Die EU-Kommission will Embryonenforschung fördern

Imago Hominis (2003); 10(3): 148-149
Notburga Auner

Die Sommer-Debatten innerhalb der EU sind traditionellerweise heiß. Wurde im Vorjahr die Diskussion rund um die Bedingungen des 6. Forschungsrahmenprogramms der EU mit der brisanten Frage, ob embryonenverbrauchende Experimente auch gefördert werden sollten, durch ein Moratorium vertagt, so kann sich die Kommission im Sommer 2003 nicht mehr um eine Entscheidung drücken. Am 9. Juli 2003 – mit einer Woche Verspätung – ist diese dann auch gefallen: Das Kollegium der EU-Kommissare hatte sich nach heftigen Auseinandersetzungen darauf geeinigt, Forschung an menschlichen Embryonen zur Gewinnung von humanen embryonalen Stammzellen (ES) aus EU-Mitteln zu unterstützen. Dieser Vorschlag gilt als Empfehlung für den Ministerrat, der noch vor Jahresende eine unveränderte oder aber abgewandelte Entscheidung treffen muss.

Die Empfehlung hat aus mehreren Gründen heftige Reaktionen hervorgerufen. In der Folge soll geklärt werden, warum die Situation absolut überdenkenswert ist.

1. Forschung an menschlichen Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen wird in den verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich bewertet. In 5 Ländern dürfen Embryonen aus der künstlichen Befruchtung, die nicht benötigt werden, verwendet werden (Finnland, Griechenland, Großbritannien, Niederlande, Schweden). In anderen Ländern ist diese Vorgangsweise ausdrücklich verboten
(z. B. Deutschland, Österreich, Irland, Italien, Portugal). In Belgien, Italien und Luxemburg fehlen noch spezifische Vorschriften, die parlamentarische Diskussion ist allerdings im Gange. Würde jetzt die Empfehlung angenommen, müsste man jenen Ländern, in denen Embryonenverbrauch verboten ist, zumuten, jene Forschung gezwungenermaßen zu fördern, die im eigenen Territorium untersagt ist. Eine derartige Situation würde prinzipiell der Rechtsstaatlichkeit der EU-Mitglieder widersprechen.

2. Die Kommissare haben – in Anlehnung an die bundesdeutsche Regelung – einen Stichtag vorgeschlagen. Embryonen, die vor dem 27. Juli 2002 erzeugt wurden, dürfen zur Stammzellengewinnung herangezogen werden, vorausgesetzt, die Eltern sind einverstanden. Dabei geht es nicht wie bei der deutschen Lösung um bereits vorhandene Stammzellen-Linien, sondern um Embryonen auf der Ersatzbank, die ohnehin dem Verderben ausgesetzt sind, weil sie übrig geblieben nicht mehr zum Austragen im Mutterleib destiniert sind. Diese Stichtagregelung ist aber eine Täuschung und keineswegs ein Zugeständnis an die Kritiker der embryonenverbrauchenden Forschung. Der gravierende Unterschied besteht darin, dass es sich im einen Fall um vorhandene Stammzellen-Linien handelt. Sie stammen aus Embryonen, die zum Zeitpunkt des Gesetzesentscheides bereits nicht mehr existent waren. Das Gesetz fördert in diesem Fall keine zusätzlichen Tötungen von Embryonen. Im anderen Fall werden menschliche Embryonen zerstört. Wie sehr dieses Vorgehen einer inakzeptablen Instrumentalisierung von Menschen gleichkommt, kann weder das Sprechen von „menschlichem Leben“ im Gegensatz zum „Leben eines Menschen“, noch der oft zitierte Hinweis, dass jene Embryonen ohnehin nur mehr verworfen würden, abtun. Menschliches Leben soll gegen Forschungsfreiheit abgewogen werden. Wer würde einem solchen Vorschlag zustimmen, ginge es um sein eigenes Leben oder das seiner nächsten Verwandten?

3. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist derzeit der hochgespielte Hoffnungsträger der westlichen Gesellschaft. War es noch vor wenigen Jahren die Gentherapie, so hat sich das Blatt heute zugunsten der embryonalen Stammzellen gewandelt. Man erwartet sich medizinisch gesehen alles: Heilungen und Verjüngungen, Organersatz und die Beherrschung unbeherrschbarer Krankheiten sollen mit Hilfe der embryonalen Stammzellen in ferner Zukunft gelingen. Ernstzunehmende Forscher sind immer wieder bemüht, die Erwartungen der Gesellschaft (von den Medien geschürt) auf den Boden der Realität zurückzuführen. Dass sich die Forschung absolut noch im Grundlagenbereich bewegt, ist bereits dem Laien einsichtig. Warum sollten daher die Mittel der EU nicht in Forschungsbereiche investiert werden, die „sicher" sind und deren Ergebnisse rascher anwendbar sind, als die der Stammzellenforschung? Heute lässt sich nicht absehen, ob dieser Forschungszweig wirklich alle Erwartungen wird erfüllen können.

4. Von wissenschaftlicher Seite her gibt es selbst unter Befürwortern der embryonalen Stammzellenforschung Skepsis oder Ablehnung bezüglich einer ungerichteten, wahllosen Herstellung von embryonalen Stammzellen (gleichbedeutend mit Zerstörung von in vitro fertilisierten Embryonen). Forschung bedarf klarer Konzepte und muss gezielten Fragestellungen nachgehen. Es besteht momentan kein dringender Bedarf an neuen embryonalen Stammzellen-Linien und es muss hinterfragt werden, warum die Herstellung neuer Linien unter diesen Voraussetzungen unbedingt gefördert werden sollte.

5. Die Medienberichte lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die Meinungen der embryonenverbrauchenden Forschung weit auseinander gehen. Befürworter und Gegner halten sich in etwa die Waage. Es kann nicht behauptet werden, dass die große Mehrheit für embryonale Forschung eintrete. Ganz im Gegenteil, im April 2003 stimmten 50% der Abgeordneten für ein strafrechtliches Verbot embryonenverbrauchender Forschung in der EU, was bei Stimmengleichheit (ebenso viele Abgeordnete waren dagegen) nicht zu einem entsprechenden Gesetz führte. Die Fakten allein sprechen für sich. Selbst in den USA wurde liberal, aber dem Stand der Wirtschaft entsprechend, eine nur sehr eingeschränkte Forschung mit embryonalen Stammzellen zugelassen. Die oft angeführten Argumente der Ethik des Heilens sind inkonsistent. Bereits existierendes Menschenleben soll geopfert werden, damit vielleicht in Zukunft anderes Menschenleben gerettet werden kann. Wer so argumentiert, vergisst den Wert der Individualität und den Wert des bereits Seienden, und opfert diese Werte einem noch nicht existierenden, unbekannten Kollektiv, das möglicherweise auch nie sein wird. Diese Argumente dürften nicht so stark ins Gewicht fallen, um eine dermaßen strittige Frage zu lösen.

Der Ministerrat hat zu entscheiden, eine Änderung herbeizuführen, da keine triftigen Gründe für einen wahllosen Embryonenverbrauch sprechen. Deutschland, Italien, Irland, Portugal und Österreich sind aufgrund ihrer nationalen Gesetzgebungen bestens dazu in der Lage, eine Verbesserung der Empfehlungen herbeizuführen und auch durchzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass eine Lösung gefunden wird, die am gemeinsamen Europa nicht zweifeln lässt.

Anschrift der Autorin:

Dr. Notburga Auner, Imabe-Institut
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Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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