Religionsäquivalente in der Medizin am Beispiel der Homöopathie

Imago Hominis (2006); 13(3): 213-228
Clemens Pilar

Zusammenfassung

Medizinische Behandlungen wirken nicht nur durch ihre spezifischen Anwendungen und Arzneien. Immer spielt auch das therapeutische Ritual eine Rolle. Zahlreiche alternative Therapien, deren spezifische Wirksamkeit höchst umstritten ist, wirken vor allem durch die Botschaften, die sie transportieren. Vielfach werden dabei Symbole und Elemente aufgegriffen, die traditionell im Kontext der Religionen zu finden sind. Am Beispiel Homöopathie soll in diesem Artikel gezeigt werden, wie sich im Rahmen einer Therapie religiöse Themen und Symbole begegnen.

Schlüsselwörter: Religion, Symbol, Homöopathie, Hermetik, Esoterik

Abstract

Effectiveness of medical treatment is not only the result of specific therapy or medication. One important factor lies within the therapeutic ritual. The effectiveness of many alternative therapies is doubtful, but their therapeutic power lies in the messages, transported by treatment. Frequently symbols and elements are used, which traditionally are found in the context of religion. In this article homoeopathy is taken as an example, to show how religious elements and symbols can be found in therapeutic measures.

Keywords: religion, symbols, homoeopathy, hermeticism, esoteric


Hoffnungsträger Medizin?

Die Welt der Medizin als Welt des Heilens hatte und hat immer auch ihre Bezüge zur Welt des Heiles. Um so mehr werden in Zeiten des Niedergangs religiöser Gewissheiten die in unserer Gesellschaft heimatlos gewordenen Heilserwartungen an die Medizin herangetragen, die für viele zum neuen Hoffnungsträger geworden ist, so dass gar schon von einer „Gesundheitsreligion“ als dem wichtigsten Kult unserer Tage gesprochen wird1.

Dieser „Heils“-suche wird auch in einem blühenden und ausufernden Therapieangebot Rechnung getragen. Bei aller Fragwürdigkeit vieler dieser sogenannten „alternativen“ Therapien, liegt deren Kraft in den Geschichten, die sie dem Patienten über Gesundheit und Krankheit erzählen. Placebos seien, im Urteil der Anthropologen, vor allem Symbole der Heilung2. Als solche halten sie dem Patienten eine „Landkarte“ vor Augen, die ihm hilft, sich in seiner Krankheit zurechtzufinden. Therapien bieten mitten im Chaos der Erkrankung Erklärungen und bringen so Ordnung in ein bedrohliches Geschehen.

Der kosmische Bezug ist ein Wesensmerkmal aller schamanischen Kuren3. Bei genauer Durchsicht des Angebots fällt auf, dass heute vielfach Sprachspiele und im therapeutischen Ritual auch Symbole zum Einsatz kommen, die ursprünglich auf die Welt des Heiles verweisen und uns in religiösen Kontexten begegnen. In einer säkularen Kultur überleben religiöse Symbole und Begriffe, nachdem sie in der alternativen Medizin einen neuen Ort gefunden haben. Dabei mutieren sie aber zu Begriffen einer naturalistischen, kosmischen Religiosität, in denen nicht nur die Machbarkeit der Gesundheit, sondern auch jene eines umfassenderen Heiles verkündet werden. Diese Hintergründe reichen aus, um das Gebiet der Alternativmedizin für den Theologen interessant zu machen. Eine Analyse der Religionsäquivalente in der therapeutischen Szene versteht sich auch als Beitrag zu dem noch immer sehr heftig geführten Konflikt zwischen Evidence Based Medicine und alternativer Medizin. Die Heftigkeit der Debatte lässt sich besser verstehen, wenn man bedenkt, dass sie auch an erkannten oder unerkannten religiösen Gefühlen rührt.

Religiöse Aspekte der Homöopathie

Für eine genauere Analyse bietet sich eine große Zahl unterschiedlicher Therapien an. An diesem Ort soll die Homöopathie herausgegriffen werden, die aus mehreren Gründen für eine Untersuchung solcher Art besonders geeignet erscheint. Zum einen gehört Homöopathie heute zu den am weitesten verbreiteten alternativen Therapien, und sie erfreut sich sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten einer großen Beliebtheit. Zum anderen ist sie Sammelbecken für zahlreiche ältere Ideen und Strömungen (z. B. Neuplatonismus, Hermetik, Vitalismus), und wird so wiederum zum Ideenspender für neuere Therapien. Zahlreiche Praktiken, denen wir heute unter verschiedensten Namen begegnen, sind entweder spätere Derivate der Homöopathie (Bach-Blütentherapie, Schüssler-Salze, Elektrohomöopathie…) oder sie greifen in ihren Erklärungen auf Ideen und Begriffe der Homöopathie zurück. Auffallend oft wählen Homöopathen eine betont religiöse Ausdrucksweise zur Beschreibung der Besonderheiten ihrer Therapie. In christlichen Gegenden wird die Bibel und die christliche Theologie herangezogen, um die Therapie zu beschreiben und zu erklären (Gerhard Risch etwa will zeigen, dass die „Homöotherapie“ die echt christliche Heilkunst ist und genau der im Neuen Testament ausgesagten Handlungsweise Gottes gegenüber dem Menschen entspricht4), im fernen Osten kann die Homöopathie dagegen zur Unterstützung hinduistischer Ideen herhalten, nach der alle materielle Erscheinung letztlich „Maya“ und die menschliche Individualität nur Täuschung5 sei.

Auch als Gesamtphänomen weist Homöopathie manche Ähnlichkeiten mit religiösen Systemen auf6. Die Homöopathie als ein in sich geschlossenes System, gründet sich auf jene Grundgesetze, die Hahnemann vor 200 Jahren formuliert hat.

Dabei geht Hahnemann von Postulaten aus, die als Säulen des Systems selbst nicht in Frage gestellt werden und als „ewige“, „unumstößliche Wahrheit“7 definiert werden. Das führt dazu, dass man die klassische Homöopathie nur als ganze annehmen oder verwerfen kann. Wer das System als Ganzes akzeptiert hat, kann auch durch Negativerfahrungen in seinem Glauben nur schwer erschüttert werden (so wie der Christ, der glaubt, dass Christus jede Krankheit heilen kann, auch dann seinen Glauben nicht verliert, wenn viele Kranke nicht geheilt werden). Es gibt nur mehr „Versuch und Erfolg“8. Immunität der Homöopathie gegen jede Falsifizierung wird allerdings von Homöopathen als Gütesiegel gewertet. Die Wahrheit der Homöopathie lasse sich daran ermessen, dass sich ihre fundamentalen Grundsätze seit 200 Jahren nicht geändert haben – sie baue eben auf zeitlos gültige Prinzipien, die sich vom philosophischen Ansatz her ergäben9. Das System als ganzes bleibt „rückgebunden“ (religare!) an die „himmelfeste Wahrheit“10, die Hahnemann entdeckt habe. Homöopathen dulden es daher nicht, wenn die Homöopathie nach dem Schlüssel der konventionellen Naturwissenschaft untersucht und kritisiert wird. Die Homöopathie habe ein eigenes Wissenschaftsverständnis.11 Als Kritiker könne nur akzeptiert werden, wer in diesem Gebiet promoviert oder besser habilitiert sei12.

Doch wer sich dieser Kunst öffnet, dem werden nicht nur Mittel zur Hand gegeben, mit denen Krankheiten kuriert werden können, vielmehr hat er dann vielleicht für jeden Menschen „sein Kräutlein, sein homöopathisches Mittel, das ihn heilt und rettet (sic!) – sein Simile.“13

Für Hahnemann war die Homöopathie die einzig richtige Kurart14, neben der es keine „Allopathie“ geben konnte. Sein dogmatisch-religiöser Wahrheitsanspruch klingt im Organon – dem Haupt- und Grundlagenwerk Hahnemanns – in vielen Facetten durch. Hahnemann verstand sich gleichsam als Prophet, dem von Gott die von der ganzen Menschheit lang ersehnte, aber zuvor nie erkannte15 Heil(s)wahrheit der Homöopathie offenbart wurde. Darum spricht er von der „göttlichen Homöopathie“16, von der Lehre, die „auf die unumstößlichsten Pfeiler der Wahrheit gestützt“ ist und „ewig seyn“ wird17. Hahnemann fordert von seinen Schülern unduldsam treue „Nachfolge“18 ein („Machts nach, aber machts genau nach.“19). Nur wer die reine Lehre bewahrt, hat ein Recht die „heiligen Ämter unserer göttlichen Kunst“20 zu betreten. Die „unparteiische Geschichte“ wird die Namen derer brandmarken, die sich „freventlich gegen die heilbringende Wahrheit“ verschlossen hatten21. Sein Hauptwerk, das „Organon der Heilkunst“22, wird als „Bekenntnisschrift“23 Hahnemanns bezeichnet und mit der Bibel der Christen verglichen24. Gleich dieser soll es in einer Art „Lectio continua“ beständig vom treuen Homöopathen gelesen werden25. An die Stelle des Breviers treten Arzneimittellehren26, welche ebenso täglich betrachtet werden müssen, damit die entsprechenden Analogien zwischen Krankheits- und Arzneimittelsymptomen in Fleisch und Blut übergehen. Auf diesem Hintergrund ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass die Behandlung selber zum „religiösen Akt“ werden kann27. Die Interpretation der „Glaubenssätze“ Hahnemanns führt freilich zu den unterschiedlichsten Ergebnissen. Die daraus folgende und immer mehr zunehmende Zersplitterung der Homöopathie lässt auch Homöopathen von Schismen, Sekten und Fundamentalisten sprechen, es wird um die authentische Auslegung der reinen Lehre gestritten. Diese Ausführungen zeigen auch, dass eine Untersuchung über Homöopathie niemals „die“ Homöopathie zum Gegenstand haben kann, da es zu viele verschiedene Strömungen gibt. Was bleibt ist, wesentlichste Aspekte der Homöopathie(n) für eine Analyse heranzuziehen, wohl wissend, dass es unter den Vertretern dieser Richtung große Differenzen hinsichtlich des Umgangs mit den „Grundwahrheiten“ der Homöopathie gibt.

Hintergründe

Hahnemann hat sich zwar gerne als originellen Begründer einer völlig neuen, nie da gewesenen Heillehre gesehen, doch sind die Quellen seiner Inspiration unschwer aus seinem Gesamtwerk zu erkennen. Einerseits ist er ein Kind der deutschen Aufklärung und war als solches bestrebt, Aberglauben und „Rockenphilosophie“ zu überwinden. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass er auch Erbe eines dynamischen, sympathetischen Weltbildes ist. Unverkennbar dem neuplatonischen Denken verbunden, war Hahnemann von der Allbeseeltheit des Universums überzeugt. Entscheidend für sein gesamtes therapeutisches Gebäude ist in diesem Zusammenhang die Vorstellung von der Lebenskraft, die Grundlage aller Lebensvollzüge des Organismus sei. Als ein den östlichen Lehren des Konfuzius zugeneigter Geist glaubt er an einen Schöpfer-Gott, dessen erhabenstes Geschöpf der Mensch sei28, in welchem der Hauch der Gottheit, der göttliche Funke wirke. Im Rahmen dieser von Gott weise eingerichteten Schöpfung habe auch die körperliche Schwäche und Krankheitsanfälligkeit des Menschen ihren – letztlich religiösen – Zweck. Sie diene zur Erziehung des Menschen, vor allem aber als Herausforderung an die Fähigkeit des menschlichen Geistes, wirksame Hilfsmittel in der Natur auszuspähen. Den Arzneimitteln seien ihre heilsamen Kräfte von Gott anerschaffen29. Die einzige Bestimmung aller von Gott erschaffenen Arzneien sei es, die kranken Zustände im Menschen in Gesundheit zu verwandeln30. Die Erkennbarkeit der hilfreichen Arzneien ist eine Folge der von Gott gegebenen Ordnung der Natur. Damit entspricht auch das homöopathische Heilgesetz einer göttlichen Ordnung, die nicht weiter begründet werden muss, sondern nur der Entdeckung harrt.

Eine Durchsicht moderner Literatur zeigt, dass sich viele Homöopathen heute von diesem starren Dogmatismus Hahnemanns entfernt haben, doch steht und fällt auch die „moderne“ Homöopathie mit einigen Grundpfeilern der Lehre, die als Axiome des Systems akzeptiert werden müssen. Auch in diesen Grundelementen der Therapie werden Themen angesprochen, die eher dem Bereich der Religion zuzuzählen sind als jenem der Naturwissenschaft. Wesentlich für die klassische Homöopathie sind immer noch die Lehre von der Lebenskraft (= Frage nach dem Lebensprinzip), das Ähnlichkeitsgesetz (= Fragen nach Ordnung des Ganzen) sowie die spezielle Zubereitungsart der Arzneien durch Verdünnen und „Potenzieren“ (= Frage nach der In-formation, bzw. der Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält). Die vierte Säule ist die Lehre über die chronischen Erkrankungen, bzw. die Psora (= Frage nach dem Ursprung des Übels in der Welt).

Die Lebenskraft

Homöopathie gilt auch heute noch als vitalistische Therapie. Als Hahnemann seine Therapiekonzepte erarbeitete, zirkulierten verschiedene solcher Überlegungen in der Welt der Medizin. Hahnemann ist also nicht der einzige Vertreter seiner Zeit, der die Existenz einer „Lebenskraft“ im Menschen annimmt, die er wie folgt beschreibt:

„Im gesunden Zustande des Menschen waltet die geistartige, als Dynamis den materiellen Körper (Organism) belebende Lebenskraft (Autokratie) unumschränkt und hält alle seine Theile in bewundernswürdig harmonischem Lebensgange in Gefühlen und Thätigkeiten, so daß unser inwohnende, vernünftige Geist sich dieses lebendigen, gesunden Werkzeugs frei zu dem höheren Zwecke unseres Daseins bedienen kann.“

„Wenn der Mensch erkrankt, so ist ursprünglich nur diese geistartige, in seinem Organism überall anwesende, selbstthätige Lebenskraft (Lebensprincip) durch den, dem Leben feindlichen Einfluß eines krankmachenden Agens verstimmt; nur das zu einer solchen Innormalität verstimmte Lebensprincip, kann dem Organism die widrigen Empfindungen und ihn zu so regelwidrigen Thätigkeiten bestimmen, die wir Krankheit nennen,…“31

Obwohl sich die Naturwissenschaften schon vor mehr als 150 Jahren von den Thesen des Vitalismus verabschiedet haben, hat der Begriff der Lebenskraft in der Philosophie der Esoterik und den damit verbundenen (Para-) Wissenschaften wieder zentrale Bedeutung. Mit diesem Begriff wird aber die Frage nach dem Lebensprinzip aufgeworfen und damit auch nach den letzten Gründen des Lebendigen. Diese Frage aber führt über das Gebiet der Naturwissenschaften hinaus in den Bereich religiöser Überlegungen. Dies wird schon deutlich in Hinblick auf die Herkunft des deutschen Begriffs „Lebenskraft". Dieser findet sich im Deutschen zuallererst in der Bibelübersetzung Martin Luthers. Er übersetzt den ersten Vers des Psalms 27 wie folgt:

„Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens-Kraft, vor wem sollte mir grauen?“

Die Genitiv-Metapher „Lebens-Kraft“ wird zu einem eigenständigen Begriff, der 1737 Eingang in Zedlers Universallexikon gefunden hat und schließlich von Vertretern der romantischen Medizin aufgegriffen, und es verliert sich das Bewusstsein, dass es sich in dieser Form um einen religiösen Begriff handelt. (Als solcher gerät der Lebenskraftbegriff der vitalistischen Medizin in Spannung zum christlichen Seelenbegriff, da die Seele als einziges Lebensprinzip im Menschen absolut immateriell gefasst wird, ohne ein zweites ‚vegetatives’ Lebensprinzip als Vermittlung zum Körper zu benötigen: anima forma corporis. Eine Behandlung der „Lebenskraft“ als Lebensprinzip durch – wie auch immer zubereitete Arzneimittel – ist nach christlicher Vorstellung daher undenkbar.) Im Vitalismus werden antike Ideen wiederbelebt oder weiterverarbeitet. Wir werden vor allem in die Ideenwelt des Neuplatonismus geführt, in der die Lehre vom feinstofflichen „Seelengefährt“ am meisten ausgebaut wird. Die Einführung einer „Lebenskraft“ als Mittler zwischen unstofflichem Geist und materiellem Körper wird dort notwendig, wo ein strenger Dualismus zwischen Geist und Materie gelehrt wird. Die Frage der Vermittlung zwischen Seele und Körper ist freilich nur solange von Bedeutung, als diese – im Sinne eines strengen Dualismus – als vollständig unterschiedene selbständige Substanzen betrachtet werden.

