällig, es traten bisher keine Drangbeschwerden oder Schmerzen auf. Die Bestimmung der Entzündungsparameter ergab, dass postoperativ keine Entzündungsreaktionen zu beobachten waren.

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Hannes Strasser, Universitätsklinik für Urologie
Medizinische Universität Innsbruck
Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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