Bioethik aktuell

Belgien: Mehr Organspenden nach aktiver Sterbehilfe sollen Engpässe verkürzen

IMABE-Direktor Bonelli: „Gefährliche Verknüpfung von Tötung auf Verlangen und Organspende“

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In einem im Fachjournal JAMA veröffentlichten Brief (2017; 317(14): 1476-1477, doi:10.1001/jama.2017.0729) argumentiert eine Gruppe von niederländischen und belgischen Ärzten, dass Euthanasie willige Kandidaten mithelfen könnten, die Warteliste auf Spenderorgane zu verkürzen. Im Jahr 2015 hätten 1.288 Belgier auf ein Spenderorgan gewartet, 2.023 Belgier starben nach Euthanasie. Nach Schätzungen der Autoren hätte man bei mindestens 10 Prozent (204 Personen) zumindest ein Organ explantieren können. Wenn beispielsweise 400 Belgier nach aktiver Sterbehilfe ihre Nieren spenden würden, würde sich die Zahl der vorhandenen Nieren verdoppeln, so rechnen die Intensivmediziner und Transplantationschirurgen vor. Nicht nur in Belgien, auch in den Niederlanden ist die Entnahme von Spenderorganen nach Tötung auf Verlangen erlaubt, wenn auch dort eher selten praktiziert.

„Die Verknüpfung von Tötung auf Verlangen mit anschließender Organspende kann zu einer gefährlichen Mischung werden“, betont der Internist Johannes Bonelli, Direktor des Wiener Instituts für Bioethik, IMABE. Die Organspende ist per se eine ehrenwerte Handlung. An Euthanasiewillige zu appellieren, sie sollten auch Organe spenden, weil die Wartelisten so lange sind, sei jedoch moralisch abzulehnen, so der Mediziner. Damit würde ein zusätzlicher Druck auf eine ohnehin schon vulnerable Patientengruppe ausgeübt, die in ihren Suizidgedanken noch bestätigt wird, statt dass man ihnen Handlungsalternativen aufgezeigt, betont Bonelli.

Um als Spender in Frage zu kommen, müssen Patienten vorab ihr Einverständnis zur Organspende geben, in einem Krankenhaus sterben, und dürfen nicht älter als 75 Jahre alt sein. Auch Krebserkrankungen oder HIV schließen eine Organspende aus, so die Autoren des Maastricht University Medical Centers. Wer bleibt dann noch übrig? Laut Autoren würde schon eine vergleichsweise kleine Gruppe von Patienten, die nach aktiver Sterbehilfe ihrer Organe spenden, die Wartelisten erheblich verkürzen.

Was die Mediziner nicht erwähnen: Sollte sich Tötung auf Verlangen bei psychischen Erkrankungen wie Depression oder Psychose weiter etablieren (in den Beneluxstaaten ist diese Indikation legal, vgl. IMABE 03/2016), könnten auch jüngere, körperlich gesündere Patienten den Spenderpool ausweiten. Auch in der Schweiz beginnen Ärzte nun über Organspende nach Beihilfe zum Suizid zu diskutieren (vgl. Tagesanzeiger, online, 26.4.2017).

Die Niederlande könnten in jedem Fall auf wesentlich mehr Euthanasie-Organspender als Belgien zurückgreifen: Im Jahr 2016 starben 6.091 Menschen durch aktive Sterbehilfe (vgl. Regionale Toetsingscommissies Euthanasie 2016), das sind fast 17 Niederländer pro Tag, rund 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit bestätigt sich der steigende Trend der letzten Jahre (vgl. IMABE 11/2015).

Institut für Medizinische
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