Der Begriff der Lebenskraft hat auch in der modernen Homöopathie nichts an Bedeutung verloren. Unterschiede finden sich lediglich in den Interpretationen der „Lebenskraft“. Dabei wird auch auf die Ähnlichkeit zu Lebenskraftkonzepten in anderen Religionen und Kulturen aufmerksam gemacht:

„… das Qi (ch’i) steht im Zentrum der chinesischen Medizin und wird in Indien prana, in Ägypten ka (ga-ilama) in Tibet lung, in Hawaii mana, im jüdischen Kulturkreis cheim, im islamischen Kulturkreis ruh und in der hinduistischen Kultur akasha genannt. Die griechische Philosophie kannte dafür den Begriff apeiron, Hippokrates nannte sie enormon, Galen physis (pneuma), Paracelsus vis mediatrix naturae, L. Gavani Lebenskraft (!), H. Driesch Entelechie, C. Littlefield vitaler Magnetismus, A. Mesmer animalischer Magnetismus, W. Reich Orgon und V. S. Grischenko Bioplasma.“32

Allein an dieser Auflistung wird die Vermischung von religiösen, philosophischen und parawissenschaftlichen Konzepten deutlich.

Die Homöopathie spricht in ihrem Vitalismus wohl eine tiefe religiöse Ahnung des Menschen an. Das geheimnisvolle Lebensprinzip im Menschen wird Gegenstand der Behandlung, weil der Mensch letztlich ahnt, dass es nicht genügt, nur etwas am Körper zu reparieren, er ahnt vielmehr, dass er am Leben selbst geheilt werden muss. Die Rede von der „Lebenskraft“, die wiederhergestellt werden könne, öffnet die Hoffnung auf körperliche Heilung hin zur Hoffnung auf umfassende Heilung an Leib, Seele und Geist – auch dieses Therapieziel wird zuweilen von Vertretern der Homöopathie genannt.

Die Ähnlichkeitsregel

„Wähle, um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfall eine Arznei, welche ein ähnliches Leiden (homoios pathos) erregen kann als sie heilen soll.“33, so beschreibt Hahnemann das Grundgesetz des homöopathischen Heilens. Ihre Wurzel hat die Ähnlichkeitsregel, wie alle magischen Entsprechungslehren, in der Überzeugung, dass die gesamte Welt aus einem gemeinsamen Ursprung hervorging34. Nach den antiken Vorstellungen, in denen einem die Erde als „Mutter“ begegnet, aus der alles Leben hervorgeht, bleibt ein magisches Band der Sympathie zwischen allen Geschöpfen bestehen. Die Verbundenheit zwischen den Geschöpfen, dem Pflanzlichen, Tierischen und Menschlichen mit dem Tellurischen beruht auf dem Leben, das überall dasselbe ist.35 Das Ähnlichkeitsdenken spielt auch in der biblischen Theologie eine wichtige Rolle – allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: während in den umliegenden Kulturen der Antike der Mensch als Mikrokosmos des Makrokosmos bezeichnet wird, als Abbild des Kosmos, beschreibt die Bibel den Menschen als Abbild und Gleichnis Gottes (vgl. Gen 1, 27). Dieses Faktum, so der Kirchenvater Gregor von Nyssa, gibt dem Menschen seine einzigartige Stellung in der Schöpfung, die er denn auch durch seine Geistseele überragt36.

Kulturgeschichtlich lässt sich die Idee der Ähnlichkeitsregel bis zu den Anfängen der Menschheit zurückverfolgen. Schon bei Hippokrates findet sich die Aussage: „Durch das Ähnliche entsteht die Krankheit und durch Anwendung des Ähnlichen wird die Krankheit geheilt“37, worauf die durch Hahnemann berühmt gewordene Formel „Simila similibus curentur“ zurückgeht. Euripides hat dieses „Ähnlichkeitsgesetz“ im Mythos des Telephos verarbeitet. Der verwundete Telephos wendet sich an die Pythia und diese rät ihm: „Der die Wunde schlug, wird sie wieder heilen.“ Deshalb wendet sich Telephos an Achill, der ihn verwundet hatte, mit der Bitte um Heilung. Auf Rat des Odysseus schabt dieser etwas von der Lanzenspitze in die Wunde, worauf Telephos gesundet. Das assoziative Denken, das Denken in Analogien durchzieht die menschliche Kulturgeschichte und entspricht einem tiefen inneren Weltgefühl des Menschen. Das Weltbild ist jenes einer vorausgesetzten Einheit des Ganzen, das sich in allen Erscheinungen durchzieht, in Spiegelungen, Abschattungen und Facetten, aber doch so, dass trotz aller Verschiedenheit und Vielheit das Ganze hindurch fassbar bleibt. Das Ähnlichkeits-Denken bringt den Menschen in Bezug zum Ganzen. Die Idee des Menschen als Mikrokosmos, der sich als Abbild und in Ähnlichkeitsbeziehung zum umgebenden Kosmos sieht, ist ein in der Antike häufig zu findendes Motiv. Nicht nur, dass der Gott-Mensch in den einzelnen Kosmosteilen geschaut wird, auch der irdische Mensch erkennt sich in Analogien und ist überzeugt, dass er die umgebende Welt nur erkennen kann, weil er ihr ähnlich ist.

Zum ersten Mal philosophisch durchdrungen wurde dieses Thema von Platon. Platons Timaios, in dem der Gedanke der durchgängigen Einheit ausformuliert und durchdacht wird, wurde schließlich zum grundlegenden Physikbuch des Mittelalters und der Renaissance38 und hat damit zahlreiche Denker dieser und der nachfolgenden Zeit beeinflusst. Vor allem finden sich diese in der Hermetik wieder, die als Grundlage des magischen Denkens der Renaissance gilt und nicht nur das Denken und die Praxis der Alchemisten, sondern auch die Homöopathie Hahnemanns beeinflusst hat. So verwundert es nicht, dass die Homöopathie gelegentlich der Hermetik überhaupt zugeordnet wird (so zum Beispiel in Helmut Gebeleins Werk Alchemie, Die Magie des Stofflichen, München 1996). Nach Alexander von Bernus ist die Homöopathie Hahnemanns bloß der durch die Aufklärung hindurchgegangene Ableger der wahren alchimistischen Homöopathie39. Durch die Simile-Regel wird die Homöopathie immer wieder in die Nähe der Magie gerückt, ist doch der Ähnlichkeitszauber eine sehr alte Form der versuchten menschlichen Einflussnahme auf die Umwelt. Frazer bezeichnet schließlich diesen Aspekt der Magie in seinem berühmten Werk „The Golden Bow“ ausdrücklich als „homöopathische Magie“40. Doch auch die biblische Geschichte und die christliche Theologie wird als Vergleich für die Gültigkeit des homöopathischen Heilgesetzes herangezogen. So wird die kupferne Schlange des Mose (vgl. Num 21, 4-9) zuweilen als Beispiel für frühe biblische Anklänge an die Homöopathie verwendet: „Die Erhöhung der Schlange“ nennt sich dann ein Buch über die Geheimnisse der Homöopathie41, und dem Esoteriker Dethlefsen drängt sich der Vergleich an Christus auf, „der als Gott ein leidender Mensch wurde, um so – homöopathisch – durch ähnliches Leiden den Menschen erlösen zu können.“42

In einer säkularen Kultur, in der viele Menschen – bewusst oder unbewusst – an ihrer spirituellen Unbehaustheit leiden, kann eine Therapie mit deutlich kosmischem Bezug als hilfreich empfunden werden. Da wird dem Menschen, auf der Suche nach einem Platz im großen Ganzen durch das Kennenlernen der hermetischen Ähnlichkeitsregel geholfen, sich in einer größere Ordnung einzufinden. Die Begegnung mit dem arzneilichen Simile (oder gar Simillimum) wird zur heilsamen religiösen Erfahrung, die dem Heil-Suchenden seine „Heimat“ im Kosmos zuweist. Damit wird freilich die Anwendung der Ähnlichkeitsregel – die den Menschen im Rahmen einer „personotropen Homöopathie“43 als Person in hermetische Beziehung zum Kosmos setzt – Ausdruck eines naturalistischen Denkens, das letztlich den Menschen nur noch in seiner Natürlichkeit sieht.

Die Hochpotenzen

Auch wenn es nicht auf den ersten Blick offenkundig ist, so klingen doch in der Hochpotenzhomöopathie Themen an, die seit jeher auch die Religionen beschäftigt haben. Letztlich wird die Frage nach der „Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält“44 angesprochen, und jene nach den letzten Formprinzipien. Das Ansinnen, diese hinter allem stehende Kraft auch methodisch zu erschließen (die „Quintessenz“ der Alchemisten) und zu nützen, kennzeichnet zahlreiche magische und okkulte Traditionen. Es sind aber auch Themen, die in der christlichen Theologie eine wichtige Rolle spielen und von Theologen wie Augustinus oder Thomas v. Aquin detailliert durchdacht wurden. Doch während es nach christlicher Weltanschauung nicht möglich ist, die Kraft, die jenseits der greifbaren Formen – also der In-form-ation – methodisch zu erschließen und zur Anwendung zu bringen, da diese In-formation als von Gott gesprochenes Wort – und damit letztlich als transzendente Realität – betrachtet wird (Augustinus), führen Spekulationen auf dem Hintergrund des monistischen, neuplatonischen Denkens zu anderen Schlüssen:

„Arzneistoffe (…) sind nicht todte Substanzen im gewöhnlichen Sinne; vielmehr ist ihr wahres Wesen bloß dynamisch geistig, ist pure Kraft. So todt sie uns scheinen, wenn sie blos roh und massiv da vor uns liegen, so gewiß ist dieß doch nur ein Scheintodt.

