Argumente zur Präimplantationsdiagnostik

Imago Hominis (2005); 12(2): 129-132
Heinz Trompisch

Versuch einer Definition

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) untersucht in vitro erzeugte Embryonen auf eine genetisch bedingte Krankheit oder Behinderung. Ziel ist es, für eine Schwangerschaft nur diejenigen Embryonen zu verwenden, die als „gesund“ definiert sind. Die PID ist gegenwärtig in Österreich noch verboten. Ihre Zulassung würde das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz durchbrechen, weil für die Genanalyse Zellen verbraucht werden, die alle geeignet sind, zu einem vollständigen Individuum heranzuwachsen.

Es stellt sich die generelle Frage, ob die PID nicht einen Verstoß gegen Artikel 7a B-VG (Bundesverfassungsgesetz) bedeutet: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“.

Standpunkte von Gegnern und Befürwortern

In der Diskussion steht die Frage nach dem moralischen und rechtlichen Status des Embryos im Mittelpunkt. Während einerseits am grundsätzlichen Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis an festgehalten wird und unter Berufung auf die Menschenwürde die Selektion abgelehnt wird, verweisen die Befürworter der PID auf einen ihrer Auffassung nach bestehenden Widerspruch: Der Embryo sei in vitro rechtlich besser geschützt als in der Gebärmutter der Frau. Schließlich stelle der § 97 StGB (Eugenische Indikation) den Schwangerschaftsabbruch straffrei, wenn die Frau die Belastung durch ein krankes oder behindertes Kind nicht auf sich nehmen will oder kann.

Argumente

Die PID ist keine Alternative zur Pränataldiagnostik

Von ärztlicher Seite wird die PID immer wieder als Alternative zur Pränataldiagnostik für „Risikopaare" in Diskussion gebracht. Damit sind Paare gemeint, die bereits ein Kind mit einer bestimmten genetisch bedingten Krankheit oder Behinderung haben und die statistisch ein Wiederholungsrisiko von 25 bis 50 % für jedes weitere gemeinsame Kind tragen.

Die Befürworter der PID wenden ein, mit dieser Methode stünde es dem Paar frei, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Es sei aber für die Frau weniger belastend, weil ein Schwangerschaftsabbruch vermieden werde. Die Belastungen der Frau durch die PID sind jedoch enorm; es bedeutet nämlich, dass eine Frau, die auch auf natürlichem Weg schwanger werden könnte, sich einer In-vitro-Fertilisation (IVF) unterziehen muss.

Die Chance, dass eine IVF bzw. ICSI (Verfahren, bei dem die Samenzellen einzeln in die Eizellen geschleust werden) tatsächlich zur Geburt eines Kindes führt, liegt bei der Unfruchtbarkeitsbehandlung nur bei 13,6% für IVF bzw. 15,1% für ICSI.

Die hohe Rate an Mehrlingsschwangerschaften (23,3% Zwillings- und 3,3% Drillingsgeburten) nach IVF führt zu vermehrten Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sowie zu Frühgeburten.

Die PID ist auch relativ unzuverlässig. Die Angaben zur Fehleranfälligkeit schwanken zwischen 7-36 %. Die European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) empfiehlt immer nach einer PID zur Kontrolle eine Pränataldiagnose (PND). Beide Methoden sind psychisch und körperlich hoch belastend für die Frau.

Kinderlosigkeit ist keine Krankheit

Die Schwangerschaft ist eine einzigartige leibliche Fürsorgebeziehung der Frau mit ihrem heranwachsenden Kind. Im Gegensatz zu allen anderen Fürsorgebeziehungen kann sie von keinem anderen Menschen ersetzt werden.

Elternschaft ist eine Beziehung zwischen potentiell freien Menschen. Es gibt ganz unbestritten ein Recht darauf, am Eingehen familiärer Beziehungen nicht gehindert zu werden. Heirats- und Fortpflanzungsverbote sind klar als Unrecht zu beurteilen. Es gibt jedoch kein Recht auf institutionelle Unterstützung zur Herbeiführung von familiären Beziehungen. Im Fall des Adoptionsrechts können Eltern kein Recht auf ein eigenes Kind geltend machen. Im Mittelpunkt steht hier allein das Wohlergehen des Kindes. Ein Anspruchsrecht auf ein eigenes Kind gibt es also nicht, auch wenn dem Kinderwunsch von Paaren eine hohe Priorität beigemessen wird. Das gilt zunächst auch für die Fortpflanzungsmedizin. Darüber hinaus müsste jedoch für die PID ein Recht auf ein gesundes Kind geltend gemacht werden können: Das zukünftige Kind hat das Recht, nicht geschädigt zu werden. Die Eltern aber haben kein Recht darauf, dass mit fortpflanzungsmedizinischen Maßnahmen eine Schwangerschaft mit einem nicht „geschädigten“ Embryo herbeigeführt wird. Ein solches Recht könnte außerdem schon deshalb nicht eingelöst werden, weil die meisten Behinderungen von Kindern nicht genetisch bedingt sind, sondern während der Schwangerschaft, der Geburt oder danach entstehen. Dazu kommt, dass bei der IVF und damit auch bei der PID durch die hohe Mehrlingsrate das Risiko einer Schädigung durch Schwangerschafts- und Geburtenkomplikationen sogar noch höher ist.

Es besteht kein Bewertungswiderspruch zwischen PND und PID

In der Diskussion wird immer wieder ein Bewertungswiderspruch geortet, weil ein Schwangerschaftsabbruch nach PND zulässig ist, nicht jedoch die PID. Paare, die ein hohes Risiko tragen, ein behindertes Kind zu bekommen, würden quasi genötigt, eine Schwangerschaft einzugehen, um sie dann nach einer PND gegebenenfalls abzubrechen.

Mit dieser Argumentation wird stillschweigend unterstellt, dass die Praxis der PND ethisch unproblematisch sei und dass die Entscheidungssituation bei PND und PID vergleichbar wäre. Beides ist nicht der Fall. Als die PND etabliert wurde, geschah dies mit der Begründung, dass sie in erster Linie dazu diene, Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden.

Wenn Frauen schwanger würden, die ein hohes Risiko für ein behindertes Kind tragen, würden sie die Schwangerschaft häufig aus Angst vor der auf sie zukommenden Belastung abbrechen. Mit Hilfe der PND wären viele Schwangerschaftsabbrüche so vermeidbar.

Folgt man dem oben genannten „Nötigungsargument“ scheint sich die Praxis etabliert zu haben, in der „Risikopaare" von Ärzten dahingehend beraten werden, Schwangerschaften gezielt auf Probe einzugehen, um sie gegebenenfalls nach einer PND abzubrechen. Wenn dies zutrifft, sollte das in erster Linie Anlass für eine ethische Überprüfung der Praxis der PND, nicht aber für die Legitimierung der PID sein.

Bei der PID liegt zum Zeitpunkt der Entscheidung eine vollkommen andere Situation vor, die für die ethische Bewertung von entscheidender Bedeutung ist. Die Entscheidung über die Inanspruchnahme der PID und damit über die Selektion von Embryonen findet zu einem Zeitpunkt statt, in dem die Frau nicht schwanger ist. Die körperliche Integrität der Frau ist anders als im Fall des Schwangerschaftskonflikts bei der PID unberührt. Es besteht keine unausweichliche Konfliktsituation. Das Paar hat Handlungsalternativen, wie den Verzicht auf Kinder, ein Kind zur Pflege zu nehmen oder zu adoptieren. Die PID kann nicht mit der Lösung eines Konfliktes legitimiert werden, der erst durch ihre Anwendung eintritt!

Die PID ist mit dem ärztlichen Heilauftrag nicht zu vereinbaren

Der ärztliche Auftrag umfasst die Prävention und Heilung von Leiden im Dienste einzelner Patienten. Die PID würde dieses Selbstverständnis nachhaltig verändern.

Durch die notwendige IVF ist die PID mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden (erhöhte Rate von Mehrlingsschwangerschaften, Schwangerschafts- und Geburtenkomplikationen, die nicht nur die Mutter betreffen, sondern auch ihr/e zukünftiges/n Kind/er).

Aufgabe des Arztes ist es, gesundheitliche Schäden für die Mutter und ihr Kind abzuwenden. Dazu gehört auch die therapeutische Betreuung eines kranken oder behinderten Kindes. Die Verhinderung der Existenz eines kranken oder behinderten Kindes ist keine legitime ärztliche Aufgabe. Genau das ist aber das Ziel der PID:

Die Genanalyse dient bei der PID nicht therapeutischen Zwecken, sondern ausschließlich der Selektion.

Mit der PID würden neue Entscheidungszwänge für werdende Eltern entstehen

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen individuellen Entscheidungen werdender Eltern gegen ein krankes oder behindertes Kind und gesellschaftlichen Zuschreibungen, ob ein Leben lebenswert oder lebensunwert ist. Die Erfahrungen mit der PND zeigen, dass individuelle Entscheidungen zu ihrer Inanspruchnahme gesellschaftliche „Lebenswertzuschreibungen“ ausdrücken und auch sogar unter direktem Druck des sozialen Umfelds zustande kommen. Gleichzeitig wirken derartige individuelle Entscheidungen auf die Entwicklung gesellschaftlicher Wertvorstellungen zurück. Dieses Phänomen wird häufig als „freiwillige Eugenik“ bezeichnet. Durch die PID entstehen für Eltern neue Handlungsspielräume, aber auch neue Handlungszwänge.

Im Gegensatz zur PND bringt die PID eine neue Qualität der Selektion von Embryonen mit sich. Während durch die PND das Schicksal eines bestimmten Fötus zur Disposition steht, ermöglicht die PID, unter mehreren Embryonen diejenigen auszuwählen, mit denen eine Schwangerschaft herbeigeführt werden soll. Mit zunehmendem Wissen um genetische Veranlagungen können diejenigen ausgewählt werden, die den Vorstellungen der Eltern am ehesten entsprechen. Erstmals wäre eine positive Eugenik effektiv möglich. Der Perfektionsdruck auf werdende Eltern, was ihr Kind betrifft, könnte durch die PID eine neue Qualität bekommen.

Und nicht zuletzt wurde auch das elterliche Selbstbestimmungsrecht erweitert: Ihm wohnt nun der Anspruch inne, aufgrund festgestellter Dispositionen über das Leben des Embryos zu entscheiden: Wie weit darf ein solches Selbstbestimmungsrecht reichen?

Die Zulassung der PID würde die tendenzielle Behindertenfeindlichkeit in der Gesellschaft weiter fördern

Die Verlängerung gesellschaftlicher Wertvorstellungen durch eine neue Qualität von „Lebenswertentscheidungen“ im Fall der Etablierung von PID birgt die Gefahr, diskriminierende Tendenzen gegenüber chronisch Kranken und Behinderten in der Gesellschaft zu verstärken.

Nicht die individuelle Entscheidung eines Paares ist der diskriminierende Akt. Es ist der gesellschaftliche Wertewandel im Zusammenspiel vieler individueller Entscheidungen, der zu einer noch behindertenfeindlicheren Gesellschaft führen kann. Es ist zu befürchten, dass dies zur gesellschaftlichen Legitimierung einer zunehmenden Diskriminierung, Stigmatisierung und Entsolidarisierung mit chronisch Kranken, Behinderten und deren Familien führt.

Die PID könnte den Weg zur verbrauchenden Embryonenforschung ebnen

Mit der PID werden gezielt „überzählige“ Embryonen im Labor erzeugt. Zumindest blieben die Embryonen übrig, die einen genetischen Defekt tragen. Dies wird mit Sicherheit das Interesse der Forscher wecken (Stichwort: Keimbahneingriffe). Durch die PID würde die moralische Schwelle für verbrauchende Embryonenforschung und für Keimbahneingriffe sinken.

PID und die Biomedizinkonvention des Europarates

Artikel 12 der Konvention hält fest, dass „Untersuchungen, die eine genetisch bedingte Krankheit vorhersagen ...nur für Gesundheitszwecke oder für gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung ... vorgenommen werden.“ Es ist fraglich, ob dieser Artikel genügend Schutz gegen den eugenischen Missbrauch der PID bietet.

Gesellschaftliche Bewertung der PID

Die Gefahr ist groß, dass durch die Zulassung der Selektion im embryonalen Stadium, wie sie durch die PID geschieht, der Abwertung behinderten Lebens weiter Vorschub geleistet wird. Eltern behinderter Kinder werden in Zukunft verstärkt unter den Druck der Frage geraten, warum sie sich gegen eine präventive Diagnostik bzw. für das „Risiko“ der Geburt eines behinderten Kindes entschieden haben. Aus diesem Grund wird die PID durch die Interessenverbände behinderter Menschen abgelehnt.

Anschrift des Autors:

Dr. Heinz Trompisch
Lebenshilfe Österreich
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Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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