Zur erzieherischen Funktion des Rechts

Imago Hominis (2000); 7(4): 295-304
Franz Bydlinski

Zusammenfassung

Die erzieherische, also bewusstseinsbildende und ohne Zwang rechtskonformes verhalten fördernde Funktion des Rechtes darf man gewiss nicht überschätzen. Realistische Messungen sind kaum möglich. Doch lassen sich ein Rechtssystem und die Sozietät, die es trägt, längerfristig nur unter exzeptionellen Umständen durch bloßen Zwang aufrechterhalten. In bedenklichem Ausmaß real wirksam scheint der Abbau der bewusstseinsbildenden Wirkungen von Recht und damit zugleich der rechtlichen Verantwortung durch Rechtsänderungen zu sein, die bloß durch einseitige Radikalideologien motiviert sind. Weitere Einbußen an der erzieherischen Funktion des Rechts sollte auf mehreren Ebenen entgegen gewirkt werden. Beim Drogenproblem ist die Parole „Heilen statt strafen“ eine falsche Alternative, weil missbilligende Reaktionen und therapeutische Bemühungen tunlichst aufeinander abgestimmt und kombiniert werden sollten.

Schlüsselwörter: Rechtssystem, Bewusstseinsbildung durch Recht, Drogenproblematik

Abstract

The educational, the conscience-forming function of the law and the function that promotes unenforced legal behavior may certainly not be overestimated. Realistic measurements can hardly be set. However, in the long run, a legal system and a society carrying it, can forcefully be maintained only under exceptional conditions. The reduction of conscience-forming effects of the law and thus of legal responsibility by law alteration seems to be real to a serious extent, which is motivated by merely one-sided radical ideologies. Further reduction of the educational function of law should be opposed on several levels. Regarding the drug problem, the phrases „healing instead of punishing“ is to be regarded as a false alternative, because dissenting reactions and therapy efforts are to be thoroughly evaluated and combined.

Keywords: legal system, conscience-forming by law, drug problem


1) Reflexionen über die erzieherische Funktion des Rechts – mit der Drogenproblematik als vorgegebenem anschaulichem Beispiel – verlangen zunächst nach Klärung des Gemeinten. Den (außerhalb der Mathematik) vagen Funktionsbegriff wird man dahin explizieren können, dass er eine Gegebenheit (hier: das Recht) zu einer Aufgabe oder einem Zweck (einem gewünschten Zustand) und gleichzeitig zu einer Wirkung in Beziehung setzt. Soweit Zweck und Wirkung übereinstimmen, ist der erste verwirklicht; andernfalls bleibt er Verhaltenspostulat.

Eine „erzieherische“, also einstellungs- und letztlich verhaltensbeeinflussende Funktion des Rechts trifft sich zunächst mit dem allgemeinsten Sinn aller Normen, der Verhaltenssteuerung. (Damit wird die Existenz anderer Normtypen als der Verhaltensnormen keineswegs geleugnet. Sie lassen sich aber so verstehen, dass sie Vor- oder Teilfragen bei der Bildung oder Anwendung von Verhaltensnormen regeln, also ihre definitive Bedeutung im Kontext mit Verhaltensnormen erlangen.) Doch deutet die Hervorhebung des „erzieherischen“ Aspekts auf eine Verengung der Beeinflussungsmittel: den klassischen organisierten Zwang, das zentrale Merkmal des „positiven Rechts“ kann man im Zusammenhang mit der erzieherischen Funktion nicht meinen. Wer angesichts eines Polizisten oder einer „Radarfalle“ auf die vorgeschriebene Geschwindigkeit herunterbremst, tut dies zur aktuellen Vermeidung von Strafe, also von Zwang. Seine Einstellung und damit seine gesamten Verhaltenstendenzen bleiben unberührt. „Erzieherische“ Funktion deutet demgegenüber auf die innere Einstellung, auf eine, wie man heute gern sagt, gelungene „Bewusstseinsbildung“. Sie tritt überall dort in den Vordergrund, wo infolge der Schwierigkeiten von Tatsachenfeststellung und Beweis (oder aus welchen Gründen immer) aktueller Zwang mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei Rechtsverletzung nicht droht.

Andererseits muss rechtskonformes Verhalten, bei dem ersichtlich drohender Rechtszwang als Verhaltensmotiv nicht im Spiel ist, keineswegs stets eine edukative Wirkung des Rechts bezeugen. Das zeigt sich in allen Fällen, in denen ein Beteiligter in bewusster gänzlicher Rechtsunkenntnis einfach im Einklang mit seinen Vorstellungen handelt, oder in denen er einfach entsprechend seinen, von ihm als legitim betrachteten Interessen etwas tut oder unterlässt. Das kann in unbewusster und insofern zufälliger Übereinstimmung mit dem Recht geschehen. Auch hier ist freilich möglich, aber keineswegs sicher, dass die verhaltensleitenden Vorstellungen von dem, was sich gehört, oder von der Legitimität bestimmter eigener Interessen tatsächlich doch durch langfristig wirksame und längst bewusstseinsbildende Rechtsregeln mitgeprägt sind. Wenn die große Mehrheit der Menschen unter einigermaßen normalen (nicht extrem emotionalisierten) Umständen (ungeachtet einer offenbar wachsenden Minderheit von Randalierern und Gewalttätern) sich bemüht, körperliche Verletzungen anderer Menschen sowie Sachbeschädigungen tunlichst zu vermeiden, so schwerlich deshalb, weil sie die unzähligen Gesetzes- und Verordnungsparagraphen kennen und bewusst befolgen, die diese Vermeidung bezwecken. Primär wird dies vielmehr aus eigener Wertüberzeugung geschehen, die allerdings in bezug auf Person und Eigentum anderer Menschen durch den allgemeinen Rechtsgrundsatz „neminem laedere“ im Lauf seiner mehrtausendjährigen Geltung für den friedlichen Zustand innerhalb einer Rechtsgemeinschaft nachhaltig mitgeformt sein dürfte. Zu einer solchen mittelbaren und unbewussten Wirksamkeit dürften nur allgemeine Rechtsgrundsätze mit ihren generellen Werttendenzen fähig sein; nicht die gewaltigen Paragraphenmassen, die den Normadressaten notwendigerweise unbekannt sind und die ihre Bedeutung (unter unvermeidlicher juristischer Vermittlung) erst im ernstlichen Streitfall, nicht im Alltagsverhalten erlangen. Andere Beispiele für dasselbe Phänomen sind etwa der Grundsatz, dass Versprochenes gehalten werden soll (Vertragstreue; pacta sunt servanda) sowie die familienrechtlichen und subsidiär die öffentlichen Fürsorgepflichten, mag ihrer selbstverständlichen Wirksamkeit auch durch das heute verbreitete bequeme „Unverantwortungsgefühl“ schon erheblicher Abbruch geschehen sein. Nur wenige richtungsweisende Rechtswerte sind für das durchschnittliche Mitglied der Rechtsgemeinschaft gedächtnismäßiger Speicherung oder gar selbstverständlicher „Verinnerlichung“ fähig, gewaltige Mengen an positiven Gesetzen jedenfalls nicht. 

Von erzieherischer Wirkung des Rechts kann man nach dem Gesagten sinnvoll sprechen, wenn und soweit rechtskonformes Verhalten nicht durch aktuell drohenden Rechtszwang, sondern durch eine regelmäßig über Generationen entwickelte und weitergegebene bewusstseins- oder einstellungsbildende Kraft bestehender Rechtsnormen herbeigeführt wurde oder wenn dies doch nach Lage der Dinge nicht unwahrscheinlich erscheint. Mit der letztgenannten Erweiterung wird der häufigen Unaufklärbarkeit der genauen Verhaltensmotivation bzw. ihrer genetischen Entwicklung Rechnung getragen. Der prekäre Charakter dieses Erweiterungsbereiches kann dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass man z.B. von wahrscheinlicher edukativer Wirkung spricht.

Eine faktische Wirkungsquote mit teilweiser bloßer Wahrscheinlichkeitskomponente sollte der Jurist, wenn sie überhaupt annäherungsweise ohne völlig freihändige Schätzungen angegeben werden kann, jedenfalls nicht suchen. Seine letztlich normativen Fragestellungen verweisen ihn auch bei der erzieherischen Funktion auf die normative Komponente, also den Zweck bzw. die Aufgabe des Rechts, zum Zwecke der Verhaltensbeeinflussung auch erzieherisch zu wirken. Wie schwach immer die tatsächliche Wirkungsquote sein mag, so liegt doch normativ das Postulat ihrer Verbesserung oder wenigstens Nicht-Verschlechterung durch darauf ausgerichtete Maßnahmen nahe. Denn eine vergrößerte Wirkungsquote führt zur umfassenderen Rechtskonformität des Verhaltens ohne aktuellen Zwang und häufig in Übereinstimmung mit den eigenen, selbstverständlichen Überzeugungen der Normadressaten. Sie ist also aus Freiheits- und Zweckmäßigkeitsgründen wünschenswert. Das gilt allerdings nur für den, der rechtskonformes Verhalten in der Rechtsgemeinschaft bevorzugt, also zumindest im großen und ganzen (nicht notwendig in allen Einzelheiten) dem aktuellen Recht inhaltlich einen positiven Wert zuschreibt.