Die da auf meiner Hand liegende todtscheinende Arzneisubstanz besteht dennoch aus nichts Anderm, als aus konkreter reiner Kraft in einem gebundenen (latenten), gleichsam erstarrten Zustande, bis sie zur Ausübung dieser ihrer Kraft gelanget, bis ihr inneres Geistigdynamisches durch Hülfe menschlicher Kunst entfaltet, entwickelt ist…“45.

Hahnemann ist der Überzeugung, dass er die in der Materie schlummernde Kraft mit bloßer Hand erwecken kann: Mit jeder fortschreitenden Auflösung und Verschüttelung steigt, nach dem Glauben Hahnemanns, die Kraftwirkung der Arznei. Er ist überzeugt, dass er damit erst die wahre und vollständige Wirkung der Arzneimittel entdeckt hat. In der Erklärung dieses „Phänomens“ ist bei Hahnemann sowohl von einer „wahren Vergeistigung“ der Substanzen die Rede, die „sich zuletzt gänzlich in ihr individuelles, geistartiges Wesen“ auflösen46. Der esoterische Beigeschmack der Potenzierungspraxis ist zeitgenössischen Homöopathen durchaus bewusst – und sie stellen selbst fest, dass die Homöopathie mit ihren Behauptungen außerhalb des naturwissenschaftlichen Denkrahmens steht47. Die hochpotenzierten Arzneimittel, so wird behauptet, wirken nicht auf der Basis ihrer quantitativen Eigenschaften, sondern durch die Qualität, die sich nicht an der Materie als solcher zeigt, sondern am Arzneimittelprüfer, der nach Einnahme der Substanzen, die Symptome beschreibt, die er subjektiv erlebt (den Geistes- und Gemütssymptomen kommen heute wie einst höchste Bedeutung zu). Schon im platonischen Denken begegnet der Gedanke, dass die materiellen Erscheinungen nur in Ableitung aus den ewigen geistigen Ideen zu denken sind. Die materielle Erscheinung bleibt aber qualitativ immer hinter der reinen Idee (oder Energie) zurück. Die Potenzierungspraxis diene letztlich dazu, die materielle Erscheinungsform der Substanzen zu übersteigen und ihre qualitative, individuelle Seinsweise einerseits freizusetzen48 und andererseits an die Materie (eine Trägersubstanz) zu binden. De facto soll sie eine Wandlung auf der ontologischen Ebene bewirken. So ist es auch konsequent, wenn Homöopathen von Arzneimittelbegegnungen49 sprechen. Dieses Weltbild und Grundlagenmodell entspricht demnach den gängigen Denkmustern der Alleinheitsidee, die sich auch in den Lehren der Esoterik finden. Die Vorstellung aber, dass das Wesen der Substanzen, der „Genius der Arzneien“ (Whitmont) auf Trägersubstanzen übertragen werden könnte, legen noch einen anderen religiösen Vergleich nahe, der auch von manchen Homöopathen gezogen wurde – den Vergleich mit der Eucharistie. Damit betreten Homöopathen ausdrücklich den Bereich des „Mysterions“.

Die chronischen Erkrankungen

Obwohl sich an der Lehre von den chronischen Krankheiten (oft vereinfacht als „Psora-Lehre“ bezeichnet) bis heute die Geister der Homöopathen scheiden, gibt es doch viele namhafte Homöopathen, die diese Ideen wieder aufgreifen und lehren. Hahnemann gelangte zu seiner Lehre über die Psora durch die Erfahrung, dass seine homöopathischen Kuren bei vielen Erkrankungen keine dauerhafte Heilung bewirken konnten: „Ihr Anfang war erfreulich, die Fortsetzung minder günstig, der Ausgang hoffnungslos“50. Trotz der offenkundigen Misserfolge war er überzeugt, dass seine Lehre auf „die unumstößlichsten Pfeiler der Wahrheit gegründet“ war und „ewig seyn“51 wird. Also musste diese Wahrheit noch ergänzt werden, damit sich das Gesamtsystem als stimmig erweisen konnte. Die Idee der miasmatischen Erkrankungen, die nach und nach tiefer in den Organismus eindringen, liefert die passende Theorie. Am detailliertesten wird diese Lehre anhand der Psora, der Krätzerkrankung ausformuliert (Sykosis und Syphilis erlangen in seiner Theorie nur untergeordnete Bedeutung). Wird die Psora, die sich zunächst als Lokalübel auf der Haut manifestiert, nicht sofort auf homöopathische Weise geheilt, sondern nur durch eine „allopatische“ Behandlung unterdrückt, so zieht das „Miasma“ tiefer und kann wichtigere Organe im Menschen befallen. Sofern der „Ansteckungs-Zunder“52 auch vererbbar ist, ist er nach und nach „in einigen hundert Generationen, durch viele Millionen menschlicher Organismen“ gegangen und so zu einer „unglaublichen Ausbildung“ gelangt, dass „einigermaßen begreiflich“ ist, „wie er sich nun in so unzähligen Krankheits-Formen bei dem großen Menschengeschlechte entfalten konnte…“53 Und so werden eine große Zahl unterschiedlichster Krankheiten des Körpers und des Geistes als Auswirkungen der Psora verstanden und beschrieben54. Zwischen den Zeilen lässt sich bereits bei Hahnemann die Vorstellung vom Krätz-Miasma als Typus des Ur-Bösen, das an den großen Übeln der Menschheit schuld ist, ahnen. James Tylor Kent (1849-1916) baute die Psoralehre schließlich zu einer regelrechten „Erbsündenlehre“ aus55. Bei Kent ist es die Krankheit der Psora, die als materielle Manifestation des Bösen den Menschen und die Menschheit im Griff hält. Deshalb muss der ganze unheile Mensch in seiner leiblichen, aber auch seelischen Zerrüttung homöopathisch behandelt werden. Erst die homöopathische Behandlung mit der entsprechenden Arznei, kann die ursprüngliche Ganzheit des Menschen wiederherstellen und ihm seine Freiheit als Geschöpf zurückerstatten. Bei Kent nimmt die homöopathische Arznei die Rolle des einzigen Erlösers ein; und die Homöopathie bringt nicht nur dem Einzelnen die Erlösung, sondern wird auch die alleinige Retterin der Menschheit sein – wenn sich diese rechtzeitig ihrer Segnungen erinnert und sie in Anspruch nimmt. So phantastisch dieses Gedankengebäude anmutet, ist gerade die Homöopathie Kents in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts nach Europa importiert worden (wo sie bis dato nur untergeordnete Bedeutung hatte) und hat mittlerweile wieder viele Anhänger gefunden, die diese Ideen aufgegriffen und teilweise weiterentwickelt haben.

Nach dieser kurzgefassten Darstellung religiöser Untertöne in der Homöopathie soll noch am Beispiel einiger ausgewählter Homöopathen gezeigt werden, wie sehr das Schriftgut sich in der Beschreibung der Therapie und ihrer Ziele im religiösen Bereich bewegen kann.

Psyche und Substanz nach Edward C. Whitmont

Whitmont – wir zitieren aus dessen Werk Psyche und Substanz56 – verbindet die Homöopathie mit der Psychologie von C. G. Jung, mit hermetisch-gnostischer Philosophie und – wie es heute üblich zu sein scheint – mit Versatzstücken aus der theoretischen Physik. Die Homöopathie sei ein Teil des Zugangs zum Geheimnis des Daseins57, das Ähnlichkeitsgesetz sei als „etwas Grundlegendes, in der Tat Axiomatisches“58 zu akzeptieren. Mensch und Natur sind Erscheinungen eines beide umfassenden, einheitlichen Feldes. Wo im christlichen Glauben der transzendente Gott gesetzt wird, erscheint hier ein immanenter ordnender Energiegrund.59 Nach der ‚neuen Sicht der Dinge’60 begreifen wir die Funktionen von Psyche und Körper, Mensch und Erde als unterschiedliche Aspekte eines integrierenden Feldes. Würde man die Homöopathie als verifiziert anerkennen, dann ergäbe sich, so Whitmont, eine ganz neue wissenschaftliche Perspektive:

„Formprozesse, Sinnbilder im Sinne von archetypischen, autonomen, ja transzendenten Mustern, ‚Ideen’ im Sinne Platos, die der Materie vorausgehen, mit der Materie spielen und der Lebenskraft, damit der Biochemie, Physiologie und Psychologie, Richtung geben, würden sich dann als die grundlegenden Regulatoren erweisen. Diese autonomen Formprozesse transzendieren und beinhalten zugleich all das, was wir sonst in getrennte Bereiche teilen, wie Innenwelt und Außenwelt, Seele und Körper, Mensch und Natur, Gesundheit und Krankheit, feste Materie und nicht greifbare Energie.“61

Was wir als Materie wahrnehmen, ist in diesem Zusammenhang nur eine symbolische Wahrnehmung, „eine Wahrnehmung ‚als ob’, eine Verdichtung von etwas Unbekanntem, vielleicht Unerkennbaren…“62. Die Arzneisubstanzen und der Mensch sind Manifestationen der einen Realität, „die nur im Bereich des Sichtbaren als voneinander unterschieden erscheinen“63.

„Die äußere Substanz, Körper und Psyche verhalten sich dabei so zueinander, als seien sie zwar voneinander verschieden, entsprächen sich aber gegenseitig und wirkten wechselseitig aufeinander ein. … Jede Substanz bewirkt etwas, was man als die besondere, substanzeigene Kombination von Persönlichkeitszügen, emotionale und physische Prädispositionen bezeichnen könnte. … So machen wir uns ein Bild von einer Substanz, als ob sie eine Persönlichkeit hätte. … Beschreibungen von Arzneimittelbildern schildern Persönlichkeiten oder einen bestimmten Typus, und bisher haben wir solche Personifikationen als Projektionen auf die Materie behandelt. Doch können wir erkennen, daß diese Projektionen tatsächlich mit etwas Funktionellem ‚draußen’ übereinstimmen.“64

Substanzen und menschliche Persönlichkeiten entsprechen einander demgemäß auf einer tieferen Ebene. Der Mensch steht in einem umfassenden Entsprechungsverhältnis zu den Substanzen ‚draußen’. Der Mensch in seiner Gesamtheit ist mikrokosmisches Abbild des Makrokosmos:

„Die homöopathischen Arzneimittelprüfungen und die Wirksamkeit des nach der spezifischen Symptomentotalität gewählten Simillimums belegen die Tatsache, daß es für jedes mögliche Verhaltensmuster der Persönlichkeit wie des Organismus, daher auch für jedes Krankheitsbild ein Substanzmuster ‚draußen’ gibt, das ein minutiöses Duplikat desselben darstellt. […]. Die Alchemisten des Mittelalters fassten den Menschen als mikrokosmische Abbildung des Makrokosmos der Natur auf.“65

Jede Gesundheitsstörung ist dann ein „Ruf nach dem Prozess, der ihr formales makrokosmisches Analogon ist“66. Wenn innerer und äußerer Prozess miteinander konfrontiert werden, heben sie einander auf. Da auch psychosomatische Störungen gestörte Prozesse auf der Ebene des integrierenden Feldes sind, ist es naheliegend, dass Whitmont nach einer „allgemeinen Feldtheorie der Psychosomatik“ sucht.67 Durch die Gabe eines Arzneimittels kommt es zur therapeutischen Konfrontation:

„Die menschliche Psyche und die äußere Welt sind polare Manifestationen von Feldaktivitäten, die beides umfassen… Genauso wie das Ich sich zum psychischen Feld verhält, ist auch der menschliche psycho-physische Organismus seinerseits als ein Teilphänomen in einem kosmischen oder Erd-‚Organismus’, einer ‚Weltseele’ enthalten, zu der er in einer Wechselbeziehung der Ergänzung oder Entfremdung steht, je nach seiner bewußten Einstellung.“68

Nachdem Whitmont den Begriff der Jung’schen Idee der Synchronizität behandelt, beschreibt er das Verhältnis von Krankheit und Arzneimittelenergie genauer:

„Wenn psychische und physische Symptome in einer synchronistischen anstatt einer kausalen Art und Weise zueinander in Beziehung gebracht werden, kann das eine an die Stelle des anderen treten oder ist dem Anschein nach imstande, es gar aufzuheben. Aus diesem Blickwinkel tut sich uns ein erstes Verständnis dafür auf, wie auch ‚Krankheit’ und ‚ähnliche’ Arzneimittelenergie als synchronistische Entitäten des gleichen Feldes, die an einer funktionellen Ähnlichkeit teilhaben, imstande sind, jeweils an die Stelle einer funktionellen Ähnlichkeit des anderen zu treten, und sich daher funktionell aufheben können.“69

Durch die Gabe eines Arzneimittels kommt es dann zu einer therapeutischen Konfrontation zwischen der eigenen Konstitution und einem analogen oder ähnlichen Muster:

„Doch kommt diese Konfrontation nicht mittels einer geistigen Erkenntnis zustande. Es handelt sich um eine ‚Erkenntnis’, eine Begegnung mit der Ähnlichkeit des eigenen inneren Formmusters auf der geheimnisvollen Ebene der biologischen Dynamik: eine Konfrontation des eigenen konstitutionellen Zustandes mit dessen Analogon in der Form des dynamischen Kräftemusters des potenzierten Arzneimittels. Das Simillimum ist die symbolische Darstellung des dem Wesen nach unbekannten inneren konstitutionellen Formmusters. … Die Arzneimittelsymptomatologie ‚symbolisiert’ das dem Wesen nach unbekannte Kräftemuster der unwillkürlichen konstitutionellen Abläufe... So erweist sich der Vorgang der Konfrontation des eigenen wesentlichen Formmusters ‚innen’ mit der entsprechenden Ähnlichkeit ‚außen’, dem symbolischen Simile oder Analogon, als ein universeller therapeutischer Faktor, sowohl auf der seelischen wie auch auf der körperlichen Ebene.“70

Im Weltbild Whitmonts ist die geschlossene und absolute Entsprechung der Persönlichkeit zu dem sie umgebenden immanenten, alles tragenden Energiegrund der Weltseele harmonisch eingefügt. Der Mensch ist Teil eines hermetisch geschlossenen Kosmos, symbolische Entsprechungen findet der Mensch in den äußeren Substanzen; diesen Substanzen bzw. ihren inneren Mustern kann er auf einer tieferen Ebene biologischer Dynamik begegnen. Mit diesem Ansatz wird in logischer Konsequenz auch die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit des Menschen verneint. Nachdem der Mensch Ausdruck eines kosmischen Substanzmusters ist, das sich auf den verschiedenen Ebenen des Seins manifestieren kann, muss dieses Muster letztlich als wiederholbar gedacht werden. Für das Weltbild Whitmonts ergibt das selbstredend keinen Widerspruch, da letztlich alle Muster in dem einen alles tragenden Energiegrund zusammenfallen – der sich in den erscheinenden Formen ausdrückt. Damit fügt sich Whitmonts Homöopathie spannungsfrei in das Denken und Weltbild der zeitgenössischen Esoterik.

Herbert Fritsche – Homöopathie als Mysterienmedizin

Für Fritsche enthält die Homöopathie eine ganze Theologie. Hahnemann habe mit seiner Homöopathie wieder Sakrales, Kultisches in die Medizin gebracht. „Homöopathie … wird zelebriert.“71. Die Homöopathie wird bei Fritsche unverhohlen als Religion bezeichnet, ja als „Offenbarungsreligion“72. Fritsche mischt in seiner Homöopathie, die er als „Mysterienmedizin“ bezeichnet, gnostische und kabbalistische Ideen sowie christliches Gedankengut (dem allerdings nur Modellwert zukommt) zu einer eigenen Erlösungsreligion, in der die homöopathischen Arzneien schließlich zu den Sakramenten werden. Das dynamische Lebensprinzip des Menschen enthält den ganzen Kosmos in immaterieller Weise. Es ist das Zusammenspiel der dynamischen Prinzipien, das den Organismus lebendig macht. Sackt eines der immateriellen Prinzipien ins Materielle ab, fehlt es der geistigen Lebenskraft und vergiftet den Körper. Wenn etwa das immaterielle Schwefelprinzip im Organismus materiell geworden ist, so zeigt der Patient die Symptome einer Schwefelvergiftung. So erklärt Fritsche, wie Krankheitsbild und Arzneimittelbild zusammenhängen. Wird die potenzierte Arznei zugeführt, bedeutet das einen Sieg der „Geist-Arznei“ über die dumm gewordene Materie, die im Rahmen des Heilungsprozesses ausgeschieden wird. Der geistige Organismus hat das Fehlende wieder erlangt, er ist wieder ganz und damit heil geworden.73 Krankheit ist also die Folge eines partiellen Falles des Geistigen in die Materie. Dieser Fall in die Materie ist ein wahrhafter Sündenfall74, und deshalb wird mit der Arznei gleichsam gesagt: „Deine Sünden sind dir vergeben“75. Die Arznei bringt gnadenhaft die Heilung:

