Ware und/oder Heilmittel Embryo? Grußworte des Bischofs von Innsbruck

Imago Hominis (2005); 12(2): 81-82
Manfred Scheuer

Die europäische Kommission stellt im April 2005 das 7. Forschungsrahmenprogramm (FRP) vor. Beim 6. FRP gab es bis zuletzt Unstimmigkeiten, da es Unklarheiten über die ethischen Kriterien für jene Forschungen gab, die die Mitgliedstaaten der EU gemeinsam schwerpunktmäßig finanziell fördern wollen. Diese Unklarheit betrifft vor allem die Fragen des Klonens, der Embryonenforschung und der embryonalen Stammzellenforschung. Die rechtlichen Regelungen zum Schutz menschlicher Embryonen oder embryonaler Stammzellen (beide Ausdrücke enthalten bereits eine Wertung!) sind in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich. Vor mehr als einem Jahr waren im Ministerrat Deutschland, Italien, Portugal, Österreich und Luxemburg gemeinsam dafür eingetreten, Embryonen zerstörende Forschung aus dem Rahmenprogramm auszuschließen, in Irland ist dies ohnedies durch die Verfassung verboten. Ich danke daher Bildungsministerin Elisabeth Gehrer für das konsequente Nein zur Förderung der Embryonenforschung durch die EU: „Forschungen, bei denen Embryonen vernichtet werden, entsprechen einfach nicht den ethischen Vorstellungen der österreichischen Bundesregierung.“

Die EU stellt diese Regelungen den Mitgliedstaaten nach dem Subsidiaritätsprinzip anheim, ist aber insofern betroffen, weil in den Forschungsschwerpunktprogrammen zur Stärkung des europäischen Forschungsraumes jene Forschungen schwerpunktmäßig finanziert werden, die von allen Mitgliedstaaten gemeinsam beschlossen werden. Im derzeitigen 6. Forschungsprogramm wird die Embryonenforschung nicht ausdrücklich abgelehnt, also ist sie nach der Logik der EU inkludiert. Mittlerweile geht die Instrumentalisierung noch weiter, da eine neue EU-Richtlinie für die Standards von so genannten Engineered Tissues (ingenieurmäßig veränderte menschliche Gewebe) Embryonen nicht nur als Forschungsobjekt, sondern als Rohmaterial für die Industrie diskutiert.

Entscheidungen, wie mit dem begonnenen Menschenleben umgegangen wird, fallen derzeit vor allem unter dem Druck des Verbundes von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, nicht nur in den einzelnen Staaten, sondern auch in der EU. Man verspricht uns seit einigen Jahren, mit embryonalen Stammzellenlinien viele bislang kaum therapierbare Krankheiten zu heilen. Wer wünscht sich nicht die Heilung von Krankheiten wie Parkinson, Herzkrankheiten, Diabetes usw. Der Wunsch nach Therapie ist berechtigt, aber mit welchen Mitteln? Die Stimmung derer in unserer Gesellschaft, die um ihre Gesundheit als Höchstwert besorgt sind, verlangt nach Forschung um jeden Preis, auch um den Preis der Zerstörung menschlichen Lebens. Weil es aber noch zur menschenrechtlichen Grundauffassung gehört, dass man nicht den einen töten darf, um damit einen anderen oder mehrere andere zu heilen, versucht man zu zeigen, dass die ersten 14 Tage des Menschenlebens noch nicht zum in den Verfassungen aller zivilisierten Staaten, in den Menschenrechtsdokumenten und in der Menschenrechtskonvention der Biomedizin geschützten Menschenleben gehört. In diesen Dokumenten wird am Vorrang jedes einzelnen Menschen vor allen anderen Interessen festgehalten. Der Beginn des Menschenlebens gehört, auch und gerade weil er ein Prozess ist, zum Menschenleben selbst. Schon der Beginn darf nicht anderen Interessen unterworfen werden. Es ist nicht zu bezweifeln, dass ein Embryo bereits ein neuer Mensch in der ersten Phase seines Daseins ist. „Wenn wir ernst nehmen, dass wir die Menschenwürde schützen wollen, dann müssen wir das auch in der Anfangsphase konsequent tun“.1

Da die embryonalen Stammzellen, die durch Zerstörung eines Embryos zirka am 5. bis 6. Tag seiner Existenz gewonnen werden, bislang auch naturwissenschaftlich mehr Probleme schaffen als lösen, plant die wirtschaftsgeleitete Forschung Auswege durch das Klonen von menschlichen Embryonen durch Zellkerntransfers. In der Öffentlichkeit wird das meist „therapeutisches Klonen“ genannt. Doch dieser Ausdruck semantischer Politik ist aus mehreren Gründen sehr problematisch. In der klassischen medizinethischen Literatur versteht man unter „therapeutisch“ immer nur einen Heilversuch im Sinne des Individuums und nicht seine Zerstörung, um anderen zu helfen. Zudem sind Therapien durch Klonen weit und breit nicht in Sicht. Schließlich wird das „therapeutische Klonen“ vom so genannten „reproduktiven Klonen“ unterschieden, dessen Ablehnung ziemlich einhellig ist. Dass ein Klon nicht geboren werden soll, dafür gibt es breiteste Zustimmung und auch Konsens – sogar in der UNO. „Therapeutisch“ im Unterschied dazu meint in diesem Kontext, dass ein menschlicher Klon hergestellt wird, aber rechtzeitig vernichtet wird. Nun ist diese Unterscheidung zwischen therapeutisch und reproduktiv mehr als problematisch, denn Klonen ist vom Begriff her immer reproduktiv, das heißt Herstellung genetisch identischer Lebewesen. Ein therapeutischer und ein reproduktiver Klon sind also durch nichts zu unterscheiden, außer durch die dem Individuum fremde Zweckbestimmung, die von außen mit Macht an ihn herangetragen wird.

Aus ethischen Erwägungen sind die Forschung an Embryonen und damit auch der Stammzellenimport prinzipiell abzulehnen. Bei ethischen Entscheidungen gilt – so der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff – der Vorrang der negativen Unterlassungspflichten vor den Handlungspflichten: „Ich darf niemandem Unrecht tun, um einem anderen zu helfen.“ Damit ist aktuellen Tendenzen einer utilitaristischen Ethik zu widersprechen, die mögliche Hilfen für Patienten durch Entwicklungen neuer Medikamente auf Grundlage der Genforschung höher bewertet als den Schutz der Embryonen. Was in der politischen Ethik allgemein anerkannt sei, muss auch für die medizinische Ethik gelten. „Was wiegt schwerer, das Leben des Embryos oder künftige Heilungschancen?“ Aus der Sicht des christlichen Menschenbildes ist klar, dass die Vorenthaltung eines Nutzens ethisch eher zu verantworten ist als das Zufügen eines Schadens für den menschlichen Embryo. Der Mensch ist von Anfang an um seiner selbst willen zu achten. Nicht nur ein bloßer Zellhaufen ist Träger der Menschenwürde, sondern der Mensch lebt gemäß den Prinzipien von Individualität, Kontinuität und Potentialität von Anfang an. Die Menschenwürde kommt ihm von seinem Ursprung her zu. Es ist eine Forderung der Gerechtigkeit, die Menschenwürde von Anfang an zu respektieren und jedem Embryo seine Entwicklungschance zu lassen statt ihn zu zerstören. Aus der Sicht der christlichen Anthropologie ist auf der Unverfügbarkeit der Embryonen zu Forschungszwecken zu beharren.

„Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast. …Herr, du Freund des Lebens.“ (Weish 11,24-26)

Referenzen

  1. Schockenhoff E., Die Ethik des Heilens und die Menschenwürde, Zeitschrift für medizinische Ethik (2001); 47: 235-257

Anschrift des Autors:

Dr. Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck
Domplatz 5, A-6020 Innsbruck

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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