Fall: Weiterversorgung von pflegebedürftigen Patienten bei uneinsichtigen Verwandten

Imago Hominis (2007); 14(3): 257

Eine 78 Jahre alte Patientin war bis zum Aufnahmetag an einer onkologischen Ambulanz wegen eines Speiseröhrenkarzinoms in Betreuung. Sie suchte jetzt diese Ambulanz wegen zunehmender Schwäche auf. Eine ambulante Betreuung der Patientin war jedoch nicht möglich, sodass eine Aufnahme an der onkologischen Abteilung des Krankenhauses erfolgte. Die Patientin war bei der Aufnahme in einem deutlich reduzierten Allgemeinzustand, exsikkiert, hatte Atemnot und Schluckbeschwerden, die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit war nicht möglich. Zusätzlich hatte die Patientin starke Schmerzen im Bereich des Rückens. Durch die eingeleitete medikamentöse Schmerz- und Infusionstherapie besserte sich die Symptomatik bei der Patientin sehr rasch. Die Patientin erhielt zusätzlich einen Speiseröhren-Stent zur Überwindung der Ösophagustenose, sodass die Nahrungsaufnahme wieder gewährleistet war.

Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt hatte sich der Zustand der Patientin soweit gebessert, dass nun nicht mehr die medizinische, sondern viel mehr die pflegerische Versorgung der Patientin im Vordergrund stand. Der Aufenthalt in einer Akutabteilung war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erforderlich, was auch mit der Familie eingehend besprochen wurde. Mit den Familienangehörigen der Patientin wurde auch über weitere Versorgungsmöglichkeiten diskutiert. Die Angehörigen waren jedoch nicht bereit, die Patientin wieder nach Hause zu nehmen und dort weiterzubetreuen, obwohl dies mit Hilfe des mobilen Hospizes durchaus möglich gewesen wäre. Aus diesem Grund wurde die Patientin mit ihrer Einwilligung in einem Pflegehospiz angemeldet und innerhalb von 10 Tagen wurde ihr zwei Mal ein Platz zur Verfügung gestellt, der jedoch aus unerfindlichen Gründen von der Familie jedes Mal abgelehnt wurde.

Nach Meinung der Ärzte wäre die Übernahme der Patientin in das Pflegehospiz die beste Lösung zur weiteren Versorgung der Patientin gewesen, zumal sowohl der Patientin als auch den Angehörigen garantiert wurde, dass die Patientin bei Komplikationen jederzeit wieder ins Krankenhaus gebracht werden könne, falls es erforderlich sein sollte. Trotzdem bestanden die Angehörigen auf einem weiteren Krankenhausaufenthalt. Letztlich haben sich die Angehörigen an den Patientenanwalt gewendet mit der Beschuldigung, das Krankenhaus würde ihre schwerkranke Mutter einfach abschieben. Der ärztliche Direktor musste sich in einem langen Brief vor dem Patientenanwalt verteidigen.

Da ähnliche Fälle immer wieder vorkommen, nämlich dass Angehörige nicht bereit sind, die Pflege ihrer Verwandten daheim zu übernehmen, andrerseits aber angebotene Lösungen aus oft unerfindlichen Gründen ablehnen, dafür aber weit überzogene Forderungen an die Allgemeinheit stellen, scheint eine Diskussion und Aufarbeitung dieser Problematik wichtig. Die Frage lautet, welche Verantwortung Verwandte (Kinder) gegenüber ihren kranken Angehörigen haben und wo bzw. ab wann die Gesellschaft verpflichtet ist einzuspringen?

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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