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COVID-19-Impfung: Wissenschaftler betonen hohe Wirksamkeit, Begleitstudien sind nötig

Offene Fragen zu langfristigen Nebenwirkungen, Schutz und Logistik

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Der Impfstoff von Biontech/Pfizer wird der erste sein, der in Österreich ab 27. Dezember zur Anwendung kommt. Rund 10.000 Impfdosen sollen dann „in einigen ausgesuchten Alten- und Pflegeheimen“ zunächst in Wien und Niederösterreich zum Einsatz kommen. sagte der COVID-Sonderbeauftragte Clemens Martin Auer im  Ö1-Morgenjournal (16.12.2020). Im Laufe des Jänners 2021 würde es dann laut Auer mit rund 230.000 Dosen von Biontech/Pfizer weitergehen. Diese Impfdosen würden entsprechend der österreichischen Impfstrategie ebenfalls in den Alters- und Pflegeheimen zur Anwendung kommen.

Die nächste Lieferung solle in Österreich ebenfalls im Lauf des Jänners erfolgen – und zwar 200.000 Dosen des US-Konzerns Moderna. Damit wird die Immunisierung des Gesundheitspersonals in Krankenhäusern, Ordinationen etc. und von Hochrisikogruppen möglich sein. Die dritte Impfstofftranche sollte von AstraZeneca kommen und ist mit rund zwei Millionen Vakzin-Dosen die höchste. Dann soll die zweite Impfplan-Phase beginnen: Impfungen für alle Personen über 65 sowie solche mit Systemrisiko in den Bereichen Bildung, Sicherheit, Justiz und in der kritischen Infrastruktur. Wann der Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers zugelassen wird, ist noch offen (vgl. Die Presse, 16.12.2020).

Im New England Journal of Medicine (NEJM, December 10, 2020, DOI: 10.1056/NEJMoa2034577) wird dem Impfstoff von Biontech/Pfizer ein gutes Sicherheitsprofil attestiert. Bei den Nebenwirkungen handle es sich vor allem um leichte bis mittelstarke Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit und Kopfschmerzen. Auch der österreichische Virologe Florian Krammer vom der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, betont, dass der Impfstoff von älteren Personen (65–85 Jahre) gut vertragen würde. Wie gut die Impfung bei Personen mit Immunschwäche wirkt, ist momentan nicht klar, und dazu wird es weitere Studien geben. „Ich würde auf jeden Fall empfehlen, mit dem behandelnden Arzt und den jeweiligen Vertretungen der Patientengruppen Rücksprache zu halten“, empfiehlt Krammer (vgl. Standard, 14.12.2020).

In den offiziellen Warnhinweisen von Biontech/Pfizer für das Gesundheitspersonal betonen die Hersteller, dass Personen, die Gerinnungshemmer („Blutverdünner“) nehmen, nicht per Injektion geimpft werden dürften, hier müssten behandelnde Ärzte eine Risiko/Nutzen-Abwägung vornehmen. Das trifft besonders ältere Menschen, die zur Risikogruppe gehören.

Der NEJM-Chefredakteur Eric J. Rubin und Dan L. Longo von der Harvard Medical School zeigt sich erfreut über die rasche Entwicklung des COVID-19 Impfstoffs. Gleichzeitig sprechen sie im Editorial noch einige offene Fragen an (NEJM, December 10, 2020 DOI: 10.1056/NEJMe2034717): „Nach jetzigem Stand kann jemand, der sich impfen lässt, weiterhin andere Menschen infizieren. Wie lange bleibt der Impfschutz wirksam? Verhindert die Impfung auch asymptomatische Erkrankungen und begrenzt die Übertragung? Was ist mit Menschen, die in dieser Studie nicht vertreten waren, etwa Kinder, schwangere Frauen und immungeschwächte Patienten?“, fragen Rubin und Longo.

Erst zwei Dosen der Vakzine geben einen vollständigen Schutz: Was passiert mit der unvermeidlich nicht ganz geringen Zahl von Personen, die dann aber nur eine Dosis bekommen und den nächsten Termin nicht wahrnehmen? Werden unerwartete Sicherheitsprobleme auftreten, wenn diese Zahl auf Millionen und möglicherweise Milliarden von Menschen ansteigt? Werden sich bei längerer Nachbeobachtungszeit noch zusätzliche Nebenwirkungen zeigen?

Die Autoren streichen auch die logistischen Herausforderungen bei der Lagerung des Biontech/Pfizer-Impfstoffes hervor, diese muss bei minus 70°C erfolgen. (Zum Vergleich: Der Moderna-Impfstoff kann laut Hersteller bei minus 20 Grad Celsius bis zu sechs Monate lang, jener von AstraZeneca bei normalen Kühlschranktemperaturen für mindestens sechs Monate gelagert werden.)

Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, fordert, dass „unbedingt sehr gründlich jetzt die Nebenwirkungen, die auftreten" registriert werden.  „Wir müssen sie dokumentieren und dann auch frühzeitig darüber informieren" (vgl. ZDF-Interview 19.12.2020). Ludwig ist selbst Mitglied des Management-Boards der EMA (vgl. Bioethik online, 19.12.2020).

In Hinblick auf die angegebene Wirksamkeit des Impfstoffs „von bis zu 95%„ klären der Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Gerd Gigerenzer und sein Team vom Projekt Unstatistik des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Missverständnisse auf.

Nicht gemeint ist, dass bei 90 Prozent neun von zehn Geimpften vor einer Covid-19 Infektion geschützt sind. Es geht vielmehr um eine relative Risikoreduktion, die sich wie folgt berechnet: Von allen Personen, die im Rahmen der Studie positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden (43.548), waren 95 Prozent (162 Personen) in jener Gruppe, die keinen Impfstoff bekommen hatte. 5 Prozent haben sich mit Covid-19 infiziert, obwohl sie geimpft waren (8 Personen). Insgesamt gab es 10 Fälle einer schweren Covid-19 Erkrankung: 9 davon in der Placebogruppe, ein Fall unter den Geimpften (vgl. NEJM, December 10, 2020, DOI: 10.1056/NEJMoa2034577). Mehr als 99,5 Prozent der Teilnehmenden aus beiden Gruppen steckten sich überhaupt nicht an - egal ob sie geimpft waren oder nicht. Insgesamt sei die Zahl der Infizierten sowohl bei den Ungeimpften (0,4) als auch den Geimpften (0,04) sehr gering, sagt Katharina Schüller vom Unstatistik-Team (vgl. Bayrischer Rundfunk, 15.12.2020).

Dennoch bewerten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Werte von über 90 Prozent „efficacy“ für eine klinische Studie (Phase III) als erfreulich; sie seien eine gute Grundlage für eine hohe absolute Wirksamkeit in der Realität („efficiency“), wenn der Impfstoff für alle ausgegeben wird, so Schüller.

In Science (27 Nov 2020: Vol. 370, Issue 6520, pp. 1022) mahnt die Wissenschaftspublizistin Meredith Wadman, dass die Öffentlichkeit transparent über potenzielle Nebenwirkungen der Impfstoffe informiert werden sollte. Man sollte diese offen ansprechen und die Menschen darauf vorbereiten, womit sie zu rechnen – etwa hohes Fieber – haben. Dann würde dies eher akzeptiert, so Wadmann.

 

Institut für Medizinische
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