Leihmutterschaft ist in den meisten europäischen Ländern verboten. Dennoch gibt es zahlreiche Wege, die Geburt von Kindern durch internationale Leihmutterschaft in Auftrag zu geben. In Indien wurden jährlich 25.000 Kinder von indischen Leihmüttern für ausländische Auftraggeber geboren, bis im Jahr 2016 das Verbot in Kraft trat. In der Ukraine werden jährlich etwa 2.000 bis 2.500 Kinder durch Leihmutterschaft geboren, 90 Prozent dieser Kinder wurden von ausländischen Paaren bestellt. Griechenland, Georgien, aber auch Russland, Thailand, Mexiko und Nigeria
UN-Sonderberichterstatterin legt umfassende Analyse vor
Reem Alsalem ist UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, deren Ursachen und Folgen. In ihrem im Juli 2025 fertiggestellten Bericht, der gemäß Resolution 50/7 des UN-Menschenrechtsrats (2022) und Resolution der UN-Generalversammlung 79/152 (2024) erstellt wurde, untersucht sie verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Kontext der Leihmutterschaft. In ihrer Analyse konzentriert sie sich auf die Hintergründe dieser Praxis und die menschenrechtlichen Implikationen für die betroffenen Frauen.
215 NGOs unterstützen Forderung nach Verbot
Der Report, der am 10. Oktober 2025 der UN-Generalversammlung zur Diskussion vorgelegt wird, kommt zu einem klaren Schluss: „Die Praxis der Leihmutterschaft ist gekennzeichnet durch Ausbeutung und Gewalt gegen Frauen und Kinder, insbesondere Mädchen.“ Deshalb fordert der Report ein rechtlich verbindliches internationales Verbot jeglicher Form von Leihmutterschaft. 215 NGOs aus 40 Ländern schließen sich dieser Forderung in einer gemeinsamen Erklärung an, darunter zahlreiche feministische Organisationen aus Lateinamerika, der Ukraine, Nigeria, Spanien, Schweden und Australien.
Für ihre Recherche wertete die jordanische Politologin und Menschenrechtsexpertin 120 schriftliche Eingaben verschiedener Akteure aus und führte 78 Konsultationen mit Betroffenen – unter ihnen Leihmüttern, auftragsstellenden Eltern, Ärzten und Leihmutterschaftsagenturen.
Es ist das erste Mal, dass zu diesem umstrittenen Thema ein internationales Statement mit derartiger Geltung und Klarheit gemacht wurde. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse des Berichts zusammengefasst.
Leihmutterschaft reduziert Kinder und Frauen zur Ware
Leihmutterschaft ist laut dem UN-Bericht nie eine moralisch neutrale Dienstleistung. Anders als andere Formen von Arbeit geht Leihmutterschaft mit der direkten Ausbeutung von Frauen und ihrem Körper einher. Die kommerzielle Natur des Vertrags macht Kinder und Frauen zu Handelsobjekten Ein Kind kann bestellt, storniert, bezahlt und abgeholt werde. (Bioethik aktuell, 10.01.2024)
Der Unterschied zwischen illegalem Verkauf von Kindern und dem Gebären eines genetisch fremden Kindes gegen Bezahlung („Leihmutterschaft“) ist rein formal: Beim Kinderverkauf erfolgt die Übergabe gegen direkte Zahlung, bei der Leihmutterschaft wird sie als „Entschädigung“ oder privater Vertrag dargestellt.
Es gibt keine „rein altruistische“ Leihmutterschaft
Kommerzielle Leihmutterschaftsvereinbarungen messen der Fähigkeit von Frauen, gesunde Kinder zu empfangen und zu gebären, einen Geldwert bei.
Der Bericht stellt fest, dass Leihmutterschaft „patriarchale Normen verstärkt, indem sie die Körper von Frauen zur Ware macht und sie zu Objekten degradiert“. Der Bericht stellt klar: Auch altruistische Leihmutterschaft - die eine offizielle Bezahlung formal ausschließt - ist mit hohen Kompensationskosten verbunden, die einer Bezahlung gleichkommen.
