Euthanasiedebatte in Österreich. Durchwegs ablehnende Reaktionen auf das „Wiener Selbstbestimmungsmanifest“

Imago Hominis (1998); 5(2): 83-85
Bernhard Kummer

Werden die Tötung auf Verlangen und die Beihilfe zum Suizid schon morgen Kriterien einer neuen Humanität sein? Wenn es nach dem Willen der Unterzeichner des Manifestes für Selbstbestimmung des Österreichischen Arbeitskreises „Menschenwürdig sterben“ – dem Internisten Univ.Prof.Dr. Anton Neumayr, dem Gynäkologen Univ.Doz.Prim. Dr.Alfred Rockenschaub, dem Juristen Univ.Prof.Dr. Manfred Welan, dem Journalisten Peter Michael Lingens und dem früheren sozialdemokratischen Abgeordneten Professor Sepp Wille und anderen geht, so muß die Frage mit Ja beantwortet werden. Der Arbeitskreis hat es sich zum Ziel gesetzt, die Legalisierung der aktiven Euthanasie durchzusetzen und will versuchen, die Österreichische Gesetzgebung an jene Deutschlands oder der Schweiz anzugleichen, wo zwar nicht die direkte Sterbehilfe, wohl aber die Beihilfe zum Selbstmord straffrei ist. Dennoch, von der ersten Stunde der Verlautbarung des Manifestes an hat sich eine breite Front der Abwehr gegen jenes gar nicht neue Gedankengut formiert. Nicht zuletzt geht es hier um den Angriff auf eines der letzten gesellschaftlichen Tabus, dessen Bruch unabsehbare gesellschaftliche Folgen haben könnte. Maßgebliche Vertreter der Katholischen Kirche, Politiker, Ärzte und Vertreter von Sterbehospizen meldeten sich gleich nach Veröffentlichung des Manifestes in klarer und unmißverständlicher Weise zu Wort, um davor zu warnen, unter dem Vorwand der Menschlichkeit die Entsolidarisierung mit den Schwachen und von Hilfeleistungen Abhängigen in der Gesellschaft zu betreiben. Die Österreichische Bischofskonferenz reagierte mit einer prompten Stellungnahme: In einer Erklärung wird die Euthanasie ihrem Sinn gemäß als absichtliche Tötung und als schweres Vergehen bezeichnet. In geschlossener Weise rufen die Bischöfe dazu auf, Versuchen zur gesetzlichen Ermöglichung der Tötung auf Verlangen von Anfang an entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen. Der Feldkirchner Bischof Dr. Klaus Küng, der selbst Arzt ist, meinte wörtlich: „Nicht immer und in jedem Fall ist man aus ethischer Sicht verpflichtet, alle vorhandenen Möglichkeiten zur Lebensverlängerung mit außerordentlichen Eingriffen und Maßnahmen auszuschöpfen. Niemals aber dürfe der Mensch über das eigene Leben oder das anderer einfach verfügen“. „Das Leben komme von Gott und Gott ist unser Ziel, wir müssen es als etwas Heiliges betrachten, das uns anvertraut ist“, erklärte der Bischof. In einer ersten Reaktion meinte der Wiener Erzbischof Kardinal Univ.Prof.Dr. Christoph Schönborn, daß die Gesellschaft sehr unmenschlich werden kann, wenn der Druck auf Behinderte, Alte und Kranke größer wird, Kosten zu reduzieren, indem sie sich aus dem Leben entfernen oder entfernen lassen. Er warnt in diesem Zusammenhang vor einem Dammbruch mit unabsehbaren Folgen. Jene von Pro-Euthanasisten immer wieder belächelte Angst vor einem Dammbruch bringt auch Primarius Dr.Franz Zdrahal vom Sterbehospiz der Caritas zum Ausdruck: „In anderen Ländern hat sich dieser Dammbruch schon abgespielt“ erklärt er, „dann gibt es keine Grenzen mehr zur Tötung unwerten Lebens". Die Statistik gibt ihm recht. In den Niederlanden, die in der Praxis der aktiven Euthanasie die Vorreiterrolle übernommen haben, sind 20.000 der rund 80.000 Todesfälle jährlich auf direkte oder indirekte aktive Sterbehilfe zurückzuführen. Bei Behinderten hat der Anteil der Todesfälle durch aktive Sterbehilfe im Vorjahr sogar 40 Prozent betragen. Beim 7.Internationalen Schmerzkongreß an der Universität Klagenfurt warnte der Kärntner Diözesanbischof Dr.Egon Kapellari vor dem Einbruch eines sozialen Winters. Infolge eines sich durchsetzenden Kosten-Nutzenkalküls könnten vor allem alte Menschen Opfer einer sozialen Kälte werden. Zugleich erinnerte er daran, daß ein im Christentum wurzelnder ethischer Imperativ gebietet, Patienten bei einer Schmerztherapie ihre interpersonale Bezugsfähigkeit zu erhalten. Er fordert „baldigst“ strukturelle Reformen in allen Bereichen des Medizin- und Sozialsystems und den Ausbau palliativer Versorgungssysteme, damit Zuwendung und Sterbebegleitung als Antwort auf menschliches Leid in optimaler Weise gewährleistet werden können. Der Wiener Caritas Direktor Dr.Michael Landau appellierte an Politiker, sich für die Forderung des Hospizgedankens einzusetzen. Aus Erfahrung wisse man, daß Menschen, die am Ende ihres Lebens schmerzfrei sind und über ihre Hoffnungen und Ängste sprechen können, keine Euthanasie wollen.

