Bioethik Aktuell

Pflegeheime in Österreich: Volksanwaltschaft fordert proaktive Aufklärung über assistierten Suizid

Kritiker verweisen auf Vorrang der Suizidprävention und das Verbot des Verleitens zum Suizid

Lesezeit: 04:48 Minuten

Dürfen Trägerorganisationen frei darüber entscheiden, ob und in welcher Form organisierte Selbsttötungen in ihren Einrichtungen stattfinden? Darüber wird derzeit in Österreich debattiert. Der Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft und Patientenanwälte erhöhen den Druck auf das Gesundheitspersonal, über den assistierten Suizid als Option zu informieren.

Der Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft hat dazu eine Stellungnahme zur Reichweite der Freiwilligkeit, möglichen Duldungsverpflichtungen von Alten- und Pflegeheimbetreibern sowie erforderlichen Begleitmaßnahmen zum Thema `Assistierter Suizid (Dezember 2023) vorgelegt, die nun veröffentlicht wurde. Anlass dazu waren unangekündigte Visiten in Pflegeheimen, bei denen Kontrolleure der Volksanwaltschaft menschenrechtswidrige Passagen in Hausordnungen und Heimverträgen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der seit 2022 in Österreich legalen Beihilfe zur Selbsttötung entdeckt haben wollen.

Dem assistierten Suizid soll der „Schrecken“ genommen werden 

Der Beirat hält fest, dass es aus „menschenrechtlicher Sicht“ nicht zulässig sei, wenn Pflegeeinrichtungen suizidwilligen Personen Informationen im Zusammenhang mit der Errichtung einer Sterbeverfügung vorenthalten, beispielsweise indem man dem Personal verbietet, darüber aufzuklären. Im Gegenteil: Man müsse dem assistierten Suizid seinen „Schrecken“ nehmen.

Heime seien verpflichtet, mit Hilfe Dritter organisierte Selbsttötungen zuzulassen 

Außerdem wären Bestimmungen in Heimverträgen, die auch die bloße Duldung der Durchführung des assistierten Suizids in Räumlichkeiten der Pflegeeinrichtung untersagen, unwirksam. Betreiber von Alten- und Pflegeheimen dürften sich laut Menschenrechtsbeirat zudem nicht auf das Freiwilligkeitsgebot des Sterbeverfügungsgesetzes berufen, um „hilfsbereite Dritte“ an der Suizidassistenz beispielsweise durch Betretungsverbote zu hindern. Das gelte insbesondere auch für Besuche von Notaren und Patientenanwälten. Die Sprecherin der Patienten- und Pflegeanwaltschaften Österreichs, Michaela Wlattnig, ortet bei manchen Heimbetreibern ein „tendenziöses“ Verhalten – und zwar „in die Richtung gehend, alles zu tun, um einer Person den assistierten Suizid zu verweigern“ (Profil, 8.2.2024)

„Recht auf Beendigung des Lebens“ ist ein Persönlichkeitsrecht 

Das im Sterbeverfügungsgesetz normierte Freiwilligkeitsgebot für natürliche und juristische Personen würde privaten Heimträgern zwar gestatten, selbst keine „Hilfeleistung im Sinn eines physischen Beitrags, worunter wohl auch das Bereitstellen spezieller Räume zu verstehen wäre“, anzubieten. Das nicht „Anbieten-Müssen“ von Beihilfe zur Selbsttötung in den Einrichtungen sei jedoch vom „Dulden-Müssen“ zu unterscheiden. Vorab im Heimvertrag festzulegen, dass die Einrichtung keinen assistierten Suizid zulasse, würde einen Eingriff in gesetzlich gewährleistete Persönlichkeitsrechte darstellen und könnten mittels Individual- oder Verbandsklage gerichtlich geltend gemacht werden. Suizidwillige Personen hätten außerdem einen durchsetzbaren „Anspruch auf Unterlassung aller Maßnahmen, die im Ergebnis ihr Recht auf Beendigung ihres Lebens beschneiden“ würden.

Kritik von Gesundheitseinrichtungen: Assistierter Suizid ist nicht einfach „eine Option unter anderen“

Christian Lagger, Geschäftsführer der Elisabethinen Graz, hält fest, dass „die Freiheitsentscheidungen von Menschen zu respektieren sind“. Niemand stünde es zu, darüber zu urteilen. Zugleich kritisiert er die Forderung der Volksanwaltschaft, wonach das Einrichtungspersonal über die rechtlichen Möglichkeiten des assistierten Suizids verpflichtend informieren sollte – noch dazu als „einer Option neben anderen“. 

Sterbewünsche werden ernst genommen, Suizidprävention hat Vorrang

„Unsere Ärzte und Pflegende sind täglich damit konfrontiert, dass hochbetagte Menschen vom Sterben reden“, so Lagger im Gespräch mit IMABE. „Das wird sehr ernst genommen werden. Niemanden wird damit alleine gelassen“. In der Praxis zeige sich jedoch, dass die Aussage „nicht mehr leben zu wollen“ keineswegs gleichbedeutend sei mit dem Wunsch nach einer Selbsttötung. Vielmehr sind sie ein Ruf nach Beistand, Nähe und Begleitung. „Menschen brauchen vor allem Assistenz im Leben, die Suizidprävention muss weiterhin Vorrang haben.“

Niemand darf subtil zum Suizid gedrängt werden

Die Arbeit in Pflegeheimen ist schön, kann aber auch anstrengend und mitunter überfordernd sein. In diesen sensiblen Betreuungssituationen ist es wichtig, Mitarbeiter davor zu schützen, in menschliche oder ökonomische Konfliktsituationen zu geraten, die sich auf die von ihnen betreuten Menschen nachteilig auswirken könnten. Dazu zählen Gespräche oder Handlungen, deren Ziel der vorzeitige Tod der Betreuten ist.

Als Gesundheitseinrichtung stelle sich die Frage, wie man mit ausreichender Sicherheit verhindern kann, dass Mitarbeiter, die unter schwierigen Situationen und auch oft genug unter der Aggression von Bewohnerinnen und Bewohnern leiden, diese nicht – wenn auch nur unbewusst - zum Suizid drängen.

Druck auf sozialverträgliches Frühableben steigt

Die Frage nach einem assistierten Suizid kommt auch von Angehörigen, die fragen: „Wäre das nicht etwas für die Oma?“ „Der Schritt, über Suizidassistenz zu beraten hin zum gewollten Loswerden eines unliebsamen oder schwierigen Bewohners, ist kleiner als man denkt“, gibt der Geschäftsführer der Elisabethinen Graz zu bedenken. Angesichts von Kostendruck und Pflegenotstand steige auch der gesellschaftliche Druck auf ein „sozialverträgliches Frühableben“. 

Forderung nach Ausbau mobiler palliativer und alterspsychiatrischer Einheiten

Suizidwünsche hingen oft mit Altersdepressionen zusammen, die zwar gut behandelbar seien, wegen Mangelversorgung jedoch häufig unentdeckt blieben, kritisiert Lagger. Für Pflegewohneinrichtungen brauche es deshalb sowohl einen Ausbau von mobilen Palliativteams als auch von alterspsychiatrischen Einheiten: „Das ist die professionelle Zuwendung zum Menschen, die wir uns vorstellen.“

Meinung unter Juristen ist differenziert und keineswegs so einhellig 

Ist das Freiwilligkeitsgebot des Sterbeverfügungsgesetzes tatsächlich so eindeutig auszulegen, wie dies der Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft darstellt? Antonia Busch-Holewik, Referentin für Recht und Bioethik am IMABE, widerspricht: Sie verweist auf zahlreiche Juristen wie etwa Marissa Maxime May (Wiener Gesundheitsverbund), Matthias Neumayer (Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs) und Reinhard Resch (Professor für Medizinrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht, Leiter des Instituts für Recht der sozialen Daseinsvorsorge und Medizinrecht in Linz) oder Gerhard Huber (Rechtsanwalt mit Spezialisierung auf Medizinrecht), die von keiner Duldungspflicht privater, konfessioneller Gesundheitseinrichtungen ausgehen oder diese zumindest differenzierter betrachten.

„Es ist auch nicht herrschende Meinung unter Rechtsexperten, dass es eine Informationspflicht durch Mitarbeiter hinsichtlich der rechtlichen Möglichkeiten im Zusammenhang mit assistiertem Suizid gebe“, stellt Busch-Holewik klar. In der Fachwelt werde das Freiwilligkeitsgebot zudem auch dahingehend ausgelegt, dass es privaten Einrichtungen sehr wohl erlaubt sei, Besuche im Zusammenhang mit der Durchführung von assistiertem Suizid zu untersagen (vgl. Michael Ganner, Universitätsprofessor für Bürgerliches Recht und Grundlagen der Rechtswissenschaft am Institut für Zivilrecht der Leopold-Franzens-Universität).

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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