2) Man sollte meinen, dass dies schon angesichts der gewaltminimierenden und damit personschützenden Friedensfunktion wirksamen Rechts selbstverständlich ist; und zwar einfach angesichts der Alternative, die im Chaos und im „bellum omnium contra omnes“ besteht. Die leider unveränderte reale Möglichkeit normfreien Massenmordes belegen zeithistorisch in erschütternder Weise und im Makroformat die Exempel Libanon, Bosnien, Ruanda etc., aber darüber hinaus auch für ihre Dauer und für ihre geographische Sphäre alle die häufigen Ausbrüche unkontrollierter öffentlicher Gewalt oft aus nichtigsten Anlässen oder sogar überhaupt ohne erkennbaren Grund, die auch in grundsätzlich unter der Herrschaft des Rechts stehenden friedlichen Sozietäten immer wieder zu beobachten sind. Von Fußballspielen und Popkonzerten bis zu „Friedensmärschen“ oder Opernballdemonstrationen kann, in Verbindung mit ungezügelten hass- und neiderfüllten, beliebig austauschbaren „linken“ oder „rechten“ ideologischen Parolen des Klassen- oder Rassenhasses alles Beliebige als Anlass herhalten. Private Gewalt hat es, wie die Mord- und sonstigen Übeltaten zu allen Zeiten lehren, die aus erkennbaren egoistischen Motiven begangen wurden, immer gegeben. Sie konnten auch durch die bestbegründeten normativen Ordnungen zwar durch ihre Erziehungsfunktion und durch ihren Sanktionsdruck erheblich eingedämmt, nicht aber beseitigt werden. Das widerlegt bereits zureichend banal-„realistische“, normfeindliche Meinungen, die eine Regelung bereits für wertlos halten (oder zu halten vorgeben), wenn sie nicht ausnahmslos be-folgt oder gar zunehmend verletzt wird. Das letztere lässt sich häufig statistisch eindrucksvoll darstellen. Die Fälle hingegen, in denen Normen mit völliger, ganz unreflektierter Selbstverständlichkeit beachtet werden, in denen sich also ihre erzieherische Funktion besonders verwirklicht, lassen sich empirisch viel schwerer oder gar nicht erfassen, weil diese Wirkung den von ihr Betroffenen gar nicht bewusst zu sein braucht. Die entsprechenden Fälle treten allenfalls erst nach einem angeblich empirisch notwendigen Rückzug des Rechts von bisherigen normativen Positionen in Erscheinung, der bei entsprechend öffentlichkeitswirksamer Veranstaltung auch die erzieherische Funktion des bisherigen Rechtes sehr rasch in das Gegenteil verkehrt: Wegfall oder Reduktion der Strafbarkeit wird ja z.B. in der öffentlichen Meinung meist sogleich als rechtliche Zulässigkeit oder gar als Gewährung eines „Rechtes“ auf ein bestimmtes Verhalten interpretiert. Eine empirisch-statistische Kontrolle solcher Entwicklungen wird von ihren Befürwortern freilich in kritischen Bereichen oft strikt vermieden. Starke Auswirkungen sind aber stets zu vermuten, weil es erfahrungsgemäß viel leichter und rascher möglich ist, interne Wirkungen von Normen, die egoistisches Handeln im Interesse anderer beschränken, zu beseitigen, als sie aufzubauen. Statistische Hinweise auf unzureichende Wirksamkeit bestimmter Regelungen sind stets nur ein halbes Argument, solange nicht dargetan ist, dass die – öffentlichkeitswirksam vorgenommene – Beseitigung oder Aufweichung solcher Regelungen keinen zusätzlichen Anreiz in die negative Richtung schaffen wird. Prognostische Aussagen solcherart sind freilich, wenn sie überhaupt gemacht werden, von viel fragwürdigerer Beschaffenheit als die empirische Erfassung geschehener Vorgänge und daher auch als rechtspolitisches Argument offenbar ziemlich beliebig einsetzbar. Für die von den Abtreibungsbefürwortern seinerzeit ausgedrückte Erwartung, durch die strafrechtliche Freigabe der Abtreibung im Rahmen der „Fristenlösung“ die Zahl der doch jedenfalls unerwünschten Abtreibungen reduzieren zu können, scheint die zwischenzeitliche langfristige Erfahrung jedenfalls nicht zu sprechen. Anderenfalls wäre das diesbezügliche statistische Material von diesen Verfechtern zweifellos gesammelt und veröffentlicht worden. Dies ist trotz der ihnen verfügbaren staatlich-hoheitlichen Möglichkeiten nicht geschehen.

Je nach den Launen des „Zeitgeistes“ stehen dem Abbau bestehender, normativ vielleicht durchaus wohlbegründeter Beschränkungen des menschlichen Handlungsbeliebens mit Hilfe des Arguments ohnehin unzureichender Normwirksamkeit (etwa bei der Abtreibung, beim Ehebruch und in vielen rechtspolitischen Vorschlägen beim Drogenproblem) immer wieder auch Versuche gegenüber, normative Beschränkungen ohne besondere Rücksicht auf ihre erwartbare geringe unmittelbare Wirksamkeit aufzubauen oder zu verschärfen. Dabei wird nicht selten die Hoffnung auf langfristige entsprechende „Bewusstseinsbildung“, also gerade auf die edukative Funktion des Rechts, ausgesprochen. Öffentlichkeitswirksame Vorstöße dieser Art betreffen z.B. immer wieder die „Schwarzarbeit“, die Steuerhinterziehung und jüngst sogar die Aufgabenverteilung im sehr privaten Bereich der Hausarbeit. Signifikant ist besonders das Beispiel der Sicherheit im Straßenverkehr im Zusammenhang mit Alkoholisierung (übrigens seltsamerweise weit weniger im Zusammenhang mit Rauschgiftsucht). Verdeckt werden solche Widersprüche durch das stets unzureichende und ad hoc unterschiedlich betonte empirisch-statistische Material, auf dem Kausalbehauptungen oder Prognosen aufbauen oder aufbauen müssten. Seine Unzulänglichkeit ergibt sich schon daraus, dass sich gerade die stärksten Auswirkungen längst völlig „verinnerlichter“ normativer Standards, wie erwähnt, dem Bewusstsein der Betroffenen selbst und daher weitgehend der empirischen Erfassung entziehen. Ein anständiger Mensch begeht z.B. keine Ladendiebstähle (wie er auch sonstige Diebstähle unterlässt), ohne an die Alternative und an das strafrechtliche Verbot überhaupt zu denken. Wie will man feststellen, wie weit es sich so verhält, wie weit Furcht vor Strafe oder öffentlichem Aufsehen wirkt und wie viele Befragte zwar verneinen, Ladendiebstähle zu begehen, aber dabei aus naheliegenden Gründen lügen? Bei der erhofften Bewusstseinsbildung (plus Abschreckung) wird dementsprechend auf prognostische Aussagen oft überhaupt verzichtet. Die empirische Grundlage etwa für die letztlich mit großer Intoleranz, die bis zum Vorwurf des Tötungsvorsatzes gegen Andersdenkende reichte, politisch durchgesetzte Forderung nach Senkung des zulässigen Promillegehaltes von 0,8 auf 0,5 bestand in leidenschaftlichen Verweisen auf die Unfallstatistik, die einen erheblichen und steigenden Prozentsatz von alkoholisierten Lenkern auswies, sowie in der Argumentation mit einigen besonders tragischen und daher der Öffentlichkeit bewussten einzelnen Unfällen. Dass diese Entwicklungen zu den langfristigen Auswirkungen des ständigen öffentlichen Kults des freien Beliebens ohne Verantwortung für sich und andere (weil doch „die Reichen“ oder die öffentliche Hand mit Selbstverständlichkeit die nachteiligen Folgen zu übernehmen hätten) gehören könnten, wurde nicht erwogen. Dann wäre ja auch guter Rat erkennbar teuer und bestenfalls langfristig durch eine Fülle von rechtlichen und erzieherischen Maßnahmen zu haben gewesen. Sehr einfach und mit großem politischem Getöse war dagegen die erwähnte Herabsetzung möglich. Erfolgsmeldungen für die erste Zeit danach, in der die polizeiliche Überwachung der neuen Grenze strikter war, wurden noch mit großer Genugtuung herumgereicht. Einige Zeit später waren diese Effekte wirkungslos verpufft. Wer sich darüber zu wundern vorgibt, möge erwägen, wieso er glauben konnte, dass die Auswirkungen des Alkohols als Unfallsursache gerade aus dem Bereich zwischen 0,8 und 0,5 Promille resultierten, wenn doch die katastrophalen Anlassfälle in aller Regel von Autofahrern mit weit diese Grenzen überschreitendem Alkoholspiegel verschuldet wurden. Ähnliche Erfahrungen lassen sich mit gelegentlichen aufsehenerregenden Aktionen gegen Schwarzarbeit oder Steuerhinterziehung machen.

Überzeugende empirische Untersuchungen bestätigen, dass die Möglichkeiten unmittelbarer und schon gar kurzfristiger Beeinflussung des Rechtsbewußtseins durch positive Gesetzgebung sehr beschränkt sind. Das gilt schon wegen der weitverbreiteten rechtlichen Ignoranz, die sich auch auf ganze und wichtige rechtliche Institute erstreckt, die für jedermann von Bedeutung sind. Die Gewährleistung des Verkäufers (und Werkunternehmers etc.) für Sachmängel, die schon seit den kurulischen Aedilen im alten Rom besteht, hat sich z.B. bis heute zum „Normalverbraucher“ noch nicht herumgesprochen; der meint vielmehr, es bedürfe für Mängelansprüche einer besonderen Garantiezusage. Auch die empirischen Grundlagen der Rechtswissenschaft, die weniger in kurzfristigen statistischen Erhebungen als vielmehr in der Beobachtung langfristiger rechtshistorischer Entwicklungen bestehen, geben keinen Grund zu besonderem Optimismus hinsichtlich des positiven Aufbaues edukativer Effekte durch Rechtssetzung. Deutlich ist hingegen der verkehrte erzieherische Effekt des Abbaus normativer Schranken und Verantwortlichkeiten, der die faktischen Gründe für entsprechende bedenkliche Verhaltenstendenzen relativ rasch verstärken kann. Man braucht nur an die Scheidungsstatistik nach Einführung der einvernehmlichen Ehescheidung zu denken.

