Die ELSA-Studie (2024) präsentiert sich als umfassende wissenschaftliche Untersuchung zur Situation ungewollt schwangerer Frauen in Deutschland. Bei genauerer Betrachtung offenbaren sich jedoch erhebliche methodische Schwächen, die die Aussagekraft der Studie fundamental in Frage stellen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass ein Versorgungsengpass bei Abtreibungen bestehe, Frauen stigmatisiert würden und der Schwangerschaftsabbruch liberalisiert und entkriminalisiert werden müsse.
Einseitige Fragen führen zu einseitigen Ergebnissen
Zahlreiche Studienautoren sind mit Abtreibungsverbänden wie International Planned Parenthood Federation (IPPF) assoziiert und beteiligen sich aktiv bei Pro-Choice Veranstaltungen. Die persönlichen Überzeugungen der Autoren beeinträchtigen nicht zwingend die Objektivität ihrer Forschung – solange wissenschaftliche Standards eingehalten werden. Weist eine Studie allerdings grobe methodologische Mängel auf und ist so angelegt, dass nur bestimmte Ergebnisse erreicht werden können, deutet das auf fehlende Neutralität und Unwissenschaftlichkeit hin. Dies trifft laut Cornelia Kaminski, Vorstandsmitglied der deutschen Schwangerenberatung Alfa, auf die neue ELSA-Studie zu (Die Tagespost, 28.8.2025).
Willkürliche Definitionen und methodische Schwächen
Die zentrale Datengrundlage der Studie bildet eine Online-Befragung unter 4.429 Frauen, darunter gewollte ausgetragene (3.391) und ungewollte ausgetragene Schwangerschaften (572 Frauen). Mit 14 Prozent liegt die Rücklaufquote bei den für die Online- Befragung angeschriebenen Frauen unter der wissenschaftlich akzeptierten Schwelle für Repräsentativität.
Die Auswahl bei der Stichprobe der Frauen, die nach einer ungewollten Schwangerschaft eine Abtreibung vornehmen ließen (608 Frauen), erfolgte nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern durch gezielte Ansprache in Abtreibungseinrichtungen und bei Beratungsstellen. Damit sind die Daten nicht repräsentativ, wie die Autoren auch zugeben. Die Ergebnisse beruhen zudem auf retrospektiven Selbstauskünften viele Jahre nach dem Ereignis – ein methodisches Vorgehen mit sehr geringem Evidenzgrad.
Eigene Daten widerlegen zentrale Thesen
Pikant ist laut Kaminski, dass die eigenen Daten der ELSA-Studie teilweise den gezogenen Schlussfolgerungen widersprechen. Trotz Behauptung eines Versorgungsengpasses zeigen die Daten: 90 Prozent der Ärzte führen weniger als eine Abtreibung pro Tag durch. Von den 401 befragten Gynäkologen, die keine Abtreibungen durchführen, gaben lediglich drei Prozent Angst vor strafrechtlichen Risiken als Grund an. Die Mehrheit betrachtet Abtreibungen vielmehr als belastend, nicht als ihre Aufgabe oder lehnt sie grundsätzlich ab. Darauf hatten auch kürzlich Gynäkologen in einem offenen Brief (Bioethik aktuell, 6.12.2024) hingewiesen.
„Versorgungsengpass“ ist willkürlich definiert
Die Behauptung eines „Versorgungsengpasses“ bei Abtreibungen basiert auf willkürlichen Definitionen, wie Kaminski analysiert. Nach diesem Maßstab (Erreichbarkeit mit dem PKW im Umkreis von 50 km bzw. 40 Minuten Anfahrtszeit) bestünde auch bei Geburten in ländlichen Gebieten ein dramatischer Versorgungsengpass. Zudem werden selbst gesetzlich vorgeschriebene Wartezeiten, die dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen, als „Barrieren“ bewertet.
Auch bei der behaupteten Stigmatisierung zeigen sich Widersprüche, stellt Kaminski fest: Fast 73 Prozent der Frauen berichteten über keinerlei Stigmatisierungserlebnisse (als stigmatisierend wurde auch die Frage des Klinikpersonals gezählt, ob sich die Frau vorstellen könnte, die Schwangerschaft auszutragen). Dennoch empfinden 83,5 Prozent der abtreibenden Frauen Scham und Schuldgefühle, während dies bei Frauen, die sich für das Kind entschieden, nur 4,7 Prozent sind.