Der Katholische Akademikerverband äußerte in einer Erklärung ebenfalls ein striktes NEIN zur aktiven Euthanasie. Ziel des ärztlichen Handelns sei die Heilung bzw. die Linderung von Schmerzen, nicht aber das Töten!

Scharfe Kritik übte auch eine der Pionierinnen der Hospiz-Bewegung von der „Caritas Socialis“, Schwester Hildegard Teuschl. Als Vorsitzende von „Hospiz Österreich“, des Dachverbandes der Initiativen zur Sterbegleitung, sieht sie in der Forderung nach der Tötung auf Verlangen die Verhinderung einer humanen Lösung jener Probleme, die sich aus Defiziten im Gesundheitswesen und in der Familienstruktur ergeben. Nicht Töten aus Mitleid sei angesagt, sondern eine schmerzlindernde Palliativ-Medizin und der Ausbau der ambulanten und stationären Hospizversorgung. Teuschl erinnert an die christliche Überzeugung, wonach das Leben nicht in der Verfügungsmacht „des Menschen stehe, sondern Leben und Tod von Gott gegeben“ sind. Sehr wohl trage der Mensch aber Verantwortung für „die Gestaltung des Lebens – erst recht für ein würdevolles Leben bis zuletzt“.

Auch die Bewegung „Jugend für das Leben“ meldet sich zu Wort. Sie warnt vor dem pragmatischen Menschenbild einer utilitaristisch geprägten Gesellschaft, die den Menschen eher als erneuerbaren Rohstoff denn als Person mit unauslöschlicher Würde sehe. Der Blick in die Niederlande zeigt, daß der Ruf nach totaler Selbstbestimmung bereits zum Schrecken vieler geworden ist. Dort ist die Angst alter Menschen, daß ihnen bei einem Spitalsaufenthalt „zum Sterben verholfen wird“ bereits so groß, daß sich viele bei einer Krankheit weigern, ein Krankenhaus aufzusuchen.

Die „Aktion Leben“ wies darauf hin, daß der Arbeitskreis „Menschenwürdig sterben“ zum Teil aus denselben Personen bestehe, die sich schon für die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs logistisch und medial eingesetzt hatten. Zugleich erinnerte sie daran, daß es in Österreich bereits die Patientenverfügung des Österreichischen Dachverbandes Hospiz Österreich – „Menschenwürde bis zuletzt“ gäbe. Wer diese Willenserklärung unterschreibt, verfügt damit, daß eine Intensivtherapie oder Wiederbelebung bei aussichtsloser Prognose, bei einer nicht mehr endenden Bewußtlosigkeit oder bei wahrscheinlich schwerer Dauerschädigung des Gehirns unterlassen wird. Rund 20.000 Menschen aller Altersstufen haben diese Verfügung bereits angefordert. Schlichtweg falsch aber ist die Aussage der Verfasser des Manifestes, daß im Rahmen der Patientenverfügung auch der Wunsch nach aktiver Euthanasie geäußert werden dürfe. Eine entschiedene Absage an die Intentionen des Arbeitskreises kam von Wiens Gesundheitsstadtrat Dr.Sepp Rieder und dem Wiener Patientenanwalt Prof.Dr.Viktor Pickl.

Sie treten für eine Gesundheitspolitk ein, die sich zur Sterbebegleitung bekennt und dadurch den Anliegen eines menschenwürdigen Sterbens viel mehr gerecht wird, anstatt Ärzten das Recht einzuräumen, am Selbstmord mitzuwirken oder aufgrund irgendwelcher früherer Einwilligungen urteilsunfähigen Menschen das Leben zu nehmen.

Was sich hier anbahnt wirkt bedrohlich. Der Arbeitskreis „Menschenwürdig Sterben“ kritisiert eine aggressive Apparatemedizin, die Leiden unnötig verlängert, zugleich will er als Problemlösung den um ein Vielfaches aggressiveren Akt der „Tötung auf Verlangen“ von Staats wegen aber erlauben.

Im Namen der Rettung von Menschenwürde bleibt in ihrem Konzept jeder kreative und visionäre Umgang mit dem unabänderlichen Leid im Leben von Menschen unterdrückt. Den Pro-Euthanasisten wurde zunächst eine klare Absage erteilt. Dennoch wird viel schöpferisches Denken und Handeln notwendig sein, um jenem, im Grunde zutiefst destruktiven Gedankengut auch in Zukunft genügend Widerstand leisten zu können!

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Bernhard Kummer, Imabe-Institut
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Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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