Bioethik aktuell

Leihmutterschaft: Behinderte Kinder werden von Bestelleltern in Ukraine zurückgelassen

Indien plant nach 17 Jahren ein komplettes Verbot von kommerzieller Leihmutterschaft

Lesezeit: 02:46 Minuten

© Fotolia_207276669_Wellnhofer_Designs

In der Ukraine, einem der ärmsten Länder Europas, blüht das Geschäft mit Leihmutterschaft. Vor allem Armut treibt Frauen dazu, sich von Agenturen anheuern zu lassen. Nun berichtet die australische Journalistin Samantha Hawley, die bereits 2014 den Fall Gammy (vgl. Bioethik aktuell, 15.9.2014) aufdeckte, in ihrer Dokumentation Damaged babies and broken hearts über die groben Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Leihmutterschaft in der Ukraine (vgl. ABC, online, 20.8.2019).

Ein kalifornisches Paar hatte ein Kind via Leihmutter bei der Agentur BioTexCom in Kiew in Auftrag gegeben. Als sie erfuhren, dass das Kind als Frühgeburt mit schweren Behinderungen zur Welt gekommen war, weigerten sie sich, es abzuholen. Marina Boyko, eine Krankenschwester, kümmerte sich daraufhin um das frühgeborene Baby, das im Spital behandelt wurde. Die Bestelleltern forderten die Einstellung der Therapie für Bridget, so der Name des Kindes, da es ohnehin nur in einem „vegetativen Zustand“ lebe. Die Ärzte gaben dieser Forderung nicht nach, der Gesundheitszustand der Kleinen besserte sich: Sie kann sehen und hören, sich verständigen, essen, lächeln und hat nach Worten Boykos auch gute Chancen, selbständig gehen zu können, sofern sie die entsprechende Physiotherapie bekommt. Die ersten drei Jahre ihres Lebens verbrachte Bridget praktisch im Krankenhaus. Jetzt lebt sie in einem Heim für chronisch kranke Kinder im ukrainischen Saporischschja. Sollten allerdings keine Pflegeeltern für sie gefunden werden, verliert sie im Alter von sieben Jahren den Anspruch auf jegliche Therapie. In der Ukraine würde sie mit 18 Jahren dann in ein Altersheim kommen.

Nikolai Kuleba, Leiter der staatlichen Ombudsstelle für Kinder, betont, dass es sich um „keinen Einzelfall“ handle. Derzeit wisse man von zehn anderen behinderten Kindern, die nach Leihmutterschaft in der Ukraine geboren und von ihren ausländischen Eltern im Stich gelassen worden sind. Die Dunkelziffer dürfte laut Kuleba noch viel höher liegen.

BioTexCom ist marktführende Wunschbaby-Klinik in der Ukraine. Sie brüstet sich u. a. damit, einer 65-jährigen deutschen Lehrerin im Jahr 2015 zu Vierlingen verholfen zu haben. Registriert ist die Firma auf den Seychellen, der Leiter von BioTexCom, Albert Tochilovsky, wurde im Mai 2018 kurzzeitig unter Hausarrest gestellt wegen des Vorwurfs von Kinderhandel, der Fälschung von Dokumenten und der Steuerhinterziehung. Bisher wurde kein Verfahren gegen ihn eingeleitet (vgl. Stop Surrogacy Now, August 2019, sowie Deutsche Welle, online 9.9.2018).

In Indien könnte nach dem Verbot der Leihmutterschaft für Ausländer nun auch bald ein komplettes Verbot für kommerzielle Leihmutterschaft folgen, berichtet Vice (online, 6.8.2019). Eine Gesetzesvorlage dazu wurde kürzlich im Unterhaus des indischen Parlaments verabschiedet. Sollte es auch das Oberhaus trotz der starken Lobby der Leihmutterschafts-Agenturen passieren, würde nur noch eine sog. altruistische Leihmutterschaft zugelassen werden - und das unter strengen Bedingungen. Die rund 3.000 Wunschbabykliniken, die mit Leihmutterschaftsangeboten als fixe Einnahmequellen rechneten, mussten bereits durch das Ausländerverbot erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen. Kommerzielle Leihmutterschaft wurde 2002 in Indien legalisiert, nach einer Reihe von Skandalen wurde sie jedoch 2018 für Ausländer verboten. Bis dahin waren in Indien jährlich rund 25.000 Babys durch Leihmütter zur Welt gekommen.

Gesundheitsminister Harsh Vardhan sieht die jetzige Gesetzesvorlage als „Gebot der Stunde“ (vgl. Deccan Herald, online, 5.8.2019). Einer groben Schätzung zufolge würden in Indien etwa 2.000 bis 3.000 Leihmutterschaftskliniken illegal betrieben, um weiterhin einige Tausend ausländische Bestell-Paare innerhalb Indiens mit Babys zu versorgen. Diesen unethischen Praktiken soll nun ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben werden.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: