Bioethik aktuell

Genom-Editing: Wissenschaft baut am krankheitsresistenten Menschen

IMABE: Heilen um jeden Preis ist ein Scheinargument für andere Interessen

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Kaum ein Monat vergeht, in der nicht eine No-Go-Grenze für die Reproduktionsforschung überschritten wird. Die verbrauchende Embryonenforschung und Erbgutmanipulationen stehen dabei an der Spitze. Nun haben die U.S. National Academy of Sciences (NAS) und die National Academy of Medicine in Washington D.C. empfohlen, dass klinische Versuche am Embryo erlaubt werden sollen, bei der die DNA manipuliert wird. Ziel sei die Verhinderung von Erbkrankheiten. Mithilfe der als „Gen-Schere“ bekannten Methode sollen bestimmte, in diesem Fall krankmachende, Abschnitte im menschlichen Erbgut „herausgeschnitten“ werden.

Bei allem Verständnis für das Anliegen, neue Therapieansätze durch die CRISPR/Cas9-Methode zu finden: Das Argument, wonach die „Gen-Schere“ ein Fortschritt in der Ausmerzung von Erbkrankheiten im Erbgut des Embryos und seiner Nachkommen sei, hält Kummer für ein „Scheinargument“. Medizinisch erfüllt die neue Methode keinen Zweck. „Bei potentiell vererbbaren Krankheiten ist ja bei weitem nicht jedes Kind automatisch betroffen. Je nach Typ der Erkrankung - man spricht von autosomal rezessiven und autosomal dominanten Erbgängen - weiß man heute, dass die Wahrscheinlichkeit für das Kind nur bei 25 oder 50 Prozent liegt, tatsächlich zu erkranken.“ Das will heißen: 75 bzw. 50 Prozent des Nachwuchses sind nicht davon betroffen. Um Schwangerschaften mit nicht betroffenen Embryonen zu ermöglichen, hatte man die Präimplantationsdiagnostik (PID) propagiert und in zahlreichen Ländern legalisiert. „Wozu soll man also nun versuchen, die mit der Krankheit betroffenen Embryonen mittels riskanter Gen-Schere zu ‚reparieren’, wenn man ohnehin zwischen mehreren Embryonen den sogenannten ‚gesunden’ auswählen und der Frau einsetzen kann?“, fragt die Bioethikerin, für die auch diese Form der Selektion von Embryonen ethisch nicht haltbar ist. Bei auffälligem Testergebnis im Rahmen der PID wird der Embryo nicht implantiert, sondern vernichtet.

„Es scheint, dass bei CRISPR/Cas9 neben wissenschaftlicher Neugierde auch marktwirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen“, sagt Bioethikerin Susanne Kummer. „Die Goldgräberstimmung in der Stammzellenforschung ist vorbei, die großen Gewinne sind ausgeblieben, jetzt muss man neue Marktfelder eröffnen, die den Glauben an die Machbarkeit schüren - vom genetischen Wunschkind bis zum ‚krankheitsresistenten’ Menschen.“

Ein chinesisches Forscherteam der Medizinischen Universität Guangzhou hat trotz ethischer Vorbehalte und Debatten bereits zweimal das Erbgut von Embryonen mittels Genom-Editing verändert. Das Ziel: Die Embryonen sollten gentechnisch so manipuliert werden, dass sie - ähnlich wie Agrarpflanzen - „krankheitsresistent“ werden, in diesem Fall gegen HIV.

Die im Journal of Assisted Reproduction and Genetics (2016; doi:10.1007/s10815-016-0710-8) publizierten Ergebnisse des chinesischen Forscherteams waren allerdings ernüchternd. Die Autoren verwendeten 213 Embryonen. Mittels CRISPR/Cas9-Technologie schleusten sie eine Variante des Gens CCR5 in das Erbgut von 26 Embryonen ein. Dies soll vor einer HIV-Infektion schützen. Allein: Nur bei vier Embryonen glückte die Technik. Die Genom-Veränderung fand dann jedoch bei weitem auch nicht bei allen Chromosomen statt - dafür wanderte das Transfergen an nicht gewünschte Stellen im Genom, es kam zu Mutationen.

Die Risiken der Technik für das Individuum und die möglichen Folgeschäden für zukünftige Generationen und Bevölkerungen aufgrund der Veränderung des Erbguts sind noch völlig ungewiss. Es treten nachweislich unerwünschte Nebenfolgen auf, sogenannte Off-Target-Effekte. „Die Folgen davon zeigen sich in vollem Ausmaß letztlich erst im entwickelten Organismus. Wer haftet dann dafür, wenn die ersten Patientenklagen kommen von genveränderten Menschen, die zwar keine Erbkrankheit haben, aber frühzeitig an Krebs erkranken?“

Medizinisch bestehe also gar kein Bedarf an CRISPR/Cas9. „Der eigentliche Motor für die Entwicklung ist der Traum des Enhancements, also der Verbesserung und Steigerung bestimmter Eigenschaften im Genom“, so die Ethikerin. Diesen Optimierungssehnsüchten liegen fragwürdige eugenische Ansätze zugrunde. „Das sollte man wenigstens ehrlich aussprechen.“

Völlig ausgeblendet wird in der Debatte zudem, dass diese Art ethisch umstrittener Forschung Embryonen als Rohstoff in Labortests verbraucht. „Die Genom-Editierung kommt nicht ohne die selektive Vernichtung von Embryonen aus. Dem muss klar widersprochen werden: Der Embryo ist kein Heilmittel. Die Würde des Menschen in allen seinen Entwicklungsphasen verbietet es, ihn für Experimente zu verzwecken“, betont Kummer.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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