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Cannabis-Legalisierung: Mehr Notaufnahmen aufgrund von Vergiftungen bei Kleinkindern

Legalisierung verharmlost Gesundheitsrisiko und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums

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Die Anzahl der Notfalleinsätze aufgrund einer Cannabisvergiftung bei Kleinkindern ist in Kanada seit der Legalisierung im Jahr 2018 um das Neunfache gestiegen. Insbesondere nach dem Konsum von Lebensmitteln wie Cannabis-Keksen oder Cannabis-Gummibärchen stieg die Zahl dramatisch an. Auch die Zahl der Kinder, die stationär aufgenommen werden müssen, hat sich verdoppelt. Ihr Durchschnittsalter betrug zwischen neun Monaten und drei Jahren. Das ist das erschreckende Ergebnis einer kürzlich in JAMA Network Open publizierten Studie (JAMA Netw Open. 2022;5(1):e2142521. doi:10.1001/jamanetworkopen.2021.42521).

10 Prozent aller Vergiftungen von Kindern, die in der zentralen Notaufnahme in Ontario untersucht wurden, sind auf den Konsum von cannabishaltigen Produkten zurückzuführen. Knapp ein Drittel (32,7 %) der Kinder musste aufgrund ihrer Vergiftung im Krankenhaus behandelt werden, ein Teil (3,6 %) sogar auf der Intensivstation. Einen Todesfall gab es bisher nicht.

Für die Studie hatten die Wissenschaftler des Krankenhauses Ottawa und die Abteilung für Familienmedizin der Universität in Ottawa alle Einlieferungen in die Notfallambulanz von Kindern der Provinz Ontario (14,6 Millionen Einwohner) in drei Zeiträumen untersucht: vor der Legalisierung von Cannabis (2016 bis 2018), nach der Legalisierung von Cannabis-Blüten, -Samen und -Ölen (2018 bis 2020) sowie nach der Freigabe von cannabishaltigen Lebensmitteln (Februar 2020).

Im gesamten Studienzeitraum kam es zu 522 Einlieferungen in die Notaufnahme aufgrund von Vergiftungen bei Kindern. Während glücklicherweise die Gesamtvergiftungszahl bei Kindern abnahm, stieg während der Covid-19-Pandemie der Anteil an Cannabis-Vergiftungen zusätzlich an, was mit dem erhöhten Cannabis-Konsum von Erwachsenen in der Pandemiezeit zusammenhängen dürfte.

 „Die Ergebnisse sind deshalb so dramatisch, weil sich Kanada von der Legalisierung ja erhofft hatte, dass der versehentliche Konsum bei Kindern abnimmt“, so Studienleiter Daniel Myran. Es gibt Vorschriften, wie hoch die Konzentration in den Lebensmitteln sein darf und für kindersichere Verpackung. Außerdem sollte durch Schulungen von Eltern und Betreuungspersonen die Gefahr für Kinder sinken. „Die Zahlen der Studie zeigen jedoch, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde“, schlussfolgert Myran.

Indes kritisierte der 125. Deutsche Ärztetag (DÄT) scharf eine mögliche Legalisierung von Cannabis in Deutschland (vgl. Presseaussendung, 3.11.2021): „Die Legalisierung verharmlost die gesundheitlichen Gefahren, negativen Folgen und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums für Kinder und Jugendliche“, heißt es in einer Stellungnahme. Die Ärzte warnen vor möglichen Risiken für die Gesundheit der Konsumierenden und Folgen für die medizinische Versorgung. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass es zu einer Zunahme von cannabisbedingten Notaufnahmen, erhöhtem psychiatrischen Behandlungsbedarf sowie cannabisbedingten tödlichen Verkehrsunfällen und Suiziden komme.

Internationale Konzerne hingegen bereiten sich schon darauf vor, dass auch in Deutschland demnächst Cannabis für den Freizeitkonsum legalisiert wird. Laut ersten Berechnungen könnte der Staat bei einem durchschnittlichen Bruttopreis von 10 Euro/g gut an einer Legalisierung verdienen. Steuereinnahmen von insgesamt bis zu 2,8 Mrd. Euro jährlich werden prognostiziert (vgl. Wirtschaftsdienst, 2021 (101): 12, 984–986). Die Cannabis-Produktion könnte so Milliardengewinne bringen und für neue Arbeitsplätze sorgen, lauten die Argumente (vgl. Bioethik aktuell, 15.1.2018). "Dass verpflichtend ein Anteil der Steuereinnahmen für das Gesundheitswesen angesichts der Gesundheitsschäden für beispielsweise Jugendliche verwendet wird oder für den Ausbau von Prävention - das kommt jedoch nirgends vor", kritisiert die Wiener Ethikerin Susanne Kummer (IMABE). 

Sie verweist auf umfassende Studien, die in den vergangenen 20 Jahren gezeigt haben, dass Cannabis alles andere als harmlos ist. "Die Droge macht sehr schnell abhängig, kann Depressionen, Psychosen und andere schwere psychische Erkrankungen auslösen und bahnt den Weg zu harten Drogen", so Kummer (vgl. Bioethik aktuell, 21.1.2019). Jüngste Ergebnisse einer 2021 publizierten US-Studie zeigten, dass der Cannabis-Konsum das Gehirn von Jugendlichen unter 25 Jahren nachweislich und dauerhaft schädigt (vgl. Bioethik aktuell, 9.9.2021). Im US-Bundesstaat Colorado musste nach der Legalisierung von Cannabis die Kapazität der Jugendpsychiatrie aufgrund der rasant ansteigenden Anzahl von Süchtigen und durch Cannabis hervorgerufenen Psychosen verdoppelt werden (vgl. Bioethik aktuell, 8.5.2017).

Institut für Medizinische
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