Editorial

Imago Hominis (2016); 23(2/3): 071-073
Susanne Kummer

Der Umgang mit schwer demenzkranken Menschen stellt betreuende Angehörige und auch professionelle Pflegepersonen vor große Herausforderungen. Menschen mit Demenz leben in einer anderen Welt: Sie denken mit einer anderen Logik, sehen die gleichen Dinge wie wir, doch ihre Welt ist anders, oft sind sie emotional unberechenbar.

Kommunikation spielt in der Pflegebeziehung mit Demenzkranken eine besondere Rolle. Sie bestimmt die Art der Begegnung und Beziehung: Die Qualität des Betreuungsprozesses hängt vom Gelingen einer guten Kommunikation ab, ebenso die Lebensqualität der Patienten und ihrer Angehörigen.
Gerade darin liegt die Herausforderung. Denn bei Menschen mit Demenz wird die Kommunikation mit Fortschreiten der degenerativen Erkrankung immer schwieriger. Die Betreuer – Angehörige oder professionell Pflegende – müssen lernen, auf den Demenzkranken wertschätzend einzugehen, zwischen seiner fremden Welt und der eigenen Welt permanent zu pendeln. Dies erfordert eine ausgeprägte kommunikative und emotionale Kompetenz. Das Erlernen von speziellen Kommunikationstechniken, auch nonverbaler Kommunikation, unterstützt diesen Prozess, z. B. die Validation nach Naomi Feil.

Um diese Kommunikationstechniken richtig anzuwenden, braucht es eine hohe Bereitschaft der Betreuenden, an sich selbst zu arbeiten. Sie sind persönlich gefordert, wach zu beobachten, aktiv zuzuhören, sich in Geduld zu üben, eine hohe Empathie zu entwickeln, feinfühlig Bedürfnisse zu erspüren und zur rechten Zeit zu erfüllen u. v. m.

Schon an dieser kurzen Aufzählung lässt sich unschwer erkennen, dass die kommunikative Kompetenz eine tiefe ethische Dimension hat: die Anforderung, den an Demenz erkrankten Menschen immer als vollwertige Person, als Subjekt zu behandeln.

Die Gefahr für die professionelle Pflege, aber auch für die Angehörigen liegt in der Routine, im Abstumpfen, einer Art Resignation, die den Demenzkranken schließlich nur mehr als Objekt behandelt und ihn nicht mehr als Menschen wahrnimmt. Dies wäre ein schwerer Verstoß gegen die Würde der Person.

Für die Angehörigen bedeutet die Diagnose Demenz einen Schock. Sie wollen meistens zunächst den demenzkranken Angehörigen im Familienverband belassen und selbst betreuen. Dies erfordert beträchtliche Umstellungen, denn Demenzkranke fügen sich nicht einfach in ein vorhandenes System ein. Durch die Demenz eines Familienmitglieds verändert sich das Beziehungsgefüge in der Familie. Obwohl der Mensch mit Demenz derselbe Mensch bleibt, verändert die psychische Erkrankung seine Verhaltensmuster radikal, sie zwingt zur Umstellung der eingespielten Rollenverteilung. Der Demenzkranke selbst wird auch von den Familienmitgliedern anders wahrgenommen als vorher. In gewisser Weise bewirkt die Demenz einen Bruch in der Lebensgeschichte der Familie. Dies zu bewältigen, erfordert eine starke ethische Gesinnung der Angehörigen. Nur diese kann oft verhindern, dass die Persönlichkeitsveränderungen der dementen Person zu einem Entfremdungsprozess führen, der bei den betreuenden Angehörigen wie ein Sterben auf Raten emotional äußerst belastend wirkt und deren Gesundheit gefährdet.

Im nun zweiten vorliegenden Band von Imago Hominis mit dem Schwerpunkt „Ethische Herausforderung der Demenz“, der aufgrund der Fülle der Beiträge als Doppelnummer erscheint, widmen sich die Autoren verschiedener Fachrichtungen dieser Thematik.

