Leben aus dem Labor?

Imago Hominis (2007); 14(2): 110-112
Marta Bertolaso und Chiara Gaudino

Vor 20 Jahren, am 22. Februar 1987, wurde die Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über die „Achtung vor dem beginnenden Leben und die Würde der Fortpflanzung“, kurz Donum vitae genannt, veröffentlicht. In diesem Dokument nahm die katholische Kirche Stellung zu Fragen der menschlichen Reproduktionsmedizin wie Pränataldiagnostik, künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft u. a. Diese Themen hatten an Brisanz und Aktualität gewonnen: Neun Jahre zuvor, am 25. Juli 1978, war in England das erste Retortenkind, Louise Brown, zur Welt gekommen. Die Technik der künstlichen Befruchtung verbreitete sich rasch. Weltweit sind inzwischen rund 3 Millionen in vitro erzeugte Kinder zur Welt gekommen. Louise Brown ist inzwischen selbst schon Mutter. Das Ereignis im Jahr 1978 gilt als historischer Einschnitt: Zum ersten Mal wurde ein Mensch geboren, der nicht im Mutterleib empfangen, sondern in der Petrischale durch ein technisches Verfahren entstanden ist, damals unter der Leitung der zwei Laborspezialisten und IVF-Pioniere P. C. Steptoe und R. G. Edwards.

Bemerkenswert bei der Geburt von Louise Brown war, dass nicht in erster Linie Mutter und Vater, wie es sonst üblich ist, gratuliert wurde. Im Mittelpunkt der Gratulationen standen vor allem Edwards und Steptoe, so als ob die Elternschaft durch das Verfahren von den Eltern auf die Ärzte übergegangen wäre. Oder war es tatsächlich so? Bereits der Fall Brown hatte diesen Punkt in jener „neuen“ Art der Fortpflanzung als moralisch fragwürdig aufgezeigt und gleichzeitig die Dringlichkeit einer Stellungnahme einer kompetenten moralischen Instanz spürbar gemacht.

Menschen aus der Retorte haben die gleiche Würde wie jene in der Geborgenheit der intimen Begegnung von Mann und Frau gezeugten. Das wurde damals nicht in Frage gestellt genauso wenig wie heute. Ob wir allerdings „durch künstliche Befruchtung ohne Schutzgarantien menschliches Leben im Labor erzeugen und verfügbar machen (dürfen)“, ist ein heikler Punkt, der bereits Ende der 70er in akademischen Kreisen und Anfang der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit debattiert wurde. Viele Länder begannen damals in der Reproduktionsmedizin untereinander wettzueifern und dem britischen Beispiel zu folgen. In etlichen Ländern Europas – darunter Großbritannien, Belgien, Frankreich, Holland, Deutschland, Österreich, Schweiz und anderen – wurden zu dieser Zeit über Regierungsentwürfe zur gesetzlichen Regelung der künstlichen Befruchtung hitzige Debatten geführt.

Das deutsche Gesetz zur künstlichen Befruchtung wurde 1990 verabschiedet, das britische und das österreichische im Jahr 1991. Rechtzeitig, das heißt noch bevor ein einziges Land ein Gesetz zur künstlichen Befruchtung verabschiedet hatte, meldete sich die damals vom heutigen Papst geleitete Glaubenskongregation mit dem Schreiben Donum vitae zu Wort. Die Hauptaussage der klaren Stellungnahme : Die Empfängnis in vitro ist Ergebnis einer technischen Handlung, die die Befruchtung vornehmlich bestimmt; sie ist nicht Ausdruck und Frucht eines spezifischen Aktes ehelicher Vereinigung; weder wird sie tatsächlich so herbeigeführt noch wird sie positiv angestrebt als Ausdruck und Frucht eines spezifischen Aktes der ehelichen Vereinigung. Selbst wenn man sie im Kontext der tatsächlich bestehenden ehelichen Beziehungen betrachtet, ist in der homologen FIVET die Zeugung der menschlichen Person objektiv der ihr eigenen Vollkommenheit beraubt: nämlich Zielpunkt und Frucht eines ehelichen Aktes zu sein, durch den die Eheleute „im Schenken des Lebens an eine neue menschliche Person zu Mitarbeitern Gottes" werden. (DonV II, B 5). Damit wurden nicht nur die homologe (innerhalb der Ehe) künstliche Befruchtung, sondern auch die heterologe (nur einer der Gameten stammt vom Ehepartner), die künstliche Besamung und auch die Leihmutterschaft abgelehnt. Die Instruktion grenzte klar diesen moralisch nicht erlaubten, weil letztlich den Menschen entwürdigenden Einsatz von technischen Mitteln gegenüber jenen ab, die den ehelichen Akt nicht ersetzen, sondern erleichtern und unterstützend helfen, sein natürliches Ziel zu erreichen (DonV II, B 6). Keine Fortschrittsfeindlichkeit war also der Beweggrund, die künstliche Befruchtung als solche abzulehnen, sondern die tiefe Sorge, dass Kinder durch diese Technik letztlich zu Produkten von Fortpflanzungsingenieuren degradiert werden.

Mittlerweile wurden die Aussagen der Instruktion in zwei höchstrangige Dokumente des katholischen Lehramtes unter Hinweis auf die Begründungen von Donum vitae voll inhaltlich ratifiziert. Es handelt sich um den Katechismus der Katholischen Kirche aus dem Jahr 1992 (vgl. Punkte 2375-2379) und die Enzyklika Evangelium Vitae aus dem Jahr 1995 (vgl. Nr. 14).

