Bioethik aktuell

Einsamkeit und isoliertes Leben: Wenn soziale Bindungen fehlen, ist das Sterberisiko merklich höher

Die WHO will weltweit Strategien gegen Einsamkeit entwickeln

Lesezeit: 03:47 Minuten

Einsamkeit hat negative Folgen für die Gesundheit und erhöht das Risiko für einen früheren Tod - vor allem dann, wenn vertrauensvolle Bindungen fehlen. Die gute Nachricht: Schon ein Besuch pro Monat von liebevollen Angehörigen oder Freunden kann das Sterberisiko verringern. Das berichten schottische Forscher in einer aktuellen Studie.

 

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Zeit mit Freunden und der Familie zu verbringen, wirkt sich nicht nur auf die Stimmung aus, sondern kann auch zu einem längeren Leben beitragen. Denn: Alleinlebende Menschen, die nie von Freunden oder der Familie besucht wurden, haben ein um 77 Prozent erhöhtes Sterberisiko im Vergleich zu jenen, die mit jemandem zusammenlebten und täglich Freunde oder Familie sahen. Das zeigt eine kürzlich erschienene schottische Studie (BMC Med 21, 384 (2023). https://doi.org/10.1186/s12916-023-03055-7).

Wissenschaftler untersuchten die Daten von 450.000 Briten

Für ihre Untersuchung analysierte das Team um den Gesundheitswissenschaftler Hamish M.E. Foster von der School of Health and Wellbeing der Universität Glasgow fünf verschiedene Faktoren sozialer Bindungen von mehr als 450.000 Personen (Durchschnittsalter: 57 Jahre) aus der UK-Biobank. Dort werden seit 2006 die Gesundheitsdaten von mehr als 500.000 Briten gespeichert. Im Untersuchungszeitraum von 12,6 Jahren waren etwa 33.000 Teilnehmer – 7 % der Kohorte – verstorben.

Vertrauenspersonen können Sterberisiko verringern

Das Fehlen von konstanten und vertrauensvollen Beziehungen erwies sich als stärkster Faktor hinsichtlich eines frühzeitigen Todes. Diese Beziehungen scheinen offenbar auch nicht einfach ersetzbar durch andere Kontakte, wie etwa wöchentliche Gruppenaktivitäten.

Umgekehrt zeigte sich, dass Menschen, die mindestens einmal im Monat Besuch von Freunden oder der Familie erhielten, ein deutlich geringeres Sterberisiko hatten. Soziale Interaktion durch Vertrauenspersonen haben mit einem relativ geringen Aufwand eine potenzielle Schutzwirkung für die Gesundheit.

Die Studie unterstreiche die Bedeutung von engen Freunden und Familienmitgliedern, sagt Caroline Abrahams, Direktorin der Wohltätigkeitsorganisation Age UK gegenüber The Guardian (online, 10.11.2023). „Bei uns allen, egal in welchem Alter, geschieht es sehr leicht, gesundheitliche Probleme zu ignorieren und nichts dagegen zu unternehmen. Jemanden zu haben, dem man sich anvertrauen könne, mache einen „echten Unterschied“. Gerade für ältere Menschen könne bereits das Angebot, sie zu einem Termin zu begleiten oder ihnen zumindest beim Transport zu helfen, entscheidend dafür sein, „ob sie sich aktiv um ein Gesundheitsproblem kümmern oder es weiterhin verdrängen, bis es ihnen ernsthaft schlecht geht“.

Subjektive und objektive Faktoren machen Einsamkeit und Isolation aus

Die Wissenschaftler untersuchten fünf verschiedene Faktoren, die soziale Bindungen beeinflussen und setzten sie zueinander in Relation. Gemessen wurden dabei der Einfluss von sowohl funktional-subjektiven Komponenten – Wie oft kann ich mich einer nahestehenden Person anvertrauen?; Wie oft fühle ich mich einsam? – als auch von strukturell-objektiven: Häufigkeit eines Besuchs von Freunden/Familie; Alleinleben; Teilnahme an wöchentlichen Gruppenaktivitäten.

Jede Form der sozialen Isolation ist mit höherem Sterberisiko verbunden

Sie fanden dabei heraus, dass jede Form der sozialen Isolation, wie z. B. allein leben, sich oft einsam fühlen oder seltene Besuche von Freunden bzw. Familie, mit einem höheren Sterberisiko verbunden war. Diejenigen, die unter mehr als einer Form der sozialen Isolation litten, hatten ein noch höheres Risiko: Menschen, die allein lebten und nie Freunde oder Familie sahen, hatten ein 77 % höheres Risiko, an einer beliebigen Todesursache zu sterben. Sich niemandem anvertrauen oder nicht an Aktivitäten teilnehmen zu können, erhöhte ebenfalls das Sterberisiko.

Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass manche Komponenten von sozialen Bindungen einen größeren Einfluss haben als andere. Weitere Untersuchungen seien erforderlich, um spezifische Lösungen zu finden, die möglicherweise auch die Risiken des Alleinlebens mindern können.

WHO: Menschen aller Altersstufen in vielen Ländern leiden

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will prüfen, was weltweit gegen Einsamkeit getan werden kann. Sie hat eine Kommission eingesetzt, die untersucht, wie soziale Kontakte als Beitrag zu guter Gesundheit gefördert werden können. Soziale Isolation sei nicht nur ein Phänomen unter älteren Menschen in reichen Ländern. Menschen aller Altersstufen in vielen Ländern würden darunter leiden, fehlenden Kontakt zu Freunden und Verwandten zu haben. Laut WHO sind unter Heranwachsenden Studien zufolge weltweit 5 bis 15 Prozent betroffen, unter älteren Menschen etwa 25 Prozent.

Österreich: 17 Prozent der Bevölkerung lebt alleine

In Österreich leben 1,546 Millionen Menschen alleine (Stand: 2022). Das sind etwa 17 Prozent der Bevölkerung und doppelt so viele wie noch im Jahr 1985. Die Mehrheit der Alleinlebenden sind Frauen, insbesondere bei den über 80-Jährigen (Bioethik aktuell, 18.3.2022).

Eine kürzlich erschienene Studie des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur "Förderung sozialer Teilhabe älterer alleinlebender Menschen in Österreich" (2023) zeigt das Potenzial von nachbarschaftlichem Engagement auf und geht der Frage nach, wie diese Form der Sorge füreinander unterstützt und gefördert werden kann. 

Die seit 2021 bestehende Plattform gegen Einsamkeit bietet eine Vielzahl von Informationen und Angeboten zur Bekämpfung von Einsamkeit in ganz Österreich, ein wachsendes Kompetenznetzwerk aus Experten und Betroffenen und vermittelt einen umfassenden Überblick über Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements.

Institut für Medizinische
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