Lancet: Die Bürde der Alkoholschäden in der Welt

Imago Hominis (2009); 16(3): 192-193
Friedrich Kummer

„Im schlagenden Gegensatz zu Tabak und Drogen gibt es keine kohärente Basis zur weltweiten Begrenzung von Schäden durch Alkohol.“ Diesen Satz hat The Lancet in seiner Juni-Ausgabe 2009 vorangestellt und widmet sich in einem Editorial, 3 „Comments“ und 4 Originalarbeiten auf über 60 Seiten einem Thema, das – so die Autoren – viel mehr Beachtung und auch Konsequenzen verdiene.

Im Editorial wird modellhaft die Situation in Russland erwähnt, wo die Lebenserwartung der männlichen Bevölkerung drastisch unter jener der westeuropäischen liegt. Dort hatte 1985 eine rigorose Gesetzgebung unter Michael Gorbatschow einen markanten Rückgang der alkoholbezogenen Todesfälle zur Folge. Doch war dies von kurzer Dauer: Mit dem Zusammenbruch der UdSSR schnellte der Alkoholmissbrauch abermals zu ungeahnten Höhen. Auch wenn Wladimir Putin 2005 dem jährlichen Tod von 40.000 jüngeren russischen Männern an Alkoholintoxikation Rechnung trug, indem er den Verkauf von Alkoholsurrogaten beschränkte (Kölnischwasser!), braucht es wohl noch mehr Anstrengungen, um die Zahl der pro Jahr anfallenden 600.000 Alkoholtoten zu vermindern.

In einer aktuellen Studie an fast 50.000 Verstorbenen in Russland wird zwischen den alkoholbezogenen Todesarten differenziert.1 So stehen Unfälle und Gewalttaten an erster Stelle, gefolgt von Alkoholintoxikation und akuten ischämischen Herzerkrankungen. Weitere eng assoziierte Todesursachen sind Karzinome des Rachens, der Leber, sowie Tuberkulose, Pneumonie und Pankreatitis. Erschreckend das Sterbealter: Der Alkohol war bei 50% der zwischen 15- und 54-jährigen als Todesursache zu bezeichnen!

Doch dient hier die Situation in Russland (bzw. GUS) als ein eindrucksvolles Beispiel für die Bürde Alkohol, die auch den Rest der Welt durchaus mitbetrifft.

So analysiert eine Gruppe aus Kanada, Deutschland, Schweiz und Thailand die weltweite Belastung, deren bleibenden Schaden und die ökonomischen Kosten, die durch Alkohol direkt und indirekt verursacht werden.2 Etwa 3,8% aller Todesfälle in der Welt (6% bei den Männern, 1% bei den Frauen) sowie 4,6% aller krankheitsbedingten Pensionierungen sind mit Alkoholmissbrauch verbunden. Dieses Phänomen korreliert eng mit der konsumierten Alkoholmenge, die mit den Schäden verbundenen Kosten übersteigen 1% des jeweiligen (relativen) Bruttoinlandsproduktes (BIP). Die Kosten für den damit verbundenen Sozialschaden addieren sich zu den Kosten des Gesundheitssystems, wobei reiche Länder einen signifikant höheren Alkoholkonsum aufweisen als arme Länder. In unterentwickelten Gegenden der GUS fördert dies indirekt die illegale Destillation (siehe oben). Mit einem Wort: Beim Alkohol haben wir es mit einem der großen, vermeidbaren Risikofaktoren zu tun, und es besteht akuter Handlungsbedarf.

Ein niederländisch-schweizer-deutsches Team, geführt von Peter Anderson (Maastricht) untersucht die Wirksamkeit und Kosteneffizienz von öffentlichen Maßnahmen gegen Alkoholschäden.3 Dabei ist die Einflussnahme auf das Milieu (Preis und Verfügbarkeit von Alkohol) am wirksamsten, gefolgt von verschärftem Vorgehen gegen Alkohol am Steuer und individuell konzentrierte Interventionen bei Risikopopulationen. Sinnlos seien hingegen Informationsveranstaltungen in Schulen.

Sally Casswell, renommierte Sozialmedizinerin in Neuseeland, rundet die Thematik ab mit einem fundierten Aufruf zum Handeln.4 Obwohl die Last der Erkrankungen in Verbindung mit Alkohol zu einer Belastung des BIP bereits von 1% weltweit beträgt, rangiert der Alkoholismus keineswegs hoch in den Agenden der Public Health, besonders im Vergleich zu Tabak und Drogen. Interessanterweise spielen auch hier subversive Interessen von Seiten der Industrie und des Marktes herein, welche effiziente Maßnahmen behindern, ganz ähnlich wie wir dies bei Anti-Tabak-Kampagnen erfahren.

Der Verfasser des Editorial fasst zusammen, dass Alkohol mit seinen vielfältigen Schäden am menschlichen Körper, Geist und sozialen Gefüge eine Quelle des Übels für Individuen, Familien und Gemeinschaft darstellt, wobei die Prävention und Reduktion der Schäden durchaus reelle Chancen hätte.5 Was not tut, sei eine internationale Konvention, das Problem Alkohol in den Griff zu bekommen, gestützt auf eine Zusammenarbeit von NGOs  mit der WHO.

Referenzen

  1. Zaridze D. et al., Alcohol and cause-specific mortality in Russia: a retrospective case-control study of 48 557 adult deaths, Lancet (2009); 373: 2201-2014
  2. Rehm J. et al., Global burden of disease and injury and economic cost attributable to alcohol use and alcohol-use disorders, Lancet (2009); 373: 2223-2233
  3. Anderson P. et al., Effectiveness and cost-effectiveness of policies and programmes to reduce the harm caused by alcohol, Lancet (2009); 373: 2234-2246
  4. Casswell S., Thamarangsi T., Reducing harm from alcohol: call to action, Lancet (2009); 373: 2247-2257
  5. Alcohol and harm reduction in Russia, Lancet (2009); 373: 2171

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Friedrich Kummer, IMABE
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
fkummer(at)imabe.org

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: