Bioethik aktuell

Selektion von Embryonen: Gencheck soll „gesündestes Kind“ auswählen

Wissenschaftlich nicht belegte Methode wirft ethische Fragen auf: "Wer darf in Zukunft noch ungetestet ins Leben?"

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Das US-amerikanische Unternehmen Genomic Prediction bietet Paaren bei IVF an, ihre durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryonen vorab genetisch zu screenen. Der Screening-Test soll angeben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Kind später multifaktorielle Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Brustkrebs bekommt. Nach eigenen Angaben des börsennotierten Unternehmens wird die Methode bereits in 173 IVF-Kliniken in 37 Ländern, darunter Großbritannien und Finnland, eingesetzt.

Die Verwendung des sog. Polygenetischen Risikoscores (PRS) beim Embryoscreening ist höchst umstritten, sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus ethischen Gründen. Während das Unternehmen Eltern verspricht, dass es vorab aus möglichst fünf hergestellten Embryonen den „Gesündesten“ aussuchen könne, kritisieren Genetiker und Ethiker in einer im European Journal of Human Genetics (https://doi.org/10.1038/s41431-021-01000-x, Springer Nature, 17.12.2021) publizierten Analyse die PRS-Methode als „unbewiesen“ und „unethisch“. Im Mai 2020 ist das erste Kind in den USA nach PRS geboren worden. Das Mädchen wurde aufgrund ihrer niedrigen Risikowerte für Herzkrankheiten, Diabetes und Krebs ausgewählt (vgl. CGS, 30.09.2021).

Heute weiß man, dass in der Regel viele verschiedene Gene bei der Entstehung von Erkrankungen eine Rolle spielen. Ob die Krankheit tatsächlich ausbricht, beruht auf einem Wechselspiel mehrerer Genvarianten, aber auch auf Umweltfaktoren, Lebensstil, Ernährung und Zufall. So gebe es laut Experten keinerlei Beweise dafür, dass PRS tatsächlich das individuelle Risiko vorhersagen könne. Eine Person mit einem hohen PRS-Wert für Haut- oder Brustkrebs wird vielleicht nie an Haut- oder Brustkrebs erkranken, während jemand mit einem niedrigen PRS-Wert dies vielleicht doch tut.

„Die eugenische Idee kommt in neuen Spielarten wieder, meist ist sie wissenschaftlich und ökonomisch verbrämt“, sagt die Wiener Ethikerin Susanne Kummer (IMABE). Sie verweist auf den „Erfinder“ der IVF-Technologie, Robert Edwards (+2013). Kaum bekannt sei, dass Edwards aktives Mitglied und Vermögensverwalter der umstrittenen British Eugenics Society (heute „Galton-Institute“) war. „Bereits Edwards hielt die genetische Selektion für ethisch gerechtfertigt. Er meinte, es werde früher oder später eine 'Sünde' für Eltern sein, ein Kind zu bekommen, das, wie er sagte, 'die schwere Last einer genetischen Krankheit trägt'“, zitiert Kummer den späteren Nobelpreisträger (S. Kummer, Ethik in der Reproduktionsmedizin, online 01 Januar 2022: 177-196, in Anthropologie und Ethik in der Biomedizin, Springer VS, Dezember 2021).

„Der utopische Gedanke einer leidfreien Gesellschaft paart sich heute mit High-Tech-Methoden“, analysiert die Ethikerin in Hinblick auf die PRS-Methode. Das Lebensrecht werde an Bedingungen geknüpft. „Die Selektion bestimmter Menschen in ihrem Anfangsstadium erscheint dann geradezu als moralische Verpflichtung.“ Hier gehe es um Machtverhältnisse, die man klar benennen müsse, so Kummer: „Wer legt die Spielregeln für das Recht auf Leben fest? Mit welchen Interessen? Wer hat sein Lebensrecht in den Augen anderer verwirkt, weil er womöglich für andere zu viel Leid und Kosten produziert? Wer darf in Zukunft noch ungetestet ins Leben?“

Die eugenische Idee hat derzeit mit dem Oxford-Philosophen Julian Savulescu einen prominenten Unterstützer. Er befürwortet das polygene Embryonenscreening auf jedwedes Merkmal, wenn damit eine "größere Chance auf ein Leben mit mehr Wohlbefinden" erreicht werden könne. Bereits 2012 hatte der Schüler des australischen Philosophen Peter Singer gefordert, Menschen rational zu entwerfen, um eine intelligentere und weniger gewalttätige Zukunft zu schaffen. Eltern, die ihre Kinder nicht „selektieren“, würden „verantwortungslos“ handeln, so Savulescu (vgl. The Independent, 17.8.2012)

Das Center for Genetics and Society (CGS) kritisiert das Verfahren als „Techno-Eugenik“. Letztlich wollen die Anbieter „auf der Grundlage von 'guten' und 'schlechten' Genen entscheiden, wer geboren werden soll", kritisiert Katie Hasson, Vize-Direktorin des CGS. Sie spricht von „eugenischem“ Gedankengut. Die kanadische Bioethikerin Vardit Ravitsky (Universität Montreal) fürchtet, dass in einer „hyperkompetitiven Gesellschaft“ der gesellschaftliche Druck auf Frauen wächst, ein polygenes Screening machen zu lassen. Schon jetzt würden Frauen bei einer IVF-Behandlung großem Druck ausgesetzt, zusätzliche Tests und Angebote der Kliniken in Anspruch zu nehmen (vgl. The Guardian, 17.10.2021).

Stephen Hsu, Mitbegründer von Genomic Prediction und Professor an der Michigan State University, sieht das anders: „Der potenzielle Nutzen für die öffentliche Gesundheit ist enorm.“ Hsu unterstützt die Idee der Züchtung „superintelligenter“ Menschen und die Selektion von Embryonen. 2020 musste Hsu als Vizedirektor für Forschung der Michigan State University zurücktreten, nachdem 970 Wissenschaftler seine Absetzung wegen seiner rassistischen und sexistischen Positionen, eugenischer Forschung und Interessenkonflikten gefordert hatten (vgl. State News, 15.6. 2020). Die PRS-Gentests stellen mit 15.000 bis 20.000 US-Dollar Kosten jedenfalls ein lukratives Geschäft dar..

Institut für Medizinische
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