Hoffnung am Ende des Lebens – Dimensionen der Hoffnung

Imago Hominis (2013); 20(3): 195-204
Erhard Weiher

Zusammenfassung

In diesem Beitrag geht es in erster Linie um die Frage, wie die medizinischen Fachleute zur Hoffnungsfindung ihrer Patienten beitragen können, wenn ihre kurativen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Es wird sich zeigen, dass Hoffnung zwar ein spirituelles Thema ist, dass „spirituell“ aber nicht heißt, dass Hoffnung vorwiegend aus dem religiösen Repertoire zu schöpfen und vor allem ein Thema der Seelsorge sei. Vielmehr ist Hoffnungsvermittlung eine multi- und interprofessionelle Aufgabe, die z. B. in Konzept und Praxis der Palliative Care wahrgenommen wird. Hilfreich für die Begleitung ist es, Hoffnung mehrstufig zu verstehen. Dann ergeben sich sehr konkrete Möglichkeiten und Ansatzpunkte für die berufliche Praxis aller patientennahen Professionen.

Schlüsselwörter: Dimensionen der Hoffnung, Erwartung, Spiritualität, Palliativversorgung, „Geheimnis

Abstract

How can medical care-givers raise hopes in patients, when curative options are exhausted? The point is, that hope is essentially „spiritual“, which, however, does not mean that it relies predominantly on religion, being just an aspect of religious support.

Mediation of hope is rather an inter- and multiprofessional task, which is an important part of the conception and practise in palliative care. It can be of help to create a stepwise approach in mediating hope. This can result in possibilities and starting points for the professionality of all patient-oriented care-givers.

Keywords: Dimensions of Hope, Expectancies, Spirituality, Palliative Care, „Secret“


Alle Helfer, die unheilbar Kranken begegnen, stehen vor der Frage, wie man Hoffnung vermitteln kann. Das gilt besonders für den ärztlichen Beruf: Patienten und ihre Angehörigen wenden sich ja gerade an die medizinischen Fachleute, weil sie damit eine ganz bestimmte Hoffnung verbinden, nämlich, dass die es schaffen, den tödlichen Verlauf einer Krankheit ganz zu verhindern oder wenigsten so lange wie möglich aufzuhalten. Zugleich haben die medizinischen Berufe die Aufgabe, Diagnosen zu stellen und die Betroffenen auch mit lebensbedrohlichen Befunden zu konfrontieren. Zudem begegnen sie bei jeder Visite, bei jeder Behandlung den erwartungsvollen Blicken und Fragen ihrer Patienten, die natürlich auf jedes Hoffnungszeichen durch die Fachleute gespannt sind.

Erst recht stehen Arzt und Ärztin in der palliativen Situation vor der Frage, wie sie Schwerkranken die Hoffnung erhalten können, wenn sie kurativ gegen das Fortschreiten der tödlichen Krankheit nichts mehr an- und aufbieten können, weil ihre medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Medizin und Religion: Wer macht mehr Hoffnung?

Mit der Aufgabe und auch dem Wunsch, am Ende des Lebens noch Hoffnung zu machen, sind die medizinischen Berufe erst seit dem Aufkommen der modernen Medizin befasst. Machen wir uns in einer kurzen Skizze klar, wie sich der Umgang mit einer tödlichen Krankheit im Lauf der Geschichte entwickelt hat.

Über eine lange Zeit der Menschheitsgeschichte gab es keine Medizin, die es mit dem Tod aufnehmen konnte. Die Medizin war über tausende von Jahren im wesentlichen „palliativ“. Die Hauptunterstützung bei schwerer Krankheit und beim Sterben geschah durch die Religion und religiöse Vorstellungen. Seit mehr als 100 Jahren wandelt sich die Szene jedoch erheblich: Die Medizin entwickelt seitdem ein vorher nicht vorstellbares Arsenal im Kampf gegen den Tod. Viele Krankheiten wurden heilbar oder zumindest behandelbar. Der Ansatz der naturwissenschaftlich basierten Medizin enthielt und enthält die Verheißung, dass im Prinzip jeder Krankheit mit medizinischen Mitteln begegnet werden kann. Dadurch entstand der Eindruck, es braucht für Kranke – nicht nur für Krankheiten als biophysisches Phänomen – nur noch Medizin. Die traditionelle „Methode“ der Religion wurde allmählich überflüssig. Man ging zunehmend davon aus, dass alle Probleme des Menschen mit naturwissenschaftlichen und technischen Mitteln lösbar seien und damit auch Ängste und Sinnfragen letztlich überflüssig würden.

Und wenn sich das Ende des Lebens abzeichnete, dann hatte die Medizin damit nichts mehr zu tun; sie war ja mit der Verhinderung des Todes in der Zeit vorher beschäftigt. Mit Fragen des Lebens, mit der Aussicht auf den Tod konnte sie im Rahmen der instrumentellen Vernunft immer weniger anfangen. Dies ging so bis in die 1970er Jahre. Da begann eine neue Entwicklung infolge der psychologischen und humanwissenschaftlichen Aufklärung. Als Beispiel dafür steht die Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler Ross. Auf einmal kamen über das Körperliche hinaus noch andere Dimensionen des Menschen in den Blick. Im Grunde geriet das wieder ins Bewusstsein, was zur anthropologischen Verfassung des Menschen gehört: sein psychisches und spirituelles Ringen mit dem Schicksal und dem Tod, das durch die Medizin der Moderne nur überblendet worden war. Der moderne Mensch muss ja sozusagen „nackt“ sterben – also unbekleidet. Über Jahrzehntausende starben die Menschen in allen Kulturen eingehüllt und gewärmt durch religiöse Vorstellungen und soziale Einbindungen.

Das Bedürfnis nach einer Auffangstruktur für die heutige Zeit führte zur Entwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung. Dort werden die vorher verdrängten Aspekte am Menschen wieder aufgenommen und in ein ganzheitliches Konzept integriert. Denn auch die therapeutischen Berufe stehen vor der Frage, wem, welcher sozialen aber auch geistigen Einkleidungsstruktur sie die Sterbenden anvertrauen können. Gerade wenn das Machbare zurücktritt, ist ja die Frage, wie der Patient mit seinem Leid, mit dem Sterben als Sterben (nicht als behandelbare Krankheit), mit der Todesdrohung, mit der Erfahrung des Weniger-werdens aufgefangen werden kann. Also da, wo – im Sinn der Moderne – keine „Fortschritte“ mehr möglich sind.

Aber noch eine Entwicklung ist beim Thema Hoffnung zu nennen. Die Religion, die früher die Hoffnungsperspektive am Ende des Lebens dargestellt hat, verliert als Quelle für Hoffnung bei zunehmend mehr Menschen an Bedeutung. Damit greift auch eine „ars moriendi“, eine Sterbekunst, nicht mehr, die ursprünglich mit der Hoffnung auf ein besseres Jenseits verbunden war. Diese allgemein geteilte große Hoffnungsperspektive wird durch die Individualisierung und Säkularisierung der Moderne in ihrer Kraft geschwächt. Sie hat sich zunehmend auf die Hoffnung durch medizinische Möglichkeiten verlagert. Und: Gilt das nicht auch für die Behandler selbst, dass sie vom Plausibilitätsverlust religiöser Ideen mitbetroffen sind?'

Das Hoffnungsthema muss auf diesem Hintergrund von Moderne und Postmoderne mit ihren medizinischen und geistigen Entwicklungen gesehen werden. Denn die therapeutischen Berufe – auch die Seelsorge – begegnen nicht nur Patienten mit einer religiös verwurzelten Hoffnung, sondern auch – und zunehmend mehr – Menschen ohne diesen Hintergrund. Die medizinischen Berufe haben aber nicht nur die funktionelle Aufgabe der Diagnostik und Behandlung, sondern auch die therapeutische Aufgabe,1 zur Hoffnungsfindung am Ende des Lebens, also jenseits der kurativen Möglichkeiten, beizutragen.

Anliegen dieses Beitrags ist es, hier nicht in erster Linie die Möglichkeiten der Seelsorge darzustellen, sondern Hoffnungsvermittlung als multi- und interprofessionelle Aufgabe zu skizzieren. Es wird sich zeigen, dass Hoffnung zwar ein spirituelles Thema ist, dass „spirituell“ aber nicht heißt, dass Hoffnung nur aus dem religiösen Reservoir zu schöpfen sei und daher ärztlichem und nichtreligiösem Berufsalltag nicht zugänglich sei.

Wie lässt sich Hoffnung verstehen?

Es ist für Helfer und Begleiter immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viel Hoffnung im Menschen steckt. Das große Wort „die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist inzwischen zur Alltagsfloskel geworden. Das Wort behält dennoch seine Weisheit. Die zeigt sich bei vielen unheilbar Kranken z. B. darin, dass sie eine Art doppelte Buchführung leben. Sie wissen, dass sie voller Metastasen sind und zugleich gehören sie „sicher zu den 5%, bei denen diese Chemotherapie Erfolg hat“. Wo eine Tür zur Heilung beim Patienten zugeht, da öffnet sich woanders ein Fenster mit neuer Aussicht auf die Zukunft. Der Mensch braucht nicht nur Hoffnung zur Bewältigung von Krisen und Herausforderungen des Lebens; in ihm ist die Fähigkeit, Zuversicht zu entwickeln und von der Zukunft Gutes zu erwarten, wohl vom Schöpfer eingepflanzt: „Die Hoffnung ist eine der Urgebärden des Lebens.“2 Offensichtlich „macht“ sie sich der Mensch nicht willkürlich, sondern das Grundwasser Hoffnung kann an vielen Stellen der Lebens- und Sterbelandschaft hervorkommen und Quellen bilden. Solche Quellen sind erst recht bei der Verarbeitung von Krankheit und Lebenskrisen unentbehrlich. Darauf verweisen auch die sogenannten Nahtoderfahrungen, die offensichtlich die Funktion haben, dem Menschen den Schritt über die Schwelle des Todes zu erleichtern.

Eine noch sehr allgemeine Definition kann lauten: Hoffnung ist die freudige Erwartung von etwas künftig Gutem, das ich zwar nicht verfügbar habe, das aber als Möglichkeit existiert. Es ist erreichbar, wird aber nicht notwendig erreicht.