„Das Symbol der Gnade heißt in der Heilkunst Arznei, in der Kunst, Heil zu spenden, Sakrament. Homöopathische Globuli und konsekrierte Hostien stellen eine Entsprechung dar, sind auf verschiedenen Ebenen dasselbe.“76 „(Homöopathie) reicht dir, dem Kranken namens Ich, dein Sakrament, dein individualspezifisches eßbares Heil“.77

Denn Gottes Simile ist der Mensch – und diese Similie-Situation des Menschen zu Gott hin ist verloren gegangen. Der homöopathische Heilsweg, der im christlichen Messias-Erlöser sein Vorbild und Modell findet, hebt den Menschen zurück in seine ursprüngliche Ganzheit:

„(…) der Mensch muß emporpotenziert werden, bis er ein Simillimum Gottes ist, eine dem Schöpfer allerähnlichste Kreatur.“78

Was nun endgültig nicht mehr eine bloße Medizin, sondern ein Heilsweg genannt werden muss, ist ein Heilsweg für den gesamten Kosmos:

„In Wahrheit will Gott von uns, daß wir als Erleuchtete und zugleich als Liebende alles Dasein durchläutern, durchglühen, heilen, neu machen. Den dunklen Urstoff gilt es zu potenzieren, seine rohen Energien in lebendige Kräfte des Heils zu wandeln, bis das Geschaffene – über den Menschen als das gottähnlich angelegte Geschöpf hinweg (nach Hahnemanns eigenen Worten) uns seiner Vollkommenheit und Seligkeit nähern und ihm ähnlicher werden in alle Ewigkeit. Mit solcher „Homöopathie divina“ rührt Hahnemann den Heimatboden von Meißen an und die Welt der Alchemie.“79

Für Fritsche birgt das Mysterium der Ho-möopathie jenes der Vollendung der Welt. Eine wahrhaft messianische Kur.

Proceso Sanchez Ortega – Homöopathie, die einzige Medizin des Menschen

Folgende Zitate stammen aus Ortegas Werk „Die Miasmenlehre Hahnemanns, Diagnose, Therapie und Prognose der Chronischen Erkrankungen“ (5. Aufl., Heidelberg 2000)80. Bereits in der Einleitung lässt Ortega keinen Zweifel über die Grunddimension seines ärztlichen Fragens: „Wir fragen uns, warum das ‚Schlechte’ oder ‚Böse’ existiert, und was es eigentlich ist, was wir als ‚schlecht’ oder ‚böse’ bezeichnen. … Und genau das, was wir als das ‚Schlechte’ oder ‚Böse’ bezeichnen, macht den Inhalt der ärztlichen Tätigkeit aus.“81

Das Böse, das der Mensch gerne außerhalb seiner selbst sucht, und doch nur in ihm selbst zu finden ist, jenes Übel, von dem alle Zerstörung ausgeht, stellt im Rahmen des ärztlichen Denkens die Krankheit dar. Ortega ist der Überzeugung, dass Hahnemann die Beschaffenheit des Urübels, die „causa causorum“ alles Zerstörenden im Menschen in den Miasmen entdeckt hat. „Der Zustand, die Aktivität unseres Miasmas ist die Antwort auf alle unsere Fragen nach dem Destruktiven, nach dem, was uns verwirrt und mißfällt, und nach dem, was unsere nächste Umgebung an uns auszusetzen hat und was sie an uns stört. Das Verständnis der Miasmen ist unserer Meinung nach die größte Aufgabe, der sich ein Arzt widmen muß, weil sie einfach die weitestgehende Erfassung des Menschen beinhaltet, und zwar sowohl in allen seinen Eigenschaften, die ihn in die Lage versetzen, zu überdauern und sich ganz zu verwirklichen, als auch in allen seinen Belastungen, seinen Fehlern, die ihn daran hindern.“82 Für Ortega tritt das Miasma voll und ganz an die Stelle, die in der christlichen Weltanschauung durch die Sünde eingenommen wird:

„Das Miasma … gestaltet, oder vielmehr es deformiert die Impulse der Individualität, das heißt des Wesens, indem es dieses … hemmt, einengt oder verändert. Die absolute Freiheit, die das Individuum als solches erreichen könnte, als ein genau umschriebenes, vollendetes und harmonisches Element, wird durch ein Miasma eingeschränkt, behindert und zerstört, genau wie auch bei denjenigen, die ihm in Zeit und Raum vorangehen und nachfolgen. Das Miasma zwingt ihn in eine Schablone, die ihm in allen seinen Ausdrucksformen, von der tiefsten bis zu oberflächlichsten Beschränkungen auferlegt und zwar entsprechend der grundlegenden Richtungen von Fehlentwicklungen: dem Defekt, dem Exzeß oder der Perversion“.83

Was im Kleinen gilt, gilt auch im Großen. Die Miasmen sind Schuld an allem, was als menschliches Unglück bezeichnet werden kann:

„Woher kommt soviel perverses Verhalten des Menschen gegen den Menschen? … Die Miasmen sind die Ursache für alles menschliche Unglück. Sie tragen die Schuld für die Kriege und alle anderen überdauernden Irrtümer des Menschen als Gattungswesen. Je tiefer der menschliche Geist geschädigt ist, umso dauerhafter macht sich der Schaden bei seinen Mitmenschen und in seiner Art bemerkbar.“84

Nicht nur der Einzelne ist durch die Miasmen gezeichnet und deformiert, sondern die Völker und Gesellschaften sind es gleichermaßen. So wird von der Psora, der Sykosis und der Syphilis der Völker gesprochen, welche destruktive Prozesse in die Wege leiten und hervorbringen.85

„Die Psora tut dies, indem sie gegensätzliche Gedanken hervorbringt, aber nicht im Sinne von Einheit und Brüderlichkeit – wie es der gesunde Verstand tun müßte –, sondern in dem von Mißtrauen, Egoismus und Neid. Die Sykosis fördert jedes ehrgeizige und egoistische Handeln auf Kosten der Rechte anderer. Die Syphilis schließlich setzt all die destruktiven Kapazitäten frei, die zur Erlangung jener unmenschlichen und unedlen Ziele vonnöten sind. Die Psora erfüllt den Menschen mit Furcht und macht sich besonders in den herrschenden und machthabenden Kreisen bemerkbar … Die Sykosis treibt die machthabenden Kreise zur Verfolgung, zum krankhaften Aneignungsdrang und zur Übervorteilung anderer auf Kosten von Entbehrung und Benachteiligung derselben… Die Syphilis schließlich ist die totale leidenschaftliche Zügellosigkeit…“86.

Aber auch die Medizin ist durch diese Miasmen zerrüttet, was selbstverständlich in erster Linie für die „Schulmedizin“ gilt. Hinter der Apparatemedizin steckt die Psora, hinter der Überheblichkeit der Laboratorien die Sykosis, und die von den Homöopathen kritisierte medizinische Praxis „hatte schon immer stark syphilitische Züge“87. Leider sei auch die Homöopathie nicht von solchen Ärzten verschont geblieben, die sich zwar Homöopathen nennen, und doch vorgingen wie ihre unhomöopathischen Kollegen. Alle Bereiche des menschlichen Lebens sind miasmatisch korrumpiert: „Wir können in allen Manifestationen bzw. Aktivitäten der Menschen feststellen, daß sie – was die miasmatische Mischung anbetrifft – von immer bräunlicheren und schwärzlicheren Farben durchdrungen wird. Nehmen wir z. B. den Sport – so wie er in unseren Tagen betrieben wird. Vollkommen entstellt!“88 … usw. Abhilfe aus diesem Menschheitsdilemma kann alleine die Homöopathie schaffen, die zur einzigen Hoffnung für eine sonst verlorene Menschheit wird. „Der Homöotherapeut ist in der Lage, einen großen Teil dieser miasmatischen Belastungen des Individuums wirksam zu beseitigen, indem er das wahre „Simillimum“ einsetzt ...“.89 Die Aufgabe, vor der die Homöopathie Ortegas steht, ist damit keine geringe: „Die Werke des Menschen werden sich in dem Maße der Perfektion annähern, in dem er selbst seine miasmatischen Veränderungen aufheben kann.“90 Das Heil des Menschen hängt von der Gabe der richtigen Arznei ab:„Das homöopathische Medikament oder das wahre Simillimum wird – wenn es, eines nach dem anderen, im Laufe der Zeit verabreicht wird – die Befreiung des menschlichen Wesens erreichen, um es wieder in die Homöostase oder Harmonie mit allem und sich selbst zu integrieren. Das heißt, es stimuliert und treibt es zu seiner persönlichen Vervollkommnung. Die Homöopathie ist daher – gemeinsam mit der die Kreatur erhaltenden Natur – die einzige Medizin des Menschen. Höchstes Ziel des wahren Arztes ist die Wiedervereinigung des menschlichen Seins und seiner Gesundheit, was seelische und körperliche Ausgeglichenheit und Stabilität des Individuums bedeutet. Auf die ganze Menschheit bezogen, ist dies die Verwirklichung der Menschlichkeit und der Ewigkeit.“91 Dass Ortega zur Erreichung dieses Ziels auch ein homöopathisches Programm der Eugenik vorschlägt, passt in diesen Rahmen: „Wir FORDERN daher eine Eugenik, die als Hauptziel die größtmögliche Eliminierung der miasmatischen Belastungen beinhaltet bzw. sich der Beseitigung all dessen widmet, was der vollständigen Entfaltung des Menschen entgegensteht.“92 Dies kann nur mit pränatalen Maßnahmen erreicht werden, bei denen von vornherein Mutter und Kind behandelt werden. „Fortschritt und Effektivität in der eugenischen Arbeit können nur dann erreicht werden, wenn Medikamente der einzig wahren und überdauernd gültigen Medizin, wie die der Homöopathie eingesetzt werden.“93 Die Homöopathie Ortegas wird damit zu einem umfassenden Programm zur Vervollkommnung des einzelnen Menschen und der gesamten Gesellschaft. Die Zukunft der Menschheit hängt nach diesem Modell vom gezielten Einsatz der Homöopathie ab. Erlösungshoffungen werden ungeschminkt auf die angewandte Homöopathie gerichtet.