3) Solche Befunde könnten zu völliger Skepsis gegenüber der erzieherischen Funktion des Rechtes führen. Da aber offensichtlich die Zwangsfunktion des Rechtes für sich allein höchstens zeitweise in totalitaristischen Gewaltstaaten zur Aufrechterhaltung einer – in diesem Fall freilich in vielen Einzelheiten sehr bedenklichen – sozialen Ordnung ausreicht, müsste die ernstgenommene Skepsis eben diese Staatsvariante oder das Chaos einläuten. Geboten ist es daher vielmehr, alle Ansätze für eine verbesserte erzieherische Funktion des Rechts sorgfältig zu pflegen und insbesondere allen Anläufen für deren noch weiteren Abbau entgegenzuwirken. Diese Arbeit gleicht jener des Sisyphus, muss aber angesichts der genannten Alternativen dennoch in Angriff genommen werden. Sie ist Aufgabe jedermanns, der jene Alternativen ablehnt und bereit ist, intellektuell um die rational bestbegründeten Positionen zwischen ihnen zu ringen, sie insbesondere aber naturgemäß Aufgabe der Aufklärungsarbeit der Rechtswissenschaft.

Täuscht die juristische Erfahrung nicht, so gibt es beim Versuch, wenigstens die weitere Erosion der erzieherischen Funktion des Rechts und damit der Rechtsgesinnung zu stoppen oder doch zu verlangsamen, drei unterschiedliche Arbeitsfelder. Am schwierigsten dürfte es sein, vielfach bereits fest etablierten rechtsfeindlichen ideologischen Positionen in Politik und Medien entgegenzuwirken. Sie hängen damit zusammen, dass das ständige politische Getöse den damit übersättigten Normalbürger häufig nur erreicht, wenn kritische Punkte in extremer Übertreibung als Sensationen oder Überlebensfragen dargestellt werden. Das mag bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich sein. Hier von Interesse ist aber, dass diese Übung insbesondere im Zusammenhang besonders einseitig-sendungsbewusster Ideologien auch auf Recht, Rechtliches und Rechtsbeflissene erstreckt wird. Das dumme Gerede von „formalrechtlichen“ Fragen bei allem, was der jeweilige Öffentlichkeitsbearbeiter nicht verstehen kann oder will, ist geradezu allgegenwärtig, unbekümmert darum, dass es vielleicht gerade um besonders substanzielle Rechtsprobleme geht. Von den Ideologien aus, die zu allen wesentlichen Fragen des menschlichen Zusammenlebens vorweg eine bestimmte, durch die Fakten wenig beeinflussbare Meinung haben, ist aber darüber hinaus jede Gesetzesnorm, Gerichtsentscheidung oder rechtswissenschaftliche Untersuchung, die nicht voll auf ihrer Linie ist, ohne Rücksicht auf ihre wirkliche Qualität ein Beweis für den Klassencharakter, die volksfremde Beschaffenheit oder die freiheitsfeindliche Tendenz dieses gegenwärtigen Rechtswesens überhaupt (gar ein anderes gibt es nicht). Nach Bedarf kann solche rechtliche Antiwerbung durch entsprechend ausgewählte sozialwissenschaftliche oder philosophische Lehren gehobeneren Ansprüchen angepasst und durch ausschließliche Hervorhebung dafür geeigneter Einzelfälle plausibel gemacht werden. Es kann nicht ausbleiben, dass langfristige Bearbeitung solcher Art öffentlichkeitswirksam werden und die Achtung vor dem Recht, die dieses ungeachtet seiner Mängel verdient, massiv untergraben wird. Die allgemeine Rechtsgesinnung und damit die erzieherische Wirkung von Recht bleibt bei Wiederholung suggestiver Globalkritik auf der Strecke, auch soweit das Recht inhaltlich unbestritten und vielleicht sogar unbestreitbar ist. Der unkritische Zeitgenosse sieht, insbesondere wenn er sich für besonders kritisch hält, nicht einmal mehr die Banalität, dass es für alle Menschen langfristig gewiss besser ist, wenn es jedem verboten ist, andere zu verletzen, zu berauben oder zu betrügen, als wenn all dies jedermann freistünde. Er sieht weiters nicht, dass die Ergebnisse der wirtschaftlichen Aktivitäten, von denen alle Menschen und insbesondere auch die Empfänger von sozialen Transferleistungen leben, um so besser sind, je situationsangepasster und verlässlicher diese Abläufe geordnet sind, während das Einschlagen von Schaufenstern und das Anzünden von Autos unabhängig von den dabei deklamierten Parolen gerade gegenteilige Effekte hat und dass der Abbau individueller Verantwortung einerseits persönlichkeitszerrüttend und andererseits belastend für die jeweils Betroffenen anderen wirkt. Verständnislosen Globalangriffen auf Recht und Rechtliches entgegenzutreten, dürfte heute die Hauptaufgabe beim Versuch einer Verbesserung der erzieherischen Funktion des Rechtes sein. Sachkundigen Auseinandersetzungen mit bestimmten rechtlichen Erscheinungen und sogar scharfer Kritik an ihnen mit sachlich stichhaltigen und systematisch verallgemeinerungsfähigen normativen Argumenten steht selbstverständlich nichts entgegen. Ihre Möglichkeit und Notwendigkeit muss vielmehr ebenso deutlich gemacht werden wie auch die Untauglichkeit banaler Polemik von Unkundigen und wie die ständige politische Übung, realitätsfremdes Wunschdenken statt des Vergleichs realisierbarer Möglichkeiten als beliebig einsetzbaren Kritikmaßstab zu verwenden.