Das Erstaunliche ist: „Hoffnung wirkt, ohne sich erfüllen zu müssen.“3 In dieser Wahrheit steckt für den Begleiter sowohl eine Versuchung (man kann Illusionen aufbauen, die eine Zeitlang alle Beteiligten entlasten) als auch ein Trost (wir dürfen in der Hoffnung bleiben, ohne sie für alle Zukunft einlösen zu müssen). Nirgendwo sonst liegen Allmachts- wie Ohnmachtsvorstellungen so nah beieinander wie bei Berufen, die mit Leben und Tod befasst sind. In der „Zeit der Machbarkeit“ und des Fortschrittsglaubens bis weit in die 1970er Jahre ging man von der Vorstellung aus, Hoffnungserfahrung ergäbe sich alleine aus den Verheißungen der Medizin. Man glaubte, die Zeit bis zum Tod überbrücken und das Sterben als Prozess übergehen und vernachlässigen zu können.

Die seelsorgliche Begleitung geriet mit ihrer religiösen Hoffnungsverheißung dagegen zunehmend ins Hintertreffen. Hatte die Medizin doch immer mehr „diesseitige“ Möglichkeiten der Heilung in Aussicht zu stellen. Dagegen konnte die klassische Methode der Religion, die jenseitige Hoffnung als Trost für das Diesseits zu verkünden, immer weniger ausrichten. Allerdings ist die Medizin nach wie vor in der Versuchung, unheilbar Kranken immer weitere Therapieangebote zu machen. Für die Patienten werden diese schnell zu Strohhalmen, an denen sie sich aus der Todeszone herausziehen möchten.

Seit einigen Jahrzehnten hat sich ein neues Paradigma im Umgang mit zum Tod führender Krankheit entwickelt: die Palliativversorgung. Das Prinzip Hoffnung wird hier nicht als Angebot immer weiterer Maßnahmen zur Abwehr des Sterbens verstanden. Vielmehr wird auf die Begabung des Menschen gesetzt, auch mit dem Sterben hoffnungsvoll umgehen zu können. Schon Elisabeth Kübler-Ross konnte sinngemäß formulieren: Die Hoffnung des Kranken ist am Anfang – nach Mitteilung der Diagnose – eine andere als am Ende seiner Zeit.

Dagegen war es (und ist es oft noch) die Angst der Behandler, aufgrund der es lange Zeit geraten schien, die Wahrheit einer ungünstigen Diagnose dem Patienten zu verschweigen. Man fürchtete, Offenheit könne dem Betroffenen jede Hoffnung rauben. Es ist aber die Erfahrung mit Sterbenden, dass sie immer wieder Möglichkeiten finden, seelisch am Leben zu bleiben. Die Kraft zum Leben vergeht offensichtlich nicht so einfach. Darauf dürfen die Helfer vertrauen, auch wenn sie Menschen mit schwierigen Wahrheiten konfrontieren. Sie dürfen darauf vertrauen, dass Hoffnung ein vielschichtiger Prozess ist, der nicht nur von medizinischen Fakten bestimmt wird – so sehr diese natürlich Ursache für Erschütterung aber auch Zuversicht sind. Hoffnung begründend sind oft sogar mehr psychische, soziale und spirituelle Faktoren, die im Patienten zwar selten sofort, wohl aber im Laufe der Zeit wach werden und als Gegengewichte aktiviert werden können.

Was bedeutet dies nun konkret für die begleitenden Berufe, Ansatzpunkte für Hoffnung zu finden, wenn das medizinisch Machbare sich allmählich erschöpft oder ganz ausgeschöpft ist?

Vier Stufen von Hoffnung

Es ist eine wesentliche Hilfe für den konkreten Umgang mit dem Thema, dass man die Hoffnung mehrstufig sehen kann: Danach gibt es

  • als erste Stufe: die Hoffnung als Erwartung
  • als zweite Stufe: die Hoffnung mit „mittlerer Reichweite“
  • als dritte Stufe: Hoffnung in großer Perspektive
  • als vierte Stufe: Hoffnung mit jenseitiger Perspektive

Hoffnung als Erwartung

Die erste Art von Hoffnung richtet sich auf konkrete Inhalte: dass etwas ganz Bestimmtes erreicht werden kann. Die erste intensive Hoffnung ist mit beobachtbaren und absehbar realisierbaren Erfüllungen verbunden. In der Regel heißt das für den Patienten und seine Angehörigen, dass in seinem Krankheitsverlauf eine positive Wendung eintritt. Diese Hoffnung haben Schwerkranke oft auch noch auf der Palliativstation und im Hospiz. Wenn bei starken Schmerzen eine deutliche Besserung eintritt, sehen viele das als Zeichen, dass es wohl doch nicht so schlimm sei, wie zu befürchten war. Der Mensch kann sich offensichtlich nicht vorstellen, nicht mehr am Leben zu sein. Er ist rational aufgeklärt, aber es gibt wohl eine Kraft im Menschen, an immer weiteres Leben zu glauben. Gegenüber den medizinischen Behandlern ist im Hintergrund immer die Hoffnung, dass „diese Operation den ganzen Krebs entfernt hat“, dass „bei dieser Chemotherapie alle, auch die verstreuten Krebszellen vernichtet wurden“. In der Tat beginnt sich die Erwartung der neueren Medizin zu erfüllen, viele früher schnell tödlich verlaufende Krankheiten, in eine Art „chronische Krankheiten“4 zu verwandeln, bei denen man hoffen darf, noch sehr lange damit leben zu können: „Ich habe zwar eine tödlich verlaufende Krankheit, aber daran sterbe ich nicht.“

Erwartungen dienen als kleine und größere Rettungsinseln im Meer einer vom Tod bedrohten Zukunft. Auch Illusionen haben die Funktion von Inseln, auf die sich der Patient retten kann, um im Kampf mit den hohen Wellen wieder zu Atem zu kommen und psychisch am Leben zu bleiben. Die Medizin ist in Versuchung, durch immer neue Behandlungsangebote die Aufmerksamkeit des Schwerkranken auf immer weitere Behandlungsschritte zu konzentrieren, die Zukunftsängste zu beschwichtigen und letztlich von der tödlichen Wahrheit abzulenken. Die Erwartungshoffnung kann der Arzt aber nur „machen“, wenn berechtigte Aussichten auf Besserung bestehen. Zugleich darf der Mediziner Hoffnung durch Relativierung wecken: „Es muss nicht das Schlimmste eintreten“ und damit den Patienten in seinen Befürchtungen auffangen. Wenn allerdings Ärzte unter „Hoffnung“ nur verstehen, trotz negativer Aussichten immer weitere Therapien anzubieten, dann kann sich die Hoffnung des Schwerkranken nicht wandeln. Sie nehmen dem Menschen dann die Möglichkeit, sein Sterben mit Leben in einem tieferen Sinn zu füllen.

Den Umschwung in der Erwartungshoffnung leitet oft erst die Verlegung auf die Palliativstation ein. Dort sagt z. B. die Anästhesie-Ärztin: „Dieses Medikament geben wir Ihnen gegen die Schmerzen. Das Fortschreiten Ihrer Krebserkrankung kann dadurch nicht aufgehalten werden.“ Ähnliches gilt, wenn der Patient von einem „Wunder“ spricht. Die Sehnsucht dieses Menschen sollte der Arzt nicht einfach abtun. Er kann sagen: „Das wäre natürlich das Schönste, was Ihnen passieren könnte.“ Und weiter: “Welches Wunder wäre das größte, auch wenn Ihre Krankheit sich nicht heilen lässt?“ Dies ermöglicht es dem Patienten, seine Hoffnung auf andere Ziele zu richten und damit sein Sterben zu gestalten. Bei diesem Wandlungsprozess der Hoffnung braucht es allerdings Begleitung und Begleiter.

Hoffnung mittlerer Reichweite

Diese wird umso wichtiger, je weniger sich Erwartungshoffnungen erfüllen. Es geht dabei, kurz gesagt, um die Selbstvergewisserung des Patienten als Subjekt, die ihn auch durch den weiteren Krankheits- und Sterbeprozess hindurchträgt. Hoffnung heißt hier nicht: „Es wird schon wieder werden“. Ich gehe hier von der These aus: Es gibt im Menschen einen inneren Geist, eine integrierende Kraft, die ihn – auch bei weniger werdenden körperlichen Möglichkeiten – als Ganzes, als Subjekt immer noch leben lässt. Jeder Mensch hat Ressourcen, mit denen er sich in die Zukunft hinein entwirft: soziale, psychische, mentale und spirituelle Integrationskräfte. Die Erfahrung mit Sterbenden zeigt, dass sich Hoffnungen mit anderen Perspektiven auftun, wenn die Hoffnung, dass es doch noch Mittel gegen das Fortschreiten der Krankheit gibt, nicht in Erfüllung geht.

Zu dieser Kategorie von Hoffnung gehören auch ganz kurzfristige Ziele: z. B. in physischer und sozialer Hinsicht,

  • dass man diese Nacht einmal schmerzfrei durchsteht oder sogar durchschlafen und man so endlich einmal „zu sich kommen“ kann,
  • dass meine Familie mich an diesem Wochenende besucht,
  • dass das Gespräch mit meiner Tochter einen guten Ausgang nimmt,
  • dass man vielleicht noch einmal den Campingplatz sehen kann, „der uns über viele Jahre so viel bedeutet hat“.

So können Arzt und Ärztin Menschen ohne medizinische Aussichten dennoch Hoffnung vermitteln: „Wir können zwar nichts mehr gegen das Fortschreiten Ihrer Krankheit machen, aber wir können noch viel anderes tun. Wir können Schmerzen und andere Belastungen lindern. Wir können dafür sorgen, dass Sie sich hier auf der Station gut aufgehoben fühlen (oder bei ambulanter Palliativbetreuung: dass Sie medizinisch gut versorgt sind und dass wir Sie nicht im Stich lassen). Wir können Ihren Angehörigen ermöglichen, dass …  Und vielleicht kriegen wir sogar das mit dem Campingplatz hin… “. Und: „Wir tun alles, dass Sie auch bei dieser Krankheit eine gute Lebensqualität haben können.“

Die ärztlichen und pflegerischen Begleiter werden bereits durch qualifiziertes berufliches Verhalten zu Hoffnungsträgern:

  • durch Terminvereinbarungen, die den Patienten Verlässlichkeit erleben lassen und Stress reduzieren,
  • durch empathische Nähe, durch die der Patient die positive Erfahrung macht, angenommen und verstanden zu werden, mit der er auch auf seinem weiteren Weg rechnen darf,
  • durch ihre Wahrhaftigkeit und dadurch, dass sie den Fragen ihrer Patienten nicht ausweichen. Z. B. wenn diese fragen, wie lange sie noch zu leben haben: „Wir glauben, dass Ihnen noch Wochen (oder Tage) bleiben.“ Palliativmediziner machen die Erfahrung, dass es für viele Patienten tröstlich ist, wenn sie ihnen in der terminalen Phase sagen können: „Ich glaube, das ist jetzt das Sterben.“ Für Schwerkranke bedeutet das keineswegs Hoffnungslosigkeit, sondern die Aussicht, dass ein leidvoller Weg endlich zu Ende geht.

Selbstverständlich sind eine gute Symptombekämpfung und die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse elementare Voraussetzungen auch dafür, dass Patienten sich mit spirituellen Fragen nach Sinn, Versöhnung, Dankbarkeit und mit transzendenten Sinnquellen und seelsorglichen Angeboten auseinandersetzen können.

Dann speist sich die Hoffnung auch aus „kleinen“ Bausteinen, die in existenzieller Hinsicht jedoch riesig groß sein können. Solche „geschöpflichen Hoffnungen“ haben zwar vielfach „nur“ eine materielle Seite, zugleich aber sind sie mehr als Alltäglichkeiten. Sie sind auch spürbare Zeichen, mit denen der Weg in die unsichere Zukunft gestaltet werden kann. Auch im letzten Lebensabschnitt kann die betreuende Umgebung realisierbare Erfüllungen in Aussicht stellen:

  • die Wahl der Sterbeumgebung,
  • die Wahl der Menschen, die in der terminalen Zeit anwesend sein sollen,
  • eine Dosierung der Schmerzmittel, die noch Kommunikation (vielleicht sogar unter Schmerzen) möglich macht ,
  • im äußersten Fall die palliative Sedierung.

Hoffnung durch Identitätsvergewisserung

Es gibt aber über diese physische und psychosoziale Dimension hinaus auch noch eine andere wichtige Unterstützungsmöglichkeit: die Identitäts- und Lebenserzählungen der Patienten, die sie selten in einer strukturierten Biografiearbeit, viel öfter aber nebenbei dem Begleiter mitteilen.5 Schon die Aussage über den Campingplatz bedeutet für den Schwerkranken mehr als eine Orts- und Zeitangabe, mehr als eine Sehnsucht oder Trauer. Sie ist auch ein Symbol für seine Identitäts- und Sinnerfahrung: So hat er das Leben als gut und sinnvoll erfahren, so hat er sich selbst in Verbindung mit der Natur, mit den Mitmenschen, mit den Jahreszeiten, mit der Schöpfung erfahren. Das macht (nicht machte!) ihn aus, so empfindet er sich als Subjekt seines Daseins. Diese Subjekterfahrung ist in ihm, auch wenn er real nicht mehr campen kann. Durch solche – oft unscheinbaren – Alltagserzählungen versichert sich der Mensch seines Selbstwertes. Und dies enthält die Hoffnung, dass dieser Selbstwert nicht verloren geht, sondern durch die kommende Zeit erhalten bleibt.

Hoffnung hat etwas mit Sinnerfahrung zu tun. So haben viele Lebenserfahrungen nicht nur einen Erinnerungswert. Sie weisen vielmehr auf innere Qualitäten, die den Menschen erfüllen und die bei ihm bleiben und die ein unschätzbares Potenzial von Hoffnung bilden. Sie gehören zu den integrierenden Kräften, die auch einen Schwerkranken als Subjekt immer noch leben lassen („Das bleibt als Erfahrung bei mir, das kann mir niemand nehmen.“ Das darf ein Mensch auf dem Weg in den Tod mitnehmen – religiös gesprochen: vor seinen Schöpfer tragen, wo es unverlierbar geborgen ist.).

Der Thanatotherapeut Hilarion Petzold6 sagt, dass Menschen in der Kraft der eingeholten Lebensspanne „leichter“ sterben können. Dieses „Einholen“ geschieht allerdings nicht erst in einer therapeutischen Biografiearbeit, sondern viel alltäglicher über die symbolische Kommunikation („Campingplatz“), bei der die Begleitenden durch qualifiziertes Zuhören und eine gute Resonanz zur Hoffnungsgestaltung beitragen können. Im Einholen der Lebensspanne vergewissert sich der Mensch zudem über die bestandenen und durchgestandenen Krisen und Sinnherausforderungen der Potenziale, die sein Leben bisher möglich gemacht haben. Er ist sozusagen „nach hinten“ mit diesen Kräften verbunden und kann sich auf dieser Basis hoffnungsvoll nach vorne in die Zukunft hinein ausstrecken, auch wenn diese Zukunft vermutlich noch bisher unbekannte Herausforderungen bereithält. Übrigens: Auch gescheiterte Lebensträume und ein viel zu frühes Sterben haben nicht nur ihre Defizit-, sondern auch ihre Ressourcenseite. In qualifizierten Begleitungen können sich auch Gescheiterte als „ganz“ empfinden, weil auch das Unerfüllte einen Platz in ihrer Selbstvergewisserung findet und zu ihrem Selbstwert gehört.
„Für gewöhnlich sieht der Mensch nur das Stoppelfeld der Vergänglichkeit; was er übersieht, sind die vollen Scheunen der Vergangenheit.“7

Schwerkranke tragen oft eine ganze Reihe von Träumen in sich, die sich oft erst durch die Begrenzung des Lebens bewusst melden. Es ist dann weiterführend, mit ihnen eine Unterscheidung zu finden: welche von den Träumen noch in Erfüllung gehen können („Was wäre gut, dass es noch geschieht?“) und welche sie werden umwandeln („Was ist unter den Umständen Ihrer Krankheit möglich?“) oder ganz aufgeben müssen.

Die Begleitung bei Identitäts- und Sinnvergewisserung, die zur Integritätserfahrung des Subjekts beiträgt, ist eine multiprofessionelle Aufgabe. Arzt und Ärztin, Pflege, Psychotherapie und Seelsorge können sie jeweils in ihrer Rolle verwirklichen. In der Art, wie sie einen Menschen wertschätzen, verbreiten sie wenigstens implizit ein Hoffnungsklima, in dem der Patient auf weitere seelische Lebensmöglichkeiten hoffen darf. Hier helfen sie mit, den Weg des Sterbens begehbar zu machen: ob ein Mensch nur auf den Tod wartet oder ob er darauf gespannt ist, was ihm zum Leben bleibt und was das Geheimnis der Zukunft noch an vertieften Selbst- und Lebenserfahrungen bringt.

Hoffnung mit großer Reichweite

Über den Horizont der Identitätsvergewisserung hinaus wächst auch eine Hoffnung auf Sinnerfüllung, die auch in Zukunft nicht vergeht. Menschen können dann „gut“ sterben, wenn sich über die Heilungserwartung hinaus die Hoffnung weitet und vertieft in die Hoffnung

  • noch möglichst viel kostbare Zeit mit den Menschen zu haben, die man liebt und sich dieser Liebe auch über den Tod hinaus gewiss zu sein,
  • dass Wichtiges noch geordnet werden kann, damit das Leben für die Nahestehenden auch nach dem Tod gut weitergeht,
  • dass die Kinder ihren Weg schon machen werden, man als Sterbender ihnen sein Zutrauen in ihr Leben mitgeben kann und man sie gesegnet weiß,
  • dass auch ihr eigenes Leben sein „Heiliges“ hatte und hat, das sich in der Familie, im Beruf, in ihrer Lebensleistung ereignet hat und das als unverlierbarer Kern „bleibt, obwohl man vergeht“.

Es ist gut, wenn für solche Wandlungsprozesse Begleiter zur Verfügung stehen, die sie moderieren können, z. B. „Haben Sie Ihrer Frau schon einmal gesagt, dass Sie sie sehr gern haben?“ Es kann eine gute Hoffnungsquelle und Hilfe für Sterbende sein, wenn – möglichst unter Begleitung – ein Vermächtnis des Sterbenden an die Hierbleibenden entsteht und damit die Perspektive über den Tod hinaus geöffnet wird.

Hoffnung mit transzendenter Perspektive

Zur symbolischen Integration im Krankheits- und Sterbeprozess gehört wesentlich auch die spirituelle Dimension. Die Spiritualität8 eines Menschen ist nicht nur ein abgrenzbarer Teil in seiner mentalen Verfassung. Sie ist vielmehr der „innerste Geist“, der die Dimensionen des Physischen, Psychischen, Rationalen und Sozialen zu einem Ganzen integriert. Die spirituelle Dimension kann man heutzutage nicht erst dann einem Menschen zusprechen, wenn er ausdrücklich religiös ist, sondern sie ist in jedem Lebensentwurf als das ganz persönliche Strickmuster eines Menschen explizit oder „nur“ implizit vorhanden. Implizit z. B. in den Symbolen (Familie, Lebensleistung, Campingplatz), die etwas von seinem „Heiligen“ darstellen, explizit natürlich in seiner Religion und seinem Glauben. Das Palliativkonzept der Weltgesundheitsorganisation betrachtet die Spiritualität als wesentlich für die Versorgung, weil dort Quellen der Hoffnung sind, die die Medizin mit ihren instrumentellen Möglichkeiten nicht bereitstellen kann.

Spiritualität und Religion eröffnen eine vierte Kategorie von Hoffnung, die transzendentale. Diese Hoffnung geht davon aus, dass jenseits des überschaubaren Horizonts noch eine sinngebende Zukunft auf den Menschen wartet. „Transzendent“ im spezifischen Sinn heißen Hoffnungen, wenn sie in die religiöse Dimension hineinreichen, also über die Hoffnung auf ein Fortleben in den geleisteten Taten und in der Erinnerung der Weiterlebenden hinaus. Solche Hoffnung beinhaltet, dass man am Ende in ein großes, von Gott erfülltes Geheimnis hineingeht. Dass man also aufgehoben ist in einer großen Liebe, in einem bergenden Du, in einer heiligen Ordnung, in einem ewigen Licht: bei Gott.

Diese Hoffnung mit überweltlicher Transzendenz muss nicht abgehoben und abstrakt sein; sie hat in der Regel durchaus Anschluss an die mit mittlerer und großer Reichweite: z. B. wenn Menschen hoffen,

  • dass aus ihren Kindern etwas wird und sie mit ihnen über die transzendente Welt verbunden bleiben,
  • dass sie vom Himmel her für die Weiterlebenden in ganz anderer Weise (z. B. wie Engel) da sein und sie beschützen können,
  • dass sie mit den Vorausgegangenen vereint sein werden und dass sie auch denen, die sie gehasst haben, verwandelt begegnen,
  • dass sie mit allen Unfertigkeiten und aller Schuld bei Gott angenommen sind und eine tiefste Vergebung erfahren, sodass sie jetzt auch versöhnt mit Gott und der Welt sterben können,
  • dass Gottes Geist und seine Engel auch durch die Bewusstlosigkeit des Sterbens und das Dunkel des Todes geleiten werden,
  • dass alles Leid und alles Schmerzhafte in Gott verschwinden und dass am Ende alles gut wird.

Hoffnung können die Helfer nicht „machen“ oder einem Menschen wie ein Medikament verabreichen, auch Seelsorge kann das nicht. Wenn die medizinischen Helfer von der Vorstellung ausgehen, Hoffnung „geben“ zu müssen, dann überfordern sie sich entweder oder sie versuchen, die Illusion der Heilung durch immer neue Therapieangebote und ausweichende Kommunikation aufrecht zu erhalten. Helfer – auch die Seelsorgenden – können Menschen jedoch bei ihrer Hoffnungsfindung begleiten. Das ist auch bei der Hoffnung mit transzendenter Perspektive möglich. Sie können durchaus Patienten nach deren Hoffnung und ihren religiösen Vorstellungen z. B. vom Jenseits des Todes fragen und deren Ideen moderierend begleiten.

Helfer, die selbst religiös sind und mit deren religiöser Unterstützung der Patient einverstanden ist, können dem Sterbenden auch Hoffnung zusagen, müssen aber dem Patienten überlassen, was er daraus an Zuversicht schöpft. Hoffnung hat wesentlich mit der Angst vor Beziehungsverlust zu tun, der sich am radikalsten im Tod ereignet. Deshalb können die Helfer, die den Sterbenden durch den Tod aus ihrer menschlichen Beziehung entlassen müssen, eine das Soziale transzendierende Beziehung anbieten, die über den Tod hinausreichende, die religiöse (re-ligio heißt „Rückbindung“):

  • „dass wir Sie bis zum Tor begleiten können, dort holen Engel (oder holt Christus) Sie ab“,
  • dass Sterben ein Weg ins Licht ist,
  • dass der Himmel die Befreiung von allem Leid durch Gott bedeutet,
  • dass das Sterben in das Geheimnis Gottes hinein geschieht,
  • dass Gott keinen Menschen, den er einmal ins Leben gerufen hat, aus einer Beziehung herausfallen lässt.

Der Arzt, der keine ausdrücklich religiösen Vorstellungen verwenden will, weil er sich religiöser Neutralität verpflichtet weiß, kann sagen:
„Meine Überzeugung ist, dass wir in einem größeren Leben aufgehoben sind, wenn wir sterben.“ Er kann ruhig den terminalen Patienten aber auch trösten: „Es wird alles gut“9 und damit das anthropologisch angelegte „Jenseits des Todes“ ins Spiel bringen. Dieses „es“, „alles“ und „gut“ muss nicht näher (psychologisch oder religiös) erklärt werden. Auch ein so einfaches Wort: „Wir schaffen das schon.“10 ist nicht psychologisch einlösbar zu verstehen. „Wir“ und „das“ sind mehr als Sachbegriffe. Sie lassen offen, wer das „wir“ eigentlich ist: irdischer oder himmlischer Beistand. Und das „das“ umfasst auch das große Geheimnis der Zukunft, zu der das Sterben gehört. Beide Hoffnungsworte sind durchaus keine reinen Floskeln. Sie sind Formeln für das Unsagbare, und sie artikulieren den Trost und die Hoffnung, in die jedes Leben eingebettet ist und die in jedem Leben aufblitzen und in jeder Situation in Anspruch genommen werden können. Die Begleiter beziehen sich dann auf eine Ur-Hoffnung, die im Ur-Vertrauen gründet.11 Die Seelsorge bietet große und jenseitige Hoffnungen mit Bildern, Ritualen und Weisheitsworten an. Die große – auch die religiöse – Hoffnung lässt sich nicht konkretistisch („Morgen ist alles besser“) behaupten, sondern nur in poetischer Sprache mit Metaphern und Geschichten „hinhalten“. Diese „machen“ nicht Hoffnung, sondern sie bieten Symbolräume an, in denen sich der Patient umschauen, einfühlen und daraus Impulse für seine Hoffnung finden kann.

Der Palliativgedanke impliziert Hoffnung

Wenn man die Palliatividee nicht nur der Arbeit auf einer Palliativstation oder in einem Hospiz zugrunde legt, sondern jeder Begleitung von Kranken und Angehörigen, dann ist die Palliativkultur eine Kultur der Hoffnung. Wer Kranken auch in Krisen zugewandt bleibt, lebt eine Spiritualität, weil er ein „Mehr“ über den medizinischen Vordergrund hinaus glaubt und von daher dem Kranken treu und ein verlässlicher und wahrhaftiger Partner bleiben kann.