Georgos Vithoulkas – Homöopathie für ein neues Zeitalter der Menschheit

„Geheilt! Sanft, rasch, vor allem jedoch gewiß und dauerhaft? Bei Krankheiten der Säuglinge, etwa von Fieber- oder Magenpförtnerkrämpfen, Durchfällen, Milchnährschäden, insbesondere den Ekzemen? Von Kinderkrankheiten wie Masern, Scharlach, Keuchhusten, Diphtherie, Röteln, Mumps? Von Frauenleiden, neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen oder inneren Gebrechen wie den bei allen Altersklassen zunehmenden Herz- und Kreislaufbeschwerden? Allergien und Stoffwechselstörungen, also Diabetes mellitus oder Thyreotoxicose, degenerativen Leiden wie Arteriosklerose, Fettleber oder gar Krebs? Bloße Zukunftsmusik? Wirkliche Heilungen ohne medikamentöse Neben- oder Nachwirkungen mit gesteigertem Lebensgefühl? – Ein Wunschtraum aller Mediziner und Patienten, zu schön, um wahr zu sein? Durchaus nicht! Es gibt ein Verfahren, das all dies leistet – …: die klassische Homöopathie.“94

So beginnt der 1979 erstmals auf deutsch erschienene, mittlerweile in zahlreichen Auflagen nachgedruckte Bestseller des griechischen Modehomöopathen Georgos Vithoulkas „Medizin der Zukunft“ (16. Aufl., Kassel 1997). Bei Vithoulkas, der niemals Medizin studierte und doch als Leibarzt Krishnamurtis wirkte, verbinden sich Homöopathie und messianische Hoffnung, wobei sich unmissverständliche Anklänge an die typischen Themen des New Age finden. Ein neues Zeitalter der Medizin würde auch ein neues Zeitalter der Menschheit bereiten:

„Eine der wirksamsten Motivationen für die Rückbesinnung, das Umdenken zur Änderung des eigenen Verhaltens und sozialer Mißstände ist das Leiden: dies wird heute in der ständig kränker werdenden Menschheit immer deutlicher wahrnehmbar … So gesehen ist Gesundwerden und die Erhaltung der Gesundheit ein Überlebenserfordernis nicht nur für jeden Einzelmenschen, sondern für die Weltbevölkerung, deren Gesundheitszustand ist eine Frage von enormer, ja von kosmischer Tragweite.“95

Dass es sich dabei nicht nur um die Herstellung körperlicher Gesundheit handeln kann, ist jedem Homöopathen einleuchtend:

„Auch geistig und seelisch käme (die Menschheit) erst zur vollen Entfaltung, wenn sie durch homöopathische Heilung in ein harmonisches Gleichgewicht gebracht ist. Geistige und seelische Kräfte aber sind es, die der Mensch zur Neuordnung seiner Umwelt, seines gesamten Daseins braucht. In diesem Sinne dürfen wir sagen: Ein neues Zeitalter der Medizin, in der die Homöopathie die Allopathie ablöst, wird zugleich ein neues Zeitalter der Menschheit sein.“96

Damit schließen Homöopathen wie Ortega und Vithoulkas an die simplen New Age Heilsverheißungen einer goldenen Menschheitszukunft an, wobei sich diese Zukunft nur einstellen wird, wenn sich die Menschheit rechtzeitig den Prinzipien der Homöopathie öffnet. Wenn auch für moralische Übel aller Art eine homöopathische Arzneimittelbehandlung Abhilfe schaffen kann, sind Termini wie Umkehr, Vergebung, Erlösung im christlichen Sinne tatsächlich obsolet. An deren Stelle ist das homöopathisch machbare Heil der Menschheit getreten, bei dem die Frage nach der richtigen Verwendung und Anwendung der Natursubstanzen über die Zukunft der Menschheit entscheidet, über das kommende Menschheitszeitalter (Vithoulkas) genauso wie über die Ewigkeit (Ortega).

Ausblick

Wir haben in dieser kurzen Darstellung einige Aspekte der Homöopathie herausgegriffen, die Anklänge an religiöse Welten enthalten und die religiöse Sprache einiger ihrer Vertreter kennen gelernt. Homöopathie ist dabei aber nur eine unter vielen Therapien, die heute angeboten werden. Andere Therapien stehen der Homöopathie in religiöser Sprache und Symbolik in nichts nach. Bach-Blüten etwa seien als Gnadenmittel zu verstehen, die als Sakramente des Feldes den Weg zur persönlichen Charakterwandlung weisen, die dem Menschen gar – weil Heilung allein zu begrenzt ist – zur Heiligkeit verhelfen sollen. Von Edelsteinen erhofft man nicht nur Heilung durch „feinstoffliche Schwingungen“, sondern sie werden als Schutzmächte und Begleiter angepriesen. Schutzengeltropfen werden genauso angeboten wie Feenessenzen. So findet die uralte Hoffnung, dass himmlische Schutzgeister und Patrone den irdischen Weg des Menschen helfend und schützend begleiten, ihre Antwort. Da alle diese Arzneien als sanft, nur hilfreich und ohne Nebenwirkungen angepriesen werden, scheinen sie wie die Symbole des Nur-Guten als wunderbare Gaben aus einer anderen, himmlischen Welt. Doch wird der kritische Mediziner genauso wie der Seelsorger und katholische Theologe sich nicht nur naserümpfend über diese Entwicklung erheben, sondern fragen, welche menschlichen Sehnsüchte diese möglich machen. Der Heilung suchende Mensch sucht mehr als nur die Reparatur seiner Organe. Eine nur materialistisch orientierte Apparatemedizin kann den tieferen Wunden des Lebens, die oft im Zusammenhang mit Krankheit erst bewusst werden, nicht abhelfen. Diesen tieferen Fragen des Menschen in seriöser und verantwortbarer Weise zu begegnen, ist wohl in erster Linie Aufgabe der Seelsorge – doch es ist kein Fehl, wenn auch der Mediziner um diese verborgenen Sehnsüchte seiner Patienten weiß. Schließlich könnte jede Behandlung begleitet werden von der wahrhaft heilenden Dimension einer einfühlsamen und verständnisvollen Begegnung von Mensch zu Mensch – der wichtigsten Ergänzung jeder Therapie.