4) Unmittelbar im Rechtsbereich wirkt destabilisierend auf die Rechtsgesinnung und damit auf die erzieherische Funktion des Rechtes das ständige geschäftige „Herumbasteln“ an allen erdenklichen Teilmaterien des Rechts, das noch dazu von den Institutionen und Organisationen, die damit ihre Existenzberechtigung legitimieren wollen, in seiner Bedeutung öffentlich weit übertrieben wird. Wenn einige wenige Bestimmungen des Ehegesetzes oder des Konsumentenschutzgesetzes novelliert werden, so ist öffentlich stets nur vom „neuen Eherecht“ oder vom „neuen Konsumentenschutzgesetz“ die Rede, mögen die Änderungen auch relativ unbedeutend (aber vielleicht eben politisch „aufgeschaukelt“) gewesen sein. Zu den sichersten Mitteln, um Rechtsgesinnung und erzieherische Funktion des Rechtes zu untergraben, gehört die ständige Rechtsänderung eher um ihrer selbst willen, die den Eindruck völliger Beliebigkeit des Rechtsinhaltes (wie er ja sogar von manchen Rechtstheorien behauptet wird) erweckt und damit den Respekt vor dem gerade geltenden, aber eben ständig ohne besondere Notwendigkeit zur anscheinend beliebigen Änderung anstehenden Recht herabsetzt, weil dieses zunehmend in all seinen Bestimmungen und Instituten als zufällig erscheint. Für jede Rechtsänderung lassen sich leicht objektive Bedürfnisse der sozialen Entwicklung reklamieren, kaum je aber in irgendeiner nachprüfbaren Weise feststellen, sodass häufig in Wahrheit die Eigenbedürfnisse der jeweils aktiven Ämter und Verbände maßgebend sein dürften. Es ist ein Glücksfall, wenn dabei gelegentlich z. B. auch eine – vor über dreissig Jahren! – aus rechtlichen Gründen als unbedingt notwendig und dringend herausgearbeitete Gesetzesänderung vorgenommen wird, wie jüngst bei der Novellierung des § 1328 ABGB über den schadensersatzrechtlichen Schutz der Geschlechtssphäre.

Keineswegs besser muss freilich das Produzieren tatsächlich häufig grundlegend geänderter Rechtskomplexe sein, wofür das Universitätsorganisationsrecht ein besonders abschreckendes Beispiel bietet. Entgegen allen großen Worten, mit denen jede diesbezügliche „Reform“ begleitet wurde und wird, sind stets vor allem Bürokratisierung und Qualitätsminderung vorangetrieben worden.

Im besprochenen Zusammenhang bestünde die Aufgabe darin, Rechtsänderungen auf das wirklich sachlich und normativ-systematisch Notwendige zu beschränken, übertriebene und den Eindruck völliger Beliebigkeit des Rechtsinhaltes erzeugende Darstellungen der jeweiligen „Reform“ zu unterlassen und vielmehr die Rechtsgesinnung und die erzieherische Funktion des Rechtes dadurch zu fördern, dass die weitgehende Kontinuität und – erforderlichenfalls – die vorsichtige und umfassend begründete Weiterentwicklung der leitenden Wertungsgrundsätze der verschiedenen Rechtsmaterien betont wird, die viel weniger wechselnd sind als die Einzelregeln, die Konkretisierungen für die jeweiligen realen Verhältnisse bringen, oft aber auch recht zufällig sind. Diese Einzelheiten sind dem rechtlichen Laien ohnehin unzugänglich und daher für die edukative Wirkung des Rechts wenig relevant. Im Straßenverkehr wie im sonstigen menschlichen Zusammenleben ist z.B. die Sorgfalt gegenüber fremden Personen und fremdem Eigentum ein einprägsames, kontinuierlich geltendes und in dieser Geltung vermittelbares Leitprinzip unmittelbar für das wechselseitige Verhalten der jeweils an einer Situation Beteiligten, das infolge seiner evidenten Richtigkeit auch ohne konkret drohenden Rechtszwang wirken sollte und bei entsprechend deutlicher Vermittlung seiner Vernünftigkeit wirken könnte. Die unzähligen, zum Teil sehr präzisen Einzelvorschriften, die diesem Leitgedanken je für bestimmte Sachverhaltstypen dienen, sind dafür ungeeignet: man kennt sie nicht oder versteht sie als lästige Formalität.

Die Betonung der kontinuierlich wirksamen und grundlegenden Wertungen des Rechts, die rational begründbar, empirisch bewährt oder beides sind, vor den unüberblickbaren und rasch veränderlichen Einzelheiten ist also unumgänglich, wenn man die erzieherische Wirkung des Rechts fördern oder wenigstens ihren weiteren Abbau vermeiden will. In Verbindung damit sollten das ständige „Herumbasteln“ an allen erdenklichen Materien des Rechts aus bloßer politischer Geschäftigkeit und die öffentliche Übertreibung seiner Bedeutung vermieden werden, auch was die Einzelheiten betrifft. Die erzieherische Funktion des Rechtes lebt von seiner Beständigkeit.

