Contra Homöopathie

Imago Hominis (2006); 13: 244-245
Gerhart Hitzenberger

Es ist unbestritten, dass heute immer mehr Patienten nach alternativen Behandlungen ihrer Erkrankungen suchen. Unter diesen nimmt die Homöopathie eine besondere Stelle ein. Es soll an dieser Stelle nicht ausführlich auf die Bedenken der klassischen Pharmakologie eingegangen werden, wonach eine Wirksamkeit homöopathischer Zubereitungen, sei es im klassischen Hahnemann’schen Sinn, sei es als Fertigarzneimittel, in Folge der hochgradigen Verdünnung wirksamer Substanzen ein Effekt vollkommen ausgeschlossen erscheint. Eine Arzneimittelwirkung sollte ja pharmakologisch abgesichert, d. h. ihr Mechanismus nachvollziehbar zu erklären sein und damit – zumindest weitgehend – Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Demgegenüber beruht die Homöopathie auch in ihrer klassischen individualisierten Form auf „Erfahrungswerten“ und nicht auf naturwissenschaftlichen Fundamenten. Aber wesentlicher erscheint mir, die Frage zu beantworten, ob die Homöopathie überhaupt einen Effekt hat. Immerhin muss zugegeben werden, dass diese Behandlungsmethode mehr als zwei Jahrhunderte überlebt hat und genauso populär geblieben ist, wie bei ihrer Einführung. Natürlich ist, wie E. Ernst1 bemerkt, Popularität ein schwacher Ersatz für Wirksamkeit, aber selbst der zynischste Skeptiker muss zugeben, dass viele Patienten aus der Homöopathie substanziellen Nutzen ziehen.

Die Frage ist, ob dieser Nutzen denjenigen von Placebo übersteigt. Um eine Antwort auf sie zu finden, ist es notwendig, nach kontrollierten klinischen Studien zu suchen: Mehr als 200 dieser Studien wurden bis dato publiziert.

Zwei dieser Studien hat der Autor dieser Zeilen in der Indikation „Hypertonie“ selbst durchgeführt: Die erste bereits im Jahre 1982 gemeinsam mit dem damaligen führenden Homöopathen Österreichs M. Dorcsi.2 Damals wurden in einer randomisierten doppelblind (genau genommen eher vierfachblind) angeordneten cross-over Studie die Möglichkeiten einer antihypertensiven Pharmakotherapie mit denen der klassischen (individuell angepassten) Homöopathie (allerdings nur bei 10 Patienten mit essentieller Hypertonie) verglichen. Dabei ergab sich, dass 1. die blutdrucksenkende Wirkung der Pharmakotherapie derjenigen der homöopathischen Behandlung deutlich überlegen war, deren Blutdruckwirkung nicht gesichert werden konnte, 2. die subjektiven Beschwerden der Patienten unter Pharmakotherapie nicht günstiger beeinflusst wurden als unter der homöopathischen Behandlung, 3. das cross-over Design wegen der langen Versuchsdauer und nicht auszuschließenden Nachwirkung von einer Behandlungsphase über die dazwischen geschaltete Placeboperiode in die andere weniger günstig erschien als das Arbeiten mit Parallelgruppen, was allerdings einen viel größeren Aufwand erfordert hätte. In einer zweiten Studie3 wurde ein homöopathisches Fertigarzneimittel auf den Blutdruck von Hypertonikern randomisiert kontrolliert gegen Placebo in einer Parallelgruppen-Vergleichsstudie untersucht. Das Ergebnis war ernüchternd: Das geprüfte homöopathische Arzneimittel unterschied sich über sechs Wochen getestet in seiner Wirkung weder auf den systolischen noch auf den diastolischen Blutdruck signifikant von Placebo. Zuzugeben ist, dass diese Studie nicht repräsentativ für die ganze Homöopathie ist, da die Verwendung homöopathischer Fertigarzneimittel von der klassischen Homöopathie abgelehnt wird.

Wenn die eigenen Untersuchungen auch nur in der Indikation „Hypertonie“ durchgeführt worden waren, so könnte es doch sein, dass homöopathische Methoden bei anderen Indikationen hilfreich sein könnten. Wie steht es nun damit? Im Vorjahr erschien im Lancet4 eine Metaanalyse zur Frage, ob die klinischen Wirkungen der Homöopathie Placeboeffekte seien. Diese Metaanalyse, welche die Ergebnisse von 110 homöopathischen Studien mit 110 Studien mit konventionellen Methoden untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass die Effekte der Homöopathie Placebowirkungen glichen. Diese Studie wurde sofort von Vertretern der Homöopathie aufs Schärfste bekämpft. Vor allem wurde bemängelt, dass die Auswahl der ausgewerteten Studien willkürlich gewesen sei und dass nicht angegeben wurde, welche Indikationen mit welchen Methoden behandelt worden waren. Die interessantesten Einwände finden sich als „correspondence“ wiederum im Lancet.5 In derselben Ausgabe antworten allerdings die Autoren auf diese Einwände. Sie erklären hier ihre Methode nochmals genauer: Erstens verweisen sie auf die schon im Originalbericht erfolgten Hinweise auf „webappendices 1 und 2“ und geben eine Internetadresse (http://www.ispm.ch/downloads/) an. Auf dieser Webseite findet man

  1. eine Liste der aus der Analyse ausgeschlossenen Studien und die Gründe dafür;
  2. Details der Charakteristika für die Homöo-pathiestudien und Resultate von 110 placebo-kontrollierten Studien;
  3. wie 2., allerdings für die Allopathiestudien.

Mit dieser Webseite werden die oben erwähnten Einwände nach Meinung des Autors dieser Zeilen weitgehend entkräftet. Die in der Wiener Medizinischen Wochenschrift1 publizierten Arbeiten entkräften die Bedenken gegen die Homöopathie jedoch nicht. Weder die „Entwicklung einer klinischen Integration und wissenschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen eines großen akademischen Medizinzentrums in London“ (ein späteres Ergebnis könnte vielleicht interessant werden), noch die Reglementierung der Potenzen durch die Europäische Gesetzgebung, noch die „statistisch nicht nachweisbare Wirksamkeit von Arnika“ bei stumpfen Traumata, noch die „Fallstudie bei Patienten in einer Notfallaufnahmestation“ dokumentieren eine gesicherte Überlegenheit gegenüber Placebo.

Homöopathie – doch ein Placebo?

Nach heutigem Stand der Wissenschaft muss also angenommen werden, dass sich die Effekte der Homöopathie nicht von denen bei Verabreichung von Placebo unterscheiden. Dann ergibt sich allerdings nur die Frage, wieso so viele Patienten auf eine homöopathische Therapie positiv reagieren. Die Antwort könnte lauten: „Es gibt auch positive Ergebnisse bei Verabreichung von Placebo; viele Patienten profitieren von der Tatsache, dass in der Schulmedizin häufig Medikamente verschrieben werden, die in Einzelfällen nicht indiziert sind oder/und Nebenwirkungen hervorrufen; der Homöopath setzt sie ab. Er nimmt sich erheblich mehr Zeit für die Aussprache mit seinen Patienten, was beinhaltet, dass er nach sehr viel mehr Details fragt; der Patient fühlt sich individuell besser aufgehoben und spürt mehr Mitgefühl des Arztes. Und: Homöopathen sind im Umgang mit ihren Patienten und deren Leiden erfahrene Ärzte.“

Referenzen

  1. Ernst E., Homeopathy Editorial, Wr Med Wschr (2005); 155: 473
  2. Hitzenberger G. A. et al., Kontrollierte randomisierte doppelblinde Studie zum Vergleich einer Behandlung von Patienten mit essentieller Hypertonie mit homöopathischen und pharmakologisch wirksamen Medikamenten, Wr Klin Wschr (1982); 94: 665-670
  3. Hitzenberger G., Rehak P. H., Zur Wirkung eines homöopathischen Fertigarzneimittels auf den Blutdruck von Hypertonikern. Eine randomisierte doppelblinde kontrollierte Parallelgruppen-Vergleichsstudie, Wr Med Wschr (2005); 155: 392-396
  4. Shang A. et al., Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homeopathy and allopathy, Lancet (2005); 366: 726-732
  5. Correspondence, Lancet (2005); 366: 2081-2086

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Gerhart Hitzenberger
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Pharmakologie
Kinderspitalgasse 10/15-17, A-1090 Wien
office(at)klinischepharmakologie.at

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: