10 Grundsätze zur Gentechnik aus ethischer Sicht

Imago Hominis (1998); 5(2): 86-88
Andreas Laun

I. Voraussetzungen

Wer über Gentechnik redet und sie bewerten will, muß zwei Arten des Wissens mitbringen und zusammenbauen:

Einerseits muß er verstanden haben, was Gentechnik ist, was sie kann, und worin ihre Ziele bestehen.

Andererseits muß er wissen, was ein ethisches Argument ist und was es für die Gentechnik bedeutet. In der Sprache der Religion: Er muß den Sinn der zehn Gebote verstanden haben und auf neue Fragen anwenden können.

II. Das Leben als solches ist nicht heilig

Es gibt kein moralisches Gesetz, das den Eingriff in die Strukturen des Lebendigen grundsätzlich verbietet. Nicht einmal beim Menschen gibt es diese apodiktische Unantastbarkeit seines Leibes. Andernfalls dürfte es keine Operationen, keine Blutspende geben; ja schon Rasieren wäre sündhaft.

III. Unterschied von Mensch und Tier

Gentechnik an Pflanzen und Tieren und Gentechnik an den Menschen angewandt, sind – ethisch gesehen – ebenso verschieden wie sich Mensch und Tier voneinander unterscheiden.

Heilig ist das Leben des Menschen als solches und das, was zu seiner Identität gehört. Niemals darf man einen unschuldigen Menschen direkt töten („Du sollst nicht morden“) und niemals darf man einen Menschen „umbauen“ wollen. Nur therapeutische Eingriffe sind erlaubt.

Auch dem Tier gebührt eine gewisse Ehrfurcht, die es verbietet, durch Gentechnik „Monster“ zur Belustigung zu „erschaffen“ oder ihm unnötige Schmerzen zuzufügen.

IV. Ziele, Nebenwirkungen und Mißbrauch der Gentechnik

Wie jede andere Technik, ist auch die Gentechnik als solche sittlich neutral, wirft aber drei wichtige Fragen auf: Was geschieht dabei? Wozu wird sie eingesetzt? Und worin bestehen ihre „Nebenwirkungen“, die, wie bittere Erfahrung lehrt, das beabsichtigte Gute bei weitem überwiegen können.

V. Beispiele

Erträge in der Landwirtschaft steigern, Nutzpflanzen gegen Schädlinge resistent machen, Medikamente produzieren, Diagnosen erstellen, neue Therapien entwickeln, Tiere so verändern, daß sie dem Menschen Organe spenden können, wissenschaftliche oder kriminalistische Fragen klären – all dies sind Ziele, die einwandfrei sind. Unannehmbar aber wird das gentechnische Verfahren zum Beispiel dann,

  • wenn auf dem Weg dorthin menschliche Embryonen verbrauchenden Experimenten oder rassistisch motivierten Eingriffen unterworfen werden; der gentechnische Eingriff als solcher (das „was“) ist dann unmoralisch.
  • wenn die pränatale Diagnose einer Behinderung oder die Feststellung des unerwünschten Geschlechts des Kindes nur das Vorspiel einer Abtreibung ist: der gentechnische Eingriff wird Mittel zu einem unmoralischen Ziel.
  • wenn die Folgen eines gentechnischen Eingriffs unübersehbar gefährlich sind, oder das schon vorhersehbare Risiko in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen der Handlung steht: die Folgen machen den gentechnischen Eingriff unmoralisch.

VI. Gentechnik am Menschen selbst

Wenn Gentechnik therapeutisch eingesetzt werden kann, ist sie gut und unterliegt dem auch sonst gültigen ärztlichen Ethos, das den Eingriff an das Wohl des jeweiligen Patienten bindet. Ausnahmslos abzulehnen ist der Versuch, den Menschen mit besonderen Eigenschaften zu züchten oder menschliche Embryonen irgendwelchen Versuchen zu unterwerfen, die nicht ihrem eigenen Wohl dienen.

VII. Gentechnik und Risiko

Jedes technische Neuland birgt Chancen und Gefahren in sich. In der Geschichte haben die Menschen oft sowohl die guten als auch die gefährlichen Wirkungen ihrer Technik über- und unterschätzt.

Die Chancen und Risiken sind abzuwägen! Die Gefahren (der genetische „GAU“) dürfen nicht unter dem Einfluß von bestimmten Interessen (wie wirtschaftlichem Nutzen, Ehrgeiz...) zu gering geachtet werden, aber man sollte auch keine hysterischen Ängste aufkommen lassen.

Dabei liegt es in der Natur der Sache, daß verschiedene Menschen mit gleichem Verantwortungsgefühl das Risiko in einem bestimmten Fall unterschiedlich einschätzen können und daher zu unterschiedlichen Folgerungen gelangen: kein Verzicht, Teilverzicht, Totalverzicht auf Gentechnik (wie manche „grüne“ Gruppierungen anstreben).

VIII. Die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen

Gentechniker und Manager einschlägiger Unternehmen sind Menschen mit guten und schlechten Eigenschaften wie alle anderen. Daher kennen sie die Versuchung, Grenzen zu überschreiten, und manchmal erliegen sie ihr auch. Daher braucht es auch für die Gentechnik Gesetze und Kontrollen wie in vielen anderen Bereichen des Lebens auch.

IX. Ausgleichende Förderungen

Firmen werden von sich aus nur jene Therapien und Techniken für Pflanzen und Tiere entwickeln, die Gewinn versprechen. Seltene Krankheiten und bestimmte Umweltfragen werden daher nicht berücksichtigt werden. Daher kann man die einschlägige Forschung nicht nur den Gesetzen des Marktes überlassen, die politisch Verantwortlichen müssen ergänzend tätig werden.

X. Weltanschauliche Unterschiede in der Bewertung der Gentechnik

Die größten Sorgen bereiten einer breiten Öffentlichkeit die möglicherweise fatalen Folgen der Gentechnik. Heilige oder Verbrecher, Gläubige oder Atheisten, niemand will vergiftet oder sonstwie geschädigt werden. Und es bedarf keiner besonderen Moral, um die Zerstörung der Erde nicht zu wollen. Aber aus dem jeweils vorausgesetzten Menschenbild ergeben sich weitreichende Folgen für das Handeln und darum auch für die Gentechnik:

  • Wenn der Mensch „im Grunde“ nur eine besonders strukturierte Materie ist, kann man ihm zubilligen, daß er das „intelligenteste“ Tier oder die erstaunlichste Ansammlung von Molekülen ist – aber er hat letztlich keine Würde mehr, die ihn schützen würde: Warum soll man aus guten Gründen mit einem „Stück Materie“ nicht experimentieren, wenn kein Risiko und keine bösen Folgen damit verbunden sind, warum es nicht umbauen, warum nicht wegwerfen?
  • Wenn der Mensch aber, wie in besonderer Klarheit die jüdisch-christliche Tradition bekennt, ein Ebenbild Gottes ist, besitzt er eine Würde, die ihn schützend umgibt und eine heilige Grenze darstellt, die der Gentechniker auch dann nicht überschreiten darf, wenn seine Ziele an sich gut sind und keine anderen bösen Folgen zu befürchten sind. Wünschenswert ist nur jene Gentechnik, die dem Menschen dient.

Anschrift des Autors:

Weihbischof Univ.-Doz. Dr. Andreas Laun OSFS
Kapitelplatz 2
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Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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