Ausbeutung finanziell benachteiligter Frauen
Eines der Themen, denen sich der Bericht ausführlich widmet, sind die ausbeuterische Dynamiken des Leimutterschaftssystems. Der globale Leihmutterschaftsmarkt wurde auf etwa 15 Milliarden US-Dollar geschätzt und soll ein Volumen von fast 100 Milliarden bis zum Jahr 2033 erreichen. Die Leihmütter erhalten nur einen Bruchteil dieser Beträge – zwischen 10 uns 27 Prozent. Der Großteil geht an die Vermittler, die als die Hauptausbeuter identifiziert werden.
Leihmutterschaft nützt soziale Ungleichheiten aus
Die meisten Leihmütter kommen aus einkommensschwachen Verhältnissen und leben in einem benachteiligten sozialen Umfeld. Die „Bestelleltern“ hingegen tendieren dazu, wohlhabender zu sein und in westlichen Staaten zu leben. Zudem haben die Vermittler einen finanziellen Anreiz, die Interessen der auftragsstellenden Eltern über jene der Leihmütter zu stellen.
Dabei werden kolonialistische und rassistische Machtungleichgewichte verstärkt. Diese unausgewogene Machtstruktur öffnet die Türe für Ausbeutung, Druck und Einschränkungen der Freiheit Leihmütter, die oft stark auf die Bezahlung angewiesen sind. Der Bericht betont: Diese Art des strukturellen Missbrauchs ist auch in Ländern real, wo Leihmutterschaft reguliert ist.
Frauen fallen in einen Kreislauf der Abhängigkeit
Werden Frauen keine anderen Möglichkeiten geboten, der Armut zu entkommen, steigt das Risiko, in einen Kreislauf der Abhängigkeit von Zahlungen der Agenturen zu geraten. Leihmütter können ihre Arbeitsplätze während der Schwangerschaft verlieren. Die Entscheidung, eine Leihmutter zu werden, ist oft von Druck, Manipulation, mangelnden Alternativen, ökonomischen Zwang und fehlendem Verständnis der Risiken geprägt. Daher betont die Berichterstatterin, dass keine legale Regulierung die Möglichkeit für freie Zustimmung sicherstellen kann.
Gesundheitliche Risiken sind erhöht
Die körperlichen und psychischen Gesundheitsrisiken, die mit Leihmutterschaft – sowohl für das Kind als auch die Mutter – eingehergehen, sind zahlreich. Das Risiko für Frühgeburten und Intensiv-medizinische Betreuung ist erhöht. Zudem treten häufiger schwere neonatale Krankheiten auf. (Bioethik aktuell, 02.10.2024) Leihmütter werden häufig zu unnötigen Kaiserschnitten gezwungen.
Auch die extreme Behandlung mit Hormonen und Immunsuppressiva kann die körperliche Gesundheit der Leihmutter durch Folgeerkrankungen beeinträchtigen.
Gestörte Bindungsentwicklung kann Kindern psychisch schaden
Die Neugeborenen werden sofort nach der Geburt von der Leihmutter getrennt – dem Menschen, zu dem sie die stärkste Bindung haben. Zudem müssen Kinder oft wegen bürokratischer Verzögerungen wochenlang auf die Ankunft der zahlenden Auftraggeber-Eltern warten – und bleiben somit lange ohne eine Bezugsperson. Langzeitforschungen weisen darauf hin, dass Kinder durch die gestörte Entwicklung einer sicheren Bindung ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen aufweisen.
Leihmütter erleben häufiger nachgeburtliche Depression
Die abrupte Trennung von dem Kind nach der Geburt kann auch massive psychologische Folgen für die Leihmutter haben. Die Ausschüttung von Oxytocin nach der Geburt, die zur Milchbildung und Bindung dient, wird abrupt unterbrochen, wenn der Mutter das Neugeborene weggenommen wird.
