Überlegungen zur Richtline des Europäischen Parlaments und des EU-Rates über den rechtlichen Schutz biotechnischer Erfindungen

Imago Hominis (1997); 4(4): 235-237
Anton Salesny

Vorbemerkungen:

  1. Die vorliegende Materie ist bereits Gegenstand von Diskussionen seit über 10 Jahren im Europäischen Parlament (EP), dem Zusammenschluß von 15 europäischen Staaten.
  2. Am 1. März 1995 lehnte das EP den 1. Entwurf für eine Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen ab.
  3. Der am 15.7.1997 in der 1. Lesung des EP diskutierte und korrigierte neue Richtlinienvorschlag wurde bei der Abstimmung am 16.7.1997 mit einer qualifizierten Mehrheit angenommen.
    Abstimmungsergebnis:
    378 dafür
    113 dagegen
      19 Enthaltungen
  4. Für diese Richtlinie sind 3 Lesungen im EP vorgesehen, wobei das EP das Mitentscheidungsrecht besitzt. Da nach der 1. Lesung der korrigierte Richtlinien-Entwurf mit 378 Stimmen angenommen wurde und die EU-Kommission die Übernahme des korrigierten Entwurfes zusagte, darf man annehmen, daß dieser angenommene Text der endgültigen Richtlinie entsprechen wird.
  5. Die vorliegende Thematik sei jedoch nicht zu verwechseln mit der „Menschenrechtskonvention zur Biomedizin“ (ursprünglich: „Bioethik-Konvention“) des EUROPARATES in Strasbourg (Zusammenschluß von 40 europäischen Staaten!), welche am 19.11.1996 von den Botschaften der 40 Mitgliedsstaaten des Europarates verabschiedet wurde.

Deutschland, Belgien und Polen enthielten sich der Stimme. Österreich stimmte zu. Diese Konvention tritt in Kraft, wenn sie von mindestens 5 Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde. Am 4.4.1997 haben bei einer Sitzung des Europarates in Spanien 21 der 40 Mitgliedsstaaten die äußerst umstrittene Konvention unterzeichnet.

Kurzdokumentation und inhaltliche Analyse nach der 1. Lesung im EP

Als die EU-Kommission ihren 1. Richtlinienvorschlag zu diesem Thema vorlegte, überwogen im EP (Europäischen Parlament) die Bedenken. Es lehnte am 1. März 1995 den Kompromiß ab, den der Vermittlungsausschuß von EU-Rat und EP erarbeitet hatte.

Der alte Entwurf enthielt eine Reihe strittiger Fragen. Die Keimbahntherapie war eine davon. Unter bestimmten Voraussetzungen wäre es möglich gewesen, Therapien zu patentieren, die das Erbgut so verändern, daß die nachfolgenden Generationen eine veränderte genetische Identität hätten. Mit solchen Verfahren könnten Erbkrankheiten ausgemerzt, aber auch genetische Merkmale verändert werden.

Weitere Streitpunkte waren die genaue Abgrenzung zwischen Entdeckung und Erfindung, die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren und das sogenannte Landwirteprivileg. Dieses Privileg erlaubt Landwirten, ihre Ernte selbst zu verwenden, z. B. zur Aussaat im nächsten Jahr, sowie Tiere aus patentierter Abstammung für eigene landwirtschaftliche Zwecke einzusetzen.

Nachdem das EP diesen 1. Entwurf abgelehnt hatte, brachte die EU-Kommission am 13. Dezember 1995 einen neuen Vorschlag (KOM/95/661 endg. / 95/0350/COD) ein.

Dieser Richtlinienentwurf hat soviel Interesse ausgelöst wie selten ein zweiter. Die Medien haben viel darüber berichtet. Bürgerinitiativen, Kirchen und Betroffenengruppen haben Stellungnahmen abgegeben, unzählige Bürgerinnen und Bürger haben sich an ihre Abgeordneten gewandt und auch Industrieverbände und Forschungseinrichtungen haben ihre Bedürfnisse zum Ausdruck gebracht.

Das EP hat am Vorschlag der EU-Kommission viele Änderungen vorgenommen und hat nun in erster Lesung (15. und 16.7.1997) über diesen Vorschlag abgestimmt (siehe obiges Abstimmungsergebnis!). Da es sich um die erste Lesung handelte, wird nun die EU-Kommission Stellung zu den Änderungen des EP nehmen und der EU-Rat dann einen „Gemeinsamen Standpunkt" festlegen.

Auf Grund einer Zusage von EU-Kommissionsmitglied Mario Monti darf jedoch angenommen werden, daß sämtliche Änderungswünsche des EP von der EU-Kommission angenommen werden. Dies bedeutet, daß letztlich der in der 1. Lesung des EP angenommene Text der endgültigen Richtlinie entsprechen wird.

Die Grundzüge des verabschiedeten Textes:

  • Patentiert werden können Erfindungen, keine Entdeckungen, eine bestimmte Gensequenz kann nicht einfach patentiert werden, Erfindungen können dann patentiert werden, wenn sie sich mit einem Erzeugnis befassen, das aus biologischem Material besteht.
  • Patentiert werden können Erfindungen, deren Ausführbarkeit nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt ist.
  • Nicht patentiert werden können Pflanzensorten und Tierrassen sowie die herkömmliche Züchtung von Pflanzen und Tieren.
  • Nicht patentiert werden können Erfindungen, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen, dazu gehören das Klonen von Menschen, Verfahren zur Veränderung der menschlichen Keimbahn und Methoden, bei denen Embryonen verwendet werden.
  • Nicht patentiert werden kann der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entwicklung, also auch Embryonen sowie die bloße Entdeckung eines menschlichen Gens.
  • Ein isolierter Bestandteil des menschlichen Körpers, einschließlich einer Gensequenz, kann als patentierbare Erfindung gelten, wenn eine gewerbliche Anwendbarkeit vorliegt.
  • Falls eine Erfindung biologisches Material, z. B. Gensequenzen eines bestimmten Menschen, verwendet, muß der Name dieses Menschen im Patentantrag genannt werden und die Person muß ihre Zustimmung zur Nutzung erteilen. Der Name wird aber von der Patentbehörde nicht veröffentlicht.
  • Es wird ein Ethikausschuß zur Bewertung aller ethischen Aspekte zur Nutzung der Biotechnologie eingesetzt.
  • Landwirte dürfen ihre eigene Ernte, die patentrechtlich geschützte Teile enthält, zum landwirtschaftlichen Anbau nutzen und auch zur landwirtschaftlichen Nutzung weiterverkaufen, nicht aber für Zuchtzwecke. Gleiches gilt für Vieh, das patentrechtlich geschützt ist. Es darf zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt und verkauft werden, nicht aber für die gewerbliche Viehzucht.

Der neue Entwurf

Auch das Landwirteprivileg ist nun geregelt. Hat ein Landwirt Vieh, das patentierte Gene trägt, dann kann er es für die eigene Verwendung vermehren und darf es sogar an andere Landwirte zur landwirtschaftlichen Nutzung weiterverkaufen, nicht aber zu Zuchtzwecken, d. h. er kann seinem Nachbarn ein Schwein verkaufen, das dieser selber mästet und schlachtet. Für Pflanzen gilt das gleiche. Ein Bauer kann die Ernte vom letzten Jahr zur Aussaat einsetzen und auch seinem Nachbarn als Saatgut verkaufen. Wenn die Pflanzen aber patentierte Gensequenzen enthalten, dann darf er keine Pflanzenzucht damit betreiben.

Die immer wieder vorgebrachte Forderung „Kein Patent auf Leben!“ ist somit nicht vollständig erfüllt worden. Wenn die Richtlinie so beschlossen werden sollte, dann wird es in Zukunft Pflanzen und Tiere geben, die patentiertes Erbgut in sich tragen. Es wird sogar möglich sein, auf menschliche Gensequenzen Patente anzumelden, allerdings nur unter festgelegten Bedingungen. Menschliche Genome prophylaktisch zu patentieren ist nicht erlaubt, für jedes Teilstück muß eine Nutzung vorliegen. Falls die Gensequenz von einem bestimmten Menschen stammt, dann muß dieser einverstanden sein.

Der Rechtsausschuß des EP hat immer wieder betont, daß die Richtlinie nicht den Anspruch haben kann, alle ethischen Konflikte zu klären. Das können und wollen patentrechtliche Bestimmungen nicht. Sie regeln nur das Verhältnis zwischen Erfindern und Dritten. Auch die eigentliche Forschung bleibt vom Patentrecht unberührt.

Wenn die jetzige Fassung verabschiedet wird, und daran kann eigentlich nicht mehr gezweifelt werden, dann können bald biotechnologische Erfindungen unter genau festgelegten Bedingungen patentiert werden.

hat einige der Kritikpunkte am ersten Text beherzigt. Verfahren zur Keimbahntherapie werden nicht patentierbar sein. Allerdings ist das noch kein Schutz davor, daß sie nicht eines Tages doch angewendet werden. Es bedeutet lediglich, daß sie nicht patentrechtlich geschützt werden können. Übrigens bedeutet die Tatsache, daß ein Patent existiert, nicht, daß der Halter auch Anspruch auf die Anwendung hat. Die Nutzung könnte aus verschiedenen Gründen, z. B. wenn sie gegen die guten Sitten verstieße, verboten werden.

Quellen

  • Richtlinie des europäischen Parlaments und des EU-Rates über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen
  • Mittweillungen der “Direktion für Presse und Audiovisuelle Medien des EP“ europäisches Parlament, L – 2929 Luxemburg (PE 256.914, 256.915, 256.916, 260.947, 260.932)
  • Bericht Rothley (SPE/D) über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, Dok: A4 – 222/97
  • Gespräche mit div. Mitgliedern des EP im Rahmen der Juli Session 1997 (14. – 18.7.97) in Strasbourg/Frankreich
  • Europaforum des EP, EP-Presseabteilung, L – 2929 Luxemburg
  • Pressemitteilungen der einzelnen politischen Parteien im EP
  • Kathpress

Anschrift des Autors:

SR Anton Salesny, Vizepräsident der Arbeitsgemeinschaft Kath. Verbände Österreichs
Spiegelgasse 3, A-1010 Wien

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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