Referenzen

  1. vgl. Lütz M., Lebenslust, Pattloch, München (2002)
  2. vgl. Harrington A. (Hrsg.), Placebo, Havard Universitiy Press, Cambridge, London (1997), S. 7
  3. Schmidbauer, W., Vom Umgang mit der Seele, Entstehung und Geschichte der Psychotherapie, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Rhein (2000), S. 44
  4. Risch G., Homöopathie – die göttliche Heilkunst, Zeitschrift für klassische Homöopathie und Arzneipotenzierung (1972); 16(6). (Quelle: www.homoepathy.at)
  5. vgl. Sankaran R., Das geistige Prinzip der Homöopathie, Homoeopathic Medical Publishers, Mumbai (2000)
  6. vgl. Meyer F. P., Vorlesungen über Homöopathie, Gustav Fischer Verlag, Jena, Stuttgart (1991), S. 91
  7. Hahnemann S., Organon der Heilkunde, Standardausgabe der 6. Auflage, Karl F. Haug Verlag, Heidelberg (1996), S. 75
  8. Dorcsi M., Homöopathie heute, Rowolt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg (1996), S. 66
  9. Resch G., Gutman W., Wissenschaftliche Grundlagen der Homöopathie, Barthel & Barthel Verlag, Schäftlarn (1994), S. 42
  10. Hahnemann S., Gesammelte kleine Schriften, (Hrsg. von Schmidt J. M., Kaiser D.,) Karl F. Haug Verlag, Heidelberg (2001), S. 795
  11. vgl. Gypser K.-H., Homöopathie – Grundlagen und Praxis, Verlag C. H. Beck, München (1998), S. 26 f
  12. ebd., S. 31
  13. Dorcsi M., Homöopathie heute, S. 30
  14. „Die reine homöopathische Heilart ist der einzige richtige, der einzig durch Menschenkunst mögliche, geradeste Heilweg.“ Hahnemann S., Organon, § 53, S. 134
  15. Hahnemann S., Gesammelte kleine Schriften, S. 774
  16. Hahnemann S., Organon der Heilkunde, § 52
  17. Hahnemann S., Die chronischen Krankheiten, Ihre eigentümliche Natur und homöopathische Heilung, Karl F. Haug Verlag, Heidelberg (1999), Bd. 1, 5
  18. Hahnemann S., Gesammelte kleine Schriften, S. 983
  19. Hahel R., Vorrede zur Herausgabe einer Abschrift von Hahnemanns Manuskript zur 6. Auflage des Organons der Heilkunst, in: Hahnemann S., Organon der Heilkunde, S. 369
  20. Hahnemann S., Gesammelte kleine Schriften, S. 836
  21. ebd., S. 799
  22. Zu Lebzeiten Hahnemanns erschienen fünf immer wieder überarbeitete Auflagen. Als Standard gilt heute die 6. Auflage, die posthum 1921 zum ersten Mal gedruckt wurde.
  23. Haehl R., Vorrede in Organon der Heilkunst, S. 344
  24. ebd.
  25. vgl. ebd.
  26. „Der homöopathische Therapeut muss mit der Arzneimittellehre – … – umgehen wie der römische Priester mit dem Brevier. Täglich zu mehreren Zeiten werden, stets wieder von vorn beginnend, und nach einigen Wochen beim letzten Mittel endend, an das sich dann abermals das erste anschließt, die einzelnen Mittel wiederholt, werden auswendig (…) und inwendig (…) gelernt, werden verlebendigt Woche um Woche, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt“ Herbert Fritsche, zitiert von Dorcsi M., Homöopathie heute, S. 56
  27. Indem ich ein (nur) Ähnliches in Form einer homöopathischen Arznei verordnet bekomme, geschehen auch Dinge, deren Erläuterung und Beschreibung vielleicht den Rahmen und die Intention des vorliegenden Buches sprengen könnten. Das (nur) bislang Fehlende, mir maximal Ähnliche, die Begegnung mit der Arznei als Form der wechselseitigen Erkenntnis und Achtung [1], wird mir zur Möglichkeit der „RückVerbindung“ (mit der Natur) und so und somit zum religiösen Akt.“ König P., Die Simile-Regel, in: König P. (Hrsg.), Durch Ähnliches heilen, Homöopathie in Österreich, Orac Verlag, Wien (1996), S. 81
  28. vgl. Schmidt J. M., Die philosophischen Vorstellungen Samuel Hahnemanns bei der Begründung der Homöopathie, Sonntag Verlag, München (1990), S. 182
  29. ebd., S. 181
  30. ebd., S. 181
  31. Hahnemann S., Organon der Heilkunde, §§ 9; 11
  32. Dellmour F., Naturwissenschaft versus Homöopathie? Die Bedeutung von Denkrahmen und Modell für die Wissenschaft, in: König P. (Hrsg.), Durch Ähnliches heilen, S. 187
  33. Hahnemann S., Organon der Heilkunde, S. 74
  34. vgl. Kybalion. Eine Studie über die hermetische Philosophie des alten Ägypten und Griechenlands, Schikowski Verlag, München (1997), S. 67
  35. Eliade M., Die Religionen und das Heilige, Elemente der Religionsgeschichte, Insel Verlag, Frankfurt/Main (1998), S. 293
  36. vgl. v. Nyssa G., Über die Ausstattung des Menschen, c 3. in: v. Nyssa G., Ausgewählte Schriften, Kösel Verlag, Kempten (1874)
  37. Hippokrates, Von den Stellen des Menschen, 3. Bd, VI, S. 334, zit. nach Trapp C., Homöopathie-Wegweiser 2002/2003, Sonntag Verlag, München (2002), S. 12
  38. vgl. Gloy K., Das Analogiedenken – seine Herkunft und seine Strukturen, in: Apell R. G., Homöopathie und Philosophie & Philosophie der Homöopathie, Bluethenstaub Verlag, Eisenach (1998), S. 20
  39. Vgl. v. Bernus A., Alchymie und Heilkunst, Rudolf Geering Verlag, Dornach (5. Auflage, 1994), S. 90
  40. Frazer J. G., Der Goldene Zweig, Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker, Rowolt Taschenbuch Verlag, Rheinbeck bei Hamburg, (5. Auflage, 2004), S. 18
  41. Fritsche H., Die Erhöhung der Schlange, Mysterium, Menschenbild und Mirakel der Homöopathie, Ulrich Burgdorf Verlag, Göttingen (1994). In der ersten Auflage lautete der Titel dieses Werkes allerdings: „Die Erlösung durch die Schlange“.
  42. Dethlefsen T., Schicksal als Chance, Das Urwissen zur Vollkommenheit des Menschen, Goldmann Verlag, München (1979), S. 164
  43. So verstand Mathias Dorcsi seine Homöopathie.
  44. Vgl. Zycha H., Organon der Ganzheit, Karl Haug Verlag, Heidelberg (1996)
  45. Hahnemann S., Gesammelte kleine Schriften, S. 723
  46. Hahnemann S., Organon der Heilkunde, § 270
  47. Dellmour F., Naturwissenschaft versus Homöopathie?, S. 178
  48. „Hier haben wir es mit dem zu tun, was mit dem Ausdruck ‚Genius des Mittel’ gemeint ist, nämlich mit dem zugrundeliegenden Bedeutungskern, einem Formsinn, der etwas gestaltet, was wir so behandeln, als ob es ein Bild eine Person oder ein Teil einer Persönlichkeit sei ... Die Formelemente sind welterschaffende Kräfte, Wesenheiten, Entitäten, die Kraft Gottes oder wie man sie benennen will.“ Whitmont E. C., Psyche und Substanz, Ulrich Burgdorf Verlag, Göttingen (1997), S. 172
  49. vgl. König P., Die Simile-Regel, in: König P. (Hrsg.), Durch Ähnliches heilen, S. 81.
  50. Hahnemann S., Die chronischen Krankheiten, Bd. 1, 4
  51. ebd., S. 5
  52. ebd., S. 119
  53. Hahnemann S., Organon der Heilkunde, § 81
  54. vgl. ebd., § 80
  55. Kent J. T., Zur Theorie der Homöopathie. Vorlesungen über Hahnmanns Organon, Karl Haug Verlag, Heidelberg (1996)
  56. Whitmont E. C., Psyche und Substanz, Ulrich Burgdorf Verlag, Göttingen (1997)
  57. ebd., S. 62
  58. ebd., S. 63
  59. ebd., S. 68
  60. ebd., S. 12
  61. ebd., S. 12
  62. ebd., S. 13
  63. ebd., S. 73
  64. ebd., S. 74
  65. ebd., S. 15
  66. ebd., S. 15
  67. ebd., S. 33
  68. ebd., S. 85
  69. ebd., S. 98
  70. ebd., S. 62
  71. Fritsche H., Die Erhöhung der Schlange, Ulrich Burdorf Verlag, Göttingen (1994), S. 58
  72. ebd., S. 75
  73. ebd., S. 113
  74. ebd., S. 129
  75. ebd., S. 131
  76. ebd., S. 133
  77. ebd., S. 137
  78. ebd., S. 216
  79. ebd., S. 72
  80. Ortega S. O., Die Miasmenlehre Hahnemanns, Diagnose, Therapie und Prognose der Chronischen Erkrankungen, 5. Aufl., Karl F. Haug Verlag, Heidelberg (2000)
  81. ebd., S. 19
  82. ebd., S. 21
  83. ebd., S. 133
  84. ebd., S. 211
  85. ebd., S. 213
  86. ebd., S. 213
  87. ebd., S. 215
  88. ebd., S. 217
  89. ebd., S. 221
  90. ebd., S. 229
  91. ebd., S. 236
  92. ebd., S. 202
  93. ebd., S. 202
  94. Vithoulkas G., Medizin der Zukunft (16. Auflage), Georg Wenderoth Verlag, Kassel (1997), S. 5
  95. ebd., S. 168
  96. ebd., S. 170

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