Martina Schmidl (Wien) hebt in ihrem Beitrag die Bedeutung der Ethik hervor, die bis in die unzähligen „kleinen“ Entscheidungen und Details des medizinisch-pflegerischen Alltags reicht. Sie zu beachten ist wesentlich für einen fürsorglichen und vertrauensvollen Kontakt zu demenzkranken Menschen. Die ethische Gesinnung sollte auch von Zeit zu Zeit dazu führen, dass die Pflegeperson die Ruhe sucht, um mit Mut und Wahrhaftigkeit darüber nachzudenken, ob sie noch zum „Wohle der Patienten“ handelt und entscheidet.

Angelika Feichtner (Salzburg/Klagenfurt) analysiert die besonderen Schwierigkeiten des Schmerzmanagements bei Menschen mit Demenz. Diese können aufgrund der eingeschränkten Kommunikation ihre Schmerzen nur schwer mitteilen, deshalb werden spezielle Assessment-Instrumente empfohlen. Technische Instrumente sind aber nicht alles. Es bedarf einer empathischen Grundhaltung der Betreuenden, mitfühlende Anteilnahme, intensive Zuwendung und auch geeignete strukturelle Rahmenbedingungen.

Karin Böck und Gabriela Hackl (Wien) zeigen in ihrem gemeinsamen Beitrag strukturelle Rahmenbedingungen, Denkmodelle und Pflegekonzepte auf, die einen bedarfsgerechten Zugang in der Pflege und Betreuung sterbender, dementer Menschen ermöglichen. Entlang von Praxisbeispielen werden Qualitäten beschrieben, die helfen, Bedürfnisse zu erfassen. Dass Gewalt als Menschenrechtsverletzung auch ein Problem in der Pflege sein kann, bleibt meist bei der Betreuung von Demenzkranken verborgen. Monique Weissenberger-Leduc (Wien) unternimmt den Versuch, Gewalt im Sinne einer persönlich, strukturell oder kulturell verursachten, aber vermeidbaren Beeinträchtigung menschlicher Grundbedürfnisse in die vier biomedizinischen Prinzipien einzubetten.

Gunvor Sramek (Wien) präsentiert eine Kommunikationsmethode für Betreuer von Menschen mit Demenz, die auf Naomi Feil zurückgeht und unter dem Namen Validation bekannt ist. Validation hat sich als eine tragfähige Brücke zwischen zwei ganz grundverschiedenen inneren Welten erwiesen, die in der Pflege der demenzerkrankten Menschen heute unverzichtbar ist. Antonia Croy (Wien) thematisiert die Frage, welche Bedürfnisse Angehörige in der Betreuung von nahen Verwandten im eigenen Zuhause haben und welche Hilfsangebote es in Österreich gibt. Die größte Belastung stellen die häufig auftretenden Verhaltensänderungen dar, die die Betreuer oft bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit führen. Daher sei es für Angehörige von entscheidender Bedeutung, bereits frühzeitig Hilfe und Unterstützung zu erhalten.

Michael Isfort (Köln) analysiert die Problematik der Versorgung von Menschen mit der Nebendiagnose Demenz im Krankenhaus. Für sie stellt ein Spital einen ver-rückten Ort dar, sie fallen aus dem Rahmen der standardisierten Prozesse. Anhand von Praxisbeispielen und Evaluationen aus unterschiedlichen Projekten zeigt Isfort auf, dass eine demenzsensible medizinische und pflegerische Betreuung dieser Menschen auch unter den bestehenden Rahmenbedingungen möglich ist. Enrique Prat (Wien) bringt die Perspektive der Tugendethik in der Beziehung zwischen Pflegepersonen oder selbstpflegenden Angehörigen und Menschen mit Demenz ein. Ethik will vor allem gelebt sein, sie ist eine praktische Wissenschaft. Mit ethischem Wissen allein lässt sich das Gute nicht tun. Die ethische Kompetenz besteht deshalb nicht nur aus persönlichem ethischem Wissen, sondern vor allem im persönlichen Umsetzungsvermögen dieses Wissens, also in dem, was klassisch Tugend genannt wird. Prat entwirft in seinem Beitrag ein Tugendprofil für Betreuer von Menschen mit Demenz.

Institut für Medizinische
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