Pro Homöopathie: Was unterscheidet Homöopathie von Placebo?

Imago Hominis (2006); 13: 240-243
Michael Frass, Beatrix Wulkersberger, Helmut Friehs

Vor kurzem ist ein Artikel im Lancet erschienen, der das Ende der Homöopathie heraufbeschwört1: Zunächst wird in diesem Artikel beschrieben, dass die Homöopathie im Vergleich zur konventionellen Medizin nicht wirksam ist. In einem Editorial wird den ÄrztInnen angeraten, PatientInnen über die Sinnlosigkeit der Homöopathie aufzuklären. Der von uns verfasste „Letter to the Editor“ wurde von Lancet abgelehnt, ist aber im Internet nachzulesen.2 Tatsächlich haben sich in die Arbeit1 mehrere statistische Fehler eingeschlichen.

Mit Homöopathie assoziieren viele sofort „Placebo“. Während dieser Begriff für „Scheinmedikament“ allgemein bekannt ist, machen sich nur wenige Gedanken über den Ursprung des Wortes aus dem Lateinischen: „Ich werde gefallen“. Das nun wiederum eröffnet ganz neue Perspektiven. Spitzy3 zitiert Kienle, der zwischen „Wirksamkeit“ und „Wirkung“ unterscheidet. In der Heilbehandlung ist nicht alles „wirksam“, was wirkt und auch nicht alles „unwirksam“, was nicht „wirkt“. „Wirkung“ bedingt messbare physiologische Veränderungen, „Wirksamkeit“ bedeutet Heilung oder Linderung von Erkrankungen.

Einige Überlegungen verdienen Beachtung4:

1. Die wahre Natur des Placeboeffektes ist unbekannt.

2. Das Placebo wurde nie im Sinne von Interaktionen zwischen Molekülen erklärt und muss daher als immateriell eingestuft werden, ähnlich wie die „Vitalkraft“ in der Homöopathie.

3. „Immaterielle“, und daher nicht messbare Interaktionen werden im allgemeinen von der konventionellen Medizin als ungeprüft verworfen.

4. Überraschenderweise aber betrachtet die konventionelle Medizin das Placebo als etwas „Reales“: Der Placeboeffekt, obwohl unerklärlich, gilt als integraler Bestandteil der Kultur in der konventionellen Medizin. Die Theorie klingt einfach: Wenn der Patient damit rechnet, dass es ihm durch die Einnahme eines Medikamentes besser geht, ist es wahrscheinlich, dass dies auch der Fall sein wird. Das Problem dabei ist, dass man z. B. Schmerzen nicht objektiv messen kann, sondern sich vollkommen auf die Aussagen der PatientInnen verlassen muss. Somit ist es schwierig, zu beweisen, dass Placebos nicht nur eine psychische Wirkung haben (der Patient empfindet den Schmerz als weniger stark, obwohl die Reize die gleichen sind), sondern wirklich den Schmerzreiz lindern.

Nun stellt sich die Frage, ob die Wirkung der Homöopathie über die Placebowirkung hinausgeht. Mit Homöopathie wird gewöhnlich nicht das Ähnlichkeitsgesetz, sondern die Verdünnung assoziiert, wobei übersehen wird, dass neben der Verdünnung die Verschüttelung, die sogenannte Potenzierung, eine wesentliche Rolle für die Herstellung der Potenzen spielt. Dieser Vorgang bewirkt nach Ansicht der HomöopathInnen einen Transfer der Arzneimitteleigenschaften auf das flüssige Medium. Am Beginn der Arzneimittelprüfungen am Gesunden hat Hahnemann mit unverdünnten respektive mäßig verdünnten Substanzen gearbeitet, erst als eine seiner Töchter bei der Prüfung von Veratrum album beinahe gestorben wäre, entwickelte Hahnemann die Potenzierung.

Im Werkzeugbuch der HomöopathInnen, dem Organon (6. Auflage5), ist die Potenzierung allerdings erst unter den letzten 10% der knapp 300 Paragraphen angeführt. Somit wird ersichtlich, dass die Potenzierung keine „Conditio sine qua non“ ist, d. h. man kann Homöopathie auch mit nicht potenzierten Arzneimitteln betreiben. Für HomöopathInnen ist aber aus der Erfahrung klar, dass potenzierte Arzneimittel oft eine höhere Wirksamkeit besitzen als nicht potenzierte.

Dass Hochpotenzen eine physikalische Wirksamkeit entfalten können, wurde jüngst aufgezeigt: Louis Rey, französisch-schweizerischer Physiker und Biologe, hat sich speziell mit der Niedertemperaturkonservierung von Zellen und Geweben für die plastische und rekonstruktive Chirurgie sowie mit der Gefriertrocknung beschäftigt.6 Höchst-Potenzen von Lithium- und Natriumchlorid (in einer potenzierten Form von 10–30 g in 1 ml schweren Wassers, D2O) wurden von ihm bei einer Temperatur von 77°K mit Röntgen- respektive Gamma-Strahlen beschossen und anschließend langsam wieder auf Raumtemperatur erwärmt. Während dieser Phase wurde ihre Thermolumineszenz gemessen und festgestellt, dass – ungeachtet ihrer Verdünnung (Potenzierung) jenseits der Avogadro’schen Zahl – das ausgesandte Licht spezifisch für die ursprünglich gelösten Salze ist.6,7

HomöopathInnen gehen ebenfalls von der Annahme aus, dass Wasser als Trägerstoff die Informationen von Arzneistoffen speichern kann. Deshalb können diese Ergebnisse als ein wichtiger Mosaikstein für einen wissenschaftlichen Wirkungsnachweis der Homöopathie angesehen werden.

Die Ergebnisse zur Aggregatbildung8: je verdünnter die Ausgangslösung, desto größere Aggregate bilden sich. Auch das kann ein Hinweis auf das paradox erscheinende Phänomen der zunehmenden Stärke der in der Homöopathie verwendeten Arzneimittel sein.

Nun gibt es aber auch sehr gute Studien9 als auch Metaanalysen10, die vorsichtig positiv beurteilt worden sind. Auch eine große Metaanalyse kommt zu positiven Ergebnissen.11 Zu diesen steht die rezente Metaanalyse1 in krassem Kontrast. Hier die wesentlichen Problembereiche12: In diesen 220 Studien zeigten sowohl die Homöopathie als auch die Schulmedizin deutliche Effekte. Aus diesem Pool wurden dann sogenannte „große, methodologisch bessere“ Untersuchungen, nämlich 8 homöopathische und 6 schulmedizinische Studien nochmals analysiert. Nun fanden die Autoren nur noch bei schulmedizinischen Methoden einen spezifischen Effekt, nicht jedoch bei der Homöopathie. Aus den Resultaten geht zunächst hervor, dass bei beiden Gruppen ein günstiger Effekt gezeigt werden konnte, solange alle 110 Studien berücksichtigt wurden. Die Autoren anerkennen eine weniger ausgeprägte Heterogenität bei den homöopathischen Studien. Zudem wurde eine höhere Qualität der untersuchten Studien bei der Homöopathie Gruppe konstatiert (19% vs. 8%).

Während wir mit den Autoren hinsichtlich dieser Resultate übereinstimmen, sehen wir größere Probleme bei der Schlussfolgerung der Autoren: Zunächst bleibt es selbst bei sorgfältiger Auswahl problematisch, Studien aus einem Pool von 165 bei der Homöopathie mit mehr als 200.000 bei der konventionellen Medizin zu vergleichen. Dieser Faktor von 1.000 enthält bereits eine Asymmetrie in diesem Vergleich. Außerdem erscheint es uns nicht angebracht, Publikationen in englischer Sprache (94/110, 85% bei der konventionellen Medizin (vs. 58/110, 53% bei der Homöopathie) höher zu bewerten.

Wenn die Autoren die Zahl der eingeschlossenen Studien auf „größere Untersuchungen höherer Qualität“ reduzieren, scheinen die Resultate zwischen konventioneller Medizin und Homöopathie zu differieren. Allerdings bleibt eine gewisse Unsicherheit über die Auswahl dieser acht (Homöopathie) versus sechs (konventionelle Medizin) Studien.