Dieser Prozess geht mit nachgeburtlichen psychischen Traumata einher. Leihmütter erleben häufiger Depression, posttraumatische Belastungsstörung, Angststörungen und Stress. Keine gesetzliche Regulierung kann Frauen und Kinder vor den schwerwiegenden Schäden schützen, die als Folge des Trennungsprozesses eintreten können, betont der Bericht.
Leihmütter werden ihrer Rechte beraubt
Leihmütter werden verpflichtet, Verträge zu unterzeichnen, die ihnen das Recht auf medizinische Selbstbestimmung entziehen und ihre Bewegungsfreiheit einschränken. Außerdem können aus beliebigem Grund Zwangsabtreibungen durchgeführt werden, wenn sich die Eltern gegen eines oder mehrere Babys entscheiden. Derartige Freiheitseinschränkungen entsprechen schweren Menschenrechtsverletzungen, hebt der Bericht hervor.
Wenn bestellte Babys nicht perfekt sind
Leihmutterschaftsagenturen versichern Eltern stets gesunde Kinder. Auch das Geschlecht sollen sich Eltern aussuchen können. Was passiert, wenn Kinder geboren werden, die den Qualitätserwartungen der Eltern nicht entsprechen? Der UN-Bericht wirft Licht auf zahlreiche Fälle, in denen Kinder von auftragsstellenden Eltern abgewiesen und zurückgelassen wurden, insbesondere im Fall einer Behinderung oder Krankheit.
Leihmutterschaft muss international verboten werden
Der UN-Report verurteilt Leihmutterschaft nicht nur. Die Sonderberichterstatterin empfiehlt den Mitgliedstaaten eindringlich, „Schritte zur Abschaffung der Leihmutterschaft in all ihren Formen zu unternehmen“ und „auf die Verabschiedung eines international rechtsverbindlichen Instruments hinzuarbeiten, das alle Formen der Leihmutterschaft verbietet“. Denn eine transnationale Rechtsdurchsetzung ist nahezu unmöglich – es fehlen internationale Standards. Die Überwachung von Agenturen und Verträgen ist sehr schwach.
Alsalem schlägt rechtliche Konsequenzen vor, die sich am „nordischen Modell“ für Prostitution orientieren und fordert: 1) Kriminalisierung der Nachfrageseite (Auftraggeber, Agenturen, Kliniken) 2) Entkriminalisierung der Leihmütter 3) Ausstiegs- und Unterstützungsprogramme für betroffene Frauen 4) Werbe- und Vermittlungsverbote.
Olivia Maurel ist Sprecherin der Casablanca Declaration, eine Organisation, die sich für die Abschaffung von Leihmutterschaft einsetzt. Sie begrüßt den Report als „noch nie da gewesene Anerkennung auf höchster internationaler Ebene, dass Leihmutterschaft kein Akt der Liebe ist, sondern eine Form von Gewalt und Ausbeutung.“ Maurel wurde selbst durch Leihmutterschaft geboren. (IMABE-Interview mit Olivia Maurel in Bioethik aktuell, 29.05.2024)
Auch Österreich will sich für ein internationales Verbot einsetzen
Die Slowakei hat das Verbot von Leihmutterschaft im September 2025 in ihre Verfassung aufgenommen. Italien verbietet seit Oktober 2024 seinen Staatsbürgern, im Ausland Leihmutterschaft in Anspruch zu nehmen. In Chile wurde Anfang 2025 ein parteiübergreifender Gesetzesentwurf zur Abschaffung von Leihmutterschaft eingebracht. Auch in Österreich haben sich die Regierungsparteien in ihrem Abkommen für ein „explizites Verbot von Leihmutterschaft“ ausgesprochen. Ferner wolle man ein „Verbot auf europäischer und internationaler Ebene vorantreiben.“ Konkrete Schritte dazu sind hier allerdings noch nicht bekannt.