Donum vitae begründet die Position der katholischen Kirche aus einer vorwiegend philosophisch-anthropologischen Perspektive, nämlich aus der unermesslichen und unantastbaren Menschenwürde, die jedem Individuum der Spezies Menschen von der Befruchtung bis zum Tod zukommt. Nicht selten wird versucht diese Argumentation als religiös motiviert zu etikettieren und sie dadurch für den zivilen Diskurs zu disqualifizieren. Diese Kritik ist aber alles anderes als sachlich und redlich, denn die Instruktion zeigt in aller Schlichtheit, ohne Rekurs auf jeglichen Satz göttlicher Offenbarung, dass durch die Technik der künstlichen Befruchtung der Mensch zum Objekt technischer Rationalität gemacht wird, d. h. an sich zum Instrument und Mittel eines technisches Prozesses, was dem Konzept der Menschenwürde diametral widerspricht.

Die so genannte „Baby-Take-Home" – Rate pro Embryotransfer beträgt in Deutschland laut deutschem IVF-Register nur rund 16 Prozent. Zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung von Donum vitae muss man mit Bedauern feststellen, dass die Techniken der Reproduktionsmedizin trotz mäßiger Erfolge zum „state of the art" der Reproduktionsmedizin gehören, das heißt, dass sie standardmäßig bei entsprechender Unfruchtbarkeitsindikation von Reproduktionsmediziner angeboten wird. Ethische Bedenken spielen dabei weder im medizinischen Alltag noch in der öffentlichen Meinung eine Rolle.

Die Techniken der künstlichen Fortpflanzung haben sich also durchgesetzt, obwohl klar ist, dass auf sie das Dammbruchargument zutrifft, das von vielen schon in den 80er Jahren vorausgesagt wurde, das aber nicht ernst genommen wurde. Denn: Klonen von Menschen, Embryonenforschung und Keimbahnmanipulationen, international organisierter Eizellenhandel, Leihmutterschaft, Selektion sowie die Kette der den Menschen in seinem Anfangsstadium instrumentalisierenden Verfahren wären ohne IVF nicht möglich gewesen. Heute argumentiert man zynisch, dass es zu spät sei, das Rad zurückzudrehen. Hätte die Gesellschaft Klonen, Embryonenforschung, Keimbahnmanipulation und all die anderen Entwicklungen nicht gewollt, hätte sie schon damals die IVF verbieten müssen. Ein Verzicht auf diese Techniken ist angesichts des Riesenmarktes, den die Produkte Kind und Gesundheit ankurbeln, vorerst kaum denkbar.

Trotzdem ist der Warnruf von Donum vitae nicht einfach wirkungslos verhallt. Die Position der Kirche als einer zweifellos anerkannten moralischen Instanz bewegte und bewegt viele Initiativen, die dazu beitragen, den ethisch höchst fragwürdigen Status quo der IVF-Technik mit einem Fragezeichen zu versehen und weitere Liberalisierungstendenzen zu bremsen. Eine dieser Initiativen war beispielsweise in Italien das Referendum von 2005. Es hätte die ursprünglich in 2003 verabschiedete gesetzliche Regelung, die europaweit jene mit dem relativ sichersten Schutz für den Embryo war und in vielen, wenn auch nicht allen Gedanken von Donum Vitae nahe war, aufweichen sollen. Diese Ansinnen wurde zu Fall gebracht: Dank zu geringer Beteiligung am Referendum (die Menschen gingen aus Protest nicht hin, die Beteiligung lag bei nur 25,9 Prozent der Stimmberechtigten) konnte eine Novellierung verhindert werden. Am Beispiel Italiens zeigte sich, dass auf demokratischem Wege, über kirchliche Kreise hinaus erkannt wurde, dass die hohe moralische Auffassung der Kirche vom Wert jedes einzelnen menschlichen Individuums wegweisend und richtig ist.

Es ist zu hoffen, dass die Bürgergesellschaften anderer Länder dem Weg Italiens folgen. Europaweit gibt es durchaus Anzeichen dafür. In etlichen Ländern wird laut und ernsthaft darüber nachgedacht, ob die Zahl der Embryonen, die implantiert werden, nicht limitiert werden soll. Die Anzahl der Mehrlingsschwangerschaften und der daraus notwendigen gewordenen Abtreibungen von überzähligen Embryonen mit Risken für die Mutter machen so einen Schritt sicherlich ratsam. Das wäre auch ein richtiger Schritt in Richtung Lebensschutz. Sogar in Großbritannien, wo die weltweit liberalste Gesetzgebung in Sachen Biotechnologie herrscht (Leihmutterschaft, Kreuzung Mensch-Tier, Klonen etc. sind dort erlaubt), scheint ein gesetzliches Verbot nicht weit, mehr als einen Embryo zu implantieren. Das hatte zuletzt The Economist (7. April 2007) verlangt. Dass ein als liberal bekanntes Wochenmagazin solche Forderungen publiziert, zeigt, dass Kehrtwenden möglich sind.

Anschrift der Autoren:

Dr. Marta Bertolaso, Departement für Anthropologie und angewandte Ethik
Dr. Chiara Gaudino, Abteilung Radiologie
Università Campus Biomedico di Roma
Via Emilio Longoni 81, I-00155 Roma

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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