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COVID-19: Kontroverse um Impfung von Kindern hält an

Geringes Krankheitsrisiko, Datenlage und offene Fragen zur Herdenimmunität müssen mitberücksichtigt werden

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Laut der Arzneimittelbehörde EMA darf der Coronaimpfstoff von Biontech/Pfizer in der Europäischen Union auch für Kinder ab zwölf Jahren verwendet werden. Die entsprechende Zulassung erfolgte am 28. Mai. In Österreich hat das Nationale Impfgremium (NIG) das Vakzin für einen Einsatz bei 12- bis 15-Jährigen empfohlen. Wunsch der Politik ist es, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen bis Sommerende über die Impfaktionen der Länder geimpft werden. Auch die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) begrüßt und unterstützt die Entscheidung, Kinder ab zwölf Jahren zu impfen. Dennoch sind sich viele Eltern unsicher, ob sie ihre Kinder impfen lassen sollen. Und auch die Expertenmeinungen gehen auseinander.

In Deutschland möchte die Ständige Impfkommission (STIKO) noch keine allgemeine Impfempfehlung für alle Kinder geben, sondern nur für Kinder mit Vorerkrankungen. Grund für diese Entscheidung ist unter anderem die noch unbefriedigende Datenlage. Offen ist laut Stiko auch, ob das Ziel einer Herdenimmunität über eine Kinderimpfung überhaupt erreicht werden kann.

Stiko-Vorsitzender Thomas Mertens äußerte sich mahnend in Richtung Politik. „Den Kindern bietet man ja kein Lakritzbonbon an, das ist ein medizinischer Eingriff, und der muss eben entsprechend indiziert sein“, sagte Mertens im NDR-Podcast "Die Pandemie, der Impfstoff und die Kinder" (2.6.2021). Dass die Politik unabhängige Institutionen wie die Stiko übergehe - und dies ohne Zeitdruck, da derzeit nicht einmal genügend Impfstoff für Ältere zur Verfügung steht -, wird zunehmend kritisch gesehen (vgl. Die Zeit, online 1.6.2021). In Österreich wiederum steht die Frage der tatsächlichen Unabhängigkeit des Nationalen Impfgremiums im Raum, zumal rund die Hälfte der Mitglieder aus (weisungsgebundenen) Beamten diverser Ministerien bestehen.

Die Entscheidung, ob die Stiko empfehle, alle Kinder zwischen zwölf und 16 Jahren gegen das Coronavirus zu impfen, müsse laut Mertens „auf der besten verfügbaren Evidenzbasis getroffen werden“. Die Daten aus der Zulassungsstudie des Herstellers reichten dafür bisher nicht aus. Mit lediglich 1.100 geimpften Kindern hält die Stiko die Zahl für zu gering, um eine belastbare Aussage über die Sicherheit in dieser Altersgruppe zu machen. 1,3 Prozent der geimpften Kinder hätten schwere Reaktionen gezeigt, berichtet die Süddeutsche Zeitung (online, 2.6.2021).

Auch Weltärztebundpräsident Frank-Ulrich Montgomery hat sich zuletzt aufgrund der noch mangelnden Daten dagegen ausgesprochen, Minderjährigen eine Corona-Impfung zu empfehlen.

Bei der Entscheidung für oder gegen eine Empfehlung müssten laut Stiko auch andere Faktoren berücksichtigt werden, etwa das Krankheitsrisiko oder die Frage der Herdenimmunität. Die Stiko werde so gut wie nachweislich empfehlen, Kinder mit Vorerkrankungen zu impfen. Strittig sei nur die Frage, ob es eine generelle Empfehlung gebe. Den Nutzen für die Herdenimmunität sieht Mertens nur gering. So lange der Impfstoff knapp sei, müsse man sich entscheiden, ob man lieber Jugendliche oder Erwachsene impfe.

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin betont in ihrer Stellungnahme COVID-19-Impfungen bei Kindern und Jugendlichen (26.5.2021), dass das Risiko für Kinder und Jugendliche im Rahmen einer COVID-19-Infektion schwer oder gar mit Folgeschäden zu erkranken, sehr gering sei. Eine politisch diskutierte flächendeckende COVID-19-Impfung dieser Altersgruppe könne daher nicht mit dem Eigennutzen der Geimpften begründet werden. Außerdem müsse sichergestellt werden, dass es für Nicht-Geimpfte keine Nachteile gebe: Das „Recht auf den Besuch von Schule oder Kindertagesstätte oder der Anspruch auf gleichberechtigte soziale Teilhabe kann nicht an eine bestimmte Impfentscheidung geknüpft werden“.

Seit Beginn der Pandemie sind von rund 14 Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland nur etwa 1.200 im Krankenhaus (< 0,01%) behandelt worden. Bisher ist ein einziger von ca. 2 Millionen infizierten Kindern und Jugendlichen sicher an COVID-19 gestorben (< 0,0001%). Zum Vergleich: Im Jahr 2019 sind allein 55 Kinder bei Verkehrsunfällen gestorben. (vgl. David Martin et al., Juni 2021 (preprint): COVID-19 Impfung für Kinder und Jugendliche? Vierzehn Argumente für einen rationalen Weg in Deutschland).

Biontech/Pfizer führt inzwischen erste Studien bei gesunden Kindern zwischen 6 Monaten und 11 Jahren durch, um auch für diese Altersgruppe eine Zulassung zu erhalten (vgl. CNC, online 30.4.2021). Ein Impfstoff für Kinder ab 5 Jahre sollte laut Pharmaunternehmen mit Ende des Sommers zur Verfügung stehen.

Institut für Medizinische
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