Man kann „Hoffnung“ in spiritueller Perspektive definieren: Dem Leben, auch unter Einschränkung,  sein – letztlich heiliges – Geheimnis zutrauen, von dem auszugehen und auf das zuzugehen sich lohnt. Wenn die Helfer davon überzeugt sind und in vielen Begleitprozessen schon erfahren haben, dass auch das Sterben ein Geheimnis (zum hier verwendeten Verständnis von „Geheimnis“12) ist, in das hineinzugehen und das zu begleiten sich lohnen kann, dann können sie diese Hoffnung bei jedem Patienten neu ausstrahlen. Sie stehen dann für die Überzeugung, dass Sterben und Tod in einer größeren Hoffnung stehen. Diese Hoffnung können sie nicht explizit im Munde führen – sie können sie aber durch ihre Arbeit an der Grenze des Lebens darstellen, auch wenn sie nicht alles Leid und schon gar nicht den Tod verhindern können. Ein Palliativteam, ein Hospiz verkörpern, dass auch das Sterben in ein größeres Ganzes, in eine höhere Ordnung eingebettet ist, in deren Dienst und Kraft auch die Helfer stehen. Insofern sind alle Begleiter – auch die Seelsorgenden – „nur“ Katalysatoren für Hoffnungsfindung. Indem sie Sterbende und Angehörige nicht sich selbst überlassen oder warten, bis die Natur die Sache erledigt hat, sondern dem Sterben und dem Sterbenden ein großes Geheimnis, ein Mysterium, glauben, können sie der „Natur“ mit einer „Kultur der Hoffnung“ begegnen. Dann ist es möglich, auch das Sterben mit Leben und Sinn zu füllen und die Hoffnungslosigkeit nicht mit Argumenten und klugen Worten, sondern mit einer spirituellen Kultur aufzufangen. Religiöse Helfer müssen Hoffnung nicht entweder herstellen oder, wenn das nicht möglich ist, verzweifeln – sondern sie dürfen dem spirituellen Geheimnis vertrauen, in das alles Leben und Sterben seit Gottes- und Menschengedenken eingebettet ist. Dort kann der Helfer selbst Halt und Hoffnung finden, wenn Menschen sterben und letztlich alles Leben durch den Tod gehen muss.

Referenzen

  1. Kappauf H., Art. Krankenhaus, in: Student J.-C. (Hrsg.), Sterben, Tod und Trauer. Handbuch für Begleitende, Verlag Herder, Freiburg/ Basel/ Wien (2004), S. 129-135, hier S. 134 f.
  2. Pieper J., Über die Hoffnung, Verlag Kösel, München (1949), S. 29
  3. Aulbert E., Kommunikation mit Patienten und Angehörigen, in: Aulbert E., Nauck F., Radbruch L. (Hrsg.), Lehrbuch der Palliativmedizin, 3. Aufl., Schattauer, Stuttgart (2012), S. 1037-1058, hier S. 1050
  4. Kappauf H., Hoffen und Heilen. Aber um welchen Preis? Wie viel Ehrlichkeit verträgt der Mensch? Abstractband zum 4. Bremer Kongress der Palliativmedizin 11. – 12.03.2005 (2005), S. 37-39, hier S. 38
  5. Zum Konzept der „Symbolischen Kommunikation“ siehe Weiher E., Das Geheimnis des Lebens berühren. Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod. Eine Grammatik für Helfende, Verlag Kohlhammer, Stuttgart (2008, 3. Aufl. 2011), S. 88 ff.
  6. Petzold H., Integrative Therapie – der Gestaltansatz in der Begleitung und psychotherapeutischen Betreuung sterbender Menschen, in: Spiegel-Rösing I. (Hrsg.), Die Begleitung Sterbender, Verlag Junfermann, Paderborn (1984), S. 431-497
  7. Frankl V. E., Ärztliche Seelsorge, Verlag Fischer, Wien (1982)
  8. Zur Definition und Diskussion von „Spiritualität“ siehe Weiher E. (3. Aufl. 2011), siehe Ref. 5, S. 23 ff.
  9. Berger P. L., Auf den Spuren der Engel, Verlag S. Fischer, Frankfurt a. M. (1970)
  10. Rössler D., Der Arzt zwischen Naturwissenschaft und Metaphysik, in: Stulz P. (Hrsg.), Theologie und Medizin, Verlag Chronos, Zürich (2004), S. 177-191, hier S. 191
  11. Kast V., Freude, Inspiration, Hoffnung, Verlag Patmos, Düsseldorf (ppb-Ausg.) (2008), S. 175 f.
  12. vgl. Weiher E., Wenn das Geheimnis die Lösung ist, Spiritual Care – Zeitschrift für Spiritualität in den Gesundheitsberufen (2012); 1(1): 82-83

Anschrift des Autors:

Dipl. phys. Dr. theol. Erhard Weiher
Klinikseelsorger
Kathol. Pfarramt in der Universitätsmedizin Mainz
Langenbeckstr. 1, D- 55131 Mainz
erhard.weiher(at)unimedizin-mainz.de

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