5) Das dritte Aufgabenfeld betrifft vollends die Förderung der erzieherischen Funktion des Rechtes durch Erziehung zum Recht. Auch hier kann es in der arbeitsteiligen Sozietät nicht um die Vermittlung von Einzelheiten gehen, die selbst die juristischen Fachleute nur jeweils teilweise überblicken können. Die leitenden Grundsätze des Rechtes sind es, die weitgehend das heute so vielfach vermisste „Erziehungsziel“ darstellen können und sollen. Das gilt selbstverständlich auch, aber keineswegs nur für staatsrechtliche Grundsätze wie Demokratie und Schutz der Menschenrechte, bei denen das jedenfalls der Deklamation nach schwerlich jemand bestreiten wird. Jedoch ist die Betonung einzelner isolierter Grundsätze stets der Gefahr ausgesetzt, dass sie unter Verkennung ihres Charakters als Optimierungs- und damit Abwägungsfaktoren zu alleiniger Maßgeblichkeit in irgendeinem einseitig vorgeprägten Sinn hochstilisiert werden, was z.B. auch bei so wichtigen Rechten wie der Meinungs- oder der Kunstfreiheit laufend absurde Behauptungen hervorbringt. Prinzipienmonismus führt zu fundamentalistischer Haltung, die gewiss nicht jene einer brauchbaren Rechtsordnung ist. Auch sonst ist die heute beliebte einseitige Betonung der Staatsverfassung, deren genereller Vorrang tatsächlich nur ein „formaler“ ist, ziemlich irreführend. Noch verfehlter ist die vielfach behauptete oder praktizierte Vorrangigkeit des öffentlichen Rechts der unmittelbaren Staatsbeteiligung, für die nicht einmal eine formale Höherrangigkeit geltend gemacht werden kann. Die Verwirrung durch Ignoranz und manche politische Tendenzen geht so weit, dass die meisten Menschen die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse, in denen sie täglich zahllose Male beim Einkaufen, Wohnen, Arbeiten, bei Ortsveränderungen, in der Familie, im Verein, bei der Gestaltung der Freizeit, bei Schadensfällen im Straßenverkehr etc., etc. stehen, nach einschlägigen empirischen Untersuchungen überhaupt nicht als rechtlich relevante Beziehungen wahrnehmen! Dieser verzerrenden Verengung des Rechtlichen in der Wahrnehmung des Normalbürgers auf – regelmäßig besonders unangenehme – „staatsorganbeteiligte“ Ausnahmesituationen wäre entgegenzutreten. Dann wird es möglich sein, zentrale rechtliche Grundwertungen aus dem Nahbereich schon des heranwachsenden Menschen diesem erzieherisch mit Aussicht auf Erfolg zu vermitteln, wie das „neminem laedere" in bezug auf andere Personen und fremde Sachen, das Einhalten von Versprechen, auf die sich andere verlassen, und generell die in der Tat „goldene Regel“: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem anderen zu. Die Vermittlung solcher alltagspraktisch zentraler Rechtswerte, nicht etwa bloß jene einzelner Verfassungsmaximen, wäre eine gewaltige Aufgabe für Eltern, professionelle Erzieher, verantwortungsbewusste Medien und ebensolche Menschen mit einer gewissen Vorbildfunktion. Mit dem umfassenden Erziehungsziel einer in ihren verschiedenen Anlagen harmonisch entwickelten, selbständigen Persönlichkeit steht das Rechtsbezogene keineswegs im Widerspruch, wenn man nur akzeptiert, dass eine solche Persönlichkeit, die alles andere als ein gewalttätiger, isolierter „Übermensch“ ist, den anderen dieselben Möglichkeiten konzedieren muss, die sie für sich in Anspruch nimmt. Die wichtigsten, wertvollsten und ältesten Rechtsnormen, wie etwa das Mord- und das Täuschungsverbot oder die familiären Fürsorgepflichten, werden nicht deshalb häufig verletzt, weil an ihnen als normativem Verhaltensziel irgendetwas auszusetzen wäre. Solche zentrale rechtliche Wertungen sind gar nicht als Klassenrecht, als rassenfremd oder als freiheitsfeindlich denunzierbar, weil sie jedermann zugute kommen. Sie werden nur deshalb häufig verletzt, weil sie mit den minder erfreulichen menschlichen Anlagen wie Neid, Hass, Grausamkeit, Ruhm-, Hab- und Machtgier in Widerspruch stehen; mit Anlagen also, die jedermann in sich trägt und deren Domestizierung eine zentrale Aufgabe der Fremd- und der Selbsterziehung bildet. Das Recht, insbesondere in Gestalt der gut vermittelbaren zentralen Rechtswerte, leistet bei der Bewältigung dieser Aufgabe eine wertvolle Unterstützung – solange es nicht von einseitigen Ideologien denunziert und real durch politische Instrumentalisierung jener asozialen Züge der menschlichen Natur destruiert wird. Die vielfach dabei proklamierte oder als selbstverständlich vorausgesetzte Freiheit im Sinn der Befolgung jedes augenblicklichen Antriebs ohne Verantwortung für die Folgen des unkontrollierten eigenen Verhaltens, also zu Lasten betroffener anderer, ist die Freiheit des Trittbrettfahrers. Ein darauf aufgebautes System kann allenfalls in politischen Visionen funktionieren; nicht aber in der Realität.

