Medizin-Nobelpreis 2007: Von Mäusen und Menschen

Imago Hominis (2007); 14(4): 290-292
Petra Mihály

Die Vergabe des Medizin-Nobelpreises 2007 hat die mediale Aufmerksamkeit erneut zwei besonders „heißen“ wissenschaftlichen Forschungsgebieten zugewandt: der Stammzellenforschung und der Gentechnik. Und tatsächlich hat das Nobel-Komitee in Stockholm drei Forscher geehrt, die diese beiden Bereiche eng miteinander verschränkt haben.

Die beiden US-Forscher Mario R. Capecchi und Oliver Smithies entdeckten unabhängig voneinander, dass die Veränderung des Genoms einer Zelle von außen möglich ist, indem man manipulierte Gensequenzen in die DNA einbringt. Der Einbau erfolgt dann durch einen Mechanismus namens homologe Rekombination. Der spezifische enzymatische Apparat in Säugerzellen bietet nämlich ein äußerst effizientes System zur genetischen Modifikation. Die Rekombinationsereignisse erfolgen dabei über kurze Erkennungsstellen. Der US-Forscher Joshua Lederberg hatte 1958 für die Entdeckung dieses Mechanismus den Medizin-Nobelpreis erhalten.

Bei der von Capecchi und Smithies entwickelten Vorgangsweise des gene targeting wird nun eine manipulierte Gensequenz gezielt in die DNA-Struktur eingebracht. Capecchi konnte zeigen, dass die in tierische Zellen eingebrachten Allele tatsächlich durch homologe Rekombination in die Chromosomen eingebaut wurden und dabei auch defekte DNA durch gesunde ersetzt werden konnten. Smithies entdeckte wiederum, dass Genomsequenzen auch unabhängig davon ausgetauscht werden konnten, ob sie aktiv waren oder nicht. Das nährte die Hoffnung, eines Tages das gesamte Genom einer Zelle durch die Technologie des gene targeting gezielt manipulieren zu können.

Zunächst ungelöst blieb jedoch das Problem, wie die Auswirkungen derartiger Genveränderungen in vivo, also am lebenden Organismus, studiert werden konnten. Wollte man nämlich herausfinden, welche Funktion die jeweiligen Gene hatten, so musste man eruieren, wie ihre Ausschaltung sich auf Aussehen und Gesundheit des Gesamtorganismus auswirkte. Doch Capecchi und Smithies konnten zunächst nur in vitro, an Zellkulturen in der Petrischale, arbeiten.

Hier kamen die Forschungen des Briten Sir Martin J. Evans ins Spiel. Seine Entdeckung erwies sich als noch weit folgenreicher als die Untersuchungen seiner beiden Nobelpreis-Kollegen: Evans gelang es nämlich erstmals, embryonale Stammzellen der Maus zu isolieren.

Mäuse sind ideale Modellorganismen in der humanmedizinischen Forschung: Sie haben eine hohe genetische Ähnlichkeit mit dem Menschen, vermehren sich sehr schnell – mit sechs Wochen ist eine Maus bereits geschlechtsreif, die Tragezeit beträgt nur 18 Tage, bei einem Wurf werden mehrere Junge geboren – und sind unkompliziert zu halten.

Es war bereits früher bekannt, dass Zellen aus Hodenkarzinomen von Mäusen, also Krebszellen, sich, in einen Embryo eingeführt, in verschiedene Zelltypen des Organismus entwickeln können, also pluripotent sind. Evans hatte die Idee, diese Zellen als Grundlage für Eingriffe in die Keimbahn von Mäusen zu verwenden. Doch erste Versuche schlugen fehl, da sich aus dieser Art von Zellen keine fortpflanzungsfähigen Tiere entwickeln konnten. Auf der Suche nach Alternativen entdeckte der britische Forscher, dass aus Mäuseembryonen im Blastozysten-Stadium der Embryoblast isoliert und diese embryonalen Stammzellen dann in vitro kultiviert werden konnten. Diese Zellen waren nämlich fähig, sich in alle Zelltypen – einschließlich Keimzellen – des Organismus zu entwickeln (Pluripotenz).

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war nun die Zeit reif für eine Kombinierung der beiden Forschungsgebiete. Capecchi und Smithies gelang es, in embryonale Stammzellen der Maus Gensequenzen einzubringen, die „ausgeschaltet“ worden waren. Sie nutzten also den Vorgang der homologen Rekombination, um zelluläre Gene durch Kopien zu ersetzen, in die zum Beispiel Mutationen oder neue Genabschnitte eingebaut wurden. Bringt man solche DNA-Stücke in Zellen ein, so werden sie genau an der Stelle ins Genom integriert, an der sich zuvor das zelluläre Gen befand. Wenn man dabei ein funktionierendes Gen ausschaltet, spricht man von „Knockout“. Je nach Funktion des betroffenen Gens wird ein solcher Effekt schon früh in der Embryogenese oder erst später im erwachsenen Organismus phänotypisch erkennbar. Vor allem an Mäusen wird das Prinzip der homologen Rekombination mit Erfolg eingesetzt, um Gene auszuschalten („Knockout-Mäuse“), da dieses Prinzip hier sehr gut funktioniert. Auch in der somatischen Gentherapie wird die homologe Rekombination eingesetzt, wobei man hier das Ziel verfolgt, kranke, d. h. mutierte Gene durch homologe Rekombination mit nicht mutierten Genen zu ersetzen.

Wie erfolgt nun die „Herstellung“ von Knockout-Mäusen? Zunächst werden aus Mäuse-Embryonen im Blastozysten-Stadium embryonale Stammzellen gewonnen und vermehrt. Anschließend wird ihre Erbsubstanz manipuliert, indem eine bestimmte DNA-Sequenz durch ihr „ausgeschaltetes“ Allel ersetzt wird. Diese in die Zellen eingebrachten Sequenzen sind mit einem so genannten „Marker-Gen“ ausgestattet; in den meisten Fällen ist das eines, das eine Antibiotikaresistenz verursacht. So können durch die Zugabe von Antibiotika schnell die erfolgreich „manipulierten“ Zellen aussortiert werden, da nur jene überleben, die die neu hinzugefügte Gensequenz in ihre DNA eingebaut haben. Diese Zellen werden nun in Blastozysten von Mäusen inseriert, die dann einem Weibchen eingesetzt werden. Die so entstehenden Mäuse-Jungen sind „Chimären“, die sowohl manipuliertes als auch nicht-manipuliertes Erbgut in sich tragen. Nun werden durch weitere Kreuzungen Mäusestämme gezüchtet, die nur mehr das ausgeschaltete Allel der jeweiligen Gensequenz in sich tragen. Diese Tiere werden dann Knockout-Mäuse genannt.

Knockout-Mäuse sind heute aus der medizinischen und genetischen Forschung nicht mehr wegzudenken, wie auch das Nobel-Komitee anlässlich der Würdigung der Preisträger hervorhob. Sie sind für die Erforschung der Funktionsweise der Gene und die Entwicklung des Organismus bei Säugetieren genauso unentbehrlich wie für die Untersuchung des genetischen Einflusses auf Krankheiten, insbesondere auf Krebs. Smithies entwickelte Mausmodelle zur Erforschung von zahlreichen menschlichen Krankheiten, etwa Arteriosklerose oder die angeborene Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose. Mittlerweile sind Mausmodelle für 500 verschiedene Krankheiten entwickelt worden, und laufend werden es mehr. Die verwendete Technologie ist zudem im Laufe der Jahre kontinuierlich verfeinert worden: So werden am Ludwig-Boltzmann-Institut für Krebsforschung in Wien bereits Mäuseorganismen mit sehr komplexen, mehrere Gene betreffenden Konstrukten („Multi-Hit-Konstrukte“) hergestellt, die man dann noch gezielt am erwachsenen Organismus „ein- und ausschalten“ kann.

Unter dem Jubel des Nobel-Komitees über die Knockout-Mäuse und die vielfältigen Forschungsergebnisse ging die Frage nach dem ethischen Risiko, das sie potenziell in sich tragen, fast unter. Dass man für die Entwicklung der Humanmedizin und Pharmakologie auf Tierversuche zurückgreift, hat neben zahlreichen praktischen Vorteilen auch einen ethischen Grund: Vieles, was im Tierversuch möglich ist, wäre bei der Anwendung am Menschen unethisch. Doch gerade in diesem Punkt verschwimmen seit einigen Jahren die Grenzen zwischen „erlaubt“ und „unerlaubt“ in alarmierendem Maße.

Eine der stärksten Versuchungen für Wissenschaftler heute scheint nämlich zu sein, die an Mäusen entwickelten Methoden auch auf andere „Lebewesen“ zu übertragen – insbesondere auf den Menschen. Als eine der ersten, faulen Früchte dieser Entwicklung gilt die „verbrauchende Forschung“ mit menschlichen embryonalen Stammzellen, bei der menschliches Leben im Frühstadium getötet wird. Dieser ethisch hochumstrittene Forschungszweig wird mittlerweile – trotz neuester Erkenntnisse von Alternativmethoden sowie zahlreicher medialer und politischer Debatten – zu den Mainstreamverfahren in der medizinischen Grundlagenforschung stilisiert.

Laut jenen Forschern, die selbst mit humanen embryonalen Stammzellen arbeiten, könne die Wissenschaft gar nicht auf diese Art der Forschung verzichten. Nobelpreisträger Capecchi selbst meinte in einem Interview mit dem deutschen Onlinedienst „Telepolis“ (10. 10. 2007), es wäre gar „kriminell“, nicht mit humanen embryonalen Stammzellen zu forschen.

Der zweite Aspekt der Herstellung von Knockout-Mäusen – der Eingriff in die Keimbahn von Lebewesen – scheint ebenfalls sehr verführerisch zu sein. Im Interview mit „Telepolis“ brachte Capecchi genau diesen Wunsch zum Ausdruck: „Das menschliche Genom liegt schon vor, diese Informationsbasis haben wir. (…) Ich würde auf diese Informationsbasis aber gern funktionell zugreifen, statt einfach nur Gensequenzen zu vergleichen.“ Im Klartext: Was bei Mäusen möglich ist - die Manipulation des Genoms durch gene targeting – soll doch auch beim Menschen erlaubt sein. Ethische Bedenken scheinen da keine Rolle mehr zu spielen. Alles, was möglich ist, soll man auch machen – so lautet offenbar die Devise.

Sollten die juristischen und ethischen Verbote auf diesem Gebiet eines Tages tatsächlich fallen, und sollten als Produkte derartiger Genmanipulation tatsächlich lebensfähige Menschen zur Welt kommen, dann ist die Zeit des „Designer-Babys“, des „normierten“ Menschen aus dem Katalog angebrochen. Dies wird auch die Zeit eines genetischen Totalitarismus sein, wie man es sich heute noch kaum ausmalen kann. Aldous Huxleys Schöne neue Welt lässt grüßen.

Anschrift der Autorin:

Dr. Petra Mihály, IMABE
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Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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