Die Gesetzes-Novelle zur „Kind als Schaden“-Judikatur: längst fällig!

Imago Hominis (2011); 18(1): 6-8
Johannes Bonelli, Thomas Piskernigg

Der Oberste Gerichtshof hat sich in den letzten Jahren mehrmals in widersprüchlicher Weise mit dem Problem „Kind als Schaden“ befasst. Die Frage, ob der Unterhalt für ein unerwünschtes Kind überhaupt unter den Schadensbegriff des bürgerlichen Rechts fällt, wird auch in der juristischen Diskussion kontrovers beurteilt.

Kindesunterhalt und kindliche Existenz sind nicht „trennbar“

Manche versuchen, die Existenz des Kindes von seinen Unterhaltsansprüchen zu „trennen“, um bei der Bejahung des Schadenersatzes für den Kindesunterhalt nicht bei einer Negativbewertung der kindlichen Existenz selbst zu enden. Dies widerspräche der Menschenwürde des Kindes, derentwegen jede Person um ihrer selbst willen (als „Selbstzweck“, wie Immanuel Kant sagt) respektiert werden muss. Meist bleibt es bei diesen „Trennungsversuchen“ freilich bei bloßen Behauptungen, wenngleich mit umso größerem Verve vorgetragen: Die Gegenmeinung stelle eine unzulässige „Emotionalisierung“ dar (Helmut Koziol, Zivilrechtler, Wien), sie gehe „am Thema vorbei“ (Ulrich Körtner, evangelischer Theologe, Wien) und sei eine „polemische Verkürzung“ (Peter Husslein, Gynäkologe, Wien). Sieht man sich allerdings die Argumente dieser professoralen „Trennungstheoretiker“ an, so bleiben sie in ihrem sachlichen Gehalt doch recht deutlich hinter den starken Ankündigungen zurück. Das ist auch für den Nichtjuristen, der sich ein wenig damit auseinandersetzt, klar erkennbar.

Der Oberste Gerichtshof verweist zur Untermauerung seiner „Trennungsthese“ etwa darauf, dass nicht nur die Geburt eines Menschen, sondern auch sein Tod Schadenersatzansprüche nach sich ziehen könne (z. B. wenn der Mörder für die unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen seines Opfers den Unterhalt zahlen muss). Beim Tod werde dies nicht als problematisch angesehen, daher müsse man auch aus der Geburt resultierende Schadenersatzansprüche akzeptieren.

Diese Argumentation beweist freilich exakt das Gegenteil von dem, was der Gerichtshof zu belegen versucht: Die Qualifikation des Todes eines Menschen als Schadensfall steht nämlich im Einklang mit der positiven Bewertung seiner Existenz bzw. verstärkt sie sogar: Wäre der Tod nicht eingetreten, gäbe es den Schadensfall gerade nicht. Die Normen, welche die rechtswidrige Tötung oder Verletzung mit haftungsrechtlichen Konsequenzen belegen, haben somit eine für die Existenz bzw. Integrität eines Menschen positive Signalwirkung. Der rechtswidrig Handelnde muss sich demgemäß sagen: Hätte ich bloß das Leben bzw. die Integrität des anderen respektiert, die Haftpflicht wäre mir erspart geblieben.

Das Gegenteil trifft in den „Kind als Schaden“- Fällen zu. Hier muss sich der Schadenersatzpflichtige z. B. sagen: Hätte ich bloß den (damals noch ungeborenen) Behinderten rechtzeitig zur Tötung selektiert, existierte er nun nicht, und ich wäre nicht mit Schadenersatzforderungen konfrontiert.

Auch Helmut Koziol versuchte schon vor längerer Zeit, in seinem Standardwerk über das Österreichische Haftpflichtrecht die „Trennungstheorie“ zu begründen: Kaufe ein Vertreter gegen den Willen des Vertretenen ein Luxusfahrzeug, liege der Schaden des Vertretenen in der Verpflichtung, den Kaufpreis für das unerwünschte Auto zu zahlen. Eine Negativbewertung des Fahrzeugs an sich sei damit nicht verbunden.

Nun mag es schon sein, dass der Vertretene keine „grundsätzliche“ Abneigung gegen Luxusautos hegt; das konkrete, vom Vertreter unzulässigerweise beschaffte lehnt er aber eben doch ab. Auf familiäre Beziehungen umgemünzt: Was nützt es dem behinderten Kind, wenn seine Eltern im allgemeinen „Menschenfreunde“ sind, die Unterhaltspflicht für ihr ganz konkret vor ihnen stehendes Kind als notwendige Bedingung seiner Existenz – und damit logisch zwingend das Kind selbst – aber ablehnen (sonst könnten sie diese Pflicht ja nicht als Schaden deklarieren, was stets eine Negativbewertung bedeutet)?

Somit zeigt sich: Selbst die renommiertesten Vertreter der These, man könne Existenz und Unterhalt eines Kindes „fein säuberlich“ trennen, zeigen in ihren konkreten Argumenten selbst für den juristischen Laien klar erkennbar eine gewisse Hilflosigkeit. Dies liegt nicht an ihrer – sicher hervorragenden – intellektuellen Kapazität, sondern in der Natur ihres vergeblichen Versuchs, gegen Evidenzen zu argumentieren. Es gilt eben nach wie vor: contra factum non valet argumentum.

Diskriminierung Behinderter

Allgemein anerkannt wird, dass die derzeitige Praxis der Rechtssprechung unbefriedigend ist, weil sie eine Ungleichbehandlung von behinderten und gesunden Kindern beinhaltet. Während nämlich für den Obersten Gerichtshof die Geburt eines gesunden – wenn auch unerwünschten – Kindes unter keinen Umständen Ursache für einen ersatzfähigen Schaden darstellt, kann ein behindertes Kind zum Schadensfall werden, wenn die Behinderung vom Arzt nicht entdeckt wurde und die Mutter nun im Nachhinein behauptet, sie hätte das Kind abgetrieben, falls sie die Behinderung rechtzeitig erfahren hätte. Der Gerichtshof hat zwar verschiedentlich erklärt, dass seine Urteile keine Diskriminierung Behinderter enthalten.

Doch auch hier – wie bei der „Trennung“ zwischen Existenz und Unterhalt des Kindes – versucht er freilich, gegen klare Evidenzen zu argumentieren - und hier zeigt sich der Kernpunkt des Skandals, den die derzeitige Rechtsprechung mit sich bringt: Das Schicksal des behinderten Kindes, das eigentlich gegen den Willen der Eltern einer Abtreibung entkommen ist. Da treten also Mutter und Vater vor ihr Kind, um ihm zu erklären: „Wenn wir rechtzeitig gewusst hätten, wie du beschaffen bist, hätten wir dich beizeiten beseitigt. Aber leider ist dem Arzt ein Fehler passiert, sodass wir jetzt deine Existenz ertragen müssen.“ Die lebenslängliche psychologische Bürde für ein Kind mit einem derart vernichtenden Werturteil seiner Eltern, kann wohl niemals mit Geld aufgewogen werden.

Gesetzesinitiative der Justizministerin ist mit haftungsrechtlichen Prinzipien im Einklang, die bisherige Rechtsprechung nicht

Festzuhalten ist, dass die Gesetzesänderung keineswegs die sonst gültigen Regeln der Schadenshaftung selektiv für die Pränataldiagnostik aufhebt, wie fälschlicherweise von einigen Gegnern des Gesetzesentwurfes suggeriert wird. In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt: Während ein Arzt in allen anderen Fällen nur dann schadenersatzpflichtig wird, wenn aufgrund eines schuldhaften Verhaltens tatsächlich ein Schaden entsteht, werden Ärzte in der Pränataldiagnostik nach der derzeitigen Judikatur verurteilt, obwohl sie keinen Schaden verursacht haben. Vielmehr haben sie durch eine Fehldiagnose indirekt eine Abtreibung verhindert und damit letztlich ein Leben gerettet.

Es ist keine Frage, dass eine derartig abwegige Rechtsprechung revidiert werden muss. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner hat wiederholt darauf hingewiesen, dass auch nach dem neuen Gesetzesentwurf ein Arzt, der schuldhaft einen Schaden verursacht und z. B. eine behandelbare Fehlbildung übersieht, selbstverständlich weiterhin schadenersatzpflichtig bleibt. Nur wenn eine Behinderung alleine durch eine Abtreibung „abgewendet“ hätte werden können, soll nach dem neuen Gesetzesentwurf ein Ersatzanspruch ausgeschlossen werden, weil die Existenz eines behinderten Menschen kein Schadensfall sein kann.

Tendenz zur „Defensivmedizin“ soll durchbrochen werden

Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes hat auch zu einer großen Unsicherheit innerhalb der Ärzteschaft geführt und Tendenzen zu einer Defensiv- und Absicherungsmedizin ausgelöst. Tatsächlich ist die Medizin nicht eine so exakte Wissenschaft, wie sich das manche Leute wünschen würden. Vielmehr gibt es neben den eindeutigen Diagnosen auch viele Verdachtsfälle, die in einer Grauzone liegen. Durch die jetzige Rechtssprechung besteht die Gefahr, dass Ärzte aus Selbstschutz möglicherweise einen Beratungsstil entfalten, der im Zweifel auf Abtreibung gerichtet ist. Deshalb wurde der Vorstoß der Bundesministerin insbesondere auch von der Österreichischen Ärztekammer sowie großen Teilen der Ärzteschaft positiv aufgenommen.

Umso bedauerlicher ist die Auffassung des Wiener Gynäkologen Peter Husslein. Er behauptet, dass im Falle einer Gesetzesänderung die Qualität der Pränataldiagnostik schwer leiden würde. Schon in der Vergangenheit hätten Ärzte laut Husslein mit der geringsten Erfahrung in den Ultraschall-Ambulanzen Dienst versehen, die dann, weil keine Schadenshaftung droht, schlampige Untersuchungen durchführen, um festzustellen, dass ohnehin „alles in Ordnung“ sei.

Dem ist entgegenzuhalten: Gott sei Dank dürfte es nur sehr wenige Gynäkologen geben, die die Qualität ihres ärztlichen Handelns vorwiegend an der drohenden Schadenshaftung ausrichten. Abgesehen davon geht diese Argumentation insofern ins Leere, als, wie gesagt, der Arzt für die korrekte Diagnose behandelbarer Fehlbildungen in der Pränataldiagnostik nach wie vor haftbar ist. Gerade um solche Fälle zu entdecken, ist aber eine gewissenhafte und hochqualifizierte Pränataldiagnostik nach wie vor unabdingbar. Im übrigen bleibt auch nach der Novelle Schadenersatz für „Schockschäden“ und wohl auch für Vermögensschäden (z. B. höhere Aufwendungen für behindertengerechte Raumausstattung etc. als bei entsprechender Vorbereitungszeit) der Eltern denkbar, die daraus resultieren, dass sie unvorbereitet mit einem behinderten Kind konfrontiert sind.

Anschrift der Autoren:

Univ.-Prof. Dr. Johannes Bonelli, IMABE
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
bonelli(at)imabe.org

Dr. Thomas J. Piskernigg
Korrespondenz: c/o IMABE
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien

Dr. Piskernigg ist Prüfbeamter der Volksanwaltschaft. Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: