Editorial

Imago Hominis (2021); 28(1): 003-004
Susanne Kummer

„Es ist nicht Aufgabe der Ärzteschaft, den Tod kranker Menschen herbeizuführen. Dieses Recht hat kein Mensch, erst recht nicht ein Arzt. Leben zu beenden widerspricht dem ärztlichen Berufsethos.“ In seinem Grußwort zu den Salzburger Bioethik-Dialogen 2020 bezog Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, klar Position. „Unsere Forderung geht in eine andere Richtung: Stärkere Förderung der Palliativmedizin und nochmalige Vereinfachung der Patientenverfügung. Vor allem aber geht es um humane Sterbebegleitung statt einer Tabuisierung des Todes.“

Wenige Wochen später, am 11. Dezember 2020, kippte der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Verbot der „Hilfeleistung zum Selbstmord“. Die Reaktionen auf die VfGH-Entscheidung waren bestürzt bis verhalten.

Die Östereichische Ärztekammer bezeichnete die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs als „bedauerlich“. Es drohe die Gefahr, „dass ältere und kranke Menschen vermehrt unter Druck geraten, ihre Daseinsberechtigung und ihren Lebenswillen zu rechtfertigen“, warnte Präsident Thomas Szekeres. Kategorisch abzulehnen sei geschäftsorientierte Sterbehilfe durch private Unternehmen wie in Deutschland oder der Schweiz. Kein Arzt dürfe gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln und zur Tötung eines Menschen beizutragen.

Die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) forderte ebenfalls ein striktes Verbot kommerzieller Anbieter. Die Rolle von Ärzten und Gesundheitspersonal müsse präzise definiert werden, so die OGP: Die Behandlung und Betreuung Schwerkranker und die Begleitung des assistierten Suizids sollten klar voneinander getrennt sein. Beihilfe zum Suizid sei keine ärztliche Tätigkeit.

Das bisherige gesetzliche Verbot der Hilfeleistung zum Suizid in § 78 des Österreichischen Strafgesetzbuchs verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, hat der VfGH (Urt. v. 11.12.2020, Az. G 139/2019) geurteilt. Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasse „sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben“. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten, befanden die Richter. Die Tötung auf Verlangen sowie das Verleiten eines anderen zur Selbsttötung sollen weiterhin strafbar bleiben. Die neue Regelung ist mit 1.1.2022 wirksam. Bis dahin wird dem Gesetzgeber empfohlen, Maßnahmen zu treffen, um Missbrauch zu verhindern.

Die Frist ist denkbar knapp. Das zeigt die Debatte in Deutschland. Ende Februar 2020 hatte dort das Bundesverfassungsgericht das Verbot einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Nun, mehr als ein Jahr später, gibt es erste Versuche für eine gesetzliche Regelung, wobei diese noch lange nicht im Bundestag mehrheitsfähig sind.

Von 9. bis 10. Oktober 2020 trafen im Salzburger Congress Mediziner, Ethiker, Vertreter von Politik, Kirche und Gesellschaft zusammen, um auf Einladung des Salzburger Ärzteforums über das brisante Thema der aktiven Sterbehilfe und Suizidbeihilfe zu diskutieren. Das zweitägige Symposium unter dem Titel „Modernes Sterben“ fand in Kooperation mit der Ärztekammer Salzburg, der Hospiz Bewegung Salzburg und der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg statt. IMABE hat die Tagung wissenschaftlich beraten und begleitet und stellt in der vorliegenden Ausgabe Imago Hominis den Tagungsband zur vertiefenden Lektüre bereit.

Udo di Fabio (Universität Bonn, Staatsrecht, und früherer Richter am deutschen Bundesverfassungsgericht) geht in seinem Beitrag auf die „tektonische Verschiebung“ im Verständnis von Menschenwürde und Menschenbild ein. Die Menschenwürde als Maßstab für gesellschaftliche und wissenschaftliche Entscheidungen sind heute aufgrund eines einseitigen Verständnisses von Willensfreiheit gefährdet, utilitaristisch gebraucht zu werden, so seine These. Aus der Würde könne man kein Recht auf Abwesenheit von Leid fordern, noch, dass der Staat Sterbewünsche bloß nach Regeln organisiert. Vielmehr brauche es eine gesellschaftliche Achtung vor dem Leben, denn eine humane Gesellschaft „will nicht den raschen Tod, sondern vermehrt die Anstrengungen für Vorsorge und Begleitung“.

Kurt Schmoller (Institut für Strafrecht, Universität Salzburg) lotet aus, welche Konsequenzen der VfGH-Entscheid hat und welche Folgen sich aus einer (überschießenden) Betonung der Autonomie ergeben – auch über die Hilfe zur Selbsttötung hinaus. Er zeigt auf, dass der ursprüngliche Sinn des § 78 StGB im Schutz vor „temporärer“ Autonomie liegt, weil die (autonomen) Ziele und Wünsche des Menschen von der jeweiligen Lebensphase abhängen und sich in einer späteren Lebensphase oft wieder ändern. Allenfalls kann in engen Ausnahmefällen von einer „finalen“ Autonomie ausgegangen werden. An dieser Überlegung sollte sich eine künftige Neuregelung des § 78 StGB orientieren.

Der Neurologe und Palliativmediziner Stefan Lorenzl (Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg) behandelt die komplexen Fragen, die sich im Zusammenhang der palliativen Betreuung von neurologischen Patienten stellen. Die Entscheidungsfindung über Therapiebegrenzungen bedarf einer multiprofessionellen und interdisziplinären Auseinandersetzung mit dem Patienten und seinen Angehörigen, die sorgfältig eingebunden werden müssen.

Der Internist Christoph von Ritter (Ruhpolding/Bayern) zeigt auf, wie die palliative Sorge sowie Zuwendung durch Familie, Freunde und Seelsorge, Zuversicht am Lebensende vermitteln kann. Gleichwohl brauche es aber auch eine demütige Einsicht in die Vergänglichkeit des Lebens („Ars moriendi“) als Grundvoraussetzung für ein harmonisches Sterben.

Der Schweizer Psychiater Raimund Klesse gibt Einblick in die Situation in der Schweiz, wo inzwischen nicht nur terminale Patienten, sondern auch Schwerkranke, psychisch Kranke, Demenzbetroffene und Menschen mit Altersbeschwerden durch assistierten Suizid sterben. Die Zahl der assistierten Suizide ist rasant angestiegen, was negative Auswirkungen auf Individuum und Gesellschaft hat.

Weltweit gelten die Niederlande als Probelabor für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Doch die Erfahrungen nach 35 Jahren Sterbehilfepraxis zeigen, dass aktive Sterbehilfe, wenn legal, nicht das Ende einer komplexen Diskussion, sondern den Anfang für viele neue Diskussionen bedeutet. Der niederländische Medizinethiker Theo A. Boer (Universität Groningen), selbst neun Jahre lang Mitglied einer der fünf Regionalen Kontrollkommissionen Euthanasie, berichtet, wie die Normalisierung des organisierten Sterbens zunehmend zu einer Kultur der Verzweiflung angesichts von Leiden, Abhängigkeit und Altern führt. Statt ein „schreckliches Sterben“ zu verhindern, sei die Euthanasie mittlerweile zu einem Instrument geworden, um ein „schreckliches Leben“ zu verhindern.

Wie die Praxis der Beihilfe zum Suizid in Österreich aussehen könnte, ist also noch lange nicht geklärt. Und sie wird unsere „Kultur des Beistands“ in jedem Fall auf die Probe stellen.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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