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Sterbehilfe spart Kosten: Kanadas Ökonomen favorisieren Sterbehilfe-Ausweitung

Neues Gesetz soll Tötung unmittelbar nach Todeswunsch ermöglichen

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Spielen ökonomische Interessen bei der Einführung von Pro-Sterbehilfe-Gesetzen eine Rolle? „Das Beispiel Kanada zeigt uns auf erschreckende Weise, dass Kostenreduktion durch Sterbehilfe eine offenbar viel größere Rolle spielt als in der Öffentlichkeit wahrgenommen“, sagt die Wiener Bioethikerin Susanne Kummer. Die IMABE-Geschäftsführerin verweist auf einen offiziellen Report mit dem Titel Cost Estimate for Bill C-7 “Medical Assistance in Dying” (20.10.2020). Darin rechnen die Autoren hoch, dass sich das kanadische Gesundheitssystem durch aktive Sterbehilfe (Medical Assistance in Dying - MAID) bereits 89,6 Mio. CAD (56 Mio. Euro) erspart hat. Sollte das Parlament einer derzeit debattierten Ausweitung von Euthanasie wie sie in Kanada unverhohlen genannt wird, zustimmen, könnte für 2021 die Kostenersparnis fast doppelt so hoch sein, schreiben die Autoren.

Der für den Bericht federführende Finanzberater Govindadeva Bernier und Co-Autoren aus dem Parlamentarischen Haushaltsausschuss (PBO) beeilen sich zu erklären, dass ihre Analyse nicht als Plädoyer für aktive Sterbehilfe verstanden werden soll, um Kosten zu reduzieren. Dann erfolgt jedoch eine penible Analyse des positiven Effekts für die Kassen des Gesundheitssystems: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Erweiterung des Zugangs zu MAID zu einer Nettoverringerung von Gesundheitskosten für die Provinzen führt“, heißt es in dem Report. Bei einer Einführung der Bill C-7 würden insgesamt 149 Mio. CAD eingespart werden können, heißt es im Bericht.

Die umstrittene Bill C-7 sieht vor, dass auch chronisch Kranke nach einer Bedenkfrist von 90 Tagen „ärztliche Hilfe“ bei ihrer Tötung in Anspruch nehmen dürfen (vgl. Parlamentsdebatte, 27.2.2020), auch wenn ihr Tod nicht absehbar bevorstehe. Außerdem soll die Wartefrist von 10 Tagen bei Schwerkranken wegfallen. „Damit wäre eine Sofort-Tötung am selben Tag möglich“, kritisiert Kummer. Das widerspreche den Erfahrungen aus der Palliativmedizin: „Sterbewünsche können sich von einem auf den anderen Tag ändern.“ Da eine lebensbedrohliche Erkrankung nicht mehr MAID-Voraussetzung sein soll, wären auch psychisch kranke Menschen zugelassen. Die kanadische Regierung wird voraussichtlich bis 18. Dezember über eine Ausweitung des Sterbehilfe-Gesetzes entscheiden.

Viele Studien hätten gezeigt, dass die Kosten für die Gesundheitsversorgung im letzten Lebensjahr und insbesondere im letzten Monat "unverhältnismäßig hoch" seien, heißt es im PBO-Bericht. Die Kosten machen zwischen 10 und 20% der gesamten Gesundheitskosten aus, obwohl die Patienten nur etwa 1% der Bevölkerung ausmachen.

Für ihre Hochrechnungen zogen die Ökonomen Daten aus den Niederlanden und Belgien heran, kombinierten die durch aktive Sterbehilfe verkürzte Lebenszeit am Lebensende mit den sonst für diese Spanne zu erwartenden Kosten in Kanada und legten das Ergebnis auf die Zahl der zu erwartenden Fälle von Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid um. Beides ist seit 2016 in mit der Bill C-14 erlaubt. Im Jahr 2019 starben 5.631 Menschen nach aktiver Sterbehilfe, das sind 15 pro Tag, 2016 waren es noch 1.015 Fälle (vgl. Bioethik online, 2.8.2020). Die Annahmen bei der Berechnung der Kosteneinsparungen im Jahr 2021 lauten, dass 2,2% (6.465) aller Todesfälle in Kanada auf aktive Sterbehilfe zurückgehen werden. Das Gros jener, die MAID in Anspruch nehmen, wäre zwischen 60 und 79 Jahre (50%) bzw. 80 Jahre und älter (37%).

„Der Ruf nach einer Legalisierung von aktiver Sterbehilfe kann nicht losgelöst von der demographischen Entwicklung und der Kostenspirale im Gesundheitswesen betrachtet werden“, gibt Kummer zu bedenken - auch für die österreichische Debatte.
Ab 23. November wird sich der Verfassungsgerichtshof erneut mit dem Verbot von Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung in Österreich befassen.
Aktuelle Medienberichte, Hintergründe und Stellungnahmen dazu: IMABE-Dossier Sterbehilfe

 

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