Ferner handelt es sich bei der Festlegung auf größere Untersuchungen höherer Qualität wohl um eine post-festum Hypothese, aber nicht um das ursprüngliche Studiendesign. Da wir die durchgeführte Reduktion im Abstract nicht finden können, bezweifeln wir, dass sie a-priori vorgesehen war.

Die dramatische Restriktion von ursprünglich 220 Studien auf 14 wird von den Autoren deshalb gewählt, weil die 220 Studien auf Grund von funnel plots einen vermeintlichen Publikations-Bias zeigen. Obwohl diese funnel plots laut Literatur mit größter Vorsicht interpretiert werden müssen, geben die Autoren keinen einzigen Hinweis darauf, dass in dieser sehr kleinen Auswahl kein Publikations-Bias existiert. Auffällig ist auch, dass über die 14 verwendeten Studien keine Information gegeben wird, wie odds ratio, matching Parameter, Literaturzitate.

Bei Beschränkung auf größere Studien höherer methodologischer Qualität war die odds ratio bei der Homöopathie 0,88 (CI 95%: 0,65 – 1,19), bei der konventionellen Medizin 0,58 (CI 95% 0,39 – 0,85) und lässt mit einer Unsicherheit von 5% den Schluss zu, dass die Ergebnisse nicht nur durch Zufall erreicht worden sind. Die Statistik erlaubt aber nur eine Aussage bzgl. „Evidenz“ bzw. „keine Evidenz“, aber nicht bzgl. „schwache oder starke Evidenz“.

Zusätzlich neigt die scientific community dazu, bei kontroversiellen Hypothesen, wie dem Vergleich dieser beiden Methoden, eine Signifikanz auf 1%-Niveau anzustreben. Der/Die LeserIn wäre auch interessiert zu wissen, bei welcher Irrtumswahrscheinlichkeit die Homöopathie signifikant geworden wäre.

Man sollte im Auge behalten, dass diese Arbeit nicht Studien der Homöopathie mit Studien der konventionellen Medizin vergleicht, sondern die spezifischen Effekte der beiden Methoden in separaten Analysen. Daher darf ein direkter Vergleich aus dieser Studie nicht gezogen werden.

Was Shang et al.1 möglicherweise nicht ausdrücklich wissen: Die größeren Studien sind selten „klassische“ homöopathische Interventionen, daher kann das Hauptprinzip der Homöopathie – die Individualisierung – nicht angewandt werden. Dadurch mangelt es der Studie an einem tiefen Verständnis darüber, was Homöopathie eigentlich repräsentiert.

Zwei eigene prospektive, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studien sind vor kurzem erschienen: Die in Chest publizierte Arbeit13 zeigt die Wirksamkeit der Homöopathie bei der Beseitigung zäher trachealer Sekretionen bei intubierten PatientInnen auf, wobei Kalium bichromicum in einer C30 eine Verminderung der Sekretion und eine frühere Verlegung aus der Intensivstation ermöglicht. Die Menge der trachealen Sekretionen war in der Homöopathiegruppe signifikant reduziert (p < 0,0001), die Extubation konnte in dieser Gruppe früher erfolgen (p < 0,0001). Zudem war die Aufenthaltsdauer in der Behandlungsgruppe kürzer (4,20 ± 1,61 Tage vs. 7,68 ± 3,60 Tage in der Placebogruppe, p < 0,0001). Eine weitere Arbeit zeigt die Sinnhaftigkeit der Homöopathie bei SepsispatientInnen.14 Das Überleben nach 180 Tagen war bei der Behandlungsgruppe signifikant höher (75,8% vs 50,0% in der Placebogruppe, p = 0,043).

Diese und andere Untersuchungen zeigen, dass Homöopathie mehr kann als Placebo. In einer weiteren15 wird die Machtlosigkeit des Placebos untersucht: In einer großen Metaanalyse wird aufgezeigt, dass Placebo nicht mehr kann als „Nichts-Tun“, z. B. bei mäßigen Schmerzen und in klinischen Studien. Das bedeutet aber auch, dass die Stellung des Placebos neu überdacht werden muss. Eine weitere Überlegung, deren Ausführung den Rahmen dieses Artikels wohl sprengen würde: Oft wird ja bei gutem Erfolg jedweder Methode eine Spontanheilung postuliert. Aus homöopathischer Sicht spricht nichts gegen die Spontanheilung, da man ja bemüht ist, den Körper dazu anzuregen und ihn damit autark zu machen.

Kontroversielle Themen sollten in einer akademischen und nicht-emotionellen Weise behandelt werden. Wir unterstützen den Dialog zwischen konventioneller Medizin und Homöopathie und bemühen uns, durch Freie Wahlfächer die Grundlagen der Homöopathie sowie Komplementärmedizin während des Studiums zu vermitteln. Eine an dieser Klinik eingerichtete Ambulanz „Homöopathie bei malignen Erkrankungen“ ist inzwischen ein von PatientInnen und KollegInnen akzeptierter Bestandteil der onkologischen Abteilung geworden. Dadurch ist es zu einer zunehmenden gegenseitigen Wertschätzung und Unterstützung gekommen, wobei das Miteinander zum Wohle der PatientInnen überwiegt.

Referenzen

  1. Shang A. et al., Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy, Lancet (2005); 366: 726-732
  2. Frass M. et al., Bias in the trial and reporting of trials of homeopathy: a fundamental breakdown in peer review and standards?, J Altern Complement Med (2005); 11: 780-782
  3. Spitzy K. H., Homöopathie: Arzneimittel- oder Placebotherapie, Zentrale Fortbildungstagung der Österreichischen Apothekerkammer, Salzburg, 10. – 11. November 1990
  4. Mastrangelo D., Cosimo Loré. The growth of a lie and the end of “conventional” medicine, Med Sci Monit (2005); 11: SR27-31
  5. Hahnemann S., Organon, Haug Verlag, Heidelberg (6. Auflage 1921)
  6. Muchitsch I., Heinrich M., Thermolumineszenz als Beweis der Wirkung der Homöopathie. Das Gedächtnis des Wassers, Österreichische Apothekerzeitung (2004); 58: 314-316
  7. Rey L., Thermoluminescence of ultra-high dilutions of lithium chloride and sodium chloride, Physica A (2003); 323: 67-74
  8. Samal S., Geckeler K. E., Unexpected solute aggregation in water on dilution, Chem Commun (2001); 2224-2225
  9. Jacobs J. et al., Treatment of acute childhood diarrhea with homeopathic medicine: A randomized clinical trial in Nicaragua, Pediatrics (1994); 93: 719-725
  10. Reilly D. T. et al., Is evidence for homoeopathy reproducible?, Lancet (1994); 344: 1601-1606
  11. Linde K. et al., Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? A meta-analysis of placebo-controlled trials, Lancet (1997); 350: 834-843
  12. Heinrich M.., Der Homöopathie-Streit: nächste Runde, Österreichische Apothekerzeitung (2005); 59: 922-927
  13. Frass M. et al., Influence of potassium dichromate on tracheal secretions in critically ill patients, Chest (2005); 127: 936-941
  14. Frass M. et al., Adjunctive homeopathic treatment in patients with severe sepsis: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial in an intensive care unit, Homeopathy (2005); 94: 75-80
  15. Hróbartsson A., Gøtzsche P. C., Is the Placebo powerless? An Analysis of Clinical Trials Comparing Placebo with No Treatment, N Engl J Med (2001); 344: 1594-1602

Anschrift der Autoren:

Univ.-Prof. Dr. Michael Frass, Dr. Beatrix Wulkersdorfer, Dr. Helmut Friehs
Leiter der Spezialambulanz: Homöopathie bei malignen Erkrankungen
Klinische Abteilung für Onkologie Klinik für Innere Medizin I
Allgemeines Krankenhaus Wien, Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
Michael.Frass(at)meduniwien.ac.at

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