Erziehung zum Recht, genauer zu seinen Grundsätzen, deren Befolgung langfristig für alle Mitglieder der Sozietät bei rationaler Beurteilung ihrer allgemeinen Verletzung vorzuziehen ist, ist jedenfalls eine entscheidende Voraussetzung der Verbesserung der notwendigen erzieherischen Funktion des Rechts. In einem weiten Sinn bezieht sich das auch auf argumentative Einflussnahme auf erwachsene Rechtsgenossen. Die bloße Existenz und Anwendung von Recht ohne erzieherische Unterstützung oder gar die Beschränkung auf seine Zwangsfunktionen bleibt notwendig unzureichend gegenüber wachsender Gewaltbereitschaft, Rücksichtslosigkeit und ähnlichen Destruktionserscheinungen in der Sozietät.

6) Für die rechtliche Behandlung des Rauschgiftproblems folgt aus dem Gesagten: so gewiss pragmatische, auf empirischen Beobachtungen beruhende Überlegungen dabei sorgfältig beachtet werden müssen, so sehr wäre die schlichte „Entkriminalisierung“ des Missbrauchs (zunächst) „weicher“ Drogen das falsche Signal. Die deutliche öffentliche Missbilligung der willkürlichen Persönlichkeitszerrüttung durch alles Suchtgift, die stets auch zu Lasten der Nahestehenden und häufig auch zu Lasten der öffentlichen Hand geht, würde ja mit großer Publizität aufgegeben werden. Wie gering immer die rechtlichen Präventionswirkungen auf bereits intensiv Befallene sein mögen, wäre doch ein Erweiterungseffekt zu befürchten. Dem Gefährdeten, der verführerischen Anregungen bisher immerhin das naheliegende Argument entgegenhalten konnte, er wolle keine „Scherereien“ mit der Polizei und dem Gericht haben, wäre diese Möglichkeit genommen. Ob ihm in der kritischen Situation sogleich ein tieferreichendes Anderes einfällt, ist keineswegs sicher. Eltern und Erziehern, deren Instrumentarium an erzieherischen Einwirkungsmitteln, dem Zeitgeist entsprechend, ohnehin (auch rechtlich) ungeheuer verkümmert wurde, würde auch noch die Möglichkeit entsprechender Mahnungen genommen. Entsprechend den heutigen Gesetzmäßigkeiten der medialen und politischen Aktivitäten, die stets in den simplen Bahnen des „noch mehr von demselben“ verlaufen, würde sofort der Ruf nach „Freigabe“ mittlerer und alsbald harter Drogen folgen. Die verwerflichen Geschäfte der Drogenhändler, deren strenge Strafbarkeit glücklicherweise noch ziemlich unbestritten zu sein scheint, setzen notwendig einen gesicherten Abnehmerkreis voraus, der also mitverantwortlich ist für die künftige Verleitung bisher nicht Süchtiger.

Die dem oft entgegengehaltene Parole „Heilen statt Strafen“ ist als Antithese falsch, weil sie einen Gegensatz behauptet, den es so nicht gibt. Die möglichen rechtlichen Reaktionen sind elastisch genug, um, insbesondere in Gestalt von Therapieauflagen, vielmehr eine verstärkte Basis für die in der Tat sehr wünschenswerten, wenn auch in ihren Erfolgsaussichten leider oft ebenfalls problematischen Behandlungsversuche darzustellen. Rechtliche Reaktionen und therapeutische Bemühungen sollten sorgfältig aufeinander abgestimmt werden. Was medizinisch und finanziell machbar ist, sollte zum Zwecke der Entwöhnung zweifellos geschehen. Eine öffentlichkeitswirksame Verharmlosung des Drogenproblems durch Beseitigung der rechtlichen Missbilligung des Missbrauchs ist hingegen alles andere als indiziert. Sie wäre ein radikaler Verzicht auf jede erzieherische Funktion des Rechtes auf einem besonders sensiblen Gebiet und zugleich ein weiterer Schritt dazu, wichtige Lebensgebiete praktisch weitgehend dem ungeregelten Belieben von unterschiedlichen Experten und ihren jeweiligen politischen Stützen zu überlassen. Statt dessen sollte im hier angedeuteten Sinn an der Verbesserung der erzieherischen Funktion des Rechtes ganz generell gearbeitet werden, wie schwierig immer dies im allgemeinen und besonders auf dem angesprochenen Gebiet auch sein mag.

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