Psychische Folgen systematisch ausblenden
Besonders problematisch ist der Umgang mit psychischen Folgen von Abtreibungen. Die ELSA-Studie behauptet nachzuweisen, dass es „langfristig keinen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden gibt, ob eine ungewollte Schwangerschaft ausgetragen oder abgebrochen wird“. Diese Aussage widerspricht jedoch Studien mit hohem Evidenzgrad, die ein signifikant höheres Risiko für Depression, Suchtverhalten und Suizidrisiko nach Schwangerschaftsabbruch belegen, merkt Susanne Kummer (IMABE, Wien) und Co-Autorin der IMABE-Studie Schwangerschaftsabbruch und psychische Folgen. Eine qualitative Studienanalyse (2023) an.
Hilfsangebote für Schwangere sind kein Thema
Ein fundamentaler Mangel der Studie liegt in ihrer einseitigen Fokussierung, kritisiert Ethikerin Kummer: Untersucht wird ausschließlich die „Versorgung mit Abtreibungsmöglichkeiten“, während die Versorgung mit Hilfen für Schwangere in Not oder Frauen, die ein Kind mit Behinderung erwarten, völlig ausgeblendet wird.
Dringend nachgehen sollte man jenem Hinweis der Studie, wonach Frauen, die abtreiben, vermehrt partnerschaftliche und finanzielle Probleme haben. Dieses Ergebnis deckt sich mit anderen Studien (Bioethik aktuell, 05.06.2023), die zeigen, dass bis zu 60 Prozent der abtreibenden Frauen sich rückblickend im Falle entsprechender Unterstützung für das Kind entschieden hätten. Ähnlich viele berichten von Druck in Richtung Schwangerschaftsabbruch durch den Partner, der kein Kind wollte. „Nehmen wir als Gesellschaft das Konzept der Selbstbestimmung ernst, müssen wir fragen, wie man Frauen am besten unterstützt, damit sie trotz Schwierigkeiten das Kind zur Welt bringen können“, so Kummer. Gerade hier läge ein wichtiges Forschungsfeld – „doch die ELSA-Studie interessiert sich nicht für die Verbesserung der Unterstützungsstrukturen für Schwangere, sondern ausschließlich für die Ausweitung der Abtreibungsmöglichkeiten“, so Kummer.
Körperliche Beschwerden werden trotz alarmierender Daten verharmlost
Aufschlussreich sind auch die Befunde zu körperlichen Beschwerden nach Abtreibungen, die in der öffentlichen Darstellung kaum Erwähnung finden. Die ELSA-Studie offenbart einen eklatanten Widerspruch: Während sie den eingeschränkten Zugang zur Abtreibungspille als problematische „Hürden" darstellt und sich auf die WHO-Einschätzung beruft, wonach diese Medikamente „hochwirksam, sicher und leicht zu handhaben" seien, zeigen ihre eigenen Daten ein alarmierendes Bild: 96,5 Prozent der Frauen berichteten nach medikamentösen Abtreibungen von körperlichen Beschwerden, selbst bei chirurgischen Eingriffen waren es laut ELSA-Studie 90 Prozent Frauen. Dass die Studienautoren diese alarmierenden Zahlen marginalisieren und gleichzeitig für erleichterten Zugang plädieren, wirft Fragen zur wissenschaftlichen Redlichkeit auf.
Wissenschaft für politische Agenda instrumentalisieren
Die zeitliche Koordination der Studienpräsentation mit politischen Initiativen ist bezeichnend: Parallel zur Veröffentlichung der ersten ELSA-Ergebnisse im April 2024 hatte sich das EU-Parlament für die Aufnahme eines „Rechtes auf Abtreibung“ in die EU-Grundrechtecharta ausgesprochen. Zeitgleich präsentierte die deutsche Regierungskommission zur reproduktiven Selbstbestimmung – in der ELSA-Studienleiterin Daphne Hahn Mitglied ist – ihre Empfehlungen zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts.
Lobbyarbeit als Wissenschaft tarnen
Die ELSA-Studie ist mit einem Etat von knapp 5 Millionen Euro die teuerste Studie, die das Bundesgesundheitsministerium in den letzten zehn Jahre in Auftrag gab. Was als wissenschaftliche Studie präsentiert wird, erweist sich bei genauerer Analyse als aufwendig inszenierte Lobbyarbeit. Auf fast 1.000 Seiten werden d Daten analysiert, die teilweise mit unwissenschaftlichen Methoden erhoben wurden, zu widersprüchlichen Ergebnissen führen und den gezogenen Schlussfolgerungen direkt widersprechen. Hier wurde nicht ergebnisoffen geforscht, sondern mit einem klaren politischen Ziel Daten erhoben und interpretiert. Die ELSA-Studie leistet mit ihren methodischen Mängeln und interessengeleiteten Interpretationen einen Bärendienst für eine sachliche Diskussion über den Umgang mit Frauen bei ungewollter Schwangerschaft. Aber vielleicht war letzteres auch gar nicht ihr Ziel.